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Kramer's Seite

„Leutnant Kramer”

Schauspiel

von

Frhr. v. Schlicht und Victor Hahn

Bloch, Berlin, 1904, 78 S.


Dritter Akt.

( Spielt ca. 14 Tage nach dem II. Akt, in der Dekoration des I. Aktes.
Es ist früher Morgen.
)

1. Scene.

Friedrich,   ( später ) Werner.

Friedrich. ( ist im Zimmer mit Aufräumen beschäftigt, nach einer Pause klingelt es, er geht hinaus, man hört hinter der Scene ) Komm nur herein, Berndorf, es ist ja noch niemand da. ( Mit Werner auftretend. ) Was giebt's denn ?
Werner. Der Major läßt der gnädigen Frau melden, daß er sie zu sprechen wünscht; er wird gleich hier sein. ( Friedrich aufmerksam betrachtend. ) Aber sag' mal, Kramer, was hast Du denn da auf der Stirn ?
Friedrich. Wir haben uns geprügelt, der Gardestern und ich.
Werner. So, so, – weswegen denn ?
Friedrich. Weil ich mir das nicht gefallen lasse, wenn jemand schlecht von meinem Leutnant spricht, da giebt es Sänge, aber feste!
Werner. Was hat er denn gesagt ?
Friedrich. Der Stern ist ein ganz gemeiner Kerl, er hat gesagt, das Ehrengericht heute in der Kaserne sei über meinen Leutnant.
Werner. Wie kommt er denn auf solchen Blödsinn ?
Friedrich. Er hat es bei seinem Leutnant gehört und heute ist auch gar kein Dienst im Bataillon, heute ist doch nur Kammerarbeit, und die Offiziere sind alle in's Kasino befohlen, zur Versammlung, da merkt unsereins doch auch, daß etwas nicht stimmt.
Werner. ( verständnißvoll nickend ) Und ob!
Friedrich. Aber was der Gardestern über meinen Leutnant erzählt hat, das stimmt nicht, das hab' ich ihm auch klar bewiesen, mein Leutnant vor ein Ehrengericht, unser Leutnant von Kramer, schon 'ne Gemeinheit, sowas zu denken! Na, ich hab' ihn aber auch schön verprügelt, drei Zähne hat er lassen müssen. ( Es klingelt. )
Werner. Das ist der Major, ich gehe gleich über die Hintertreppe, ich mach' mir dünne! ( Mit Friedirch Mitte ab. )


2. Scene.

Friedrich,  Major von Berndorf,   ( später ) Else.

