Kabarett-Erinnerungen

Von Freiherr von Schlicht-Weimar
(Wolf Graf von Baudissin)

in: Kabarett Jahrbuch 1921
Herausgeber: Müller-Müller
Verlag und Reklame GmbH. Düsseldorf
Seite 138 -141


Der verstorbene Victor Happrich hat in seinem vielgelesenen Buch „Interessante Menschen" auch mich erwähnt und schreibt da: ich wäre der erste Graf gewesen, der auf dem Brettl vorgetragen, und es hätte für viele Leute einen ganz eigenartigen Reiz gehabt, einen echten, wirklichen Grafen oben auf der Bühne zu sehen. Ob der Reiz für das Publikum tatsächlich ein so eigenartiger war, vermag ich natürlich nicht zu beurteilen, ich glaube aber sicher, der Reiz, oben auf den Brettern zu sitzen, war für mich ein viel größerer, als für das Publikum der, mich dort oben nur deshalb zu sehen, weil ich ein Graf war. Darauf, das zu sein, habe ich mir in meinem ganzen Leben nie etwas eingebildet, wohl aber zuweilen etwas darauf, den von mir erfundenen Namen Freiherr von Schlicht ziemlich bekannt gemacht zu haben. Und als der Freiherr von Schlicht saß ich oben auf dem Podium. Der erste, der mich dort hinauflockte, war Ernst von Wolzogen, als er vor nunmehr 19 Jahren mit seinem Überbrettl in Dresden im Zentral-Theater gastierte, und ich ließ mich auch sehr gern verlocken, weil ich glaubte, es gäbe nichts Einfacheres, als mich des Abends auf die Bühne zu setzen und dort zwei oder drei meiner Humoresken vorzulesen. Wie gesagt, ich glaubte, es gäbe nichts Einfacheres, weil ich keine Ahnung davon hatte, welch entsetzliches Lampenfieber ich am Abend bekommen würde. Das heißt, das Fieber fing schon am Morgen des betreffenden Tages, der, wenn ich mich nicht sehr irre, ein Ostersonntag war, an. Mir war so mies, daß schon das erste Frühstück mich wieder verlassen wollte und daß es sich erst eines anderen besann, als ich ihm mit schwacher Stimme vorsang: o bleib bei mir und geh nicht fort, in meinem Magen ist der schönste Ort! Nicht einmal die Zigarre schmeckte mir und für kein Geld der Welt hätte ich etwas zu Mittag essen können. Meine Hoffnung, mir würde am Nachmittag an der frischen Luft besser werden, erwies sich als mehr als trügerisch, denn als ich, da gerade Rennen war, mit Bekannten zu diesen hinausfuhr, wurde mir noch viel elender, als mir ohnehin schon war. Das hing aber wohl auch damit zusammen, daß ich in meiner übernervösen Stimmung noch viel falscher am Totalisator setzte, als ich es auf Grund meines geringen Pferdeverstandes ohnehin stets tue. Die Pferde, denen ich an jenem Nachmittag meine Goldstücke, die es damals noch gab, anvertraute, blieben entweder beim Start stehen, oder sie warfen, kurz nachdem sie den Start verlassen hatten, ihren Reiter ab.

Und dann kam der Abend selbst. Wie ich es in der Sterbestimmung, in der ich mich befand, überhaupt fertig brachte, vor das Publikum zu treten und zu lesen, ist mir auch heute noch ein Rätsel. Aber ich las trotzdem meine Sachen, oder richtiger gesagt, ich verlas sie. So hieß es an einer Stelle einer Humoreske „Der Hauptmann sah zu, wie seine Leute Griffe kloppten", daraus machte ich: „Der Hauptmann sah zu, wie seine Griffe Leute kloppten". Aber merkwürdigerweise lachte kein Mensch, entweder, weil niemand es bemerkte, oder weil das Publikum sich sagte: dem armen Schlicht sieht man es ja auf tausend Meter an, daß er schon jetzt mehr tot als lebendig ist. Wenn wir ihn jetzt auch noch auslachen, bekommt er totsicher einen Herzschlag und fällt vom Stuhl.

