"Rumpelstilzchen"

Piept es ?
(Jahrgangsband 1929/30)

Brunnen-Verlag / Karl Winckler / Berlin, 1930

Glossen 22 - 24
30. Januar bis 13. Februar 1930


22

Der nächste Reichspräsident - Wo Berlin Dorf ist - Der neuzeitliche Wahrsager - Auf dem Presseball - Zwei Senioren - Man muß dagewesen sein - Zu Adlon verdrückt - Kreuzweise Eisernes Kreuz.

Sie sind allerlei Kummer gewöhnt, unsere derzeitigen guten Republikaner. Einer von ihnen, der sich auch rechtzeitig "auf den Boden der gegebenen Tatsachen" gestellt hat, Schulrat seines Zeichens, besichtigt eine Volksschule für Mädchen. Er ist gerade in einer der oberen Klassen. er möchte wissen, was die Kleinen von der Verfassung gelernt haben, er will darauf hinaus, daß die Republik freie Bahn für jeden Tüchtigen geschafft habe, daß jedermann sogar an die Spitze gelangen könne.

"Also, Kinder, wie hieß unser erster Reichspräsident ?"

Die erste Enttäuschung: aus der ganzen Klasse kennen nur zwei Mädchen den Namen Ebert.

"Weiter, und wer ist heute bei uns Reichspräsident ?"

Alle Hände fliegen in die Höhe, alle Kinder rufen wie aus einem Munde: "Hindenburg!"

"Richtig, und nun, wer kann sein Nachfolger werden ?"

Pause. Nachdenken. Endlich hebt sich eine Hand, und ein Stimmchen piept:

"Hugenberg!"

Der Rektor steht in der Ecke und feixt ein klein wenig, mit schuldigem Respekt zu vermelden, denn der Herr Schulrat wird blaß und rot, ringt nach Atem und wischt sich dann plötzliche Schweißtropfen von der Stirn. Das durfte nicht kommen! Nur das nicht! Man kann ja den Kindern gar nichts, rein gar nichts erwidern, denn selbstverständlich könnte Hugenberg, sein Einverständnis und die Aufklärung der Wähler vorausgesetzt, Reichspräsident werden. Da bleibt einem wirklich die Spucke weg, sagt sich der Schulrat. Er weiß zwar, daß Hugenberg selbst gar nicht will, sondern, gemeinsam mit allen Führenden der Rechten, einen ganz anderen Kandidaten in petto hat, aber das führt alles zu weit; der Anlauf hier in der Klasse ist jedenfalls verdorben.

Es ist eine ganz gewöhnliche Volksschule, fast nur von Arbeiterkindern besucht. Aber die Kinder schnappen zu Hause und an den Zeitungskiosken doch dies und jenes auf. Das wütende allgemeine Belfern gegen Hugenberg hat diesen Mann bis in die letzte Hütte bekannt gemacht.

So geht es, wenn man Kleines mit Großem vergleichen darf, mir ja auch. Ich habe die derzeitigen guten Republikaner jahrelang weidlich geärgert, und ihre Antwort war Totschweigen. Da ärgerte ich sie noch mehr. Und nun, seit etwa zwei Jahren, vergeht keine Woche, ohne daß Voß und Welt am Montag und Vorwärts und Jungdeutscher und die übrigen alle irgendeine gehässige Notiz gegen mich bringen. Ich ärgere mich nicht, im Gegenteil, ich habe meinen Spaß daran. Denn seither schnellen die Auflagen meiner Bücher tropisch in die Höhe. Eine demokratisch-republikanische Leuchte Berlins läßt sich ein Buch Plaudereien von mir kommen, liest es, staunt, bestellt am nächsten Tage sämtliche früheren Bände und schmökert mit heißem Kopfe die ganze Nacht hindurch. Buchläden, die nur Kurfürstendammer Publikum haben, beziehen zum erstenmal ganze Serien. Es werden Leute nachdenklich, an die man sonst überhaupt nicht herankam. Als meine kleine Broschüre "Hugenberg und die Anderen" im Berliner Brunnenverlag herauskam, bemerkte der Jungdeutsche dazu etwa, diesen Dreck könne man nur mit der Feuerzange anfassen, mit mir sei er fertig, er werde kein Wort mehr daran verschwenden. Trotzdem schrieb er Artikel über Artikel dagegen. Dann lasen Tausende jungdeutscher Ordensbrüder die Broschüre, begannen nachzudenken und - verließen den Orden. Mensch, ärgere dich nicht. Oben bleibt immer der, der lachen kann.

Wenn man - grimmig oder fröhlich - lachen will, braucht man nicht immer den Berliner Westen mit seinen Menschenkarrikaturen aufzusuchen. In Berlin O gibt es viel mehr echte, richtige Lausbuben. Berlin O ist nicht Weltstadt, wo alles nivelliert ist, sondern Kleinstadt. Jeder Häuserblock, von vier Straßen eingesäumt, ist ein Dorf für sich. Im Westen weiß man womöglich nicht, wer über einem oder unter einem wohnt. Im Osten kennen die 200 oder 300 Familien eines Häuserblocks sich untereinander. Man weiß, daß Frau Schulze einen neuen Mantel hat, man weiß, mit wem Lehmanns Anna geht.