Friedrich. ( Läßt den Major eintreten. ) Die gnädige Frau wird gleich erscheinen. ( Links ab. Kleine Pause. )
Else. ( von links, hinter ihr Friedrich, der gleich Mitte abgeht. )
Major. ( tritt auf Else zu, küßt ihr stumm die Hand. )
Else. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich auf mich warten ließ, aber ich war auf Ihren Besuch nicht vorbereitet, Herr Major.
Major. Zürnen Sie mir nicht, gnädige Frau, daß ich Sie so früh störe, aber Sie kennen das entsetzliche, das mir bevorsteht, in wenigen Minuten, um 10 Uhr, versammelt sich das Ehrengericht.
Else. ( mit leiser Ironie ) Unter Ihrem Vorsitz ?
Major. Gnädige Frau, treiben Sie mich nicht zur Verzweiflung. Sie ahnen nicht, was ich in den letzten Tagen alles getan und versucht habe, um mich meiner Pflicht zu entziehen. Kein Mittel ließ ich unversucht. Gestern noch bin ich persönlich in der Nachbargarnison gewesen, um Exzellenz zu bewegen, einen anderen Vorsitzenden zu ernennen.
Else. Nun – und ?
Major. Exzellenz begriff es nicht, warum ich als Freund Ihres Hauses nicht den Vorsitz führen wollte. Als Freund könnte ich ihn im letzten Augenblick vielleicht retten, ihn doch noch umstimmen, ein mildes Urteil der Richter herbeiführen.
Else. Glauben Sie, daß Sie das können ?
Major. Offen gestanden, seit der letzten Vernehmung Ihres Gatten nicht mehr. Ich habe den meisten Verhören durch den Ehrenrat beigewohnt, wir haben getan, was wir konnten, wir haben ihm Brücken gebaut, auf die er nur einen Fuß zu setzen brauchte, dann war er gerettet. Aber er will sich ja nicht belehren lassen.
Else. Und doch ist er voll Zuversicht zum Ehrengericht gegangen, er glaubt an seinen Sieg. Heute Morgen hätten Sie meinen Mann sehen sollen, er war so frisch und zuversichtlich, wie seit langer Zeit nicht, seine beste Uniform habe ich ihm zurechtlegen müssen für die Verhandlung. Er kämpft für seine Überzeugung, und noch gestern Abend hat er mir gesagt, ich kämpfe nicht für mich allein, sondern für Viele, die meine Ansicht über das Duell teilen, aber nicht den Mut haben, es einzugestehen.
Major. Hätte er doch auch geschwiegen.
Else. Ich bin stolz auf ihn, daß er den Mut zur Wahrheit fand. Ich habe ihn nicht. ( Pause. ) Eins noch sagen Sie mir: Ernst behauptet, er wird entweder freigesprochen oder mit schlichtem Abschied entlassen. Glauben Sie das auch ?
Major. ( ausweichend ) Der Verlauf eines Ehrengerichtes ist unberechenbar. Es kann den Vorschriften gemäß sechs verschiedene Urteile fällen. Wer will da voraussagen, was beschlossen wird. Allerdings an einen gänzlichen Freispruch glaube ich nicht.
Else. Und werden auch Sie ihn schuldig sprechen ?
Major. An das, was zwischen uns beiden vorgefallen ist, darf ich heute morgen gar nicht denken, sonst müßte ich den Vorsitz niederlegen.
Else. Und warum tun Sie es nicht ?
Major. Bedenken Sie das Aufsehen, das entstände, man würde dem wahren Grund nachforschen, man würde vielleicht alles erfahren. Und wenn Ihr Gatte dann auch mir gegenüber auf seiner Ansicht beharrte, dann wäre alles verloren. So kann ich ihn wenigstens zu retten versuchen.
Else. ( seine Hand ergreifend ) Retten Sie ihn, ich beschwöre Sie, ich flehe Sie an. Ich habe entsetzliches durchgemacht, wenn Ernst nun auch noch den Abschied bekommt, das überleb' ich nicht.
Major. Auch das werden Sie überleben; denn wenn es wirklich so weit kommen sollte, dann haben Sie mehr als je die Pflicht, für ihn zu leben. Die alten Freunde werden sich von ihm zurückziehen, einsam wird er sein Leben fortan zubringen, dann hat er nur noch einen Menschen auf der Welt, nur Sie.
Else. ( in Tränen ausbrechend ) Nur mich, die ihn belogen und betrogen. Mein Gott, mein Gott, was habe ich getan.
Major. Gnädige Frau, haben Sie Mitleid mit mir, jedes Ihrer Worte trifft mich wie ein Schlag.
Else. ( sich beherrschend ) Ich will Ihnen nicht weh tun.
Major. ( ihr die Hand küssend ) Liebe, gnädige Frau.
Else. ( ihm die Hand entziehend ) Und werden auch Sie sich von Ernst zurückziehen, wenn er nicht mehr Offizier ist ? Sie bleiben ihm doch treu ? Sie wird er am meisten vermissen.
Major. Es ist wohl das letzte Mal, daß wir uns gegenüberstehen, deswegen bin ich hier, um Abschied zu nehmen.
Else. ( erschrocken ) Sie wollen fort ?
Major. Um dem heutigen Ehrengericht zu entgehen, habe ich dringende Geschäfte vorgeschützt, und einen längeren Urlaub erbeten, er ist bewilligt.
Else. ( aufatmend ) So werden Sie also doch nicht den Vorsitz führen ?
Major. Doch, der Urlaub beginnt erst heute Mittag, die Division bestand darauf. So hat der Urlaub für mich eigentlich gar keinen Zweck.
Else. Und wohin werden Sie gehen ?
Major. Ich weiß es noch nicht.
Else. Und wann kommen Sie wieder ?
Major. Nie. Ich habe erneut um meine Versetzung gebeten, das nächste Militär-Wochenblatt schon kann sie bringen.
Else. So werden wir also ganz allein sein.
Major. Gerade deswegen tat ich den Schritt, da werden Sie am schnellsten Ihre Ruhe wiederfinden, und denken Sie auch an mich, was hab' ich in den letzten Tagen durchgemacht, kein Mensch hat es mir angemerkt, aber ich habe einfach die Kraft nicht mehr, Ihrem Gatten zu begegnen. Wenn Sie wüßten, wie es in mir aussieht, und jetzt muß ich auch noch sein Richter sein. Noch hoffe ich, daß ich die Sache irgendwie zum Guten führe. Gelingt es mir nicht, dann weiß ich überhaupt nicht, was ich tun soll.
Else. Vielleicht ist es das Beste, daß Sie von uns gehen. Aber nicht wahr, eins versprechen Sie mir, wenn das Urteil hart ausfällt, dann kommen Sie, ehe Sie reisen, noch einmal zu uns, um Ernst zu trösten.
Major. Alles, was Sie wollen, aber das, das kann ich nicht. Ich bin auch nur ein Mensch.
Else. Und wenn ich Sie nun darum bitte, tun Sie's Ernst, tun Sie's uns zur Liebe.
Major. Ich will's versuchen. ( Die Uhr auf dem Kamin schlägt zehn, beide zählen stumm mit lautlosen Lippen die Schläge mit. )
Major. Zehn Uhr, das Ehrengericht versammelt sich. ( Else bricht in Tränen aus. ) Und nun, gnädige Frau, stehe Gott uns allen bei. Vielleicht, daß Sie mich heute noch einmal wiedersehen, wenn nicht, lassen Sie mich von Ihnen in der Hoffnung scheiden, daß Sie ohne Haß und ohne Groll an mich denken werden.
Else. ( ihm die Hand gebend, mit leiser Stimme ) Ich habe Sie doch einst geliebt.
Major. ( küßt ihr lange schweigend die Hand, reißt sich dann gewaltsam los und geht durch die Mitte ab. )
Else. ( sinkt weinend in einen Stuhl. )


3. Scene.

Hildegard.  Frau von Kramer.

