Im „Tag”, der bekannten Berliner Zeitung, veröffentlichte im März. d.J. Freiherr von Schlicht eine Artikelserie, die wir mit gütiger Erlaubnis des Verfassers auch den Lesern unseres Blattes in dieser und den folgenden Nummern wiedergeben. |
Ich habe es eben an meinen mir von der weisen Natur dazu eigens verliehenen fünf Fingern, die aber in Wirklichkeit ja glücklicherweise zehn sind, nachgezählt: es sind nun schon neunzehn lange Monate, daß ich als fahrender, nicht singender Sänger durch Deutschlands Gaue fahre, um, dem Zuge der Zeit folgend, in den ersten und vornehmsten Kabaretten meine Humoresken mehr frei zu erzählen als vorzulesen. Und da erlebe ich es in jeder, aber auch in jeder Stadt, daß der eine oder der andere meiner Zuhörer nach meinem Vortrag zu mir kommt und mir sagt: Nicht wahr, Sie sind doch gar nicht der wirkliche Schlicht, denn der Schlicht, der all die zahllosen Bücher geschrieben, und mit denen er so viel Geld verdient und erspart hat, der hat es doch selbstverständlich nicht nötig, zum Kabarett zu gehen.
Nicht wahr, Sie haben doch nur die Erlaubnis, unter dem Namen Schlicht aufzutreten und dessen Sachen zu lesen? Und wenn ich den Leuten dann erkläre: Ihr irrt euch, ich bin wirklich der Schlicht, und selbst wenn ich soviel verdient und erübrigt hätte, wie Ihr glaubt, und Millionen und aber Millionen besäße, wollt Ihr mir dann, bitte, sagen, wie ich heute von den Zinsen leben sollte? Dann geben sie mir zur Antwort: Ja, das allerdings, da haben Sie recht, aber trotzdem –, trotzdem glauben sie mir nicht und gehen kopfschüttelnd davon. Na, laß sie schütteln.
Auf meinen Kabarettfahrten bin ich zahllose Male gefragt worden, wie ich denn eigentlich zum Kabarett gekommen wäre, denn früher hätte ich dort doch auch nicht gelesen, was ich in Wirklichkeit aber doch tat. Ich bin oft bei dem Wolzogen-Überbrettl als Gast aufgetreten, vor etwa zwanzig Jahren auch schon hier in Berlin in den früheren Folies Bergères und im Anschluß daran in der Wiener Hölle, zusammen mit Frau Mela Mars, mit Rudolf Österreicher, dem jetzigen erfolgreichen Verfasser von Operettentexten, und mit Theo Körner, der nun selbst in Berlin ein Kabarett leitet. Ich hatte also schon verschiedentlich auf dem Nudelbrett, wie wir vom Bau das Podium nennen, gestanden, als ich Ende August 1922 von dem mir bis dahin gänzlich unbekannten Direktor Tenno des Bremer Corsokabaretts völlig unerwartet ein dringendes Telegramm erhielt, er hätte in einem Kabarett-Jahrbuch einen Beitrag von mir gelesen, erfahren, daß ich früher schon getingelt hätte, und er frage bei mir an, ob ich nicht im September zu ihm kommen und als Gast bei auftreten wolle. Mein erster Gedanke war: ausgeschlossen; aber das schloß natürlich nicht aus, daß ich mir seinen Vorschlag reichlich überlegte.
Die Zeiten waren damals für einen freien Schriftsteller mehr als belämmert, und dazu kam noch eins: ich hatte in Bremen einen sehr lieben Freund, der für mich, den leidenschaftlichsten Raucher, den ich kenne, eine mir sehr sympathische Eigenschaft besitzt: er ist Zigarrenfabrikant.
Der Freund lockte, die schönen Zigarren, die ich bei ihm umsonst rauchen würde, lockten, das Honorar lockte, und der Gedanke, mal von meinem Schreibtisch in Weimar, wo ich seit 16 Jahren wohne, für vier Wochen fortzukommen, hatte auch sehr viel Verlockendes. So telegraphierte ich nach Bremen nicht „ausgeschlossen”, sondern „einverstanden, wenn gebotenes Honorar um etliche Tausendmarkscheine erhöht wird”, denn damals gab es noch solche Scheine, und wenn man die besaß, konnte man sich für die auch noch allerlei kaufen. Das von mir geforderte Honorar wurde bewilligt; so reiste ich denn nach Bremen, und nahm von meiner Pflegetochter und von meinem schönen Heim mit den Worten Abschied: In vier Wochen bin ich wieder zu Hause.