Also da, in der Gegend etwa hinter dem Görlitzer Bahnhof, brauche ich bloß einen Abend neben den Skatbrüdern in irgendeinem kleinen Patzenhofer zu sitzen, dann bin ich gleich in der Weltgeschichte von Berlin SO.

Wohnt da die Familie Knüpfer und die Familie Kupfer, kleine Leute, beide mit Lausbuben gesegnet. Willi Knüpfer hat vor Weihnachten von seiner Tante zum Geburtstag einen Druckapparat geschenkt bekommen, einen Kasten mit Gummilettern und Stempelkissen. Zwei Tage später kann er schon "Grete ist doof" drucken und bestempelt so die Schulhefte seiner Schwester.

Dafür bezieht er von Vatern die erste Portion Hiebe. Acht Tage später kauft er sich, nachdem die eigene Familie ihm so verschlossen ist, für ein paar Groschen 200 Kärtchen, druckt darauf

Kupfer,
Neuzeitlicher Wahrsager und Hellseher

fügt die volle Adresse hinzu und wirft diese Kärtchen in sämtliche Wohnungsbriefkästen des ganzen Häuserblocks.

Herr Kupfer ist ehrsamer kleiner Handwerker und, wie allabendlich beim Skat festgestellt werden kann, durchaus nicht hellseherisch veranlagt, aber nun ist er auf einmal Tagesgespräch. Unaufhörlich schellt die Klingel. "Mensch, det ham wa noch janich jewußt!" sagen die guten Bekannten. "Herr Kupfer, wollnse nich auch mal for mir . . ." sagen die wenigen Fremden und nesteln einen Taler aus dem Geldbeutel.

"Der infamigte Bengel, dieser Willi Knüpfer!" schreit, zum erstenmal in seinem Leben hellseherisch, Herr Kupfer und läuft zum Rektor der Volksschule. Der kann nichts machen, meldet es aber Willis Eltern. Die beiden Familien sind jetzt "Schuß" miteinander.

Trotzdem kriegt Willi seine zweite Portion Senge. Und zu Weihnachten nichts geschenkt. Der ganze Häuserblock aber lacht über Kupfers. Der Hellseher wider Willen kann sich nicht retten. Immer noch geht die Klingel.

Da rast er zum Wohnungsamt. Er möchte in ein anderes Stadtviertel ziehen. Alle alte Freundschaft hinter sich lassen. Nur weg aus diesem Dorf.

Unsereins kommt natürlich von der Friedrichstadt und dem Westen und den Vororten davor nicht los. Man kennt sich vielleicht nicht, aber man sieht sich. Und einmal im Jahr ist die große Parade, genannt Presseball. Wer nie dagewesen ist, der gehört nicht zur Weltstadt Berlin, wer nicht alljährlich hingeht, der gehört nicht zu den Prominenten und wird nie zu ihnen gehören. Also muß man schon, wohl oder übel. Selbstverständlich geht man nicht zum Tanzen hin, denn dafür sind andere Bälle da, sondern zum Sehen oder Gesehenwerden. In jedem der Riesensäle des Zoo ist schließlich nur in der Mitte ein kleines Fleckchen Erde ausgespart, auf dem die Unentwegten einherwirbeln, alles andere aber ist Promenade und Parade. Natürlich gibt es unter und mit den vielen arrivierten Ehepaaren auch junge Mädchen, aber die machen meist enttäuschte Gesichter, denn es ist ein sehr würdevolles Fest mit viel Konversation und wenig tanzenden Herren. Außerdem macht jedermann ein bedeutsames Gesicht, denn jedermann wird häufig oder gelegentlich angestarrt; diesmal wird man sogar für die Ufawoche wiederholt gefilmt.

Senior der Erschienenen ist Exzellenz Fritsch, ehedem Unterstaatssekretär im kaiserlichen Deutschland, 88 Jahre alt. Der Dichter Paul Warncke streicht an ihm vorüber, begrüßt ihn. Fritsch gehört noch zu den wenigen, die 1871 die Kaiserproklamation in Versailles mitgemacht haben. "Nun, Exzellenz", sagt Warncke zu ihm, "Sie erleben noch mal eine Kaiserkrönung, - die höchstens zehn Jährchen bis dahin leben Sie doch sicher noch!" Fritsch lächelt still und versonnen in sich hinein.