Hildegard. ( von rechts ) Du hast Besuch gehabt, Else, der Major war hier ?
Else. ( sich zusammennehmend ) Für einen Augenblick, er wollte nur Adieu sagen, er geht heute Mittag auf Urlaub.
Hildegard. Und da hast Du mich nicht einmal gerufen ?
Else. ( ausweichend ) Ich hab' ihm gesagt, er dürfe nicht reisen, ohne noch einmal vorzusprechen, da wirst Du ihn dann noch sehen.
Hildegard. Aber Else, wie siehst Du denn aus, Du hast geweint!
Else. Hab' ich vielleicht keinen Grund ? Ernst vor dem Ehrengericht!
Hildegard. Arme Schwester, etwas anders hatten wir uns die Heimkehr doch gedacht.
Else. ( nickt schwermütig mit dem Kopf. )
Hildegard. ( nach einer kleinen Pause ) Aber ich verstehe Ernst auch nicht, er muß doch einsehen, daß er mit seinen Ansichten nicht durchdringt, nicht durchdringen kann. Wenn alle Offiziere so dächten wie er. – Neulich auf dem Kasinofest – – –
Else. ( sie heftig unterbrechend ) Bitte, sprich mir nicht von dem Unglücksfest; ich hab' gewußt, daß es an dem Tag zu einem Streit zwischen Ernst und Stern kommen würde. Daß man solche Offiziere überhaupt im Heere duldet.
Hildegard. Und doch hat Stern von seinem Standpunkt aus völlig Recht.
Else. Du nimmst ihn auch noch in Schutz ? Wenn er nüchtern gewesen wäre, hätt' er nicht so gesprochen.
Hildegard. Ich glaube doch, daran sind ja eben alle Versöhnungsversuche gescheitert. Er hat erklärt, er hätte nur nach einer Gelegenheit gesucht, um Ernst zu sagen, wie er über ihn dächte. Na, teuer genug kommen ihm ja seine Worte zu stehen.
Else. Er verdiente, daß er den Abschied bekäme, er allein hat Ernst auf dem Gewissen.
Hildegard. Der arme Schwager, er tut mir entsetzlich leid. ( Geht schweigend langsam zum Fenster, rechts, öffnet es. ) Da sieht man ganz deutlich die Kaserne liegen und in demselben Zimmer, in dem wir neulich so vergnügt zusammen waren, sitzen sie nun alle über den armen Ernst zu Gericht – hinter verschlossenen Türen – kein Unbefugter darf hinzu; denn nicht darum handelt es sich, ob einer eine Schuld auf sich lud, sondern ob er ehrlos ist.
Else. ( zusammenzuckend ) Ehrlos!
Hildegard. Dabei werden die Mitglieder des Ehrengerichts gar nicht vereidigt.
Else. Nicht vereidigt ? – Wo es sich um die Existenz eines Menschen handelt, werden die Richter nicht einmal vereidigt ?
Hildegard. Nein, aber sie sind vor der Abstimmung von dem Kommandeur aufzufordern, als Ehrenmänner ohne Leidenschaft nach Pflicht und Gewissen ihre Stimme abzugeben, wie sie es vor Gott und dem Kaiser zu verantworten gedenken.
Else. ( wiederholend ) Vor Gott und dem Kaiser. ( Pause. ) Woher weißt Du das eigentlich alles ?
Hildegard. Ich habe Kurt ( sich verbessernd ) Berndorf gestern einen Augenblick gesprochen. Ich hab' ihn kaum wiedererkannt, so traurig sah er aus.
Else. Alle haben sie Mitleid mit ihm; ob sie wohl Gnade walten lassen ?
Hildegard. Das habe ich Kurt gestern auch gefragt.
Else. Und was hat er geantwortet ?
Hildegard. Er sagte, wir werden ermahnt, Recht zu sprechen, Gnade zu üben steht uns nicht zu, das ist das Vorrecht Seiner Majestät des Kaisers.
Else. Ich habe eine entsetzliche Angst, wenn Ernst nur erst wieder hier wäre, dann haben wir wenigstens Gewißheit.
Hildegard. Doch nicht, denn von dem Urteil selbst erfährt er heute noch gar nichts, das wird erst gesprochen, wenn er den Saal verlassen hat. Und was das Ehrengericht beschließt, muß erst noch vom Kaiser bestätigt werden, das kann noch Wochen dauern.
Else. Nein, nein, das darf nicht sein, ich ertrage die Ungewißheit nicht länger. Was hab' ich durchgemacht, seit jenem unglücklichen Kasinofest. Ernst ist doch Offizier mit Leib und Seele. Wie wird er es ertragen, wenn er mit Schimpf und Schande aus dem Heer ausgestoßen wird. Und wenn das Entsetzliche kommen soll, Vater im Himmel, dann laß es heute kommen, länger ertrag' ich dies Leben nicht, ich werde wahnsinnig dabei.


4. Scene.

Vorige.  Friedrich.   ( Gleich darauf )   Müffelmann.

