Wenn Frauen nichts haben. *

Von Freiherrn v. Schlicht.
in: „Rigasche Zeitung” vom 10.4.1909,
in: „Berliner Tageblatt” vom 20.4.1909,
in: „Freie Presse für Texas” vom 12.5.1909,
in: „De Preanger-bode” vom 18.6.1909 unter dem Titel „Als vrouwen niets hebben”,
in: „Het nieuws van den dag voor Nederlandsch-Indië” vom 19.6.1909 unter dem Titel „Als vrouwen niets hebben”,
in: „De Sumatra Post” vom 12. und 13.7.1909 unter dem Titel „Als vrouwen niets hebben”,
in: „Suriname” koloniaal nieuws- en advertentieblad vom 27.7.1909 unter dem Titel „ Als een vrouw niets heeft”,
in: „Nebraska Staats-Anzeiger und Herold” vom 22.10.1909,
in: „Weimarische Landeszeitung Deutschland” vom 20. Febr. 1910 und
in: „Die Frau und meine Frau”


Schon als wir uns mittags zu Tisch setzten, merkte ich, daß meine Frau nicht so fröhlich und heiter war wie sonst, es war kein Zweifel, ihr ganzes Benehmen verriet es zu deutlich, irgend etwas bedrückte sie, und so fragte ich denn: „Aber Kind, was hast Du denn nur?”

Sie sah mich mit ihren großen hellblauen Augen völlig harmlos und unbefangen an: „Was soll ich denn wohl haben? Ich habe nichts.”

Ihre Antwort bewies mir, leider zu spät, daß meine Frage eine Dummheit gewesen war. Ich kenne das aus Erfahrung: „Wenn Frauen nichts haben.”

So ergriff ich denn ihre kleinen Hände und führte sie an meine Lippen: „Hab' doch Vertrauen zu mir, Du weißt, niemand auf der Welt meint es so gut mit Dir, wie ich. Also sprich Dich schon aus. Was hast Du denn nur?”

Sie machte ihre Hände frei, die ich noch immer festhielt: „Laß uns doch essen,” bat sie, „die Suppe wird ja sonst kalt. Und im übrigen irrst Du Dich, ich bin genau so wie sonst, ich habe wirklich gar nichts.”

Ich wurde hellhörig. Wenn eine Frau nichts hat, ist es schon schlimm, aber wenn sie gar nichts hat, dann hat sie meistens sehr viel auf dem Herzen.

„Wo warst Du denn heute morgen?” erkundigte ich mich, während wir die Suppe aßen. „Bist Du nur spazieren gegangen oder hast Du irgendwelche Besorgungen gemacht? Warst Du wieder bei Wertheim?”

Meine Frau ging jeden Tag zu Wertheim, was sie da alles kaufte, wissen nur die Götter, aber sie ging hin und kaufte(1), und trotzdem oder gerade deshalb antwortete sie: „Ich kann doch nicht jeden Tag zu Wertheim gehen, ich war heute morgen bei meiner Schneiderin.”

Die Schneiderinnen sind das Glück unserer Frauen, aber unser eigenes Unglück.

Die Schneiderinnen zerstören viele Ehen und sind die Veranlassung zu mancher Ehescheidung. Eine Frau kann ihrem Mann einen Ehebruch verzeihen, wenn sie weiß, daß er sie im Grunde seines Herzens doch allein lieb hat, aber wenn er ihr ein neues Kleid abschlägt, verzeiht sie das nur in den allerseltensten Fällen, denn dann weiß sie genau, was sie plötzlich schon lange im Stillen wußte, daß ihr Mann sie nicht mehr liebt und daß sie ihm ganz gleichgültig ist.

Also meine Frau war bei der Schneiderin gewesen. Ich dachte unwillkürlich an die 29 Kleider meiner Frau, die verschiedene große Kleiderschränke füllen, ich dachte noch an so manches andere, dann tat ich so harmlos und unbefangen wie nur möglich: „Also bei Deiner Schneiderin warst Du?”

Wäre ich klug gewesen, hätte ich das von Anfang an überhört, aber ob es etwas geholfen hätte? Es gibt selbst sehr kluge und geistreiche Frauen, die bei dem interessantesten Gespräch doch schließlich müde werden, aber es gibt keinen Mann, der müde werden darf, wenn seine Frau ihm von ihren Toiletten erzählt — natürlich nicht von denen, die sie hat, sondern von denen, die sie gerne haben möchte.

Das Essen verlief schweigsam. Meine Frau erwartete natürlich, daß ich mir den Besuch bei der Schneiderin ausführlich erzählen lassen würde, aber in solchen Fällen bin ich absolut nicht neugierig.