Am Tisch des Nächstältesten sitzen wir. Das ist der Generalkonsul Zerrenner aus Sao Paulo, der die alljährliche Reise über den Ozean nicht scheut, um ein paar Monate im lieben alten Deutschland zu verbringen. Er ist 87 Jahre alt. Deutscher Hanseate, vor zwei Menschenaltern in monatelanger Segelfahrt nach Brasilien gefahren, jetzt ein großes, sehr großes Haus, holländischer Generalkonsul. In seiner Villa im Grunewald hängen in der Halle die Bilder des Kaisers und der Kaiserin Auguste Viktoria. Der ritterliche alte Herr, der um der Seinigen willen die ganze Nacht auf dem Presseball durchsitzt, hat nie zu den Petrusnaturen gehört, die heute in der Not verleugnen, was sie gestern im Glanze angebetet haben. Mit Gelassenheit blickt er über Menschenalter zurück, in Menschenalter voraus.

Gegenüber auf der anderen Seite des Marmorsaales die Eintagserscheinungen. Die Saisongrößen, die man Minister nennt. Darunter die einzige Uniform: der Stadtkommandant von Berlin.

Es sind nur einige wenige jüngere Offiziere in den Sälen, weniger denn je. Die gesamte Herrenwelt im Frack. Man soll diese "Eintönigkeit" aber nicht schelten, denn umso leuchtender heben sich gegen unser Schwarz-Weiß die schillernd bunten Falter ab, die Damen. Kämen wir auch farbig, so wäre die Papageienhaftigkeit nicht mehr zu ertragen. Schon jetzt kommt einem der Toilettenluxus, vor allem der berufsmäßige der Damen von Bühne und Film und Börse, überladen vor. Es ist eine Wohltat, dazwischen einmal ein paar bewußt schlichte, deutsche Mädchen zusehen, so die Töchter des viel umschrieenen Hugenberg. Er selbst ist nicht da, hat zu so etwas nie Zeit. Aber seine Frau ist gekommen und sitzt an einem Tisch mit Rudolph Stratz und dessen Frau und Tochter, in der Loge, in der Generaldirektor Klitzsch, fröhlich und aufgeräumt, die Honneurs macht. Am anderen Ende der Langwand der "Gegenpol", die Ullsteinloge, mit den Affiliierten des Hauses, darunter der Wiener Philantropin Frau Dr. Antonie Schwarzwald, der Begründerin der Mittelstandsküche im Berliner Schloß, und in diesem Rahmen lauter Dunkelhaariger ein märchenhaft blondes junges deutsches Kind, von seinem Auftreten auf einem Brigittentag her gechartert.

Dazwischen rundum die holde Welt des Scheins, hier vor allem Volk zu nahem Sein erweckt, die Welt der Theater und des Kurbelkastens, vom Publikum bedrängt, begafft oder auf die Echtheit hin, so bei der molligen Maria Paudler, sogar betastet. Für diese Damen alle - ich selbst saß Rücken an Rücken mit Henny Porten, die sich an Autogrammen die Finger krummschrieb - ist der Presseball Dienst, ermüdender Dienst. Man "muß" ja da sein.

Einige ganz Schlaue weiß ich freilich, die waren nicht da, sondern tafelten derweil gemütlich im Adlon. Aber die Hauptsache: es stand in der Zeitung, daß sie dagewesen waren. Mitsamt der Abbildung ihres Festgewandes und der Angabe des Maßsalons, von dem es bezogen war; und mehr ist wirklich nicht nötig.

Und die Herren, die sich drückten, brauchten keine Ordenschnalle.

Zum Presseball wird nämlich die ganze Exotik und der ganze Krieg auf der Frackbrust lebendig. Oder man trägt vornehm und einzig an goldener Kette die große Staatsmedaille für Kunst und Wissenschaft oder gar das Bildnis Kaiser Wilhelm I. für soziale Verdienste. Auf Paraden ist es nun mal nicht anders, und sogar derzeitige Republikaner paradieren nicht ungern, selbst wenn sie Becker heißen und Kultusminister sind; noch sind.

Hat man keine Orden, so besorgt man sich welche.

Nach dem Kriege wollte jedermann, der es noch nicht hatte, wenigstens das Eiserne Kreuz bekommen, auch wer gar nicht am Kriege teilgenommen hatte. Zuständig für die nachträgliche Verleihung war nicht mehr der König von Preußen, sondern der Ministerpräsident Hirsch.

Eines Tages, Anfang 1919, ließ Herr Hirsch sich fünf Minuten lang vertreten.

Er hatte den Minister Fischbeck bevollmächtigt. Der setzte sich hin und verlieh Herrn Hirsch das Eiserne Kreuz. Dann setzte sich der Ministerpräsident Hirsch hin und verlieh Herrn Fischbeck das Eiserne Kreuz.

Nun hatten beide keine nackte Brust mehr. Nun waren sie reif für die derzeit republikanische Berliner Gesellschaft, reif für den Presseball.
30. Januar 1930 (Donnerstag)


23

Hindenburgtaler - Der Eid einst und jetzt - Der Rundfunk als Agitator - Bonzengehälter - Aus der Ballstatistik - Die Nacht des Buches - Unsere Damen.