Aber aus den vier Wochen wurden ohne jede Unterbrechung zunächst acht lange Monate, in denen ich von einer Stadt, von einem Kabarett zum anderen fuhr, oder richtiger gesagt, gefahren wurde, denn ich selbst wollte immer wieder nach Haus, ich wollte zurück an meinen Schreibtisch; aber die Direktoren und die Agenten dachten darüber anders, die kümmerten sich den Teufel was um das Vaterunser „Und führe mich nicht in Versuchung”, sondern sie verführten mich mit schönen Verträgen immer und immer wieder, und die Versuchungen sind ja bekanntlich nur dazu da, daß man ihnen unterliegt, sonst hätte das ganze Inversuchungkommen ja auch absolut keinen Reiz.
Ich unterschrieb und unterschrieb, und fuhr von Bremen nach Braunschweig, Hamburg, Essen, Mannheim, Leipzig; kurz und gut, ich fuhr in der Welt herum, als wäre ich in meinem Leben noch nie gereist, und habe doch schon so viel von der Welt gesehen. Ich war im Norden in Spitzbergen und im ewigen Eis, im Osten am Schwarzen Meer, im Süden in Jerusalem und Damaskus, und im Westen bis an die Grenze von Spanien. Aber zwischen den früheren Reisen und den jetzigen bestand und besteht ein großer Unterschied.
Damals ging ich nur hin und wieder in das Kabarett, jetzt muß ich das jeden Abend, auch wenn ich mal absolut keine Lust habe oder mich nicht ganz wohl fühle. Und beides ist oft vorgekommen. Aber trotzdem habe ich in den neunzehn Monaten, die ich jetzt bei dem Kabarett bin, nur einen einzigen Abend ausgesetzt, und das habe ich mit Abzug der vollen Tagesgage teuer genug bezahlen müssen, denn wie heißt es in dem Gesetzbuch? „Die selbstverschuldete Trunkenheit des Täters bildet keinen Strafmilderungsgrund.” Und wenn ich nur an all den Sekt denke, den man an dem Tag in mich hineingegossen hatte, bekomme ich heute in der Erinnerung noch drei Kater.
Wie viele Leute haben mir nicht in den letzten Monaten erzählt: Sie führen doch jetzt ein wundervolles Leben und verdienen sich Ihr Geld spielend leicht; Sie gehen des Abends in das Kabarett, erzählen den Leuten etwas, und dann gehen Sie wieder nach Haus.
Ja, nur daß man kein Haus hat, sondern immer im Hotel wohnt, und wenn ich auch stets in den besten wohne: das eigene Heim ist es doch nicht, besonders wenn man, wie ich, mit seinen siebenundfünfzig Jahren kein ganz junges Mädchen mehr ist.
Und damit, daß man nur in das Kabarett geht und seinen Zuhörern etwas erzählt, ist es auch nicht getan, und selbst wenn es nur das wäre, auch das greift an, auch das spannt ab, denn man hat doch jeden Abend ein neues Publikum, man hat bis zu einem gewissen Grade jeden Abend Première, und wenn man zu erzählen anfängt, weiß man nie, wie wird es enden, denn das hochverehrte Publikum ist in seiner Stimmung immer verschieden, manchmal geht es auf jeden Witz ein und will sich krumm und krank lachen, dann aber kommen wieder Abende, an denen das Publikum duff, duffer, am duffsten ist, wie wir es nennen.