Endlich, endlich war ich mit meinen Humoresken fertig, und als ich abging, schwur ich mir: das war einmal und nicht wieder, lieber auf dem Schafott hingerichtet werden.

Brauche ich es erst zu sagen, daß ich diesen Schwur nicht gehalten habe? Schon am nächsten Abend saß ich wieder auf der Bühne und das alltäglich, solange das Überbrettl in Dresden gastierte. Aber auch dann hörte ich nicht auf, zuweilen als Gast bei Wolzogen in anderen Städten aufzutreten, denn nachdem ich das erste Lampenfieber überwunden, lernte ich den Reiz kennen, der darin liegt, oben auf den Brettern zu stehen.

Und deshalb reizte es mich auch ein paar Jahre später, als ich in Berlin lebte, als Vorleser meiner Humoresken in der Jägerstraße in den Folies Bérgères aufzutreten, die damals von meinem lieben Freund Heinz Gordon geleitet wurden. Soweit ich mich entsinne, habe ich dort einen Monat hindurch allabendlich einige meiner Humoresken vorgelesen und mein dortiges Auftreten hatte zur Folge, daß ich als Gast in die Wiener Hölle(1) eingeladen wurde. Auf der Fahrt dorthin absolvierte ich ein kurzes Gastspiel in Kassel in einem Kabarett, auf dessen Namen ich mich nicht mehr besinnen kann, an dessen Spitze aber der Lautensänger Dr. Caspary stand. Auch die Namen der anderen Mitglieder habe ich vergessen, ich entsinne mich nur noch einer sehr temperamentvollen jungen Dame, die unter dem Namen Duplessy auftrat und die mit unvergleichlicher Wärme [Hat der Setzer das Wort Verve vielleicht nicht gekannt? D.Hrsgb.] Bierbaumsche Soldatenlieder sang. Noch in diesem Augenblick klingt mir der von ihr voller Wehmut gesungene Refrain ins Ohr: „Ade, mein Schatz, ade, und wenn ich dich nicht wiederseh', es ist doch schön gewesen!"

In der Wiener Hölle verlebte ich vierzehn reizende Tage, die für mich zu den schönsten Erinnerungen meines an schönen Erinnerungen ohnehin sehr reichen Lebens zählen. Das Publikum und die Presse waren gleich liebenswürdig gegen mich, und unvergessen bleiben mir auch die schönen lustigen Stunden, die ich vor und nach meinem Auftreten alltäglich in dem Künstlerzimmer der Hölle mit den anderen dort engagierten Kräften verlebte: mit Theo Körner, dem inzwischen so bekannt gewordenen Pierrot, mit Lucie König, Bela Laczky, dem so talentvollen Komponisten, und nicht zuletzt mit der leider vor einigen Jahren viel zu früh verstorbenen Frau Mela Mars. Auch der bekannte Wiener Schriftsteller Dr. Österreich war ein äußerst liebenswürdiger und ein mir sehr sympathischer Mensch.

Vierzehn Tage war ich in der Hölle und las jeden Abend zum Schluß die schöne Geschichte von dem Musketier Meier, der bei der Besichtigung seine Hose verliert. An hohen Sonn- und Feiertagen las ich die Geschichte sogar zweimal, nachmittags und abends, weil ich sie lesen mußte, denn wenn ich von meinem Freunde Meier zur Abwechslung einmal eine andere Geschichte lesen wollte, hieß es so stürmisch: „Meiers Hose!", daß dem armen Kerl nichts anderes übrig blieb, als von neuem vor versammeltem Publikum seine Hose zu verlieren.

