„Leutnant Kramer”SchauspielvonFrhr. v. Schlicht und Victor HahnBloch, Berlin, 1904, 78 S.
Aufführungen:
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Personen:
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Besetzungsliste: | ||
Bochum | Libau | |
Major von Berndorf |
Herr Dörge |
Herr Duwe |
„General-Anzeiger für Dortmund” vom 16.12. 1904:
Von Frhr. von Schlicht
Das neue Militärdrama des Grafen Baudissin: „Leutnant Kramer” wird in unserer Stadt lebhaft besprochen. Die gestrige Premiere hatte auf jeden Fall einen vollen Erfolg zu verzeichnen. Famit soll aber keineswegs gesagt sein, daß die so zur Mode gewordenen „Bühnen- Soldateska” um ein wertvolles Stück bereichert worden wären. Das Werk birgt stellenweise gute Gedanken, die jedoch kaum die Schwächen des Dramas verdecken können. Was uns gefällt, das ist der geschickte Aufbau der Gründe zur Ausrottung des Duell-Unfugs im Heere. Wenn Leutnant Kramer sagt: Kann denn eine Kugel die Ehre eines Kameraden, die ihm ein gewissenloser Mensch genommen, wieder herstellen? Warum sind wir, die Offiziere, gerade so empfindlich? Andere Stände schießen sich doch nicht gleich, um jede Kleinigkeit. Wenn irgend einer von uns glaubt, in seiner Ehre angeriffen zu sein, dann trage er die Sache dem Ehrenrat vor. Der untersucht den Fall. Findet er,daß der Vorwurf berechtigt ist und der betreffende Kamerad nicht mehr würdig ist, des Königs Rock zu tragen, so mag er diesen Offizier aus dem Heere entfernen; ist aber die Ehre eines Kameraden zu Unrecht angegriffen, dann mag der Beleodiger die verdiente Strafe erhalten, die das Gericht festsetzt. „Unser Stand verlangt es , daß ihm nur wirklich würdige Mitglieder angehören. Männer, die ihren Ehrenschild mit der Kugel blank machen wollen, können wir nicht brauchen,” so wird diese Sätze jeder vernünftige Mensch unterschreiben. Auch die Ansicht des Leutnants Kramer über die sogenannten Strafversetzungen in der Armee ist durchaus zutreffend. In seinem bataillon ist ein junger Gardeleutnant eingetreten, den man wegen seines leichtsinnigen Lebenswandels aus der Potsdamer Garnison entfernt hat. Zur Strafe wurde er in ein Linienregiment versetzt. Dem Oberleutnant Kramer gefällt diese Maßregelung nicht. Er sagt darüber: Diese Strafversetzungen sind auch ein Zopf, der unserer Armee nicht würdig ist. Hat sich herausgestellt, daß sich ein Gardeoffizier vergangen, daß er sich bei seinen Vorgesetzten und Kameraden unmöglich gemacht hat, dann muß er auch seinen Abschied erhalten. Denn wenn er für die Garde nicht mehr brauchbar ist, dann taugt er auch für ein anderes Regiment nicht mehr. Oder sind wir in den Linienregimentern Offiziere zweiter Klasse, welche Elemente, die sich bei der Garde unmöglich gemacht, stillschweigend aufnehmen müssen?
Graf Baudissin entwickelt hierin eine Theorie, die von der Heeresverwaltung zweifellos beachtet werden wird. Die von ihm angeregten Reformen sichern dem Stücke im deutschen Publikum Sympathie. Aber mehr wie einen Achtungserfolg wird „Leutnant Kramer” auf keiner Bühne zu verzeichnen haben. Uns dünkt auch, daß die Konjunktur für Militärromane und Offizierstragödien sich in absteigender Linie befindet. Man hat genug von der Kost. Es gibt ja auch schließlich nicht nur Offiziere im deutschen Vaterlande, sondern auch ein gesunder und kräftiger Bürgerstand. Möge man uns also mit diesen Komödien im bunten Rocke endlich vom Halse bleiben.
Gern erfüllen wir die Pflicht, einiges zur gestrigen Erstaufführung nachzutragen. Des Herrn Heckmann, in dessen Händen die Titelrolle lag, haben wir schon gedacht. Es war eine Glanzleistung. Ihm würdig zur Seite stand Frl. Schlomka als liebende und reuevolle Gattin. Herrn Dörge als Majör von Bernburg hätten wir uns ein wenig schneidiger gedacht. Herr Liebert, der den Neffen des Majors spielte, gab sich als junger, verliebter Leutnant recht gut. Den „Gardestern” (Leutnant von Stern) spielte Herr Knaack. Er ließ aber viel zu wünschen übrig. Solche Jammergestalten hat die Garde denn doch nicht. Alle übrigen Mitwirkenden leisteten ihr Bestes, um das ausverkaufte Haus zu lauten Beifallsrufen hinzureißen. Der Applaus galt zum Schluß auch dem Verfasser, der aber, wie mitgeteilt, nicht anwesend war und sich deshalb nicht bedanken konnte.
