Vorschuß.

Militär-Humoreske von Freiherrn von Schlicht.
in: „Sumatra-courant”, nieuws- en advertentieblad, vom 01.10. 1898,
unter dem Titel „Iets vooruit.”
in: „Was ist los?” und
in: „Der stumme Kerl”


Lieutenants wechseln wie heutzutage die Köchinnen und Hausmädchen wenigstens alle Jahr ihre Herrschaft, nur daß sie nicht wie diese dienen, sondern „stehen”. Dieser Ausdruck ist wie so vieles beim Militär eine Übertreibung — das „Stehen” des Lieutenants bei einer Kompagnie bedeutet, daß derselbe stets unterwegs ist, entweder im Schritt oder im Marsch-marsch. Auch die Bezeichnung „Stehen” ist frei nach lucus a non lucendo gebildet.

Die meisten Regimenter haben zwölf Kompagnien — das Lieutenantsein dauert, wenn man Glück hat, vierzehn Jahre, hat man kein Glück, fünfzehn, hat man gar kein Glück, sechzehn und hat man Pech, siebzehn.

So lernt jeder Lieutenant jeden Hauptmann dienstlich und außerdienstlich genau kennen. Die hohen Vorgesetzten finden dies ungemein wichtig und lehrreich. Die Untergebenen sind oft anderer Ansicht, die denken: ich kenne den Häuptling schon mehr als genug, daß ich ihn auch noch „dienstlich” kennen lernen soll, finde ich mehr als überflüssig, das ist in meinen Augen einfach „gemein”. Dieser Ausdruck hört sich schlimmer an als er ist, man bedenke, daß das ganze Militär eine große „Gemeinheit” ist, da jeder, ob General oder Korporal, einmal „Gemeiner” gewesen ist.

Wie es Herrschaften giebt, bei denen kein Mädchen zugehen will, so giebt es auch Hauptleute, zu denen kein Lieutenant hin will. Die Mädchen sind glücklicher daran als die Offiziere: wenn sie nicht wollen, kann kein Mensch sie zwingen. Dem Herrn Lieutenant aber wird einfach vom Regiment befohlen: „am 1. Oktober (an diesem Tage ,verändern' sich meistens die Offiziere) meldest Du Dich bei dem Hauptmann Soundso.” Dagegen hilft kein Murren und kein Knurren, kein Bitten und kein Flehen, kein Schelten und kein Fluchen — er muß hin. Wenn ihn etwas in seinem Unglück zu trösten vermag, so ist es der Gedanke, daß es ja nur auf ein Jahr ist — nur auf ein Jahr.

Viel Vergnügen. —

Ganz gegen seinen Willen war der kleine Lieutenant Adolf zur ersten Kompagnie gekommen, denn der Hauptmann der königlichen Ersten(1) war keine angenehme Bekanntschaft, er führte den Beinamen „der Knochenschleifer”, weil sein drittes Wort bei dem Exerzieren immer war: „Ich werde Euch schon die Knochen schleifen.” Und er schliff sie, er zwiebelte seine Jünglinge, daß es häufig schon nicht mehr schön war, und da die Herren Lieutenants immer eintreten mußten, wurden sie stets mit „geschliffen”. Die Aussicht hatte für den kleinen Adolf wenig Verlockendes und als ihm eines Tages im Kasino so ganz en passant (wo ist der deutsche Sprachverein?!) gesagt wurde: „Wissen Sie es schon? Sie kommen am 1. Oktober zur ersten Kompagnie,” da blieb ihm der Bissen im Halse stecken. Leider war der Assistenzarzt zweiter Güte, um nicht zu sagen, zweiter Klasse, zur Stelle, um die Gefahr sofort zu beseitigen. Ihm wäre es lieber gewesen, er wäre gleich gestorben. „Lieber tot als bei der Ersten,” dachte er.

Drei Tage lief er umher voller Angst und Unruhe, dann wurde es plötzlich wieder hell in seinem Innern: „Gewiß. die Kameraden hatten ihn nur necken wollen, warum sollte wohl gerade er zur ersten Kompagnie versetzt werden? Er paßte doch absolut nicht dorthin, er war doch viel zu klein.”