Jemand bietet mir einen "Hindenburgtaler" zum Kaufe an. Einen Krönungstaler von 1861 und einen Jubiläumstaler von 1913 habe ich, eine Fünfmark-Denkmünze zur Erinnerung an die angeblich tausendjährige Zugehörigkeit des Rheinlandes zum Deutschen Reich wurde vor einiger Zeit geprägt. Inzwischen ist man nur etwas - kurzfristiger geworden. Der "Hindenburgtaler", der übrigens als Dreimarkstück ohne Aufschlag umläuft, stammt von 1929 und gilt dem zehnjährigen Bestehen unserer republikanischen Verfassung. Man kann nie wissen, nicht wahr ? Ob sie 25 Jahre erlebt, ist nicht sicher, also feiert man die Firmelung der Zehnjährigen.

Auf der Rückseite der Münze sieht man eine erhobene Schwurhand und die Umschrift: "Treu der Verfassung. 1919. 1929. 11.August." Da freut man sich also über deutsche Treue. Das ist doch noch was.

Ob die Schwurhand nach der Philipp Scheidemanns modelliert ist, mit der er im Oktober 1918 als neuernannter parlamentarischer Staatssekretär dem Kaiser den Treueid leistete, weiß ich nicht. Bebel hat den Eid einmal für einen Zwirnsfaden erklärt, über den die Sozialdemokratie nicht stolpern werde. Sie ist nicht gestolpert. Seither aber hat die Eidesleistung überhaupt ihren früheren Charakter verloren, seit die sogenannte religiöse Form nicht mehr verlangt wird, sondern die einfache Erklärung "Ich schwöre, daß ich" genügt.

Früher beteuerte man etwas bei Gott oder beim Barte des Propheten oder bei der eigenen Ehre oder bei seiner Seelen Seligkeit. Man rief also einen Zeugen und Rächer an, oder man setzte wertvolles inneres Gut zum Pfande, während man heute bei nichts und niemand schwört. Es würde völlig genügen, wenn man, ohne das Zeitwort "schwören" zu gebrauchen, nur erklärte, es sei einem bekannt, wieviel Jahre Zuchthaus oder Gefängnis es gäbe, wenn man eine falsche Aussage über Vergangenes mache oder ein Versprechen für die Zukunft einmal breche.

Überdies ist es männiglich bekannt, daß es verfassungsändernde Gesetze gibt.

Oder daß vereidigte Minister, wie erst kürzlich nach dem Volksbegehren durch den Staatsgerichtshof (natürlich ohne weitere Folgen) festgestellt wurde, der Verfassung zuwider gehandelt haben.

Mithin bezieht sich die Verfassungstreue auf die jeweils geltende Verfassung, ist der Vereidigte also stets, um mit dem weiland Innenminister Külz zu sprechen, ein "derzeitiger" Republikaner. Auf die einfachste Formel gebracht: man gelobt Gehorsam denen, die gerade an der Macht sind. So wie am 9. November 1806 die Berliner Beamten dem Kaiser Napoleon den Diensteid ablegten. In wilden Zeiten ist das alles ein bißchen labil und nicht so ehern und heilig, wie das Wort wohl klingt.

Jedenfalls regen sich die Berliner Blätter der, ach, so moralischen Linken unnütz über den Eid des neuen thüringischen Ministers Dr. Frick so auf. Dieser Nationalsozialist handelt genau nach berühmten Vorbild, er stolpert auch nicht über Zwirnsfäden; das Entscheidende ist doch immer die Macht.

Seit die oberste Macht bei uns nicht mehr parteilos ist, verkörpert in einem seit 500 Jahren der Gerechtigkeit dienenden Herrscherhause, ist der Kampf um die Macht eine Angelegenheit für jedermann geworden. Wir haben den Kampf aller gegen alle. Wir sind keine Nation mehr. Wer zur regierenden Machtgruppe gehört, der kennt keine Deutschen mehr, sondern nur noch Parteien.

So soll durch das neue Republikschutzgesetz, das soeben im Reichstagsausschuß von der Deutschen Volkspartei und der Sozialdemokratie durchgepeitscht worden ist, allen Andersdenkenden ein Schloß vor den Mund gelegt werden. Nur die "Derzeitigen" dürfen Propaganda für ihre Ideen machen. Dabei haben sie schon ungeheure, keiner Nachprüfung unterliegende Gelder, amtliche Gelder, dafür zur Verfügung, ungerechnet die mehr als 60 Millionen Mark jährlich, die sie dafür den Rundfunkhörern aus der Tasche ziehen.

Im Lande ist man empört. Im Lande sagt man, es sei ein Skandal, wie hier landfremdes Volk in landfremdem Sinne uns im Mikrophon beeinflusse. Der Berliner Rundfunk ist in diesem Sinne der schlechteste in ganz Deutschland. Nur glaube ich freilich nicht, daß die Wirkung den Wünschen der geheimen Dirigenten entspricht. Die Agitation gegen das Volksbegehren hat dieses sogar erst entfacht. Außerdem: die Zeitung ist und bleibt stärker als der Rundfunk; erstens prägt es sich stärker ein, was man schwarz auf weiß sieht und wiederholt lesen und überdenken kann, zweitens wird der Rundfunk fast in jedem Hause sofort abgestellt, wenn er uns politisch durch Ministerreden oder Alfred-Kerr-Seichereien oder tendenziöse Reportagen geistig bevormunden will.

