Der Leutnant ohne Nase.

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Exzellenz ist wütend” und
in: „An die Gewehre”


Natürlich hatte Leutnant von Bandorf ebenso wie jeder andere Mensch eine Nase, die saß ihm sogar auch ganz richtig mitten im Gesicht, aber trotzdem er eine besaß, hatte er doch keine Nase. Man konnte ihm unter die Nase halten, was man wollte, englisches Riechsalz oder Veilchenparfüm, Limburger Käse oder schöne Rosen, ihm war alles egal, er roch es ja doch nicht.

Und voller Stolz erzählte er oft von einer kleinen Episode, die er einmal während seines Urlaubs auf einer Nordlandsreise(1) erlebt hatte. Man machte dort auf der berühmten Walfischstation Skarö einen Besuch, bei der zwar keine Walfische im Vorüberschwimmen Halt machen, wie man das vielleicht aus dem Wort „Station” schließen könnte, sondern die Walfische werden dort, wenn man sie erst hat, zu Lebertran und anderen Delikatessen verarbeitet. Damals hatten fünf große, abgezogene und abgehäutete Walfische auf der Station gelegen und einen Gestank verbreitet, den man schon kilometerweit roch, als man sich noch auf der See befand und mit dem Dampfboot näher kam. Auf der Station selbst waren viele Damen ohnmächtig geworden, die Herren hatten sich die Nasenlöcher verstopft und die Taschentücher vor den Mund gehalten, mit entsetzten Schritten eilten alle wieder davon und als man endlich glücklich wieder an Bord angekommen war, hatte der Kapitän des Schiffes „Volldampf” geben lassen, um so schnell wie möglich diesem Orte des Schreckens wieder zu entfliehen.

Und selbst da, angesichts der toten Walfische, hatte Bandorf nichts gerochen, absolut gar nichts, und er war von neuem zu der Erkentnis gekommen, daß es in den meisten Fällen oft tausendmal besser ist, keine Nase als eine zu haben.

In dienstlicher Hinsicht war es natürlich ganz einerlei, ob er eine Nase hatte oder nicht. Von einem Leutnant wird zwar alles mögliche und unmögliche verlangt, aber ob er riechen kann oder nicht, das ist dem Vorgesetzten so gleichgültig wie nur möglich.

So lebte Leutnant von Bandorf denn ruhig und friedlich dahin, bis er eines Tages zu einer anderen Kompagnie versetzt wurde.

Man konnte sich kein ungleicheres Nasenpaar denken, als es der Hauptmann von Rallberg und der neue Leutnant war. Während der eine absolut nichts roch, roch der andere alles, seine Geruchsnerven waren mehr als empfindlich, selbst aus weiten Entfernungen konnte er jeden Geruch auf das Genaueste definieren und er pflegte zu sagen, er könnte selbst durch die Wände eines hermetisch verschlossenen Kochtopfes hindurchriechen, was in dem Topf drin wäre.(2)

Im ganzen Regiment war man sehr gespannt, wie die beiden Nasen miteinander auskommen würden. Aber es ging nicht nur gut, sondern es ging sogar ausgezeichnet. Zuerst allerdings hatte der Hauptmann seinen Leutnant mit einem gewissen Argwohn in Empfang genommen, aber bald sah er ein, daß dessen Nasenlosigkeit auch ihr Gutes hatte. Es ist nämlich Brauch, Sitte und zum Überfluß auch noch vorgeschrieben, daß die Leutnants bei den Märschen, sei es in den Straßen der Stadt oder draußen auf den Chausseen, in der Marschkolonne selbst gehen(3). Nun kann sich jeder denken, daß das nicht nur zuweilen, sondern immer kein besonderer Genuß ist. Wenn die Kerls warm geworden sind, fangen sie an zu schwitzen und wenn die schwitzen(4), dann — na, sagen wir mal, dann duften sie, aber nicht gerade angenehm.

Nein, es ist wirklich kein Genuß in der Marschkolonne zu gehen, denn die Kerls rauchen auch noch sogenannten Tabak, den aber kein anderer Mensch jemals für Tabak halten würde.

Und auch der Tabak riecht.

Und so manches andere riecht erst recht.

