Euterpe und Melpomene.

Manöverhumoreske von Graf Günther-Rosenhagen.
in: „Hausfreund” Nr. 38-39, 45. Jahrgang., 1895
Beilage zum „Pusterthaler Bote” vom 20.9. - 27.9.1895


Die Kompagnien standen auf dem Appellplatz im Bivouak zum Gebet angetreten. Von mehr denn zwanzig Kapellen gleichzeitig geblasen, erklangen die Töne des ergreifenden „Wir beten an die Macht der Liebe” und still und andächtig lauschte ein Jeder den weihevollen Klängen. Dann kam das Commando: „Mützen auf — weggetreten” und Jeder suchte sein Strohlager auf. Das heitere lustige Leben, das den ganzen Nachmittag im Bivouak geherrscht hatte, war verstummt, nur zuweilen ertönte noch aus einer einsamen Ecke ein heimliches Lachen und Gekiche, bis der patrouillirende Posten auch das letzte „zärtlich liebende Paar” getrennt und ihn in das Stroh, sie aber von dem Platz fortgejagt hatte.

Wir Offiziere suchten unsere Zelte auf, wo unsere Burschen uns bereits erwarteten, um uns bei der sehr simplen Nachttoilette zu helfen, viel Luxus und Komfort giebt es nicht, die Meisten ziehen sich nur die Stiefel aus, hin und wieder auch einer den Rock, sonst schläft man wie man ist und die ganze Toilette am nächsten Morgen besteht auch nur darin, daß man sich die Stiefeln resp. den Rock wieder anzieht. Waschen ist verboten, denn das Wasser, das mit mehr oder weniger Mühe aufgetrieben wird, dient nur zum Kochen des Kaffees und des Mittagessens und Abends zum Brauen des Punsches.

„Nun, was meinst du, Schnucki,” redete ich meinen Pudel an, der mich mit freudigem Gebell bei dem Zelt empfing, „sollen wir noch ein Glas Punsch trinken, oder sollen wir jetzt schon in das Stroh kriechen?”

Schnucki schien für das letztere zu sein, denn ich hörte ihn eine Sekunde später schon im Stroh sich herumwälzen, aber mit allen Anzeichen des Entsetzens ergriff mic mein Kompagniekamerad am Arm: „Um Gotteswillen, Sie wollen doch den Hund nicht mit in das Zelt nehmen?”

„Selbstverständlich,” entgegnete ich, „glauben Sie, daß mein treuer Köter frieren soll, während ich es gut habe, wir schlafen zusammen unter einer Decke, er stört Sie nicht.”

„Thun Sie mir die Liebe und lassen Sie den Hund draußen,” bat der Kamerad, und als ich abermals nur entgegnete: „Aber ich denke garnicht daran,” sagte er, einen Blick auf die Uhr werfend:

„Es ist jetzt erst einhalb Zehn, in dem Punschtopf wogt noch sattsamer Bedarf für zwei Stunden, es ist schade für das schöne Getränk. Lassen Sie uns noch eine halbe Stunde aufbleiben und unweigerlich die letzte Cigarre des heutigen Tages rauchen und lassen Sie mich erzählen, wie ich einmal und nie wieder mit einem Hund im Zelt schlief.”

Nach einigem Zögern willfahrte ich seinem Wunsche und nachdem die Burschen die Gläser gefüllt hatten, sprach der Kamerad folgendermaßen:

„Es sind jetzt drei Jahre her. Ich stand damals bei der zweiten Kompagnie, die nicht wie jetzt einen unendlich liebenswürdigen Chef hatte, sondern einen Hauptmann, der nur zum Schrecken aller anderen Menschen geboren zu sein schien. Seine Leute nannten ihn nie anders als den schwarzen Teufel(1), unter diesem Namen war er bald im ganzen Regiment bekannt und er trug diesen Kosenamen mit vollem Recht. Er war von kleiner, fast zu kleiner Gestalt, denn er reichte seinen Untergebenen kaum bis an die Brust, dabei schlank und hager und beweglich wie ein Aal. In seinem Gesicht hatte er einen wahrhaft teuflischen Ausdruck, der noch dadurch erhöht wurde, daß sowohl die Haare wie die Augen tiefschwarz waren. Mich schauderts noch, wenn ich an diese Augen denke und selbst der hartgesottenste Sünder kroch zu Kreuz, wenn der Hauptmann ihn durchbohrend anblickte. Wir alle sowohl die Mannschaften und Unteroffiziere als auch wir Leutnants hatten vor ihm einen heillosen Respekt, denn er quälte uns im Dienst wo er es nur konnte, nicht weil es der Dienst erforderte, sondern weil es ihm persönlich ein Vergnügen machte. Er wußte, wie seine Untergebenen ihn getauft hatten und er bemühte sich nach Kräften, seinem Namen alle Ehre zu machen.