Friedrich. ( durch die Mitte ) Herr Fabrikant Müffelmann wünscht seine Aufwartung zu machen.
Else. Jetzt, heute ? Unmöglich. Ich kann keinen Besuch annehmen.
Friedrich. Der Herr Fabrikant hat gesagt, es wäre schließlich auch genug, wenn er nur das gnädige Fräulein einen Augenblick sprechen könnte.
Hildegard. ( ganz erstaunt ) Mich ?
Else. Dann nimm Du ihn an ( Ab links. )
Hildegard. Sagen Sie Herrn Müffelmann, ich ließe bitten.
Friedrich. Zu Befehl, gnädiges Fräulein. ( Mitte ab. )
Hildegard. ( tritt vor den Spiegel, ordnet sich das Haar, tritt zurück, wartet einen Augenblick. )
Friedrich. ( durch die Mitte ) Herr Fabrikant Müffelmann! ( Läßt Müffelmann eintreten, dann Mitte ab. )
Müffelmann. ( Frack, weiße Binde, Chapeau claque, in der Hand einen großen Blumenstrauß, den er ostentativ, bevor er Hildegard begrüßt, auf einen Stuhl dicht bei der Tür legt. ) Mein sehr verehrtes, gnädiges Fräulein, ich wollte mir ganz gehorsamst erlauben, meine Aufwartung zu machen.
Hildegard. Sehr freundlich, Herr Müffelmann, an einem so traurigen Tag, wie der heutige, erfreut jede Aufmerksamkeit doppelt. ( Nimmt Platz, fordert Müffelmann auf, dasselbe zu tun. )
Müffelmann. ( sich setzend ) Ganz meine Ansicht, gnädiges Fräulein. Ich habe mir gleich gesagt: wenn Du heute zu Kramers gehst, werden Sie alle noch viel freundlicher mit Dir sein, als sonst, obgleich sie alle immer sehr nett mit mir gewesen sind.
Hildegard. Warum auch nicht, Herr Müffelmann. Wir haben uns immer aufrichtig gefreut, wenn Sie zu uns kamen.
Müffelmann. ( freudig ) Wirklich ? Sie auch, gnädiges Fräulein ?
Hildegard. ( ganz erstaunt ) Warum sollte ich mich denn nicht über Ihren Besuch gefreut haben ?
Müffelmann. ( nach einer kleinen Pause, mit gänzlichem Umschwung der Stimme ) Gnädiges Fräulein, wissen Sie eigentlich, warum ich Ihnen hier so feierlich in Frack und weißer Binde gegenübersitze ?
Hildegard. Offen gestanden, nein.
Müffelmann. So will ich es Ihnen sagen. ( Kleine Verlegenheits-Pause. ) Wissen Sie, wo ich gestern Abend gewesen bin ?
Hildegard. Aber Herr Müffelmann, wie soll ich das wissen ?
Müffelmann. Ich war gestern Abend bei Leutnant von Stern. Bei meinen Beziehungen zum Offizierskorps wußte ich, wie das Urteil heute ausfallen würde, und da habe ich Stern die Freundschaft gekündigt.
Hildegard. Das ist sehr hübsch von Ihnen, Herr Müffelmann.
Müffelmann. Aus innerster Überzeugung stehe ich auf seiten der andern Kameraden, Stern hat sich am Kasinoabend nicht korrekt benommen. Er mochte denken, was er wollte, er durfte nicht so sprechen.
Hildegard. Er hatte ja etwas zu viel getrunken.
Müffelmann. Leider, und daran bin ich schuld. Er hatte Weltschmerz, den wollte ich ihm vertreiben, da habe ich ihm schweren Burgunder einfiltriert, immer aus Wassergläsern.
Hildegard. Das war sehr unrecht von Ihnen, Herr Müffelmann.
Müffelmann. Gewiß war es das. Ohne den schweren Wein hätte er sicher den Streit nicht vom Zaun gebrochen, so bin ich eigentlich an dem ganzen Zwischenfall schuld. Ich habe mir den Kopf zerbrochen, wie ich das Unglück, das ich wider Willen anrichtete, gut machen kann.
Hildegard. Das ist sehr edel gedacht, Herr Müffelmann, aber Ihnen macht doch kein Mensch einen Vorwurf.
Müffelmann. Doch, ich mir selbst. Ich habe Ihrer ganzen Familie gegenüber ein schlechtes Gewissen, und da habe ich mir gesagt: vielleicht kannst Du Dein Unrecht dadurch wieder gutmachen, daß Du Fräulein Hildegard heiratest.
Hildegard. ( halb ernst, halb lachend ) Sie wollen mich heiraten ? Aber Herr Müffelmann!
Müffelmann. Ich bitte Sie, – Sie sind jung, Sie sind hübsch, ich selbst bilde mir ein, auch nicht gerade der häßlichste zu sein, ich bin reich – –
Hildegard. Gewiß, aber ich verstehe immer noch nicht, warum Sie mich so plötzlich heiraten wollen ?
Müffelmann. Aber ich bitte Sie, Fräulein Hildegard, Sie müssen doch schon lange bemerkt haben, wie ich mich immer bemühte, nur einen freundlichen Blick von Ihnen zu erhaschen, im stillen liebe ich Sie ja schon lange. Ich habe es nur nicht gewagt, von meiner Liebe zu sprechen, aber jetzt, wo ich fürchten muß, daß Sie vielleicht von hier fortgehen, und ich Sie nie wiedersehe, kann ich Sie doch nicht ziehen lassen, ohne nicht vorher wenigstens den Versuch gemacht zu haben, Sie zu gewinnen und Ihnen zu sagen, wie sehr ich sie liebe, daß ich seit Wochen keinen anderen Gedanken habe, als nur Sie. Jetzt kann ich Ihnen auch gestehen, wie ich Sie während Ihrer Abwesenheit entbehrte, täglich habe ich Ihre Rückkehr herbeigesehnt, und als ich Ihnen dann neulich wieder gegenübertrat, habe ich mit Gewalt an mich halten müssen, um mich nicht vor allen zu verraten, und um Ihnen nicht schon da zu sagen, wie warm Ihnen mein Herz entgegenschlägt . . . Wollen Sie bei Ihrem Schwager weiterleben, alle Gesellschaften meiden ? Wollen Sie zurück zu Ihrer Frau Mutter, um dort Ihre Jugend zu vertrauern ?
Hildegard. ( ernst ) Ich hab' noch garnicht darüber nachgedacht, was aus mir werden soll.
Müffelmann. ( ihr herzlich zuredend ) Na also! Als meine Frau bleiben Sie hier und verkehren in den alten Kreisen, bei den alten Freunden weiter. Und mir täten Sie einen Riesengefallen, wenn Sie mich heirateten.
Hildegard. ( trotz des Ernstes der Situation halb belustigt ) Wirklich ? – – Herr Müffelmann, was Sie da sagen, ist für mich zwar eine große Ehre, aber – –
Müffelmann. ( ängstlich ) Sie geben mir einen Korb ? ( Da Hildegard schweigend nickt ) Ja aber weswegen denn nur ?
Hildegard. Das kann ich Ihnen nicht sagen.
Müffelmann. Da lieben Sie einen andern ? ( Pause. ) Das hab' ich nicht geahnt. Wer ist der Glückliche ?
Friedrich. ( durch die Mitte meldend, doch so, daß seine Meldung wie die Antwort auf Müffelmann's Frage klingt ) Herr Oberleutnant von Berndorf.
Hildegard. ( wendet sich verlegen ab. )
Müffelmann. Ach so, der!
Hildegard. ( will sich verteidigen )
Müffelmann. Bitte, Ihr Gesicht hat Sie verraten. Dann allerdings. Gegen einen aktiven Leutnant muß ich natürlich zurückstehen. ( Tritt in den Hintergrund. )


5. Scene.

Vorige.  Oberleutnant von Berndorf.