Wir haben etwa 3 Millionen Anschlüsse, also mindestens 12 Millionen Hörer, aber von diesen lassen sicher 11 Millionen sich nur die Musik oder sonstige Unterhaltung gefallen. Geraten sie in die Politik, so werden sie wütend.

Sogar die Musik reizt manchmal zu Widerspruch gegen unsere Derzeitigen. Im besetzten Gebiete, in dem bekanntlich das Singen des Deutschlandliedes verboten ist, ertönte für diejenigen, die am 24. Dezember den Berliner Rundfunk anhörten, der Sambre-et-Meuse-Marsch der Franzosen, ihr Sturmlied, aus dem Lautsprecher. Das veranlaßte mehrere hundert Deutsche aus Wiesbaden und Umgegend, darunter eingetragene Sozialdemokraten, zu einem Protestschreiben nach Berlin. Der Rundfunk antwortete hochfahrend: politische Erwägungen kämen für ihn nicht in Betracht. Dabei hatte man das gar nicht von ihm verlangt, sondern nur vaterländischen Anstand. Aber die Antwort geht wie ein Lauffeuer um und schadet der Republik mehr, als zehn Republikschutzgesetze ihr vermeintlich nützen.

Wes Brot ich esse, des Lied ich singe - das ist es, was die Masse weiß. Solange sie meint, sie bekomme es von der Republik, ist diese sicher. Die rund 2½ Millionen Arbeitslosen zweifeln schon an ihr, denn sie sind auf knappe Rationen gesetzt. "InTreue fest" zu der Republik halten natürlich alle sogenannten Bonzen, die an der Futterkrippe sitzen, und alle kleinen Agitatoren, die noch an die Krippe zu kommen hoffen. Diese letzteren regt es auch nicht weiter auf, daß Minister, Verkehrsdirektoren, Krankenkassenvorsteher und andere Parteibuchbeamte so große Bezüge haben. Die wollen sie eben auch mal haben. Man braucht ja nicht gleich wie Hermann Müller Reichskanzler mit, Diäten und Aufwandsgelder eingerechnet, jährlich 126 950 Mark Einkommen zu werden, es gibt sichere und doch fette Stellungen auch sonst genug.´Wir zerfallen immer mehr in eine einnehmende und eine zahlende Menschheit. Bricht die zahlende unter der Steuerlast einmal zusammen, dann sind auch die "Derzeitigen" verloren, trotz Verfassungseiden und Strafgesetzparagraphen.

Noch ist es nicht soweit. Noch feiern wir Feste.

Freilich läßt schon der Besuch nach. Den Presseball haben in diesem Jahre über tausend Personen weniger besucht als im vorigen. Starken Besuch und großen Luxus gab es noch gleichzeitig auf dem Sozialistenball, dem alljährlichen Kostümfest am letzten Januarsonnabend. Große Lücken wies das Fest der deutschen Kunstgemeinschaft auf. Alles wie stets beieinander, meist nach Jahrgangsgemeinschaften geschichtet, fand sich beim Flottenbund deutscher Frauen; nur daß hier im Hotel Kaiserhof weniger als sonst dabei verzehrt wurde. Der Ball des Vereins deutscher Studenten, erfrischend frei von Kurfürstendammer Mitbürgern, füllte zur Not den großen Saal bei Kroll. Die Nacht des Buches im Kaisersaal des Zoo sah diesmal viel mehr Gäste als Leute vom Bau.

Da war ich zum erstenmal in meinem Leben, auf dringende Empfehlung hin, die Rudolf Presber meiner Frau erteilt hatte; das sei, sagte er, ungefähr das netteste Fest, das es in der Hochsaison in Berlin gäbe. Er hat Recht. Leider mußte ich die Nacht des Buches schon bald nach Mitternacht verlassen, denn selbst als Chronist, der sozusagen dienstlich und nicht zu eigenem Vergnügen so viel mitmacht, also sich nie ganz ausgibt, erreicht man schließlich die Grenze, an der es heißt: jetzt einmal schlafen oder sonst zusammenbrechen! Wenn ich da beispielsweise an den letzten Sonntag denke, der doch ein Ruhetag sein soll, wird mir noch nachträglich der Kopf ganz benommen. Am Sonnabend war was in Potsdam los, wo ich dabei sein mußte, um Mitternacht ging es in Berlin weiter, um ½4 lag man im Bett, Sonntags um ½8 rasselte schon "beruflich" das Telephon, Zeitungen und Post wurden erledigt, ein stiller kurzer Gottesdienst gab Aufatmen, dann folgte vormittags das Monstre-Militärkonzert im Zirkus Busch, mittags hatten wir Besuch, nachmittags waren wir zu Gast, abends Ball, nachts Barberina, ½4 ins Bett. Und in der Woche, wo man "nur" am Abend ausgeht, hat man tagsüber nie ein Ruhestündchen, denn da muß eisern das Arbeitspensum erledigt werden. Berliner Tempo! Es wird nirgendwo in Deutschland - vielleicht in der Welt - so viel und so hart gearbeitet wie hier. Daher gönnt man auch jedem Berufsstand seine Feste.