Und „Meiers Hose" war auch die Veranlassung, daß ich die mir angebotene Verlängerung meines Gastspiels ablehnte. Ich erklärte: „Ich bleibe sehr gern, aber ohne Meiers Hose, die mir meterlang zum Halse heraus hängt und die ich ganz einfach nicht mehr lesen kann." Die hohe Direktion aber erklärte: „Sie bleiben entweder gar nicht oder mit Meiers Hose." Und da wir uns über den Punkt nicht einig wurden, packte ich Meiers Hosen in meinen Koffer und fuhr mit ihnen nach Berlin.

Trotzdem habe ich die Geschichte inzwischen zahllose Male wieder gelesen, und zwar an meinen Vortragsabenden, die mich von Danzig bis Köln, von Kiel bis nach Prag führten. Aber in einem Kabarett hin ich in den letzten 18 Jahren nicht wieder aufgetreten. Das aber ist nicht meine Schuld, sondern das liegt daran, daß kein Direktor mich durch einen neuen schönen Vertrag wieder in Versuchung führte, auf das Brettl zu steigen.

Das hat mir oft leid getan, denn wenn ich das Brettl ja auch nur vorübergehend kennen lernte, ich habe es trotzdem lieb gewonnen.

Und darum sage auch ich nun zum Schluß: Ade, mein Schatz, ade, und wenn ich dich nicht wiederseh', es ist doch schön gewesen!


Die Fortsetzung dieser Erinnerungen kann man in der zweiten Fassung der Lebenserinnerungen von Schlicht-Baudissin  —  „Was ich so erlebte”, 10.-12. Tausend, neue, vollständig umgearbeitete Auflage (Seite 178-189)  —  lesen:


Nach dem furchtbaren Krieg kam der entsetzliche Frieden, der uns die Auflösung unseres ehemals so schönen, stolzen Heeres brachte und das Verbot, fortan mehr als hunderttausend Mann unter den Waffen zu halten.

Was das, abgesehen von allen seelischen Leiden und Empfindungen, die mich das kostete, gerade für mich bedeutete, brauche ich wohl nicht erst zu sagen, denn wieder stand ich vor der schweren Frage, was nun? Ungefähr dreißig Jahre hatte ich in der Hauptsache lustige Militärgeschichten geschrieben, hatte zahllosen Menschen damit Freude bereitet, hatte mir selbst damit einen sehr anständigen Lebensunterhalt verdient, ich war mit meinem ganzen Denken und Empfinden auf das Militärische eingestellt gewesen und nun war alles mit einem Schlage aus. Niemand wollte etwas mehr vom Militär wissen. Kein Buchhändler und keine Bahnhofsbuchhandlung wagte es, meine Bücher in die Auslage zu stellen, aus Furcht, man könne ihnen die Schaufenster einschlagen oder die Auslage demolieren, wenn man da ein Buch sähe, das an das früher so beliebte und in gewissen Kreisen jetzt so verhaßte Militär erinnerte. Mit dem Militarismus war es wenigstens für lange Zeit vorbei und Schlicht mit seinen Büchern war erledigt, der gehörte einer im Handumdrehen erledigten Zeitepoche an.

Was nun? Einen anderen Beruf ergreifen konnte ich in meinem Alter nicht mehr. Ich mußte also trotz allem versuchen, mir weiter mit der Feder mein Brot zu verdienen und da stellte ich mich zum ersten Male um. Ich schrieb Bücher, deren Helden nicht mehr aktive, sondern ehemalige Offiziere waren und die sich in ihrem neuen Beruf als Kaufleute, Landwirte oder was sie sonst immer geworden, eingelebt und die sich in die neuen Verhältnisse mit bewundernswerter Energie und mit ebenso bewundernswertem Talent hineingefunden hatten. Die Bücher wurden lustig und so wurden sie auch gekauft, wenn natürlich nicht annähernd so wie meine Militärromane. Die Einnahmen gingen zurück, und ich sah nicht gerade mit allzu rosigen Brillengläsern in die Zukunft.