Berndorf. ( durch die Mitte, auf Hildegard zueilend ) Liebes Fräulein Hilde – –
Hildegard. ( macht ihn durch eine Bewegung auf Müffelmann aufmerksam. )
Berndorf. ( sieht ihn, förmliche Verbeugung vor Hildegard ) Mein Fräulein, ( dann so, als ob er Müffelmann eben bemerkte ) Ach Sie sind da, Herr Müffelmann.
Müffelmann. Jawohl, ich bin da, und vor mir brauchen Sie sich nicht zu genieren.
Berndorf. Ich verstehe Sie nicht.
Hildegard. ( fast gleichzeitig ) Aber Herr Müffelmann!
Berndorf. Bitte erklären Sie sich deutlicher.
Müffelmann. ( ganz erstaunt ) Was giebt's denn da zu erklären ? Ich habe Fräulein Hildegard um ihre Hand gebeten, und sie hat mir gesagt, sie wäre in den Oberleutnant von Berndorf verliebt.
Berndorf. ( sehr erfreut, leidenschaftlich ) Gnädiges Fräulein, – Hildegard – das hast Du gesagt ? Ich habe es ja gehofft, seit langem, daß Du mir auch ein ganz klein wenig gut bist. Die Furcht, Dich heute wieder für lange Zeit zu verlieren, trieb mich hierher. Hildegard, sag' es mir, ist es denn wirklich wahr, hast Du mich lieb ?
Hildegard. Ob ich Dich liebe, das fragst Du noch ?
Berndorf. ( sie an sich ziehend und küssend ) Ach Du, ach Du!
Müffelmann. Das hab' ich ja sehr schlau gemacht. Ich will heiraten und verlobe meine Braut mit einem Anderen.
Hildegard. ( zu Müffelmann ) Seien Sie mir nicht böse.
Berndorf. Sie haben es ja selbst gesehen, es ging wirklich nicht anders.
Müffelmann. Hätte es an Ihrer Stelle ebenso gemacht, nun aber will ich nicht länger stören. ( Sich verabschiedend ) Mein gnädiges Fräulein, Herr von Berndorf, übrigens Herr Leutnant, wenn Sie ein Verlobungsbukett brauchen, hier ist es ( nimmt die Blumen ) ich hab's Ihnen gleich mitgebracht ( giebt Berndorf das Bukett und geht schnell durch die Mitte ab. )
Berndorf. ( die Blumen fortlegend und auf Hildegard zueilend ) Ach Du, sag' es mir noch einmal, daß Du mich liebst.
Hildegard. ( ihn umarmend ) Ich hab' Dich über alles lieb.


6. Scene.

Vorige.  Else.

Else. ( von links auftretend sieht die Gruppe, ruft ganz erstaunt aus ) Aber Herr von Berndorf – Hildegard!
Hildegard. ( zu Else eilend ) Else, ich bin ja so namenlos glücklich, er liebt mich.
Berndorf. Liebe, gnädige Frau, darf ich hoffen, daß Sie mir das Glück Ihrer Schwester anvertrauen wollen ?
Else. Ich wüßte keinen besser'n Mann für sie.
Berndorf. Wie soll ich Ihnen danken, gnädige Frau ?
Else. ( erregt ) Sie kommen aus der Kaserne ? Das Ehrengericht ist zu Ende ? Wo ist mein Mann ?
Berndorf. Er wird gleich hier sein.
Else. ( in höchster Spannung ) Und ?!
Berndorf. ( macht eine Bewegung, als ob er nichts sagen dürfte, oder nichts sagen könnte. ) Ich darf nicht sprechen, ich kann Ihnen noch nichts sagen.
Else. ( aufschreiend ) Er ist verurteilt ?! ( Bricht in Schluchzen aus und fällt auf einen Stuhl. )
Hildegard. ( zu ihr tretend ) Aber Else, fasse Mut! Beruhige Dich doch, noch kannst Du hoffen. Und wenn wirklich das Schrecklichste eingetreten, Ihr seid reich, Ihr könnt reisen, wohin Ihr wollt, und wenn Ihr dann nach einem Jahr zurückkehrt, weiß kein Mensch mehr, weshalb Ernst den Dienst quittierte.
Else. Geächtet, verstoßen sollen wir durch die Welt gehen, nirgends Ruhe haben, immer fürchten, alte Bekannte zu treffen, die uns verleugnen, wie ein zweiter Ahasver durch die Welt wandern! – Ich halt's nicht aus.
Berndorf. Aber liebe, gnädige Frau!
Hildegard. Du siehst zu schwarz, Ernst wird viel ruhiger urteilen, der hat sich sicher die Folgen seines Schrittes in allen Einzelheiten klar gemacht, der weiß jetzt schon ganz genau, wie sich Euer Leben fortan gestalten wird. Mach' Du es ihm nur nicht zu schwer, mit Deinen Klagen. Er darf es nicht erfahren, daß Du leidest.
Else. Ich ? Nie soll eine Klage über meine Lippen kommen. Stolz werd' ich auf ihn sein, weil er den Mut hatte, für seine Überzeugung einzutreten, und wenn die Welt ihn auch verachtet, für mich bleibt er mein Gott.
Hildegard. So ist's recht, Schwester, wenn er Deiner Liebe sicher ist, wird er alles ertragen.
( Man hört auf dem Korridor Kramers Stimme: ) Hier Fritz, Helm und Schärpe, leg' sie weg, auch den Säbel.
Else. ( richtet sich in ihrem Stuhl halb auf. ) Er kommt, geh' Du ihm entgegen, ich kann nicht.
Hildegard. Laß uns ihn hier erwarten.
Else. ( ganz leise ) Er kommt.


7. Scene.

Vorige.  Oberleutnant v. Kramer.