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Sein gestern nur im Auszuge veröffentlichter Brief, womit er sein Ausbleiben entschuldigte, hat folgenden Wortlaut:
Dresden, den 12. Dezember 1904.
Nürnbergerstraße 44.
An die Direktion des Stadt-Theaters, Bochum.
Sehr geehrter Herr!
Im letzten Augenblick erhalte ich von meinem Rechtsanwalt in Berlin die Nachricht, daß ich Donnerstag Vormittag unbedingz in Berlin sein muß, da die Revisionsschrift im Prozeß der „Erstklassigen Menschen” fertig ist und er vorher noch mit mir und meinem Verleger darüber sprechen will. So wird es mir also zur absoluten Unmöglichkeit gemacht, der Vorstellung des „Kramer” bei Ihnen beizuwohnen, und ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, wie lebhaft ich es bedauere, nicht zu Ihnen kommen zu können. Von ganzem Herzen wünsche ich uns Beiden Hals- und Beinbruch. Sollte das Stück, wie ich natürlich hoffe, Beifall haben, so sind Sie vielleicht so liebenswürdig, in meinem Namen zu danken und dem Publikum mitzuteilen, welche Gründe mich veranlaßt und gezwungen haben. nicht persönlich der ersten Aufführung beizuwohnen.
In Rußland ist der „Kramer”, wie ich ganz zufällig erfuhr, bereits in Szene gegangen und hat dort großen Erfolg gehabt. Herr Intendant Claar in Frankfurt a. M. hat mir fest versprochen, einen seiner Herren zur Première nach Bochum zu schicken. Vielleicht haben Sie die Güte, auch diesen Herren gegenüber mein Ausbleiben zu entschuldigen.
Indem ich nochmals meinem lebhaften Bedauern Ausdruck gebe, der Vorstellung nicht beiwohnen zu können, danke ich Ihnen herzlichst und aufrichtig, daß Sie als erster den „Kramer” herausbringen.
Ich versichere Sie meiner größten Hochachtung und bin stets Ihr sehr ergebener
Wolf Graf v. Baudissin
(Freiherr von Schlicht)
„Frankfurter Zeitung”, Nr. 349, vom 15.12. 1904:
Man berichtet uns aus Bochum:
Im hiesigen Stadttheater fand die erste Aufführung von Freiherr v.Schlichts Schauspiel „Leutnant Kramer” statt. Das Stück ist eine mäßig dramatisierte Polemik über den Offizierehrbegriff und das Duell.
In der Zeitschrift „Das literarische Echo” 1904/1905 liest man auf Seite 514:
Das dreiaktige Schauspiel „Leutnant Kramer” von Freiherrn v. Schlicht (W. Graf Baudissin), in dem zur Abwechslung der Duellzwang der Offiziere behandelt wird, erlebte am 13. Dezember im Stadttheater zu Bochum seine Uraufführung. Das Stück fand (laut „Bochumer Anzeiger”) dank der guten Darstellung eine „verhältnismäßig freundliche Aufnahme”.
„Hamburger Fremdenblatt” vom 16. 12. 1904:
„Leutnant Kramer”, ein Schauspiel des Freiherrn v. Schlicht, ging, wie der „L.-A.” meldet, gestern im Bochumer Stadttheater zum ersten Male in Szene. Das Stück, das im Rahmen einer Ehebruchstragödie die Duellfrage behandelt, hatte unter einigen Längen und Banalitäten zu leiden, so daß der Erfolg nicht ganz unbestritten war.
„Die schöne Literatur”, Beilage zum Literarischen Zentralblatt vom 14. 1. 1905:
Das Stadttheater in Bochum brachte es mit einem neuen Ehebruchsdrama „Der Leutnant Kramer” von Frhr. v. Schlicht zu keinem stärkeren Erfolg.
„Libausche Zeitung” vom 25.11./8.12.1904:
Unleserliche Stellen im nachfolgenden Zeitungartikel sind durch Fragezeichen markiert.