Und die Buchhändler verstehen es in der Tat besonders, die ihrigen zu feiern.

Diese Versammlung von einigen hundert Leuten aus kaufmännischem und doch eminent geistigem Beruf macht einen gesellschaftlich vornehmen Eindruck. Fast möchte ich sagen: den Eindruck alten Reichtums. Aber das könnte ich nur deshalb sagen, weil eben diejenigen Buchhändler, deren Bilanz mit einem Minus abschließt, fehlten. Erfolgreich ist wenig, wirkliche "Schlager" sind die größte Seltenheit. Und so ist denn der Stoßseufzer berechtigt, den in der lustigen Mitternachtsrevue dieses Festes ein Verleger ausstößt:

"Wenn du im Hirn ein Buch bewegst,
Behalts bei dir;
Und wenn du doch ein Buch verlegst,
Bitte nicht bei mir!"

Mit einem ungeheuren Idealismus stellt sich der deutsche Buchhandel immer wieder dem deutschen Schrifttum zur Verfügung, bringt es selten zu Golde, aber immer zu vollen Makulaturkellern. Da heraus wollen nicht einmal die ehrenamtlichen Leiter einer Tombola etwas haben. Im vorigen Jahre bot ein Verleger gratis etliche hundert Stück "Heuschreckenplage in Südamerika" als - Damenspende an; das wurde dankend abgelehnt. In diesem Jahre bekam jede Dame einen hübschen Roman, jeder Herr ein paar andere Bücher, dazu gab es Schokolade, Cognacbohnen, Zigaretten, Likör, alles noch reichlicher als auf dem Presseball, gute launige Reden, Lieder eines Hofopernsängers, das lustige Festspiel und davor an langen Tafeln ein gemeinsames fröhliches Mahl.

Mir gegenüber saß der Inhaber der ältesten noch bestehenden Berliner Buchhandlung, die 1640 gegründet ist; in der hat der junge Fritz, ehe er Alter Fritz wurde und es dann nicht mehr nötig hatte, noch seine französischen Bücher versteckt aufbewahren lassen. Die sympathische Gattin dieses Erben der alten Firma trägt den wundervollsten Schmuck von allen erschienenen Damen, und es gibt niemand im Saale, der ihn ihr etwa mißgönnte.

Rechts von uns entdecke ich Sohnreys Gattin mit weizenblonden reichen Flechten. Weiterhin den Verleger und Abgeordneten Hillger mit seiner blühenden jungen Frau. Walter Bloem, auch als Hochsemestriger immer noch so vergnügt wie als krasser Fuchs, nimmt nachher zu Füßen eines ganzen Damenflors Platz. Direktor Schanz von Scherl hat Rudolf Stratz an seiner Seite. Rosner ("Der König") steht zwischen dem Roman-Engel und Otto Elsner. Man entdeckt den Korvettenkapitän a.D. Fritz Busch ("Kreuzerfahrten") mit seiner entzückend gekleideten Gattin, man stößt überall auf bekannte Verleger, bekannte Autoren. Schon wird geknipst; Gott sei Dank, ich kann im letzten Augenblick Kehrt machen.

Hier ist die schöne Geselligkeit Hauptsache, der Tanz nur Annex. Als dieser beginnt, sagt mir ein alter Löwenjäger aus Afrika, jetzt Major a.D. und Dr.phil. und Parteibeamter:

"Kommen Sie, jetzt schmettern wir einen! Wer mehr als zwanzig Sätze dabei spricht, der zahlt dann die nächste Pulle!"

Da fasse ich nach meiner Garderobemarke. So schön das alles auch ist: ich darf nicht mehr Raubbau treiben.

Die Damen geben sich und ihren Putz zum Besten, sagt Goethe. Auf allen Festen der Berliner Hochsaison kann man es bestätigt finden. Ist der Putz schön, so bedürfen die Damen keiner Schminke; dann glüht ihnen das Gesicht so schon vor Freude. Und da alle diese Berliner Bälle mehr oder weniger verschiedene Besucherschaft haben, können die Damen mit dem gleichen Kleide vielfach brillieren.

Kleider machen nicht nur Leute, sondern Kleider beflügeln auch die Konversation. Wenn sie schick gekleidet ist, wird die Unbeholfenste geistreich. Das hat manchmal etwas fiebriges, da schaut der Mann durch und durch. Er ist im allgemeinen - ich selbst gehöre nicht dazu - zu tiefst davon überzeugt, daß fast jede Frau im Grunde eine Gans ist. Die wenigen, die immer krampfig klug reden, seien als Füllsel im Salon gut zu verwenden, aber für unsereins beschwerlich und anstrengend. Im Ballsaal und in der Ehe wolle man sich nicht anstrengen. So, so. Dann kann ich nur sagen: Gott sei Dank, daß die Frauen Gänse sind. Denn sonst würden sie uns jämmerliche Helden männlichen Geschlechts sicher nicht heiraten.
6. Februar 1930 (Donnerstag)


24

Bilder auf Stottern - Die Schönheitskonkurrenz - Miß Germany - Palastrevolution bei Ullsteins - Mann und Weib.