Kramer. ( durch die Mitte, sehr blaß, aber sehr gefaßt, winkt seinen Damen stumm zu. )
Berndorf. ( tritt in den Hintergrund, blickt schmerzlich teilnahmsvoll auf Kramer. )
Hildegard. ( nähert sich Kramer leise. )
Else. ( richtet sich in ihrem Stuhl halb auf und sieht ihn mit großen Augen angstvoll an. )
Kramer. ( mit dumpfer Stimme ) Ich hab' verloren.
Else. ( schreit auf, springt in die Höhe und fällt Kramer um den Hals. ) Ernst, es ist nicht wahr, es kann nicht wahr sein!
Kramer. ( zieht seine Frau an sich und führt sie zu einem Stuhl. ) Es ist vorbei.
Hildegard. ( ängstlich näher tretend ) Aber Schwager, das kannst Du doch noch gar nicht wissen, das Urteil ist doch noch nicht gefällt.
Kramer. ( ihr die Hand gebend ) Hilde, ich hab' mein Urteil in den Gesichtern der Kameraden gelesen. Als ich den Saal verließ, da sahen sie mich alle so traurig an und ihre Augen baten: Noch ist es Zeit, sprich das erlösende Wort.
Hildegard. ( stockend ) Und Du – hast es – nicht getan ?
Kramer. Ich konnte es nicht. Es hätte ausgesehen, als wollte ich aus Furcht vor Strafe meine Überzeugung ändern, – dann wäre ich wirklich ein Feigling gewesen.
Else. ( sehr zögernd ) Und welche Strafe hast Du ?
Kramer. Zweierlei gab es nur für mich: Freisprechen oder schlichten Abschied.
Else. ( bricht in Tränen aus. )
Hildegard. ( eilt auf sie zu ) Arme Schwester!
Kramer. ( seine Frau streichelnd ) Weine nur, Liebling, ich habe vorhin selbst die Zähne auf einander gebissen, um nicht zu weinen.
Else. Mein armer Ernst!
Hildegard. Und es giebt keine Rettung ? Die Gnade des Kaisers ?
Kramer. Für mich nicht, ich werde sie auch nicht anrufen.
Else. Was soll nun werden ?
Kramer. Den Kopf hoch und stolz und mutig weiterleben. Wir beide haben nichts unrechtes getan, wir haben keinen Grund, die Menschen zu fliehen. Mein Gewissen ist rein, ich fühle mich frei von jeder Schuld, trotz des Urteils meiner Richter.
Hildegard. Konnten sie Dich denn nicht freisprechen ?
Kramer. ( mit Wärme ) Ach wenn sie's nur gekonnt hätten, ihre stummen Lippen haben mich gebeten, nimm zurück, was Du gesagt hast, dann ist ja alles gut. Und was hat unser guter Major nicht alles versucht, beschworen hat er mich mit flehenden Worten, mit so viel Liebe hat noch nie ein Mensch zu mir gesprochen.
Else. Glaubst Du, daß auch er das Schuldig über Dich gesprochen hat ?
Kramer. Gewiß, aber ihm ist's am schwersten geworden von allen. Ihr hättet ihn sehen sollen, wie er da saß, um Jahre gealtert, in sich zusammengesunken mit zuckenden Lippen. Und als ich hinausging, da hab' ich es deutlich gesehen – er weinte. ( Pause. ) Daß ich den Freund verliere, ist mir das Schwerste von allem, als Offizier darf er ja nicht mehr mit mir verkehren.
Hildegard. Du wirst neue Freunde finden.
Kramer. Aber einen so selbstlosen nie wieder. ( Pause. ) Übrigens packt Eure Koffer, ich habe Urlaub genommen, bis die Bestätigung Seiner Majestät eingetroffen ist.
Else. Wir wollen reisen ?
Hildegard. ( erschrocken, indem sie sich an Berndorf, der bei diesen Worten rasch auf sie zugetreten ist, anschmiegt. ) Soll ich mit ?
Kramer. ( durch diese Bewegung aufmerksam geworden, mit einem Blick des Einverständnisses auf Berndorf, erfreut ) Also doch. Ich hab's ja gewußt, so bringt mir dieser Tag doch noch eine große Freude.
Berndorf. ( auf Kramer zugehend, ihm beide Hände entgegenstreckend ) Und Du giebst mir Deine Schwägerin ?
Kramer. Dir lieber als irgend einem anderen.
Else. ( führt Hildegard, sie zärtlich umschlingend zu Berndorf ) Seien Sie gut mit ihr.
Berndorf. ( Hildegard an sich ziehend ) Das will ich.
Friedrich. ( durch die Mitte ) Herr Major von Berndorf wünscht den Herrn Oberleutnant unter vier Augen zu sprechen.
Kramer. ( zu den andern ) Bitte, laßt mich allein.
Else.          )
Hildegard. ) ( links ab. )
Berndorf.  )
Kramer. ( giebt Friedrich einen Wink, dieser läßt den Major eintreten und geht Mitte ab. )


8. Scene.

Major von Berndorf.  Oberleutnant v. Kramer.