Da geschah es, daß ich eines Tages von einem ehemaligen Mitglied des Wiesbadener Hoftheaters, einem mir bis dahin gänzlich unbekannten Herrn Müller, der sich aber im Gegensatz zu seinen vielen Namensvettern Müller-Müller nannte und der die Bühne inzwischen mit dem Kabarett vertauschte, einen Brief erhielt. Als Herausgeber eines Kabarett-Jahrbuches bat er mich um einen Beitrag. Ich erfüllte seine Bitte, schilderte in humoristischer Weise mein erstes Auftreten bei Wolzogens Überbrettl, mein späteres in den Berliner Folies Bergères und dann mein Gastspiel in der Wiener Hölle. ich schloß den Artikel mit den Worten: „Seit der Zeit bin ich nie wieder in einem Kabarett aufgetreten, schon weil mich nie wieder ein Direktor durch einen schönen Vertrag in Versuchung gebracht hat, das Brettl von neuem zu betreten. Und da ich glaube, daß das auch nie wieder geschehen wird, rufe ich dem Brettl als Abschiedsgruß die Worte von Otto Julius Bierbaum zu: Ade, mein Schatz, ade, und wenn ich dich nicht wiederseh', es ist doch schön gewesen!” — Ein Abschiedsgruß, der schon mit Rücksicht auf mein Lampenfieber, das ich vor jedem Auftreten hatte, nicht allzu ernsthaft gemeint war.

Das Kabarett-Jahrbuch erschien mit meinem Beitrag, und der brachte ganz unerwartet den kritischen Wendepunkt in meinem Leben, denn als ich eines Morgens, es war der letzte Sonntag des August 1922, ganz ahnungslos beim Morgenkaffee saß und mich bei einer guten Zigarre meines Daseins erfreute, brachte mir meine Mädchen ein dringendes Telegramm in das Zimmer. Und nicht nur das, als ich die Depesche in Händen, sagte ich mir unwillkürlich: Schlicht pass' auf, in dem Telegramm steht was drin, und zwar nichts Alltägliches.

Und ich behielt recht, in dem Telegramm stand wirklich was drin. Der mir bis dahin gänzlich unbekannt gewesene Direktor Tenno des Corso-Kabarett Bremen telegraphierte, er hätte in dem Kabarett-Jahrbuch meinen Artikel gelesen, und teils aus eigener Initiative, teils auf Veranlassung des Herrn Müller-Müller, der bei ihm engagiert sei, frage er bei mir an, ob ich Lust hätte, zu ihm zu kommen und während des September bei ihm zu gastieren. An Gage böte er mir so und so viel.

Mein erster Gedanke war: Wieder auf das Brettl steigen? Vor Lampenfieber den ganzen Tag bis zum Abend krank sein und eines Abends auf der Bühne vor Aufregung totsicher einen Herzschlag bekommen? Niemals, für kein Geld.

Dann aber sagte ich mir: Schlage die Gelegenheit, Geld zu verdienen, nicht aus. Du wirst gut bezahlt, besonders wenn du der Direktion telegraphierst, sie müßte dir noch etliche Tausendmarkscheine (die gab es damals noch und für die konnte man sich damals noch allerlei kaufen [Anm.d.Herausgebers: Dieser Beitrag wurde in der Hochinflation geschrieben!] zulegen. Und es würde dir auch guttun, wenn du einmal ausspannst und für vier Wochen von deinem Schreibtisch fortkommst.

So überlegte ich mir denn die Sache, ehe ich einen definitiven Entschluß faßte, nochmals in aller Ruhe bei einer guten Zigarre, und als die Zigarre zu Ende geraucht war, telegraphierte ich mein Einverständnis für den Fall, daß die Gage meinen Wünschen entsprechend erhöht würde.

Das letztere geschah, und so saß ich am 1.September 1922 im Corso-Kabarett Bremen zum erstenmal wieder auf der Bühne und las meine Sachen. Es war ein Wagnis für mich, aber ein noch viel größeres für meinen liebenswürdigen Direktor Tenno, in dem ich einen der reizendsten Menschen kennen lernte, der mir je begegnet ist. Aber das Wagnis glückte dank der Nachsicht, die das Publikum mir an den ersten Abenden, bis ich mich auf den Brettern heimisch fühlte, entgegenbrachte.

