Ich meine ja nur — —!

Humoristisch-satirische Plauderei von Freiherr von Schlicht
in: Frauen!


Meine Frau und ich leben in der denkbar glücklichsten Ehe — — wer ds nicht glaubt, braucht nur einmal zugegen zu sein, wenn wir uns streiten und das tun wir nie, denn meine Frau und ich sind immer ein und derselben Ansicht. ich will stets, was meine Frau will und meine Frau will stets, was ich will, sie hat nie einen anderen Willen, höchstens daß sie einmal sagt: „Ich meine ja nur.”

Wir waren von der Sommerreise zurückgekehrt, nicht weil wir reisemüde waren, sondern weil wir kein Geld mehr hatten. Meine Frau behauptete, daran wäre einzig und allein ich schuld, weil ich zu viel für Getränke ausgegeben hätte, während ich darauf schwur, die Ebbe in unserer Kasse käme daher, weil meine Frau, die sich vor Antritt der Reise fest, aber auch ganz fest vorgenommen hatte, unterwegs auch nicht die geringste Kleinigkeit zu kaufen, sich trotz aller guten Vorsätze so viel gekauft hatte, daß es gar nicht in den großen eichenen Schrank hineinging, den sie sich als Schlußeffekt ihrer Einkäufe in Berchtesgaden(1) erstand.

Wir waren vorübergehend so pleite, daß wir uns gegenseitig unser letztes Zwanzig-Mark-Stück borgten und vertrauensvoll dem Tag entgegensahen, der neue Zinsen und neue Einnahmen bringen sollte. Und angesichts unserer Notlage faßte meine Frau die besten Vorsätze: Wir wollten ja in Zukunft so sparsam sein, wir wollten uns nie wieder etwas kaufen und vor allen Dingen, nie wieder reisen — — niemals, höchstens wieder im nächsten Sommer, vielleicht auch schon im Frühjahr, aber den Herbst und den Winter über blieben wir ganz bestimmt zu Haus. Zu Haus war es ja schließlich auch am allerschönsten, was sollten wir da auf Reisen?

Ich hörte meiner Frau aufmerksam zu, wie sie mir unsere Pläne zur Sparsamkeit entwickelte und dachte dabei — — — nein, ich dachte gar nichts, denn wenn eine Frau vom Sparen spricht, dann träumt sie und es ist grausam, einen Menschen aus seinen Träumen zu erwecken.

Wir wollten sparen, um wieder einzuholen, was wir im Sommer zu viel ausgegeben hatten, und vor allen Dingen wollten wir ganz bestimmt den Herbst und den Winter über nicht reisen, bis meine Frau dann eines Mittags, als wir bei dem Kaffee und der Cigarette zusammensaßen, ganz plötzlich und unvermittelt zu mir sagte: „Weißt du, wunderschön muß es jetzt da unten in Meran aber doch sein.”

Ich glaubte nicht recht gehört zu haben: „Wie kommst du denn nur darauf, ich denke, wir wollen diesen Herbst über hier bleiben?”

„Gewiß,” stimmte meine Frau mir lebhaft bei, „ich denke ja auch gar nicht daran, zu reisen, ich meinte doch nur.”

Also meine Frau dachte gar nicht an die Reise, sie hatte es „nur so gemeint”, und damit war die Angelegenheit für mich erledigt, bis meine Frau nach einer ganzen Weile zu mir sagte: „Auf keinen Fall aber würde ich wieder den riesigen Hutkoffer mitnehmen. Ich habe es ja jetzt in Norderney(2) und in Berchtesgaden gesehen, was tragen die vornehmen Damen heutzutage für Hüte? Einzig und allein die großen runden englischen Hüte, das ist das Vornehmste und das Eleganteste. An den vier englischen Hüten, die ich mir im Sommer in Hamburg(3) kaufte, hätte ich mehr als genug.”

„Gewiß,” gab ich zur Antwort, „aber da wir gar nicht reisen wollen, brauchst du doch gar nicht genug Hüte zu haben.”

„Da hast du allerdings Recht,” erwiderte meine Frau, „ich meinte doch auch nur.”

So schwieg ich denn ganz still, bis meine Frau zu mir sagte: „Und das machen wir auch nicht wieder, daß wir deine Cigarren verzollen(4). Die verpacke ich schon so, daß sie kein Mensch findet.”

„Und wenn sie doch einer findet?” fragte ich. „Dann muß ich das Zehnfache an Strafe bezahlen, was der Zoll sonst kostet, und das ist bei den fünf- oder sechshundert Cigarren, die ich unterwegs gebrauche, ungefähr tausend Kronen Strafe. Ich habe die nicht und hast du überhaupt das Geld für die Reise, denn so wie wir zu reisen gewohnt sind, brauchen wir in Meran(5) sicher unsere dreitausend Mark, wenn nicht mehr.”

Meine Frau bekam einen Todesschrecken: „Wie du aber immer auch gleich rechnest, du wirfst ja nur so mit dem Geld um dich, mehr als zweitausend­siebenhundert­undfünfzig Mark dürfte die Reise unter keinen Umständen kosten.”