Wenn Hauptmann von Rollberg mit seiner Kompagnie auf dem Marsch war, ritt er selbst stets meilenweit von ihnen entfernt und ein für allemal hatte er seinem Leutnant die Erlaubnis erteilt, die Marschkolonne zu verlassen und da zu gehen, wo es(5) lustig war.

Das trug dem Hauptmann von Seiten der höheren Vorgesetzten manchen Rüffel ein, denn die Vorschriften sind dazu da, um befolgt zu werden.

Aber mochten die Vorgesetzten schelten, soviel sie wollten, der Hauptmann, der selbst mit seiner Nase so empfindlich war, brachte es einfach nicht über das Herz, seinem Leutnant einen derartigen Geruch zuzumuten. Lieber ließ er sich jeden Tag anschnauzen.

Aber wenn ein Untergebener, ganz einerlei, welcher Charge er angehört, andauernd die Befehle der höheren Vorgesetzten nicht befolgt, bleibt schließlich nichts anderes übrig, als ihn zu bestrafen und wohl, um den Hauptmann davor zu bewahren, hatte man ihm seinen alten Kompagnie­leutnant fortgenommen und ihm dafür den braven Bandorf gegeben. Dem machte es ja absolut nichts aus, ob er in der Marschkolonne ging oder nicht, er roch ja doch nichts.

So hörten denn die Anschnauzer, die der Hauptmann fast täglich wegen derselben Sache bekommen hatte, mit einem Mal auf und wenn ihm das auch ganz gleichgültig war, so freute er sich doch darüber, nun nicht mehr immer und immer dasselbe aus dem Munde der Vorgesetzten anhören zu müssen. Die Sache war ihm schon so langweilig geworden, daß sie ihm zum Kotzen zum Halse heraushing.

So stellte sich mit der Zeit zwischen den beiden verschiedenen Nasen ein wirklich gutes und sogar beinahe freundschaftliches Verhältnis ein und das war um so angenehmer, als das Manöver bevorstand, bei dem die Vorgesetzten in den Quartieren für den gesellschaftlichen Verkehr oft einzig und allein auf ihre Offiziere angewiesen sind.

Man unterscheidet für die Quartiere drei Arten: Sekt-Quartiere, andere Quartiere und noch andere, sogenannte Flohquartiere. Die ersteren sind natürlich die beliebtesten, aber auch die seltensten. Jeder will selbstverständlich so gut wie möglich untergebracht sein und am Tag, bevor die Quartiermacher in das Manövergelände voranreisten, nahm sich der Hauptmann von Rollberg den Fourieroffizier im Kasino bei einigen Flaschen Sekt noch ganz besonders vor: „Mein lieber Wamberg, wo Sie mich einquartieren, ist mir ganz einerlei, ich lege nur Wert auf das wie. Ich verlange nur zweierlei, ein tadelloses Bett und ein Quartier, das absolut geruchlos ist. Bringen Sie mich also bitte zu keinem Bäcker, zu keinem Schlächter, zu keinem Kolonialwarenhändler, erst recht nicht zu einem Lederfritzen, sondern in der Stadt nur in solche Häuser, in denen keine irgendwie duftenden Gewerbe betrieben werden. Und wenn wir auf die Dörfer kommen, dann bitte das allerbeste und das allergeruchloseste für mich. Und große helle Stuben mit möglichst breiten Fenstern, damit man Tag und Nacht frische Luft hineinlassen kann. Also nicht wahr, lieber Wamberg, ich kann mich da auf Sie verlassen?”

Der Fourieroffizier versprach sein Möglichstes zu tun und so lange es ging, hielt er auch Wort, aber dann kam ein Tag, an dem er nicht Wort halten konnte. Die Kompagnie kam in ein ganz kleines Dorf und in dem war bei dem besten Willen kein anständiges Quartier aufzutreiben. Eins gab es, das war bei dem Ortsschulzen, aber der wehrte sich mit Händen und Füßen, einen Offizier bei sich aufzunehmen: Geben Sie mir zwanzig Kerls oder noch mehr und soviel Unteroffiziere wie Sie wollen, sie sollen es alle gut bei mir haben, aber ein Offizier? Nicht in die Hand! Ich habe da vom letzten Jahr meine Erfahrungen gemacht. Und wenn Sie sechs Wochen auf mich einreden, ich bleibe bei meinem Entschluß.