Den Gedanken hatte der Herr Oberst auch, als er mit seinem Adjutanten die Offiziers­versetzungen besprach: „Etwas reichlich klein für die Erste ist er, das sehe ich ja ein, im Anfang wird es ihm sehr schwer, wenn nicht unmöglich werden, mit den langen Leuten gleichen Schritt zu halten und namentlich bei dem Parademarsch wird das seine Schwierigkeit haben. Aber ich kann ihm nicht helfen, er hat in der letzten Zeit so viel Dummheiten gemacht und im Kasino so unsolide gelebt, daß er einmal in strenge Zucht muß. Auch in seiner persönlichen Haltung hat er sich sehr vernachlässigt, ich werde den Herrn Hauptmann bitten, ihn etwas scharf, aber dabei doch wohlwollend, anzufassen.”

Armer Adolf!

Am 1. Oktober stand er zitternd und zagend vor seinem neuen Hauptmann, der von oben herab — er war fast zwei Meter lang — seinen neuen Unterthanen musterte.

„Durch Regimentsbefehl melde ich mich ganz gehorsamst —”

„Bitte, Herr Lieutenant, nehmen Sie zunächst einmal den Kopf hoch, wenn Sie mit mir sprechen,” unterbricht ihn der Herr Hauptmann.

„Nanu,” sagte der Herr Lieutenant, natürlich nur zu sich selbst und zwar so leise, daß er es selbst kaum verstand. Gleichzeitig fühlte er, wie ihm das Blut in die Wangen schoß — es ist nicht jedermanns Sache, sich wegen solcher Äußerlichkeit monieren zu lassen — und prüfend, forschend sah er seinen Vorgesetzten an. Hoch hob er zu ihm die Augen empor.

„So ist es schon besser, Herr Lieutenant,” lobte der Häuptling, „aber Sie dürfen es auch nicht übertreiben. Sie dürfen den Kopf nicht zu weit hintenüber legen, so ist es zu viel geworden! Bitte, nehmen Sie das Kinn etwas mehr an die Binde heran, noch eine Kleinigkeit, aber bitte, kein Doppelkinn und nun nehmen Sie bitte das rechte Ohr etwas tiefer, so nun ist Ihre Kopfhaltung ungefähr richtig. Wie meinten Sie vorhin, Herr Lieutenant? Ich glaube, Sie wollten sich bei mir melden, wenn Sie jetzt geneigt wären —”

Dem kleinen Lieutenant pocht und hämmert das Blut in den Schläfen, heiß und kalt läuft es ihm über den Rücken, es prickelt ihm in den Fingerspitzen und die Zehen der Füße bewegen sich unruhig hin und her, alles in ihm und an ihm befindet sich in gewaltiger Erregung.

„Ich bitte stillzustehen, Herr Lieutenant, wenn Sie mit mir sprechen wollen. Überhaupt müssen Sie, das will ich Ihnen gleich heute sagen, viel mehr Wert auf Ihre persönliche Haltung legen. Ich bin von dem Herrn Oberst ganz besonders beauftragt, mit aller Strenge” — vom Wohlwollen sagt er nichts — „bei Ihnen darauf zu halten.”

Armer Adolf, auch das noch, nun kannst Du nicht einmal Deine Absicht, Dich sofort bei dem Herrn Oberst über Deinen Häuptling zu beschweren, ausführen! Nun mußt Du Dir alles, alles ruhig sagen lassen, das Interesse des königlichen Dienstes und das Interesse Deiner Ausbildung erfordert es. Du bist wehrlos, wie es ein toter Floh gegen den zermalmenden Fußtritt eines Nilpferdes ist.

„O wäre ich nie geboren oder wäre ich wenigstens nie auf den Gedanken gekommen, Lieutenant zu werden! O wäre ich doch daheim geblieben auf der Scholle, die ich dereinst vom Vater erben werde, und hätte mich damit beschäftigt, Spargel und Erdbeeren — beides esse ich leidenschaftlich — zu bauen.”