Ich fing an, nervös zu werden: „Aber ich denke, wir wollen gar nicht reisen?”

Meine Frau sah mich ganz verständnislos an: „Wer spricht denn davon, auf Reisen zu gehen, ich ganz bestimmt nicht und wenn ich eben sagte, mehr als so und so viel dürfte die Reise unter keinen Umständen kosten, dann meinte ich doch nur.”

Wieder herrschte Schweigen, dann sagte meine Frau: „Und so viele Kleider, wie im vorigen Jahr(6) würde ich auch nicht mehr mitnehmen — — — Gott unterbrich mich doch nicht,” fuhr sie erregt fort, als ich eine ungeduldige Bewegung machte, „ich meine doch nur. Du hast es ja im vorigen Jahr gesehen, selbst die elegantesten Damen hatten nicht mehr als drei Promenadenkleider und ebenso viel Dinertoiletten mit. Ich denken auch nicht daran, mir noch in Zukunft so viel Kleider machen zu lassen, wie früher.”

Ich erhob meine Hände und legte sie meiner Frau auf das Haupt: „Gott segne dich für diesen Entschluß und gebe dir die Kraft, ihn durchzuführen.”

„Ich werde ihn durchführen,” meinte meine Frau energisch. „Mein Schneider wird sich schon wundern und meine Putzmacherin auch. Die Zeiten, in denen ich der einen Hut nach dem anderen für hundert oder zweihundert Mark abkaufte, sind vorüber, die werden sich wundern.”

„Na wenn schon,” warf ich ein.

„Ich meinte doch nur,” verteidigte meine Frau sich, dann setzte sie hinzu: „Zwei hübsche Federhüte müßte ich für die Reise allerdings noch haben, denn nur die großen englischen Hüte zu tragen, bekommt man mit der Zeit ja auch über. Aber Kleider habe ich mehr als genug, höchstens, daß ich mir noch ein hübsches Promenadenkleid und eine Dinertoilette kaufte, das wäre aber auch das Äußerste und wenn ich mir dann noch vier oder fünf hübsche billige Blusen dazunehme, das Stück zu dreißig oder vierzig Mark, oder allerhöchstens zu achtzig Mark, dann wäre ich mehr als reichlich ausgestattet,”

Ein Verzweiflungsschrei entrang sich meinen Lippen: „Aber Weib, über alles geliebtes Weib,” bat ich, „wir wollen doch gar nicht reisen, wozu machst du denn nur solche Reisepläne?”

Wieder blickte mich meine Frau völlig verständnislos an, dann sagte sie: „Du bist wirklich komisch, ich mache doch gar keine Reisepläne, ich meine doch nur und man kann doch mal von einer Reise sprechen, ohne die gleich ausführen zu wollen. Davon, daß wir jetzt fahren, kann doch gar nicht die Rede sein, denn ich habe kein Geld.”

„Und ich erst recht nicht,” fiel ich meiner Frau schnell ins Wort.

„Na also,” meinte sie ganz gelassen, „dann ist die Sache ja damit erledigt,” bis sie dann doch plötzlich wieder zu mir sagte: „Du brauchst nun nicht gleich wieder heftig zu werden, ich meine ja nur, aber ich könnte mir ja schließlich die dreitausend Mark, die wir nach deiner Meinung brauchen, von meiner Bank schicken lassen. Du weißt, ich bin mit meinem Bankier sehr befreundet, der würde es mit meinen Papieren schon irgendwie so einrichten, daß er mir die dreitausend Mark wieder einbrächte.”

„Das wäre ein Wahnsinn,” brauste ich auf, „kann der Mann dir dreitausend Mark verdienen, so ist das sehr schön, aber dann bleibt das Geld auf der Bank liegen, denn das jetzt für eine Herbstreise zu verausgaben, wo wir eben von der Sommerreise zurück sind — — — —”

Meine Frau legte ihre kleine Kinderhand beschwichtigend auf meinen Arm: „Sei doch gut,” bat sie, „in Wirklichkeit denke ich ja gar nicht daran, an den Bankier zu schreiben, ich meinte doch nur.”

„Nun hör' aber endlich auf, zu meinen,” bat ich, „laß uns endlich von etwas anderem sprechen.”

Das taten wir denn auch, bis dann plötzlich und unerwartet der Geldpostbote erschien und mir für die Neuauflage eines Romanes(7) ein beträchtliches Honorar brachte.

„Was machst du denn nur mit dem vielen Geld?” erkundigte sich meine Frau, nachdem sich unsere erste Freude gelegt hatte, dann setzte sie hinzu: „Weißt du, ich würde an deiner Stelle das Geld auf die Bank bringen, damit du für alle Fälle ein paar Mark hast, wenn irgend eine unerwartete Ausgabe an dich herantritt oder wenn wir vielleicht diesen Herbst doch noch für ein paar Wochen nach dem Süden fahren sollten.”