Der Fourieroffizier sah ein, hier vermochte er nichts auszurichten. So brachte er denn den Hauptmann von Rollberg und dessen Leutnant bei einem Bauer unter. Schön waren die beiden Stuben für die Offiziere nicht, der Leutnant hatte überhaupt nur eine elende Kammer und auch sonst war nicht alles so, wie es sein sollte, aber etwas besseres war eben nicht da.

Der Fourieroffizier war froh, daß er bei der Ankunft des Hauptmanns nicht zugegen zu sein brauchte und daß der Dienst ihn zwang, schon gleich weiter zu fahren.

Am nächsten Mittag kam die Kompagnie im Dorf an, gleich darauf wurden die Quartiere aufgesucht, aber als der Hauptmann seine Stube betrat, rührte ihn beinahe der Schlag, denn hier roch es nicht nur, nein, es stank. Es stank so fürchterlich, daß der Hauptmann beinahe seekrank wurde. Und daß es so roch, hatte seinen guten Grund. Die Stubentür führte direkt auf die große Scheunendiele und auf dieser liefen friedlich die Schweine und die Hühner herum, während auf der anderen Seite neben dem Schweinekoben die Kühe untergebracht waren. Und auch der Geruch einer gewissen stillen Klause, die noch niemals etwas von Wasserspülung gehört hatte, machte sich bemerkbar.

Nur ein Bauer, der es von Kindheit an nicht anders gewöhnt war, konnte es in dieser pestilenzartigen Luft aushalten.

Eins stand für den Hauptmann sofort fest, hier konnte er nicht bleiben, der Ortsschulze mußte für ein anderes Quartier sorgen, wozu war der Mann denn sonst da, und so schickt er seinen Boten fort, um den holen zu lassen.

Der Schulze hatte es vorausgesehen, daß man ihn rufen würde, denn er wußte ja ganz genau, wie es in dem Hause des Bauern aussah, und er hatte sich schon bei Zeiten mit der nötigen Dickköpfigkeit bewaffnet, um am Ende nicht doch noch selbst den Hauptmann auf den Hals zu bekommen.

Mit einer Ruhe, die den andern vollständig nervös machte, hörte er die Klagen des Hauptmanns an, dann entgegnete er ganz gelassen: „Ich rieche hier aber wirklich nichts, Herr Hauptmann.”

„Weil Sie nichts riechen wollen!” fuhr ihn der andere an.

Der Schulze kam nicht aus seiner Ruhe: „Von nicht wollen ist hier gar nicht die Rede, denn selbst wenn ich wollte, könnte ich hier absolut keinen Geruch finden.”

Der Hauptmann fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare: „Aber Mann, hier riecht es doch nach Kühen, Schweinen, Pferdeäpfeln und anderen Sachen, es stinkt doch gen Himmel, selbst die Engel da oben müssen doch(6) ohnmächtig werden.”

Aber der Schulze bleibt(7) bei dem, was er gesagt hatte: „Sie irren sich, Herr Hauptmann, es riecht hier wirklich nicht.”

Da klopfte es an die Tür und gleich darauf trat Leutnant von Bandorf ein, um sich nach seinem Hauptmann umzusehen.

Freudestrahlend eilte der Vorgesetzte ihm entgegen: „Sie schickt mir der Himmel gerade zur richtigen Zeit. Seit einer Viertelstunde streite ich mich hier mit dem Schulzen herum, mir alleine glaubt er es nicht, bitte sagen Sie es ihm auch, daß es hier stinkt.”

Leutnant von Bandorf machte ein ganz erstauntes Gesicht: „Es stinkt hier? Aber wonach denn?”

„Na,. da hören Sie es ja, Herr Hauptmann,” rief er Schulze frohlockend, „es riecht hier wirklich nicht.”

Jetzt fiel dem Hauptmann erst wieder ein, daß sein Leutnant ja ohne jeglichen Geruch geboren war, aber so geuchlos, um selbst hier nichts zu riechen, konnte doch kein Mensch sein. So ergriff er denn in der höchsten Verzweiflung mit flehenden Geberden die Hände seines Leutnants: „Bandorf, Mensch, überlegen Sie sich doch, was Sie sagen. Riechen Sie denn wirklich nichts, gar nichts?”

Der Leutnant schnüffelte in der Stube herum: „Wirklich nicht, Herr Hauptmann, nicht das allerleiseste.”