„Darf ich Sie um Ihre Meldung bitten, Herr Lieutenant?”

In seinem Innern tobt und rast es und was er empfindet, drückt sich aus in seinen Mienen und in der Art seines Sprechens: mühsam verhaltene Leidenschaft klingt aus seinen Worten.

„Der schlimmste Fehler, den ein Lieutenant haben kann, ist der, empfindlich zu sein,” ermahnt der Hauptmann, der merkt, wie seinem Unterthan zu Mute ist. „Wenn Sie sich übrigens schon über das ärgern, was ich heute morgen an Ihnen tadelte, so will ich Ihnen zu Ihrer Beruhigung sagen, daß Sie von mir noch ganz andere Sachen zu hören bekommen werden.”

Armer Adolf, warum mußtest Du auch gerade in diesem Augenblick an jenen Hügel kurz außerhalb Deiner Garnison denken, der da den Namen führt: „Schönste Aussicht?”

„Für heute danke ich Ihnen sehr, Herr Lieutenant, morgen sehen wir uns wieder.”

Die Ehe kann genußreich werden,” dachte der kleine Adolf, als er wie ein begossener Pudel nach Haus ging und sich dort schleunigst Civil anzog, er wollte vom ganzen Kommiß nichts mehr sehen, selbst seinem Burschen verweigerte er den Eintritt, als dieser mit gewaltigen Knöcheln gegen die Thür pochte.

„Na, auf den Tag, an dem ich zum ersten Mal eintreten soll, freue ich mich,” stöhnte sein geplagtes Herz und die Freude ließ nicht lange auf sich warten, schon am nächsten Morgen hieß es „Herr Lieutenant, ich bitte einzutreten.”

Als er am Mittag nach Haus kam, war er einfach tot.

„Länger die Schritte, länger,” hatte der Hauptmann ihm hundertmal zugerufen, „Sie halten mir ja die ganze Kompagnie auf, länger die Schritte! Herr, in des drei Teufels Namen, verstehen Sie mich nicht oder wollen Sie mich nicht verstehen? Glauben Sie, daß ich mich im Sprechen üben will? Das habe ich nicht nötig, das kann ich schon.”

„Leider, leider,” stöhnte der kleine Lieutenant in seinem Innern, „mir wäre besser, Du wärest als Taubstummer geboren!”

Um mit den langen Leuten gleichen Schritt halten zu können, war er angefangen zu laufen. Auch das war natürlich nicht recht gewesen — ach ja, es ist oft schwer, es so zu machen, wie die hohen Vorgesetzten es haben wollen.

Zum Abschied hatte der Hauptmann seinen Untergebenen gewaltig angepfiffen: „Das sag' ich Ihnen, wenn Sie mir(2) morgen in Gegenwart des Herrn Oberst den Parademarsch umwerfen, giebt es ein Unglück.”

Der arme Lieutenant schlief vor Angst die ganze Nacht nicht, dazu kam noch, daß er am Abend von einigen seiner Gläubiger liebevolle Briefe erhalten hatte, in denen diese ihm drohten, sie würden ihn beim Kommandeur verklagen, wenn er nicht in den nächsten Tagen seine Rechnung bezahlen würde.

Als der Bursche am nächsten Morgen zu ihm ins Zimmer trat, um ihm zu melden, daß es Zeit sei, war ihm zu Mut wie einem Mörder, den am Tage der Hinrichtung der Wärter aus der Zelle abholt.

Pünktlich traf der Herr Oberst auf dem Exerzierplatz ein, um sich den Parademarsch in Zügen einmal anzusehen — für die Offiziere kommt es hierbei darauf an, genau zwei Schritt vor der Mitte ihres Zuges zu marschieren. Sind es mehr als zwei Schritt, so marschiert er zu schnell, ist es weniger, so macht er zu kleine Schritte und hält dadurch den Zug auf.

Der erste Einduck pflegt der maßgebende zu sein, beim Militär ist er es fast immer, weil es da an Zeit und Gelegenheit gebricht, jeder Sache auf den Grund zu gehen.