Major. ( durch die Mitte, während der ganzen Scene in seinem Wesen sehr gedrückt. )
Kramer. ( ihm freudig erstaunt entgegengehend ) Herr Major, auf Ihren Besuch hatte ich nicht mehr zu hoffen gewagt.
Major. ( sehr lebhaft ) ich weiß – – ich dürfte eigentlich nicht mehr zu Ihnen kommen, aber es trieb mich hierher mit aller Gewalt. Mensch – Kramer! – Was haben Sie getan ?
Kramer. Ich bin meiner Überzeugung treu geblieben.
Major. Kramer, warum ließen Sie sich nicht überzeugen ? Warum hielten Sie so halsstarrig an Ihrer Ansicht fest ? Haben Sie sich denn gar nicht die Folgen klar gemacht, dachten Sie denn nicht an uns – Ihre Kameraden, an Ihre Familie, an Ihre Frau, an sich selbst ?
Kramer. Glauben Sie, Herr Major, ich hätte mich unüberlegt in diesen Kampf eingelassen ? Nicht leichtsinnig verfocht ich meine persönliche Anschauung gegen die eines ganzen Standes – und wenn ich auch für Sekunden auf einen Sieg hoffte – ich hab's doch gewußt, daß ich unterliegen würde.
Major. ( heftig kämpfend ) Und Sie sind unterlegen, Kramer – aber trotzdem will ich Sie retten.
Kramer. ( ganz erstaunt ) Jetzt noch ?
Major. Noch ist es nicht zu spät. Morgen geht das Urteil des Ehrengerichts an das Militärkabinet des Kaisers, – und mit dem Urteil zugleich ein Gnadengesuch.
Kramer. Ich will keine Gnade.
Major. Nehmen Sie Vernunft an, denken Sie nicht nur an sich, denken Sie an Ihre Frau. Ich habe für das Gnadengesuch alles vorbereitet, die Division und das Generalkommando werden es befürworten, auch die wollen nicht, daß die Armee einen so tüchtigen Offizier, daß das Offizierskorps einen so lieben Kameraden verliert. Ich bin persönlich bei Exzellenz gewesen, um mit ihm alles zu besprechen – wir werden Sie retten – Majestät wird das Urteil auf dem Gnadenwege in eine Verwarnung umändern, Sie bleiben der Armee, Ihren Kameraden, dem Bataillon erhalten – Sie brauchen den Rock, den Sie solange in Ehren getragen haben, nicht auszuziehen.
Kramer. ( in Gedanken sehnsüchtig, der Ausruf entschlüpft ihm fast unwillkürlich ) Wenn das möglich wäre.
Major. Es ist möglich.
Kramer. Und womit wollen Sie, Herr Major, das Gnadengesuch begründen ?
Major. ( zögernd und sehr schonungsvoll ) Sie müssen noch jetzt im letzten Augenblick nachgeben.
Kramer. Nie – – niemals!
Major. Kramer, verstehen Sie mich doch recht, kein Mensch verlangt ja von Ihnen, daß Sie in dem Fall Stern anderer Meinung werden, nur im Prinzip sollen Sie zugeben, daß es Situationen geben kann, in denen ein Duell unvermeidlich ist, dann ist alles gut.
Kramer. Herr Major, geben Sie sich weiter keine Mühe – machen Sie sich selbst und mir dieses letzte Zusammensein nicht so schwer, ich höre aus jedem Ihrer Worte Ihre Freundschaft heraus, ich sehe es Ihnen an, wie gern Sie mich retten wollen –
Major. ( sehr erregt ) Ich muß Sie retten, um meiner selbst willen – – ich – – ich darf Sie nicht verlieren. Kramer, es kann Ihnen ja gar nicht ernst sein mit Ihren Worten, Sie haben sich verrannt und sind nur zu stolz, um das einzugestehen. Lassen Sie sich doch überzeugen.
Kramer. Ich weiß nicht, wie das möglich wäre.
Major. ( schwer kämpfend ) Ich darf nichts unversucht lassen, Sie zu bekehren.
Kramer. Da bin ich begierig.
Major. Nehmen wir an, es hat Sie jemand tödlich beleidigt, er hat Sie ins Gesicht geschlagen ( immer nervöser werdend, immer bedrückter ) oder nehmen wir den denkbar schwersten Fall, ( unsicher stockend ) Sie sind lange von Haus fortgewesen, lieber Kramer, Sie haben eine junge, blendend schöne Frau hier zurückgelassen – nehmen wir an – nein, sprechen wir nicht von Ihrer eigenen Frau Gemahlin, aber denken Sie sich die Frau eines Kameraden, der abwesend ist – die Frau ist allein – ein ganzes Jahr allein – ein alter Freund nähert sich ihr – er wirbt um ihre Liebe –
Kramer. Während der Mann im Felde ist ? – Sein Leben täglich für das Vaterland auf's Spiel setzt ? – Da sollte ein anderer versuchen, die Frau des Kameraden zu gewinnen ( mit fester Überzeugung ) undenkbar!
Major. Es ist ja auch nur ein Beispiel. Aber nehmen wir an, er wirbt wirklich um die Frau, – nehmen wir an, sie haben sich vielleicht früher geliebt – wirklich geliebt – und eines Tages erwacht die alte Liebe wieder und beide vergessen, was sie sich selbst – was sie dem Manne schuldig sind – – – können Sie sich das nicht vorstellen ?
Kramer. ( sehr bestimmt ) Nein.
Major. ( sehr schwer atmend, in äußerster Aufregung ) Und doch kommt so etwas vor, ich kenne sogar einen derartigen Fall sehr genau. Der Mann kam zurück, er erfuhr den Sachverhalt – – ( die folgenden Worte langsam und bedeutsam aussprechend ) er forderte den Andern vor die Pistole. ( Lauernd ) Hätten Sie das etwa nicht getan ?
Kramer. In's Gesicht hätte ich ihn geschlagen.
Major. ( zuckt zusammen ) Und Sie hätten ihn wirklich nicht gefordert ?
Kramer. Für wen denn ? Für die Frau ? Der verzeiht man entweder, daß sie der Verführung des Andern unterlag, oder man jagt sie wie eine Dirne zur Tür hinaus.
Major. Und was hätten Sie mit dem Mann gemacht ?
Kramer. Ich sagte es ja schon. Und Sie müssen mir ja selbst beistimmen, Herr Major, wer so infam handelt, wie Ihr Held, ist ein Schurke.
Major. ( fährt zusammen, greift unwillkürlich schnell mit der rechten Hand an den Säbel, als wollte er ihn gegen Kramer gebrauchen, läßt dann aber die Hand langsam wieder sinken. )
Kramer. ( hat mit der größten Verwunderung den Major beobachtet, plötzlich glaubt er ihn zu verstehen, er taumelt zurück, dann faßt er sich und fragt sehr energisch, mit leiser, erregter Stimme ) Herr Major, was sollte der Griff nach Ihrem Säbel ?
Major. ( ausweichend ) Nichts. – – ich dachte an den Kameraden, den Sie beschimpften – er war mein Freund.
Kramer. ( auf ihn zutretend ) Und wenn Sie nun selbst der Freund wären ?
Major. Wie meinen Sie das ? – Ich verstehe Sie nicht.
Kramer. ( der alles erraten hat ) Das also war's, nun wird mir mit einem Mal alles klar: – Ihr Versuch, mich umzustimmen, Ihr Wunsch, mich zu retten, die Angst meiner Frau, ich könnte mich jemals schlagen – das also war's! – –
Major. Sie tun Ihrer Frau Unrecht.
Kramer. ( dicht vor ihn tretend ) Können Sie mir Ihr Ehrenwort darauf geben ?
Major. ( in größter Verlegenheit ) Ich verstehe Sie nicht.
Kramer. ( ihm fest in's Auge sehend, jedes Wort langsam betonend ) Ich verlange Ihr Ehrenwort als Offizier! – Können Sie es geben ?
Major. ( zuckt zusammen, kleine Pause, dann mit schwerer Überwindung ) Ja!
Kramer. Und wenn ich Ihnen trotzdem nicht glaube – ?
Major. ( schlägt den Blick zu Boden )
Kramer. ( ballt die Faust, als ob er sich an dem Major vergreifen wollte, wie er aber diesen mit niedergeschlagenem Blick hilflos dastehen sieht, spreizen sich seine Finger wie von Ekel erfüllt, er wendet dem Major verächtlich den Rücken und sinkt überwältigt von Schmerz in einen Stuhl, das Gesicht in beide Hände begrabend )
Major. ( will auf Kramer zutreten, als ob er ihm noch etwas sagen wollte. ) Kra – – –
Kramer. ( winkt mit der Hand abwehrend, als wollte er den Major abhalten, sich ihm zu nähern. )
Major. ( steht einen Augenblick unschlüssig, betrachtet Kramer schmerzlich teilnahmsvoll, dann atmet er schwer auf und geht, wie mit einem schweren [.....] Schritten gesenkten Hauptes durch die Mitte ab. )


9. Scene.

Kramer.  Else.