Sie können sich denken, daß ich außer mir war, mit einem solchen Hauptmann in das Manöver ziehen zu müssen, aber alle meine Versuche, zu einer anderen Kompagnie versetzt zu werden, blieben erfolglos. Ich will Sie nicht mit Details ärgern, aber ich versichere Sie, im Fegefeuer muß man sich wohler fühlen, als ich es damals bei der zweiten Komopagnie that.

So kam denn der erste Bivouakstag heran; natürlich weigerte ich mich, mit meinem Hauptmann in einem Zelt zusammen zu wohnen, aber der schwarze Teufel lief sofort zum Major, der mir in längerer Rede auseinandersetzte, ich dürfte die Leute nicht merken lassen, wie schlecht ich mich mit meinem Chef stände, und deßhalb müsse ich in den sauren Apfel beißen und mit dem Hauptmann zusammen wohnen. Brrr!”

Der Kamerad schauderte bei der bloßen Erinnerung in sich zusammen. Mit einem großen Zuge leerte er das vor ihm stehende Glas und fuhr dann fort:

„Der schwarze Teufel war natürlich Junggeselle; ich glaube selbst dem heiratslustigsten Mädchen wäre bei seinem Anblick die Lust zum Heiraten ein für allemal vergangen. Irgend ein lebendes Wesen muß aber jeder Mensch um sich haben, wenn er in der Einsamkeit nicht verkommen will und da den schwarzen Teufel alle Menschen flohen, hatte er sich zwei Hunde angeschafft, wenn man diese Kreuzung aller Thiere überhaupt mit dem schönen Worte „Hund” bezeichnen darf. Niemals vorher und niemals nachher sah ich jemals so etwas Gräßliches, wie diese beiden Köter, die von einer garnicht existierenden Rasse waren. Ruppig und struppig, schmutzig und schmierig, schlecht ernährt und schlecht gepflegt machten sie einen geradezu widerlichen Eindruck.

„Es geniert Sie doch nicht, wenn ich Euterpe und Melpomene,” so hießen die beiden Kretins, „mit in mein Zelt nehme?” fragte mich Abends der Hauptmann, als wir uns schlafen legen wollten. Er betonte die Worte „mein Zelt” derartig, daß es keinen Widerspruch aufkommen ließ; ich nahm die Hacken zusammen, legte die Hand an die Mütze und sagte: „Wie der Herr Hauptmann befehlen.” Innerlich aber war ich rasend und hätte ich gekonnt, wie ich wollte, so wären Euterpe und Melpomene die längste Zeit auf Erden gewandert.

Anfangs ging es besser als ich es gedacht hatte; der Hauptmann hatte sich in die rechte Zeltecke gelegt, zu seinen Füßen ruhte Melpomene, neben seinem Kopf Euterpe; die beiden Thiere unterschieden sich nur dadurch von einander, daß das eine noch häßlicher war als das andere, aber selbst der weiseste Mann hätte nicht feststellen können, welches Vieh das eine, welches das andere war.

Ich hatte mich ganz in die linke Zeltecke gedrückt, mich fest in meine Decke gehüllt und schlief nach wenigen Minuten wie mehrere Tote zusammen. Wie lange ich geschlafen, weiß ich nicht, ich erwachte von einem eigenthümlichen kalten Gefühl, das ich im Gesicht empfand und als ich die Augen aufschlug, sah ich Euterpe, es kann aber auch Melpomene gewesen sein, vor mir stehen und mich mit weitausgestreckter Zunge beschnüffeln.

„Warte, Täubchen, das soll Dir gut bekommen,” sprach ich zu mir selber und eine Sekunde später versetzte ich dem Hund einen Fußtritt, daß er laut aufheulend zum Zelt hinausflog.

Nun aber wurde der schwarze Teufel lebendig: „Herr Lieutenant, was ist hier los? Wie können Sie sich erlauben, meine Hunde zu schlagen! Ich bitte um Aufklärung, was hier vorgefallen ist.”