In einem Hofwinkel des Königlichen Schlosses, in dem jetzt Dutzende von Vereinen mit Bildungszwecken hausen, führt uns ein unscheinbarer Eingang zur Deutschen Kunstgemeinschaft. Ein führender Sozialdemokrat, der Bildungs-Schulz, der frühere Staatssekretär im Kultusministerium, steht da an der Spitze. Bergesklüfte liegen zwischen ihm und unsereins. Aber für die Kunst hat er wirklich ein Herz und praktischen Sinn. Es hat für uns heutige Deutsche, die kaum mehr Wohlhabenheit kennen, keinen Zweck, das stets Unerreichbare anzustarren, Bilder zu Preisen von so und so viel tausend Mark. Da ist dieser Schulz auf den naheliegenden Gedanken gekommen, das Systems des Bezahlens "auf Stottern" auch hier einzuführen, und zwar in kleinen Raten, die über zweieinhalb Jahre laufen. So wie sich heute junge Ehepaare eine Schreibmaschine, ein Herrenzimmer, einen Staubsauger auf Abzahlung erstehen, sollen sie es auch mit Bildern tun. An jedem hier in den ständigen Ausstellungen im Königlichen Schloß ist ein Zettel mit Gesamtsumme und Monatsrate befestigt. Nicht jeder kann, um ein Beispiel zu nehmen, 420 Mark für einen Kunstgegenstand bezahlen, aber 17,50 Mark monatlich, das geht vielleicht denn doch.

In den Berliner Galerien, auch hier auf dem zweiten Hof im Schloß, ist es immer etwas unheimlich still. Wer hat noch Zeit und Sinn für Kunst ? Draußen brandet das Leben, draußen liegt angeblich das Geld auf der Straße. Tausenden von jungen Mädchen in Berlin weiten sich die Augen, wenn sie daran denken, sie könnten "Miß Germany" oder gar "Miß Universum" werden. Auf der Schönheitskonkurrenz nämlich. Miß Universum bekommt bare 20 000 Dollar und mehrwöchige freie Reise nach und in Amerika für sich und die Mutter.

Aber diese Konkurrenzen sind immer wieder eine neue Enttäuschung. Keine Schönheit meldet sich, nur irgendeine Niedlichkeit wird schließlich prämiert. Und der Kampf hinter den Kulissen ist grotesk.

Diesmal - ich bin bisher nur noch nicht zum Berichten gekommen - hatte man die Jury möglichst aus Angehörigen aller Stände zusammengesetzt. Sogar Professor Junkers, der große Erfinder, der so gut weiß, was ein schnittiges Flugzeug oder ein eleganter Badeofen ist, war mit herangezogen. Von der technischen Wissenschaft auch noch Graf Arco, der Funkenmann. Von der Großfinanz, die erfahrungsgemäß die schönsten Mädchen - bezahlen kann und daher einiges Urteil haben muß, die Herren Gutmann, Bleichröder und andere. Von der Kunst an der Spitze Richard Tauber, der gern die Legende nährt, daß die Schönsten im Lande, so unwahrscheinlich es auch ist, ihm zu Füßen liegen. Im Auftrage der veranstaltenden leichten Zeitschrift: Dr. Abramowicz. Insgesamt nicht weniger als 60 Preisrichter, darunter mehrere Photographen, denen ein großes Geschäft winkt, wenn eines ihrer bezahlten und monopolisierten Modelle - jeder Berliner Photograph braucht solch eine Ständige in allen Stellungen für das Schaufenster - gekrönt wird. Diesmal ging Fräulein Nietikowsky für das Photohaus Schneider durchs Ziel.

Leicht war das Rennen bei einem Felde von 138 jungen Damen wahrhaftig nicht. Die gefährlichste Konkurrentin, die einzige angehende Schönheit, die es in ein bis zwei Jahren vielleicht wirklich sein wird, wurde durch eine Schiebung ausgeschaltet. Blieben die mehr oder weniger Niedlichen, darunter mehrere kleine Schauspielerinnen und ein Star des Homfilms, die als "Professionals" im Grunde nicht zugelassen sein sollen.

Das erste Rennen im Gesellschaftsanzug - große Abendrobe bis zum Waschkleidchen - verläuft wie gewöhnlich, ohne daß sonderliche Teilnahme bemerkbar wird.

Aber beim zweiten - im Badeanzug - werden die Brillen zurechtgerückt, auch Taubers Monokel fester geklemmt, damit die Beurteilung der "ganzen Figur" nur ja gewissenhaft erfolgen kann.