Da hat es entweder seinen Lachmuskel oder seine Hände, zuweilen auch beides vergessen zu Hause, oder es hält es unter seiner Würde, von denen auch nur den kleinsten Gebrauch zu machen. Dann kann man dort oben auf dem Nudelbrett anstellen, was man will, es lacht „kein Aas”, und wenn man glücklich unten ist, freut man sich, daß man zum Abschied nicht noch eine leere Sektflasche an den Kopf bekommen hat. Ob und welchen Erfolg man am Abend haben wird, weiß man selbst dann nicht, wenn man immer dasselbe erzählt, denn der selbe Witz, der heute zündet, geht morgen spurlos vorüber, er wird auch dann nicht belacht, wenn man den Leuten eine halbe Minute Zeit läßt, um ihnen klar zu machen: Was ich da eben sagte, sollte ein Witz sein, nun tut mir den Gefallen und lacht auch mal.
Ich sagte bereits, der Erfolg wäre selbst dann ganz ungewiß, wenn man jeden Abend dasselbe brächte, und ich setze hinzu, wenn man immer dasselbe bringen könnte. Das heißt, können könnte man es schon, obgleich in den Kabaretten in der Provinz für den 16. eines jeden Monats ein Wechseln des Programms vorgeschrieben ist. Aber wie sieht es mit diesem Wechseln des Programms in Wirklichkeit aus? Der Künstler bringt am 16. und vielleicht noch am 18. seine neuen Sachen, weil er es muß, dann aber kehrt er reumütig zu seinem ersten Repertoire zurück, weil die Darbietungen, ganz einerlei welcher Art, mit denen er sich bei seinem ersten Auftreten in seinem neuen Engagement eingeführt hat, natürlich seine besten sind und weil er mit dem, was er in der zweiten Monatshälfte bringt, selbstverständlich in seinem eigenen Interesse, aber auch in dem seiner Direktion nicht abfallen will, zumal in der Provinz, wo sich das Publikum ja aus Stammgästen zusammensetzt, die sich jedes Programm Gott weiß wie oft ansehen, der Besuch der zweiten Monatshälfte ohnehin nachläßt, und das erst recht, wenn der Programmwechsel keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung bedeutet.
Lieber hört sich das Publikum dieselben Sachen immer wieder und wieder an, und darin liegt nach meiner unmaßgeblichen Meinung auf Grund dessen, was ich auf meinen Kabarettfahrten beobachtet habe, eine große Gefahr für das Publikum, für die Künstler, aber auch für das Kabarett selbst, ohne daß ich allerdings wüßte, wie dem abzuhelfen wäre, denn das Publikum ist selbst an diesem Mißstand schuld, da es die Sachen, die ihm gefallen, immer und immer wieder hören will.
Ich habe Leute gesprochen, die mir sagten: nein, in das Kabarett gehe ich nicht, da ist der und der oder die und die engagiert, und was die bringen, kenne ich schon seit einer ganzen Reihe von Jahren. Und dann bin ich auch weiter gefragt worden: Wie können die Künstler und Künstlerinnen immer dasselbe bringen, ohne dabei blödsinnig zu werden und ohne dabei Gehirnerweichung zu bekommen? Worauf ich den Fragern oft die Antwort gab: Wie konnte der verstorbene Schauspieler William Büller jahraus jahrein – um nicht zu sagen tagein tagaus – in dem bekannten Schwank „Der Raub der Sabinerinnen” die Rolle des Striese spielen, ohne reif für das Irrenhaus zu werden?
Ein Künstler, der es mit seiner Kunst ernst nimmt, der auch im Kabarett jeden Abend sein Bestes und damit sich selbst gibt, und das ist die Regel, der bringt an jedem Abend dieselbe Sache mit demselben heiligen Feuer wie am ersten, der kämpft jedesmal mit seiner ganzen vollen, ehrlichen Kraft um den Erfolg und kommt oft, selbst wenn es sich nur um eine Vortragsnummer handelt, in Schweiß gebadet von der Bühne herunter. Der denkt garnicht daran und der weiß es auch gar nicht, daß er schon tausendmal dasselbe Lied sang oder denselben Vortrag rezitierte.