Aber ich schlief; wenigstens that ich so, als ob ich schliefe. In dem Zelt herrschte vollständige Finsternis; das Licht in der Laterne war erloschen, nur durch einen kleinen Riß in der Leinewand, dicht über meinem Kopf, fiel ein ganz schwacher Mondschein in das Zelt und erhellte meine allernächste Umgebung.

„Herr Lieutenant, ich befehle Ihnen wach zu werden,” donnerte mein Hauptmann, aber ich antwortete nicht, diesem Befehl brauchte ich nicht nachzukommen und ich schlief ruhig weiter.

Fünf Minuten lag mein Vorgesetzter noch polternd und scheltend neben mir: „Wir sprechen uns morgen, Herr Lieutenant,” war sein letztes Wort, dann herrschte wieder Friede und Ruhe. Aber nicht lange, denn ich hatte wohl kaum eine Viertelstunde wirklich geschlafen, als ich von einem sonderbaren Druck auf meinem Magen erwachte. Ich fühlte hin und ergriff einen der beiden entsetzlichen Köter, dem es wahrscheinlich zu kalt geworden war und der sich unter meine Decke geflüchtet hatte.

Ich wollte fluchen, aber die Klugheit gebot mir zu schweigen. Mit der rechten Hand ergriff ich den Hund am Hals, mit der linken an den Hinterbeinen, schöpfte einmal tief Athem, nahm alle meine Körperkräfte zusammen und einen Augenblick später sauste der Köter durch die Luft, mit lautem Krach an dem dicht vor dem Zelteingang stehenden Tisch aufschlagend.

Ich bin nicht furchtsam, Feigheit ist dem Soldaten ja auch bei Todesstrafe verboten, aber in Erwartung der Dinge, die nun kommen würden, kroch ich denn doch in mich zusammen und zog mir die Decke über die Ohren.

Aber Alles blieb still; ich hatte geglaubt, der Hund würde fürchterlich zu heulen anfangen, aber er rührte und regte sich nicht. War er tot? Eine grenzenlose Freude ergriff mich, die Welt von einem Ungeheur befreit zu haben und im Geiste sah ich mich schon dafür öffentlich belohnt und dekoriert.

Aber erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Diese ewige Wahrheit sollte auch ich wieder an mir selbst kennen lernen.

Kaum hatte ich mich in dem seligen Bewußtsein, meinen Peiniger nun für immer los zu sein, auf die Seite gelegt, um endlich ungestört schlafen zu können, als mit einem Male der von mir an die Luft expedierte Köter, der sich anscheinend von seinem Fall erholt hatte, wie von der Tarantel gestochen in das Zelt hineinjagte und mich in die Beine biß, daß ich mit einem lauten Schmerzensschrei in die Höhe fuhr. Und nun begann im Dunklen eine förmliche Schlacht. Die grünen Augen des Hundes leuchteten in einem geradezu unheimlichen Feuer, seine Haare sträubten sich vor Wuth, soweit sie nicht von Natur aus hoch standen und ich fühlte seinen heißen Athem. Mit Händen und Füßen schlug ich auf ihn ein, aber anstatt ihn dadurch zurückzuschrecken, entfachte ich seine Wuth nur noch mehr.

In das Getöse des Kampfes, in das wüthende Gebell des Hundes und meine Schmerzensrufe, wenn ich wieder gebissen worden war, mischte sich die Stimme des erwachten schwarzen Teufels und der anderen erwachten Muse.

Mit vereinten Kräften stürzten Euterpe und Melpomene auf mich ein; ich schlug, der Hauptmann rief; aber Alles war vergebens, die Hunde hatten sich, wie man sagt, an mir festgebissen.

Da fühlte ich einen neuen Biß in meinem linken Fuß: eine wahnsinnige Wuth überkam mich. Ich sprang in die Höh', um mein Seitengewehr zu ziehen und die Thiere totzustechen, aber die Hunde blieben an mir hängen. Mit aller Kraft, die ich noch besaß. schlug ich mit beiden Fäusten im Dunklen um mich — und der schwarze Teufel brach mit einem Schmerzensschrei zusammen.

Nun eilten endlich auch die in nächster Nähe schlafenden Burschen herbei und befreiten mich von den beiden bissigen Kötern. Dann betrachtete ich mich und meine Kleidung: meine Uniform war bei dem Kampf „kriegsunbrauchbar” geworden und ich selbst blutete nicht unbedeutend. Aber alles Leid vergaß ich bei dem Anblick des schwarzen Teufels.