Das Wagnis glückte, und „Freiherr von Schlicht im Kabarett” war bald in der Kabarett- und Artistenwelt die große Neuigkeit.

Als ich von Weimar nach Bremen abreiste, tat ich es in der festen Überzeugung, nach vier Wochen wieder zu Hause zu sein, aber es kam ganz anders. Agenten und Direktoren kamen nach Bremen, um mich zu sehen und zu hören, und ich glaube ohne Übertreibung sagen zu dürfen, daß ich in meinem ganzen sonstigen Leben zusammen nicht halb so viel antelephoniert, „angeschrieben”, und „antelegraphiert&rdquo worden bin wie in den vier Bremer Wochen. Und der Inhalt aller Anfragen war immer derselbe. Sind Sie frei? Wenn nicht, wann? Wie sind Ihre Bedingungen? Aber ich selbst brauchte mich um gar nichts zu kümmern, diese „Kümmernis” nahm mir der damalige Mitinhaber der Künstleragentur Osterwind, Düsseldorf, Herr Alfred Harlem ab, dem an dieser Stelle öffentlich für alles, was er für mich getan, mein herzlichster Dank ausgesprochen sei. Der schickte mir eine Woche hindurch jeden, aber auch jeden Abend in das Kabarett einen eingeschriebenen Eilbrief, der jedesmal einen neuen Vertrag enthielt, fertig zur Unterschrift. Aber ich wollte nicht unterschreiben, ich wollte wieder nach Haus an meinen Schreibtisch, zurück in mein schönes Heim, ich wollte doch kein herumreisender Kabarettiste werden. Das erklärte ich meinem Freund und Direktor Tenno auch, aber da kam ich schön an, denn anstatt mir beizustimmen, wurde er grob und donnerte los: „Unterschreiben Sie, Schlicht, unterschreiben Sie jeden Vertrag, den Sie bekommen. Verträge verlegen, wenn Sie einmal eine Pause machen wollen, können Sie später immer und sich krank melden, wenn Sie es einmal müssen, können Sie natürlich jederzeit erst recht. Aber jetzt nutzen Sie die Konjunktur aus, unterschreiben Sie, seien Sie froh, daß Sie auf so anständige Weise sich bei dem Kabarett Ihr sehr anständig und dick belegtes Butterbrot verdienen können, während viele Ihrer Schriftsteller-Kollegen an ihrem Schreibtisch vielleicht sehr bald nicht einmal mehr wissen, wie sie sich das trockene Brot verdienen sollen. Unterschreiben Sie und seien Sie dankbar, daß Sie sich auf lange Zeit hinaus keinerlei Sorgen zu machen brauchen.”

Und wenn ich trotz alledem manchmal nicht unterschreiben wollte, dann drückte er mir die Feder in die Hand und zwang mich in meinem eigenen Interesse zu unterschreiben.

. . . . .

So bin ich, wie ein Weimarer Freund es scherzend nennt, ein fahrender Sänger geworden und ziehe als solcher durch die Lande. Wo bin ich seit dem September 22 nicht schon überall als Gast im Kabarett gewesen? In Braunschweig, Hamburg, Leipzig, Dresden, Essen, Köln, im Sommer auf Westerland/Sylt, dann Görlitz, Breslau, Stuttgart, Elberfeld, Berlin, und wohin wird mich der Weg, wenn ich gesund bleibe und die Strapazen des Reiselebens weiterhin ertrage, noch überall führen? Das wissen nur die Herren Agenten und die Herren Direktoren.

Ich bin auf meinen Reisen zahllose Male gefragt worden, ob mir dieses ungewohnte Leben nicht sehr schwer fiele und ob es mich, der ich doch in ganz anderen Kreisen und in ganz anderen Verhältnissen aufgewachsen wäre, als die meisten anderen Kabarettkräfte, nicht oft große Überwindung koste, vor ein zuweilen doch recht ungebildetes Publikum hinzutreten und denen meine Sachen zu erzählen?