Das sind die wirklichen Künstler, die es auch im Kabarett mit ihrer Kunst und mit ihrer Arbeit verdammt ernst nehmen, es auch ernst nehmen müssen, weil von ihrem Erfolg die Verträge, die neuen Anschlüsse abhängen, denn heutzutage einen Monat oder gar noch länger ohne Vertrag oder wie es genannt wird, ohne Anschluß zu sein, ist ein finanzieller Verlust und Luxus, den sich nur die allerwenigsten gestatten können. Daher auch in jedem Kabarett, besonders für die Nummern, die noch nicht bei den Direktoren oder bei den Agenten eingeführt sind, die bange Frage, wo bist du im nächsten Monat? Bis zum 15. ist man noch ruhig und geduldig und sagt sich, es wird sich schon was finden, dann aber fangen die Betreffenden – und das mit vollem Recht – an, nervös und ungeduldig zu werden, und immer ängstlicher lautet die Frage im Büro: Ist noch kein Brief für mich angekommen, und hat noch niemand meinetwegen telephoniert? Und wirklich rührend ist es, wie alle, auch die, die einen fetten Anschluß in der Tasche haben, und die erst recht, Anteil nehmen an den armen Kollegen und Kolleginnen, die noch ohne Anschluß dasitzen und voller Sorge in die Zukunft sehen. Und ich habe es mehr als einmal erlebt, daß dann noch am letzten Abend des gemeinsamen Zusammenarbeitens sich ein Künstler an die Telephonstrippe hängt, einen ihm befreundeten Direktor anruft und dem erklärt: Sie, lieber Freund, wir haben hier den und den, oder die und die, Sie müssen die Nummer ganz einfach engagieren, selbst wenn Ihr Programm mehr als besetzt ist, da hilft Ihnen kein Gott. Der Teufel soll Sie sonst holen, und ich selbst komme nie wieder zu Ihnen, auch dann nicht, wenn Sie mir die allerhöchste Gage zahlen, was Sie ja aber außerdem doch nicht tun, wenn Sie die Nummer nicht jetzt sofort telephonisch engagieren.
Fast immer glückt das, und der, der den Vertrag im letzten Augenblick vermittelte, freut sich darüber, daß es ihm gelungen ist, meistens noch mehr als der, der nun wieder für vier Wochen untergebracht ist. Was im nächsten Monat wird, danach fragt keiner, das wird sich auch schon wieder finden. Vorläufig setzte sich die kleine Soubrette oder wer es sonst ist, glückselig in die Bahn, fährt auf Kosten ihrer neuen Direktion im D-Zug 3. Klasse in das neue Engagement und kommt, wenn sie Glück hat und falls die Reise nicht gar zu weit ist, dort so rechtzeitig an, daß sie mit dem Kapellmeister noch eine kurze Probe haben kann. Sonst muß es eben ohne die gehen, so gut oder so schlecht, wie es eben am ersten Abend geht.
Überhaupt der erste Abend, der hat es für alle Beteiligten in sich. Ich habe es, als ich im Dresdener Belvedere war, erlebt, daß eine Nummer, dank der miserablen Bahnverbindung, eine Viertelstunde, bevor sie auftreten mußte, aus München eintraf. Das Ehepaar war die ganze Nacht und den ganzen Tag durchgefahren und hatte kaum soviel Zeit sich umzuziehen. Unmittelbar darauf mußten sie arbeiten, und es war eine Akrobatenarbeit, noch dazu eine Kopf- auf Kopfnummer, und die Frau des Artisten erzählte mir hinterher, sie wäre, todmüde wie sie war, am liebsten mit ihrem Kopf auf dem des Mannes stehend eingeschlafen. Abgespannt und müde sind aber am ersten Abend alle, und ganz frei von Lampenfieber ist da wohl keiner, denn man arbeitet nicht nur vor einem neuen Publikum, sondern auch in einem neuen Lokal, in dem man sich noch nicht heimisch fühlt. Und man sollte es nicht glauben, wieviel für den Erfolg allein schon von dem Raum, in dem man auftritt, abhängt. Ich war verschiedentlich mit einer Lautensängerin zusammen engagiert, einer ganz, ganz großen Kanone, wie wir es nennen, die stets und überall einen Erfolg hatte, daß die Leute tobten und rasten. Und dann hörte ich sie einmal in einem Kabarett, in dem sie so hinten runterfiel, daß sich kaum eine Hand zum Applaus rührte. Und das verstand ich erst, als ich selbst ein paar Tage später bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in demselben Haus auftrat, und als mich da auf dem Nudelbrett eine Kälte, oder wie ich das sonst nennen soll, umgab, daß ich mir sagte: Hier kann ja kein Mensch, und wäre es selbst Otto der Größte, Otto Reutter, den Kontakt zwischen sich und dem Publikum herstellen. Und der Kontakt ist für den Künstler zum mindesten ebenso wichtig wie der Kontrakt.