Merkwürdig, mit welchen Mitteln da die 138 kämpfen, um aufzufallen, um eine Halslänge voranzukommen. Ein Badeanzug aus weißem Seidensamt mit Straßsteinen als Hosenträger! Eine Badehose mit hellblauer Schleifenschleppe bis zur Erde! Gewählt wurde als Miß Germany das keineswegs typisch deutsche oder nordisch-germanische, aber meistphotographierte Mädchen Berlins, eben die Nietikowsky, Reinhardt-Schülerin, in den "Artisten" und in "Romeo und Julia" aufgetreten, Modell Ernst Schneider, bekannt von den Chlorodont- und anderen Reklamebildern her.

So großes Aufsehen wie sonst hat die Wahl diesmal nicht gemacht, denn Berlin hat gerade über etwas anderes zu sprechen. Wenigstens der alte Tiergartenfreisinn, der mit der neuen Kurfürstendammdemokratie nicht zu verwechseln ist. "Me redt". Man redet über die Palastrevolution im Hause Ullstein, nachdem Kleines Journal, Vorwärts, Welt am Montag und andere Blätter darüber schon geschrieben, aber das Wichtigste vergessen haben: cherchez la femme! Der ganze Konzern gehört bekanntlich den Brüdern Ullstein, von denen einer, Franz Ullstein, Generaldirektor des Unternehmens war. Bis zum 31. Januar dieses Jahres. Da war große Verwaltungsratssitzung, und er flog aus seinen Ämtern hinaus; halten können hätte er sich wohl bloß dann, wenn er - auf eine Scheidung von seiner Frau eingegangen wäre.

Das ist es, worüber "man" spricht.

Sie ist eine geborene Goldschmidt aus einem östlichen Lande, eine geschiedene Dr. Graefenberg, und ist im vorigen Sommer Frau Ullstein geworden.

Alsbald eröffnete sie einen politischen Salon. Alsbald ergriff sie die Zügel im ganzen Ullsteinbetrieb und regierte über die Köpfe der Direktoren und Chefredakteure hinweg. Ihr Gatte Franz Ullstein war bis dahin sicherlich keine Null gewesen, hatte nicht nur im Verlagshause, sondern auch in der Politik überall seinen Löffel im Kochtopf gehabt. Seine Beziehungen reichten bis zu den Volksnationalen, Volkskonservativen und dem Handlungsgehilfenverband Lambachs nach rechts, bis zu den Sozialdemokraten im Restaurant Unter den Linden und den Salonkommunisten nach Links. Aber die Frau war ihm über. Deren Beziehungen reichten sogar, schon seit dem Jahre 1923, bis Paris, Marokko, was weiß ich. Auf allen internationalen Kongressen sah man Rosi Graefenberg im Tête-à-tête mit dem oder jenem jüngeren Diplomaten. Angeblich war sie auch - beim Chef der französischen Spionage gern gesehen. Und hier drohte, erklärten die andern Brüder Ullstein und Chefredakteur Bernhard, der Skandal.

Es war schon schwer zu ertragen, was das Berliner Tageblatt einst aus dem Jahre 1923 berichtet hatte. Nämlich, daß das Haus Ullstein damals seine Zeitungen zu besonders eifriger und lohnender Verbreitung seinen Vertretern im besetzten Gebiet empfahl, weil es sozusagen lieb Kind bei den Franzosen sei.

Etwas ähnliches könnte heute "katastrophal" wirken. Also griffen die Brüder Ullstein durch. Franz mußte ausscheiden. Die Redaktionen atmeten auf. Denn wie Frau Ullstein, geborene Goldschmidt, geschiedene Graefenberg, mit ihnen umgesprungen war, das Erscheinen von Artikeln, die sie wollte, durchgesetzt, ihren persönlichen Freunden eine Resonanz verschafft hatte, das war schon nicht mehr schön gewesen. Vielleicht ist auch das "Vorleben" der Dame nicht sehr schön. Aber das geht uns nichts an. Wichtig wäre nur die Feststellung, ob sie tatsächlich den Franzosen als Agentin gedient hat. Und dafür scheint es an Beweisen zu fehlen. Bleibt als Tatsache nur die rettungslose Verliebtheit des alten Franz Ullstein in seine fesche Frau, die mit Hilfe seiner Millionen und seiner Zeitungen jetzt die größte der vielen Rollen ihres Lebens spielen möchte.

Nun spricht man also rund um die Tiergartenstraße von dem Thema der Hörigkeit des Mannes, das seit Simson und Delila ewig neu ist. Deutsch ist es nicht oder nur sehr selten. Es gibt eher Toggenburger als Tannhäuser bei uns. Detlev v. Liliencron, der Nietzsche-Verehrer, hat mehr als einmal, statt einen eigenen Geistesblitz zu produzieren, das Wort des Meisters zitiert oder bei der Lektüre eines Buches als Randbemerkung niedergeschrieben:

"Das Glück des Mannes heißt: Ich will! Das Glück des Weibes heißt: Er will!"
13. Februar 1930 (Donnerstag)



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© Karlheinz Everts