Als Herr Lieutenant Adolf zum ersten Mal mit seinem Zuge vorbeikam, machte das absolut keinen guten Eindruck.

Unbegreiflicherweise war der gestrenge Herr Oberst sehr gnädig, denn zu dem Hauptmann gewandt, sagte er: „Der Lieutenant hat es mit seiner kleinen Figur ja sehr schwer, mitzukommen, aber er wird es schon lernen.”

Als der dritte Vorbeimarsch ebenso schlecht war wie der erste, wurde der Herr Oberst grob, als der sechste und letzte auch noch nichts taugte, wurde der Herr Oberst s—ehr grob.

„So geht das nicht, Herr Lieutenant, so geht das absolut nicht. Ich muß Ihnen überhaupt sagen, daß ich in der letzten Zeit wenig zufrieden mit Ihnen gewesen bin. Mir ist da allerlei über Sie zu Ohren gekommen, was mir gar nicht gefallen hat und worüber ich ein anderes Mal mit Ihnen sprechen werde. Mit Ihren Finanzen scheinen Sie mir auch nicht in bester Ordnung zu sein. Und nun auch noch dieser Parademarsch, es geht nicht, es geht absolut nicht, Sie müssen größere Schritte machen und wenn Sie eben absolut nicht vorwärts kommen können, so nehmen Sie doch einfach Vorschuß.”

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

„Und dann arrangieren Sie mir beizeiten Ihre Verhältnisse. Auf das, was ich privatim hörte, will ich vorläufig kein Gewicht legen, aber ich hoffe nicht, daß mir Klagen über Sie zu Ohren kommen werden.”

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

Am Nachmittag steigt der Herr Lieutenant die Treppen zum Zahlmeisterbureau in der Kaserne in die Höhe. Freundlich reicht er dem Zahlknecht die Hand und sagt: „Na, Miquel, nun greifen Sie mal mit beiden Händen hinein in die volle Staatskasse und rücken Sie einmal einen ordentlichen Vorschuß heraus.”

„Viel habe ich selber nicht,” lautet die Antwort, „aber wenn Ihnen mit zehn Mark —”

„Davon ist dieses Mal gar kein Gespräch,” unterbricht ihn der Lieutenant, „hundert, zweihundert Mark brauche ich wenigstens, um nur aus dem Gröbsten herauszukommen, also her mit den Moneten.”

Der Zahlmeister wehrt sich wie ein Verzweifelter: Zweihundert Mark Vorschuß! Wie soll er die ihm je wieder abziehen? Wo nichts ist, hat selbst der Kaiser, geschweige denn ein Zahlmops sein Recht verloren. Zweihundert Mark! die bekommt er ja in zehn Monaten nicht wieder!

Da spricht der Herr Lieutenant das große Wort: „Der Herr Oberst selbst hat mir geraten, Vorschuß zu nehmen und mich im Anschluß daran ermahnt, meine Verhältnisse zu ordnen.”

Für einen Augenblick ist der Zahlmeister sprachlos, dann aber geht er seufzend an den feuersicheren Geldschrank — wenn der Herr Oberst selbst den Vorschuß anempfohlen hat, darf er ihn nicht verweigern.

Zwei tadellos neue Scheine wandern in die Hand des glücklichen Lieutenants, und noch an demselben Abend bezahlt er seinen ungeduldigsten Gläubigern eine kleine Abschlagssumme. Dankend nehmen diese damit fürlieb: etwas zu bekommen ist in zweifelhaften Fällen immer besser als gar nichts.

Am nächsten Mittag wird der Herr Lieutenant auf das Regiments­bureau gerufen und dort tagt es fürchterlich.

„Herr,” donnert der Herr Oberst, „wie kommen Sie dazu, sich von dem Zahlmeister einen Vorschuß in solcher Höhe geben zu lassen?”

Der arme Lieutenant bekommt es zuerst mit der Angst, dann aber sagt er im Vertrauen auf sein gutes Gewissen: „Ich befolgte nur den Rat des Herrn Oberst, die Höhe des Vorschusses hatten der Herr Oberst mir nicht angegeben.”