Der Schulze machte ein ganz vergnügtes Gesicht und der Hauptmann wurde wütend: „Lachen Sie nicht zu früh,” herrschte er ihn an, „was der Herr Leutnant sagte, ist absolut nicht maßgebend, denn der ist leider ohne jeden Geruch geboren.”

Der Schulze lachte verschmitzt: „Und das soll ich glauben? Wenn Sie das jetzt plötzlich wissen, dann wußten Sie es doch vorhin auch schon und warum haben Sie denn da den Herrn Leutnant erst gefragt?”

„Weil ich es vergessen hatte!” schrie der Hauptmann ihn an: „Weil ich im Augenblick nicht daran dachte.”

„Aha, das ist etwas anderes,” meinte der Schulze. Aber der Ton seiner Stimme verriet es deutlich(8), daß er von dem, was er da zu hören bekam, nicht ein Wort glaubte.

Der Hauptmann sah schließlich ein, mit Heftigkeit war hier nichts zu erreichen, so sagt er denn plötzlich ganz ruhig: „Schön, wenn Sie mir nicht glauben, dann werde ich einige von meinen Leuten hereinrufen, die werden Ihnen bestätigen, was ich sage.”

Schon wandte er sich zur Tür, aber der Schulze hielt ihn zurück. „Die Mühe können Sie sich sparen, denn daß Ihre Untergebenen nur das aussagen, was sie sagen sollen, ist doch ganz klar.”

Der Hauptmann wußte sich keinen Rat mehr. Wenn es überhaupt noch ein Mittel gab, um von hier fortzukommen, dann mußte Bandorf doch noch etwas riechen, ganz einerlei, ob er wollte oder nicht.

Und so nahm er ihn sich denn noch einmal vor: „Bandorf, Mensch, ich beschwöre Sie. So geruchlos können selbst doch Sie nicht sein. Sie haben mir ja auch die Geschichte von Ihren toten Walfischen erzählt und ich will Ihnen gerne glauben, wenn Sie die nicht gerochen haben, aber dies hier müssen Sie riechen. Daß Sie es nicht tun, ist völlig ausgeschlossen. Bandorf, bei dem Andenken an Ihre verstorbene Frau Mutter beschwöre ich Sie, Sie haben doch eine Nase, gebrauchen Sie das Dings und riechen Sie was.”

Und der roch und roch, aber er roch doch nichts. Er wäre ja seinem Hauptmann gerne zu Hilfe gekommen, wenn der ihm nur irgendwie angedeutet hätte, wonach es hier röche.

Aber plötzlich glaubte er das auch so zu wissen. Die Bäuerin hatte ihm vorhin gesagt, sie würde das Essen gleich hereinbringen und sie hatte ihm auch verraten, was es gäbe. Und so sagte er denn jetzt, nachdem er wiederum eine Weile mit der Nase in der Luft herumgeschüffelt hatte: „Jawohl, Herr Hauptmann, jetzt rieche ich es auch ganz deutlich, es riecht(9) hier fürchterlich nach gebratenen Hühnern!” Verzweifelt fiel der Hauptmann auf seinen Stuhl, er sah ein, jetzt war alles vergebens, nun war es aus, er mußte bleiben, wo er war.

Und er blieb, aber bis an sein Lebensende begriff er nicht, wie selbst ein Mensch, der ohne Nase geboren war, den lieblichen Duft eines gut gebratenen Huhns als Gestank bezeichnen konnte.


Fußnoten:

(1) Vergleiche dazu auch die Berichte von Schlicht/Baudissins Nordlandreise im „Kleinen Journal”, in der „Lübecker Eisenbahnzeitung” und in „Über Land und Meer”. (zurück)

(2) In der Fassung von „An die Gewehre” fehlt dieser letzte Halbsatz. (zurück)

(3) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt es hier: „mitten in der Marschkolonne gehen”. (zurück)

(4) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt es hier: „wenn sie schwitzen”. (zurück)

(5) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt es hier: „wo er lustig war”. (zurück)

(6) In der Fassung von „An die Gewehre” fehlt hier das Wort: „doch”. (zurück)

(7) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt es hier: „blieb”. (zurück)

(8) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt es hier: „verriet es zu deutlich”. (zurück)

(9) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt es hier: „es stinkt hier”. (zurück)


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