Else. ( von links ) Der Major ist schon fort ? ( Sieht Ernst fassungslos ihm Stuhl sitzen, eilt auf ihn zu ) Ernst, was ist geschehen ? ( Er hebt langsam den Kopf, sie sieht sein schmerzlich verzerrtes Gesicht. ) Wie siehst Du aus ?
Kramer. ( wehrt sie mit der Hand ab ) Ich weiß alles.
Else. ( schreit auf, fällt ihm zu Füßen ) Ernst, das darf nicht wahr sein.
Kramer. Es ist wahr! – – Steh' auf!
Else. ( steht weinend langsam auf. )
Kramer. ( nach langer, schwerer Pause ) Was soll nun werden ?
Else. ( sehr lebhaft, mit tränenerstickter Stimme ) Ernst, mach' mit mir, was Du willst – jage mich aus dem Haus – verstoße mich – lass' mich Deine Frau nicht mehr sein, aber vergib mir.
Kramer. Ich kann nicht! – Alles hätt' ich geglaubt, das nicht!
Else. Ernst!
Kramer. So ist mir denn heute alles genommen: meine Ehre, der Freund und mein Weib!
Else. ( steht ihm weinend gegenüber. )
Kramer. Ich hätte Felsen gebaut auf Deine Liebe – auf Deine Treue!
Else. Ernst, glaub' es mir, ich hab' Dich lieb über alles, und ich habe nie aufgehört, Dich zu lieben – bis zu jener Stunde – – –
Kramer. Und doch konntest Du mir das antun.
Else. Ernst, Du weißt nicht, wie ich gelitten habe unter meiner Schuld. Ich und auch er. Ich hab' es Dir verschwiegen, daß wir uns einst liebten, – ich glaubte, ich hätte es überwunden, dann sah ich ihn hier wieder – Du warst fort, Dein Schutz, Deine starke Hand, die mich gehalten hätten, fehlte mir, – ich hatte niemanden, dem ich zurufen konnte: „Hilf mir, ich unterliege!”
Kramer. Und er – er hat sich mein Freund genannt –
Else. Er war Dein Freund – damals, an jenem Abende, da war er Dir fremd, er hatte Dich nie gesehen – und doch, wie hat er auch Deinetwegen seine Schuld bereut, er hat gezittert vor der Stunde, in der er Dir zum ersten Mal in die Augen sehen sollte – ich weiß, wie es in ihm aussah. – Noch heute morgen war er hier, kurz vor dem Ehrengericht.
Kramer. ( empört ) Und Du hast ihm nicht die Tür gewiesen – Du hast es zugegeben, daß er mein Richter war – er, der selbst ehrlos –
Else. Er mußte Dich richten – nichts hat er unversucht gelassen, sich seiner Pflicht zu entziehen, und er hat gehofft, er könnte Dich noch retten.
Kramer. ( voll grausamer Ironie, höhnisch ) Er – mich retten ?
Else. Ernst, sei nicht so hart, so unerbittlich – straf' mich, wie Du willst, aber vergib uns, auf den Knien flehe ich Dich an. ( Will niederknieen. )


10. Scene.

Vorige.  Oberleutnant von Berndorf.  Hildegard.

Berndorf. ( mit Hildegard hastig durch die Mitte eintretend, in größter Bestürzung ) Kramer –! Gnädige Frau! Denkt Euch – der Major – ( Stützt sich auf einen Stuhl, bedeckt mit der anderen Hand sein Gesicht, als wenn er vor Schmerz nicht weiter sprechen könne. )
Else. ( stößt einen Schrei aus. )
Hildegard. ( sich an Kurt anschmiegend ) Kurt!
Kramer. ( fährt empor, blickt Berndorf in größter Spannung an. )
Berndorf. ( fortfahrend ) Ich war auf dem Wege nach Haus, da stürzt mir der Bursche entgegen – ein Unglück ist geschehen, der Major hat für die Reise seine Sachen gepackt, auch die Pistolen, die Du ihm geschenkt, – er wollte sie in seinem Zimmer ausprobieren, die Waffe muß sich zu früh entladen haben – –
Else. ( sinkt in einen Stuhl, Hildegard eilt zu ihr, die ganz fassungslos, und beschäftigt sich mit ihr. )
Berndorf. ( ununterbrochen fortfahrend, leise zu Kramer, der vollkommen teilnahmslos vor sich hinstarrt ) Ich stürze nach Haus, da liegt er tot in einem Stuhl, ( schwer aufatmend, mit gepreßter Stimme ) gerade in die Schläfe hat er sich geschossen.
Kramer. ( leise vor sich hinsprechend, als wollte er damit sagen, daß der Major seine Schuld gesühnt hat )Er ist tot!
Berndorf. Ich muß zu ihm. ( Wendet sich zum Gehen. )
Hildegard. Ich begleite Dich durch den Garten. ( Beide Mitte ab. )


11. Scene.

Kramer ( und ) Else.

Kramer. ( noch immer bewegungslos dastehend ) So hat er seine Schuld gebüßt. ( Sinkt in den Stuhl. )
Else. ( sich ihm nähernd ) Ernst, verzeih' dem Toten – – –!
Kramer. ( nach schwerem, inneren Kampf ) Ich kann es nicht.
Else. Ernst, hab' Mitleid ( fällt vor ihm nieder ) vergib ihm und mir – straf' mich so hart Du willst, aber vergib uns.
Kramer. ( fährt ganz mechanisch mit einer Hand durch das Haar seiner Frau, dann mit trauriger Stimme ) Warum habt Ihr mir das getan ?

Der Vorhang fällt.

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II.Akt
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Kramer's Seite
© Karlheinz Everts