(Stadttheater.) Nach dem sensationellen Seitensprung, den sich Frhr. von Schlicht mit seinem Militär-Roman „Erstklassige Menschen” geleistet hat, durfte man der Aufführung seines neuesten im Verein mit V. Hahn verfaßten Militärdramas „Leutnant Kramer” nicht ohne Interesse entgegensehen. Die Verfasser begnügen sich nicht, wie es bisher in den Schlichtchen Bühnenwerken der Fall war, uns mit liebenswürdigem Humor heitere Scenen aus dem Manöver- oder Garnisonleben vor Augen zu führen, sondern sie betreten die Pfade des Tendenz-Dramas, der Kritik an den Mißständen im deutschen Offizerskorps. Die für das große Laien-Publikum verständlichste Frage wird aus dem Militärischen herausgegriffen — die Duellfrage. Ein Offizier (Leutnant Kramer) kehrt mit Wunden und Ruhm bedeckt aus dem Chinafeldzuge zurück; vor dem Feind hat er den „Werth des Menschenlebens” kennen gelernt und in der Ausübung seines Berufes, dem er mit Leib und Seele ergeben ist, im Kriege, im Kampf der Völker ist er — ein Gegner des Zweikampfs geworden, nicht nur des Zweikampfs als ???trages eines leichtfertig vom Zaun gebrochenen Wortwechsels oder einer unbedachten Aeußerung, sondern des Zweikampfes überhaupt in jeder Form und jeder Veranlassung. Muß schon die auf diese Weise herbeigeführte Aenderung in den Anschauungen eines Offiziers überraschen, so hat seine Frau während der Abwesenheit ihres Gatten nicht minder psychologisch unverständliche Wandlungen durchgemacht. Im Kampf gegen die seit Jahren gehegte Jugendliebe ist sie unterlegen und hat ihre Frauenehre dem Major von Berndorf geopfert. Was Jahre und Pflichtgefühl nicht vermochten, bringt jedoch jetzt — die Pflege des verwundeten Gatten fertig. Die „sündhafte” Liebe weicht der gesetzlichen und der Jugendgeliebte hat fortan keinen Platz mehr im Herzen der Frau, das voll und ganz dem Gatten gehört. Auf diesen lebensunwahren Voraussetzungen bauen die Verfasser nun ihr tendenziöses Confliktdrama auf. Leutnant Kramer benutzt die erste unpassende Gelegenheit, vor seinen Gästen — dem bewußten Major, und einigen Regimentskameraden — in langatmigen Vorträgen seine neuen Ansichten über den Zweikampf auseinanderzusetzen. Die gutgesinnten Kameraden verzeihen ihm, dem Chinahelden, diese Aeußerungen, jedoch ein junger, mißvergnügter aus der Garde strafversetzter Kamerad — ein Typus, den Frhr. von Schlicht aus den „Erstklassigen Menschen” hinübergenommen hat — bringt es zum Eklat, er beschimpft Kramer bei einem Liebesmahl gröblich und da dieser von einem Zweikampf nichts wissen will, kommt die Angelegenheit vor das Ehrengericht. Der Major — der „Verführer” der Frau des Kameraden — muß den Vorsitz führen! Man denke, ein „Ehrloser” als Richter über diesen ehrenfesten Chinakämpfer! Daß wohl kaum außerdem noch Jemand den Major unter diesen Umständen für einen Ehrlosen halten wird, geniert die Herren Verfasser wenig. Er muß es sein, denn sonst würde ja die Pointe verloren gehen. Aus demselben Grunde mißlingen auch sämtliche Versuche des Majors sich der Verpflichtung der Theilnahme am Ehrengericht zu entziehen. So wird denn der „Edle” von dem „Schurken” verurtheilt, ein tapferer tüchtiger Offizier dem Standesvorurtheil geopfert! Um Kramer noch im letzten Moment zu retten, will ihn der Major noch nach dem Spruch des Ehrengerichts zur Anerkennung der Berechtigung des Duells veranlassen, indem er ihn die Untreue seiner Frau und seines Freundes errathen läßt. Jedoch vergeblich. Kramer bricht unter der Wucht der Schicksalsschläge zusammen, während der Major seine Schuld durch eine Kugel aus eigener Hand „sühnt”. Als „Sühne” bezeichnet Kramer selbst den freiwilligen Tod seines Freundes. Wie weit ist diese Anschauung von der Anerkennung der Berechtigung des ernsten Zweikampfes entfernt?
Die militärisch unmöglichen Situationen seien hier unberücksichtigt gelassen; denn nicht das militärisch Unwahre, das Lebensunwahre macht dies Drama schlecht. Die Tendenz der ???? schiebt die Personen auf der Bühne wie auf dem Kasperletheater hin und her und schreibt ihnen ihre Handlungen und Worte vor. Wir sehen nicht Menschen mit Lebensanschauungen im Kampf mit einander, sondern tendenziös geschaffene Phantasiebilder und verzerrte Possenfiguren, wie die des Müffelmann, für die kein Platz ist in einem Drama, das ernst genommen werden will. Wenn auch in dem Drama eine gerechtere Vertheilung von Licht und Schatten, als dies in dem bekannten Schlichtschen Militärroman der Fall ist, angestrebt worden ist, so sind doch die Verfasser auf dem Wege von der Bilse- zur Beyerleinkategorie ohnmächtig in den Anfängen stecken geblieben.
Der Aufführung nahmen sich die Damen Raoul (Frau Kramer) und Hellmuth (Hildegard) sowie die Herren Steinert (in der Titelrolle), Duve (Major v. Berndorf), Gemberg (Leutnant von Berndorf) und Steinert (Müffelmann) mit großem Eifer und im Allgemeinen mit gutem Erfolge an. Herr Steinert war mir bei seinem ersten Auftreten zu affektiert und ließ dadurch den Zuschauer zuerst über die Persönlichkeit Kramers im Unklaren. Im letzten Akt verschmähte er leider nicht in übertriebenem Pathos die Anwendung etwas reichlich grober äußerer Mittel. Leutnant von Stern, der gestürzte Gardeleutnant, war durch Herrn C. Schmitz nicht sehr würdig vertreten.
C. v. D.