Der Kommandeur greift sich an die Stirn, wacht er oder träumt er? Seine Blicke gehen hilfesuchend zum Adjutanten, der muß ihm helfen und ein guter Tintenspion läßt seinen Herrn nie im Stich — auch dieses Mal nicht, er giebt die Aufklärung.

Endlich, endlich ist der Herr Oberst so weit, daß er sich von seinem Erstaunen, von seinem Schrecken und Entsetzen erholt hat, endlich hat er wieder Luft.

„Herr,” tobt der Oberst, „was fällt Ihnen ein? ich habe Ihnen geraten bei dem Parademarsch ,Vorschuß', das ist soviel wie ,Vorsprung' zu nehmen, damit Sie in richtigem Abstand vor Ihrem Zug marschieren und damit die Leute Sie nicht auf die Absätze treten. Ein Vorschuß bei dem Parademarsch ist etwas ganz anderes als ein Vorschuß beim Zahlmeister, das scheint Ihnen bisher nicht klar gewesen zu sein, aber ich will mich bemühen, es Ihnen klar zu machen.”

Und er macht es ihm klar, dem kleinen Adolf gehen die Augen über und als er endlich die Treppen hinabläuft, als wenn der Teufel hinter ihm her ist, da murmeln seine Lippen: „Das war der letzte Vorschuß, den ich in meinem Leben genommen habe.”

Armer kleiner Adolf, wie oft bist Du mit dieser Geschichte, die durch den Regimentsadjutanten an die durch Oskar Blumenthal so berühmt gewordene „große Glocke” kam, geuzt, geneckt und gefoppt worden und wie oft hast Du trotz Deines Schwures bei dem Zahlknecht wieder einen Vorschuß genommen! Das eine geschah fast ebenso oft wie das andere. Du lerntest sogar noch einen neuen Vorschuß kennen. —

Jeder weiß, daß die Besichtigungen heutzutage im militärischen Leben eine gewaltige Rolle spielen — es giebt Rekruten-, Zug-, Kompagnie-, Bataillon-, Regiment- und Brigade-Besichtigung, jeder derselben geht eine Vorbesichtigung und zuweilen auch eine Vor-Vorbesichtigung voraus. Nur Thoren können glauben, daß hiermit die Zahl der Besichtigungen vorbei ist: die Leute werden noch im Turnen, in der Instruktion, im Schwimmen und im Radfahren vorgestellt, es kommen die Vergleichschießen im Bataillon, im Regiment, in der Brigade, in der Division und last not least das Armee-Prüfungsschießen.

Man kommt aus den Besichtigungen gar nicht heraus, ist am Morgen die eine gewesen, so beginnt am Nachmittag, spätestens am nächsten Morgen schon der Bimms für die zweite. Das geht egal so weiter.

Bei den Inspizierungen sucht jeder die Schwächen, die er oder seine Leute haben, nach Möglichkeit zu verdecken: man thut dies am besten dadurch, daß man Radau macht und dadurch die Aufmerksamkeit der hohen Vorgesetzten ablenkt.

Das beste Radaumittel war, ist und wird für alle Zeiten bleiben: das Schießen.

„Meine Herren,” ruft der Herr Oberst, als er „zufällig” einer Felddienstübung zweier Kompagnien beiwohnt, „meine Herren, gehen Sie mir sparsam mit den Platzpatronen um, das wahnsinnige Geknalle hat absolut gar keinen Zweck. Wo sollten wir im Kriege wohl die Munition herbekommen, wenn mit derselben ein solcher Mißbrauch getrieben würde, wie bei unseren Friedensübungen? Nein, meine Herren, das geht nicht, das geht absolut nicht, Sie müssen sparsamer werden.”

Nicht jeder Verschwender ändert so schnell seinen Lebenswandel, wie diese beiden Hauptleute, die kommandieren einfach: „Langsamer feuern” und gleich darauf: „Ohne Patronen weiter feuern.”