Ich bin wahrhaftig kein schlechter Mensch, ich gönne allen Leuten von ganzem Herzen alles Gute, aber wie ich meinen Hauptmann so vor mir liegen sah, so still und ruhig wie noch nie, da durchzuckte mich eine wilde Freude und ich dachte: „Ach könnt' es doch immer so bleiben, hier unter dem wechselnden Mond.” Nur für eine Sekunde überließ ich mich dem glückseligen Gefühl, das mich beschlich. Dann hinkte ich davon und suchte den Arzt, den ich mit vieler Mühe aus dem Schnarcherzelt hervorholte und der den schwarzen Teufel mit etwas kaltem Wasser wieder in die Wirklichkeit zurückrief.

Als der Hauptmann erwacht war, sprach er zu mir kein Wort und hörte auch nicht auf meine Entschuldigungsworte, die mir zwar nicht von Herzen kamen, aber die ich dennoch sagen mußte. Er sah mich nur an: aber mit einem Blick, den ich nie vergessen werde und der mir auf einmal klar machte, was ich gethan. Ich hatte mich an einem Vorgesetzten vergriffen — wenn auch natürlich nicht absichtlich — und wenn ich mich auch frei von jeder Schuld fühlte, so wußte ich dennoch nicht, wie die Sache höheren Orts aufgefaßt werden würde, und ich gebe Ihnen die Versicherung, daß mir ganz niederträchtig zu Muthe war.

Als der schwarze Teufel am nächsten Morgen sich im Kreise der Kameraden sehen ließ, empfing ihn schallendes Gelächter; nicht ein Einziger sprach ein Wort des Bedauerns über den Unfall, der ihm zugestoßen war. Und nur der großen Unbeliebtheit, die er überall genoß, hatte ich es zuzuschreiben, daß die Sache für mich ohne böse Folgen blieb. Daß ich an demselben Tage zu einer andern Kompagnie versetzt wurde, ist selbstverständlich.”

Abermals schwieg der Kamerad und that einen langen Zug aus seinem Glase, dann sprach er:

„Und von dieser Stunde an hasse ich alles, was Hund heißt. Vierzehn Tage habe ich in Folge der Bisse krank gelegen und man kann jetzt noch die Narben sehen, die ich in dem unrühmlichen Kampf davontrug. Willfahren Sie nun meinem Wunsche, Ihren Hund für heute Nacht zu verstoßen?”

„Aber selbstverständlich,” entgegnete ich und wenige Minuten später krochen wir in unser Zelt, in dem unser Hauptmann, ohne daß wir es wußten, schon seit einer halben Stunde lag und die ganze Geschichte mit angehört hatte.

„Sie sind ja ein netter Untergebener,” neckte er den Kameraden, als dieser sich neben ihn legte, „das kann ja unter Umständen eine vergnügte Nacht werden, wer garantirt mir dafür, daß Sie sich nicht auch an mir vergreifen?”

„Der Herr Hauptmann dichten ja zuweilen in den Mußestunden,” entgegnete der Kamerad, „die Musen werden den Herrn Hauptmann beschützen.”

„Alle neun?” lachte dieser, „wäre es nicht besser, wir ließen Euterpe und Melpomene draußen vor? Ich glaube, sieben Musen genügen auch schon, um mich ruhig schlafen zu lassen.”

„Und zweie, um einen die ganze Nacht wach zu halten,” antwortete der Kamerad, „nun aber, gute Nacht, Herr Hauptmann, wir müssen morgen wieder früh aufstehen und ich habe heute soviel von Hunden gesprochen, daß ich fürchte, falls ich nicht ordentlich schlafe, morgen zwar nicht ein Hund zu sein, wohl aber, mich elend wie ein Hund zu fühlen.”

Fünf Minuten später schnarchten er und der Hauptmann um die Wette. Und leise stand ich auf und holte mir meinen Schnucki in das Zelt, der, ohne sich zu rühren, die ganze Nacht zu meinen Füßen lag.

„Wie der Gott in Frankreich habe ich geschlafen,” sagte am nächsten Morgen der Kamerad zu mir, „ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, daß Sie Ihren Hund draußen gelassen haben.”

„Bitte sehr, keine Veranlassung,” wehrte ich ab und innerlich sprach ich zu mir selbst: „Was doch die Einbildung nicht alles vermag.”


Fußnoten:

(1) Schlicht bringt in seinen Werken mehrere Male diese Figur eines sehr unbeliebten Hauptmanns, eines Leuteschinders, so in seiner Autobiographie und in den Erzählungen „Zurück — marsch, marsch!”, „Vorschuß”, „Der schwarze Teufel”. (Zurück)


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