Was das Kleid wohl kosten mochte?

Bei dem Kaffee und der Zigarette sagte meine Frau plötzlich: „Natürlich interessiert es Dich gar nicht, aber sagen will ich es Dir doch, ich habe heute morgen bei meiner Schneiderin ein Prinzeßkleid gesehen, einfach entzückend. Denke Dir nur, ganz einfach, hellmauve Farbe, dazu natürlich ganz lange Jacke,” — und während sie mir ausführlich beschrieb, wie das Kleid gearbeitet sei, dachte ich an die vier neuen Prinzeßkleider, die erst vor vierzehn Tagen angekommen waren, und dann noch so manches andere.

Als meine Zigarette(2) zu Ende war, war meine Frau noch mitten in der Schilderung der neuen Robe.

„Mach' es kurz und schmerzlos,” bat ich, „was kostet das Kleid?”

Ganz verwundert sah sie mich an: „Warum fragst Du danach? Du denkst doch nicht etwa, daß ich es mir kaufen will? Man kann doch auch so etwas hübsch finden, ohne es gleich besitzen zu wollen.”

Ich hatte immer geglaubt, die Frau, die etwas hübsch fände, ohne es besitzen zu wollen, müsse erst noch geboren werden. Nun war sie plötzlich schon auf der Welt, und saß mir sogar gegenüber.

Wie wenig man sich doch eigentlich in der Ehe kennen lernt.

Darüber dachte ich eine Weile nach, dann fragte ich unvermittelt: „Wie steht Dir das Kleid denn? Vor allen Dingen: paßt es, oder muß noch viel geändert werden?”

Meine Frau rückte mit ihrem Stuhl näher und ergriff jetzt meine Hände.

Ich stellte mich verwundert: „Warum streichelst Du mich denn plötzlich so zärtlich? Ich bin nicht verstimmt, wie Du es vorhin nach meiner Meinung warst, ich habe wirklich nichts.”

Meine Frau hielt meine Hände fest: „So seid Ihr Männer nun, sind wir nicht zärtlich, seid Ihr nicht zufrieden, und sind wir es, dann ist es Euch auch nicht recht,” und dann fuhr sie nach einer kleinen Pause fort: „natürlich will ich das Kleid nicht haben, ich denke nicht daran, aber es sitzt mir wie angegossen, es braucht nichts daran geändert zu werden, und keins meiner anderen Kleider steht mir auch nur annähernd so gut. Ich sage Dir, wenn wir im Herbst wieder nach Meran gehen(3), dann werden die Leute da draußen Augen machen.”

Ich dachte über die Logik der Frauen nach. Wie kann eine Frau mit einem Kleide Furore machen, das sie nicht besitzt und das sie gar nicht zu besitzen wünscht.

Es herrschte eine ganze Weile Schweigen, dann sagte meine Frau plötzlich: „Das Schlimme ist ja nur, daß ich zu dem Kleide keinen Hut habe.”

Ich dachte an die 18 Hüte meiner Frau, die in großen Hutkoffern verpackt in und auf den Kleiderschränken stehen und dachte noch an so manches andere. Dann sagte ich: „Da Du ja gar nicht daran denkst, Dir das Kleid zu kaufen, braucht Dich doch die Hutfrage nicht zu beunruhigen.”

Meine Frau ließ meine Hände plötzlich los: „Das verstehst Du nicht.”

Doch, ich verstand es schon, aber ich gab es natürlich nicht zu.

„Was kostet denn der Hut?”

Ich glaubte, meine Frau würde wenigstens so tun, als wenn sie sich den Hut noch nicht ausgesucht hätte, aber da irrte ich mich. Wie wenig lernt man sich doch eigentlich in der Ehe kennen.

Meine Frau wurde Feuer und Flamme. „Er ist allerdings sehr teuer, aber dafür auch wunderhübsch, natürlich ganz groß, mit einem furchtbar breiten Rand und vor allen Dingen federleicht. Du weißt, schwere Hüte kann ich nicht tragen, und kein anderer Hut steht mir auch nur annähernd so gut wie dieser.”

„Da werden die Leute in Meran also auch über den Hut staunen,” warf ich ein.

„Aber ich denke doch gar nicht daran, ihn zu kaufen,” verteidigte meine Frau sich, „aber stell Dir nur vor, er kostet 250 Mark, und ohne das Kleid kann ich den Hut nicht tragen, und das Kleid kostet auch 550 Mark, Du kanst ja so gut Kopfrechnen, wieviel ist das zusammen?”