Es ist ihnen eine Genugthuung, zu sehen, daß der Herr Oberst befriedigt mit dem Kopf nickt: er ist mit seinen Kindern wohl zufrieden und das ist ihm wichtiger, als wenn seine Kinder mit ihm zufrieden sind.

Vierzehn Tage später soll die Regiments­vorstellung stattfinden.

„Meine Herren,” sagt der Herr Oberst zu seinen Offizieren, „ich habe Sie hierher gebeten, um für den morgigen Tag noch allerlei Kleinigkeiten mit Ihnen zu besprechen. Insonderheit möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen Punkt richten, ich meine das Feuergefecht. Ich hatte kürzlich einmal Gelegenheit, einem Gefecht, das sich zwischen zwei Kompagnien abspielte, beizuwohnen. Meine Herren, ich mußte Einhalt gebieten, weil zu viele Patronen verschossen wurden, mich leitete dabei nur die Rücksichtnahme auf die geringe Friedensmunition. Im Kriege ist das natürlich etwas ganz anderes, da haben wir soviel Patronen, wie wir brauchen.”

„Ist die Möglichkeit,” denken die beiden Hauptleute, „uns ist doch so, als ob Du neulich ganz im entgegengesetzten Sinne zu uns gesprochen hättest, sollten wir uns so verhört haben?”

„Meine Herren,” fährt der Herr Oberst fort, „Sie wissen, Se. Excellenz(3) legt sehr hohen Wert darauf, daß das Gefecht vollständig kreigsgemäß verläuft, sparen Sie die Patronen morgen nicht, machen Sie Sr. Excellenz einen gewaltigen ,Vorschuß'.”

„Wenn weiter von uns nichts verlangt wird,” denken die Hauptleute und die Herren Lieutenants, „das wollen wir schon machen, vorgeschossen soll ihm schon etwas werden.”

Und am nächsten Tag ist in der langen Schützenlinie ein ganz gewaltiges Geknalle.

„Lebhafter feuern — lebhafter feuern — Schellfeuer —” so heißt es in einem fort, das knittert und knattert, wie noch nie und mit Wohlgefallen betrachtet Se. Excellenz das militärische Schauspiel. der hohe Herr kann nicht umhin, zu konstatieren, daß die Truppe sich ganz kriegsgemäß benimmt.

Da naht im Laufschritt eine Kompagnie, die bisher in Reserve lag, um auf den zurückweichenden Gegner Verfolgungsfeuer abzugeben.

„Legt an — Feuer — Geladen.”

Die Salve kam überraschend für Roß und Reiter — das Pferd scheut und macht einen Seitensprung und der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, „steigt” Excellenz plötzlich und unvermutet von seiner Streitmähre.

Kein Vorgesetzter fällt gern vor den Augen der Leute vom Pferd, eine Excellenz am wenigsten und so ist der hohe Herr denn bei der Kritik sehr ungnädig. Er kann sich, so leid es ihm thut, mit dem Feuergefecht nicht einverstanden erklären, es fehlt die Ruhe, die Sache ist zu wild, zu ungestüm, die Feuerdisciplin ist mangelhaft, äußerst mangelhaft.

Mit langen Gesichtern sitzen sie alle, die ihre Sache gut zu machen glaubten, auf ihren Pferden und nehmen die Lehre mit nach Haus, daß es ein eigen Ding ist, einem hohen Vorgesetzten etwas „vorzuschießen”.


Fußnoten:

(1) Das Vorbild dieses Hauptmanns ist offensichtlich das gleiche, wie das Vorbild des Hauptmanns v. Böhme in „Der Gardestern”, nämlich Hauptmann Frhr. v. Gayl. (zurück)

(2) In der Fassung aus „Der stumme Kerl” fehlt hier das Wort „mir”. (zurück)

(3) In der Fassung aus „Der stumme Kerl” heißt es statt „Se. Excellenz” an allen Stellen „Seine Exzellenz”. (zurück)


„Sumatra-courant”, nieuws- en advertentieblad, vom 01.10. 1898:


zurück zur

Schlicht-Seite
© Karlheinz Everts