„Fängst du schon wieder damit an?” schalt ich.

„Gott, ich meine doch nur,” verteidigte sich meine Frau, „und schließlich, wenn ich von dem Reisen spreche, wenn ich überhaupt daran denke, daß wir vielleicht, aber auch nur ganz vielleicht noch nach Meran gehen, dann geschieht es doch nur in der Hauptsache deinetwegen. Du hast in deinem Leben genug gearbeitet, du mußt dich auch einmal wieder zeerstreuen. Da unten siehst du elegante Menschen, kommst mit interessanten Leuten in Berührung, die schöne Natur, die hübschen Konzerte, die herrlichen Spaziergänge, der Aufenthalt in dem wundervollen Hotel Bristol, die ausgezeichnete Küche — — — — —”

Und mit einem Male kam die Reiselust und die Sehnsucht nach dem schönen Süden über mich und meine Frau an mich ziehend rief ich: „Weib, kamm her, wir sind jung, wir wollen das Leben genießen, wer weiß, wie lange wir es noch können. Laß die Koffer packen, heute abend fahren wir los, morgen nachmittag sind wir in Meran!”

Ein Kuß war die Antwort, ein Kuß, wie ihn mir meine Frau in unserer Ehe noch nie gegeben hatte, dann eilte sie davon, um den Mädchen zu klingeln und gleich darauf begann das Kofferpacken. Ich selbst blieb in meinem Zimmer, um noch einige geschäftliche Sachen zu erledigen, bis dann plötzlich meine Frau in meiner Stube stand und neben ihr stand die Zofe und neben der Zofe stand das Hausmädchen und eine jede trug etwas anderes in ihren Händen. Die eine hatte ein neues Kleid, die zweite einen neuen Hut, die dritte ein Klein und einen Hut.

Und als meine Frau mein ganz verdutztes Gesicht sah, meinte sie schnell: „Weißt du, eigentlich wollte ich dir die neuen Sachen erst in Meran zeigen und dich dort damit überraschen, ich wollte sie mir auch erst gar nicht kaufen, denn ich wußte doch nicht, ob wir auf Reisen gehen würden, aber nun freue ich mich doch, daß ich gleich alles gekauft habe, denn sonst könnten wir heute noch gar nicht fort, sondern müßten vielleicht noch eine Woche und länger warten, bis alles fertig ist. Aber nicht wahr, du findest die Hüte und die Kleider auch bezaubernd?”

Das tat ich wirklich, dann nahm das Packen seinen Fortgang und am Abend traten wir die Reise an.

Und da geschah es, daß ich meine Frau fragte: „Was wäre aber nun mit den neuen Sachen geworden, wenn wir nicht gereist wären? Wärst du da mit deinem Einkauf nicht sehr voreilig gewesen?”

Ein fröhliches Lachen war die Antwort: „Wir wären ganz bestimmt gereist, dnn nun kann ich es dir ja auch gestehen, ich hatte mir die dreitausend Mark von der Bank schon schicken lassen.”

Und als sie dann mein böses Gesicht sah, schmiegte sie sich zärtlich an mich und bat mit ihrer weichsten Kinderstimme: „Sei doch wieder gut, wir können das Geld nun ja wieder zurückschicken und bei allem, was mir heilig ist, schwöre ich dir: Wenn ich mir das Geld auch schicken ließ und wenn ich mir auch die Sachen kaufte, ich habe doch nie ernstlich an die Reise gedacht, — — — — ich meinte ja nur !” — — — — — — — — — —


Fußnoten:

(1) Im August 1911 weilte Schlicht/Baudissin mit seiner Frau in Berchtesgaden, wie aus einer Notiz in der „Weimarischen Landeszeitung Deutschland” vom 25.Aug. 1911 hervorgeht. (Zurück)

(2) Im August 1908 weilten sowohl Schlicht/Baudissin als auch seine (spätere!!!) Frau Elisabeth Hammer in Norderney. (Zurück)

(3) Im September 1908 weilte Schlicht/Baudissin mit seiner Frau in Hamburg zur Aufführung des Lustspiels „Der Kaisertoast” im Thalia-Theater. Sie wohnten dort im Hotel „Hamburger Hof”. (Zurück)

(4) Siehe dazu auch die Erzählung „Schmuggelnde Frauen”. (Zurück)

(5) Im September 1910 weilte Schlicht/Baudissin mit seiner Frau in Meran. (Zurück)

(6) Wenn das Ehepaar Schlicht/Baudissin „im vorigen Jahr” schon einmal in Meran (1910) war, dann sind wir also in dieser Erzählung im Jahre 1911. (Zurück)

(7) Folgende Neuauflagen kommen hier in Betracht:
06.07.1911 Leutnant Flirt 6.-11. Tsd.
06.07.1911 Seine Hoheit 8.-13. Tsd.
14.09.1911 Oberleutnant Kramer 9.-11. Tsd.
(Zurück)


zurück zur

Schlicht-Seite