Ich suchte zu retten, was noch zu retten war. „Genau 1000 Mark,” log ich darauf los.

Meine Frau wurde ganz nachdenklich und traurig: „Nein, das können wir nicht bezahlen, das ist zu viel Geld. Und da sieht man wieder, wie die Leute unreell sind, mir sagte die Verkäuferin, es mache zusammen nur 800 Mark. Aber 1000 Mark, nein, das ist zu teuer, und selbst 800 Mark gebe ich nicht aus. Aber, wie gesagt, ich denke ja auch gar nicht daran, die Sachen zu kaufen.”

In demselben Augenblick klingelte das Telephon auf dem Schreibtisch. Ich hob den Hörer ab. „Ja bitte, was gibt's?”

Das Modemagazin, in dem meine Frau am Vormittag bei ihrer Schneiderin gewesen war, teilte mit, es könne seiner festen Zusagen entgegen das Kleid und den Hut nicht schon nachmittags um 4, sondern erst abends gegen 8 Uhr herausschicken.

Mir fiel beinahe der Hörer aus der Hand, und fassungslos sah ich auf meine Frau. Auch die war erregt, deutlich sah ich es ihr an, und das söhnte mich wieder mit der Sache aus, ihr schlechtes Gewissen rührte sich. Schon wollte ich den Hörer auf den Apparat legen, da sprang sie schnell auf. „Bitte, klingele noch nicht ab, da muß ein Irrtum vorliegen.”

Ich atmete erleichtert auf, da hatte ich meiner Frau in Gedanken also bitter unrecht getan.

Aber schon stand meine Frau am Apparat und sprach ungeduldig in denselben hinein: „Aber warum schicken Sie denn das Kleid nicht, wie Sie versprochen haben? Und vor allen Dingen, warum sprachen Sie denn nur von Kleid und Hut, ich habe doch auch noch einen Sonnenschirm gekauft, bitte, vergessen Sie den ja nicht.”

Und sich dann wieder zu mir wendend, sagte sie: „Weißt Du, mit dem Sonnenschirm wollte ich Dich eigentlich überraschen, der gehört nun einmal zu dem Kostüm, und ich habe mir einen wunderhübschen ausgesucht, einen ganz modernen Pariser Schirm mit dem hohen, langen Stock. Allerdings kostet er auch 100 Mark, aber Du wirst sehen, die Leute werden überall Augen machen.”

Ich sah ein, hier war nichts mehr zu wollen, jetzt galt es nur noch, sich mit dem Fait accompli abzufinden.

„Tu' mir die einzige Liebe,” bat ich, „und bezahle alles wenigstens gleich, dann haben wir das hinter uns.”

Am Morgen hatte ich ein größeres Honorar erhalten(4), ich öffnete den Schreibtisch und holte die Dukaten heraus. Schließlich freuen wir Männer uns ja selbst am meisten darüber, wenn unsere Frauen hübsch angezogen sind und bewundert werden. Der Gedanke daran söhnte mich mit dem teuren Kostüm aus.

Zärtlich schmiegte meine Frau sich an mich und bot mir den Mund zum Kuß.

„Bist Du nun wieder ganz gut?” fragte ich.

Da sah sie mich mit ihren großen Kinderaugen völlig verständnislos an und sagte: „Aber ich weiß wirklich nicht, was Du damit meinst — ich habe doch gar nichts gehabt.”


Fußnoten:

*) Wir freuen uns, unseren Lesern heute eine neue Arbeit des beliebten humoristischen Schriftstellers Freiherrn v. Schlicht, der seit kurzem in Weimar lebt, bieten zu können. Das entzückende Feuilleton wird in einem im April im Verlag von Max Seyfert in Dresden erscheinenden, „Die Frau und meine Frau” betitelten Buche Aufnahme finden. Die Red. (Zurück)

(1) In der Fassung des „Berliner Tageblattes” steht dieser Teilsatz im Präsenz, also: ging - geht, kaufte - kauft, ging hin - geht hin, kaufte - kauft. (Zurück)

(2) In der Fassung des „Berliner Tageblattes” heißt es hier: „Zigarre”. (Zurück)

(3) Schlicht/Baudissin hielt sich im September 1910 in Meran im Grand-Hotel Bristol auf. (Zurück)

(4) Dieser erste Teilsatz dieses Absatzes findet sich nur in der Fassung des „Berliner Tageblattes”. (Zurück)


„Preanger Bode” vom 18.6.1909:



„Suriname” koloniaal nieuws- en advertentieblad vom 27.7.1909:


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