Darauf gebe ich meistens zur Antwort, daß ich kurz nach der Revolution einmal irgendwo den Satz las, man solle sich heutzutage nicht anstellen, sondern man müsse sich ganz einfach umstellen.

Das habe ich mir zur Richtschnur genommen und ich habe mich umgestellt, wie es Tausende und Abertausende taten und es tun mußten.

Und wenn es mir an manchen Abenden, an denen ich vor einem Publikum sitze, das mit mir und meinen Vorträgen nichts anzufangen weiß, wirklich nicht ganz leicht wird, mir auf die jetzige Weise mein Geld zu verdienen, die Abende bilden glücklicherweise eine so seltene Ausnahme, daß sie kaum mitzählen. Im allgemeinen werde ich in jeder Stadt, in der ich bin, jeden Abend schon bei meinem Erscheinen so freundlich begrüßt und empfangen, daß ich mich unter meinen vielen Zuhörern gleich heimisch und wohl fühle, und daß es mir eine große Freude ist, ihnen etwas von meinen Arbeiten erzählen zu dürfen.

Und noch eins erleichtert mir das Reiseleben: die vielen, vielen netten Menschen, die ich unterwegs kennen lerne und, beinahe hätte ich gesagt, die zahllosen Leute, die vor und nach meinem Vortrag zu mir kommen, um mir zu sagen, wie viel frohe Stunden ich ihnen schon durch meine Bücher bereitete und die mich aufsuchen, um mir dafür zu danken. Geradezu rührende Szenen und Episoden habe ich da erlebt, so rührende, daß mir schon oft die Tränen gekommen sind.

. . . . .

Das Leben und Treiben hinter den Kulissen eines Kabaretts ist natürlich ein ganz anderes als das bei einem Zirkus oder bei einem Theater, aber für einen aufmerksamen Beobachter hat es doch seine Reize und seine Geheimnisse, die auszuplaudern schon deshalb lockt, weil die Fernstehenden sich von dem Leben der Künstler und von allem, was damit zusammenhängt, ein meistens ganz falsches und ein meistens auch für die Künstler leider sehr wenig günstiges Bild machen. Deshalb kribbelt und krabbelt es mir schon lange in den Finger- und Federspitzen, einen Kabarettroman zu schreiben, der die Wahrheit schildert und der hoffentlich auch mit vielen falschen Anschauungen aufräumen wird, so namentlich mit denen, als wären alle Kabarettkünstler faule Nichtstuer und die weiblichen Mitglieder weiter nichts als käufliche Mädchen. Ich habe auf meinen Gastspielreisen unter den anderen Mitgliedern hochachtbare, teilweise auch sehr feingebildete Menschen beiderlei Geschlechts kennen gelernt. Alle Namen aufzuzählen würde zu weit führen, nur einen möchte ich nennen, den sehr liebenswürdigen Wiener Stimmungssänger Rudolf Dittmer, den schon deshalb, weil er im Oktober 1922, als wir in Braunschweig zusammen waren, dort den Satz geprägt hat, mit dem mich seitdem in jedem Kabarett jeden Abend der Conferencier ansagt, die Worte:

„Ein Tisch – ein Stuhl – etwas Licht – – – Freiherr von Schlicht”.

Vieles, vieles habe ich natürlich auch auf meinen Gastspielreisen in den verschiedensten Städten und in den verschiedensten Kabaretts erlebt, doch das erzähle ich später mal in meinem Kabarettroman, vorausgesetzt, daß ich noch einmal dazu komme, ihn zu schreiben. Und darum und deshalb mache ich nun mit dem, was ich so erlebte, ganz einfach, kurz und bündig

Schluß!


Fußnoten:

(1) Das Kabarett „Die Hölle” wurde von den Brüdern Siegmund und Leopold Natzler am 6.Oktober 1906 im Keller des „Theaters an der Wien” eröffnet. (zurück)



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© Karlheinz Everts