Das Publikum ist in allen Kabaretts, ganz einerlei in welche Stadt man kommt, eigentlich überall dasselbe, und es hat überall denselben Wunsch, es will sich amüsieren und ist dankbar für das, was ihm geboten wird. Je größer die Stadt, je verwöhnter das Publikum, desto anspruchsvoller ist es selbstverständlich, aber selbst in der Großstadt wird das Publikum im Kabarett kaum jemals eine Nummer des Programms ablehnen, selbst die erste Nummer nicht, die naturgemäß nicht die allerbeste oder wenigstens nicht die allerteuerste ist und sein kann. Ach, die unglückselige erste Nummer, die meistens noch vor einem halb oder gar dreiviertel leeren Hause arbeiten muß. Keiner und keine will die erste Nummer arbeiten, falls das nicht ausdrücklich im Vertrag vereinbart ist, alle haben den Ehrgeiz, bei ihrer Arbeit gesehen und gehört zu werden, und fast an jedem Premierenabend tobt hinter den Kulissen der Kampf: wer macht die erste Nummer? Und der artistische Leiter wird immer aufs neue bestürmt, die von ihm aufgestellte Reihenfolge des Programms zu ändern.
Ganz leicht hat es der Herr dann nicht, die erregten Gemüter zu beruhigen und die Wünsche seiner Künstler, soweit es ihm möglich ist, zu erfüllen. Oft geht alles im guten ab, manchmal geht es aber auch hart auf hart, und ich sehe in diesem Augenblick ganz deutlich den artistischen Leiter eines großen Kabaretts vor mir, der mir vor einigen Wochen, vor Erregung einem Schlaganfall nahe, zurief: „Schlicht, Sie sind ja ein vernünftiger Mensch, mit Ihnen kann man reden, und Sie haben wenigstens die gute Eigenschaft, daß Sie sehr anständige Zigarren rauchen und mir von denen immer welche mitbringen, aber die andere Gesellschaft? Noch ein Jahr in diesem Affenstall und ich sitze selbst als Affe im Irrenhaus.” In das Irrenhaus wird der selten liebenswürdige Mensch ganz gewiß nicht kommen, aber leicht haben er und seine Kollegen es auch ganz gewiß nicht, obgleich natürlich jeder der Künstler darauf schwört, daß gerade er seinem Direktor niemals Schwierigkeiten macht und der verträglichste und bescheidenste Mensch nicht nur in ganz Europa, sondern auf der ganzen Welt ist.
Dagegen habe ich es kaum jemals erlebt, daß es zwischen den Mitgliedern eines Programms selbst zu ernsten Reibereien gekommen wäre. Kleine Differenzen sind ja unvermeidlich, aber ich möchte sagen, daß überall ein echter kameradschaftlicher Geist herrscht, der sich auch dadurch zeigt, daß einer dem anderen hilft, wo er nur kann. Das aber schließt trotzdem nicht aus, daß die kleinen Nummern auf die großen eifersüchtig und neidisch sind und ihnen nicht nur die höhere Gage, sondern auch den größeren Erfolg mißgönnen. Das aber finde ich vollständig begreiflich, denn jeder will möglichst viel verdienen, und jeder hat den Ehrgeiz, am besten zu gefallen, schon um dadurch gute Kritiken und durch diese neue gute Verträge zu bekommen. Ehrgeizig sind sie fast alle, und ich habe kaum einen kennengelernt, der sich da oben hinstellt und seine Nummer ableiert, unbekümmert darum, ob er gefällt oder nicht. Und wie die Künstler, so sind auch die Künstlerinnen, einerlei ob groß und berühmt, oder klein und ob Anfängerinnen, und nichts ist falscher als die weitverbreitete Ansicht, daß die Sängerinnen und Tänzerinnen bei dem Kabarett weiter nichts sind, als gefällige Mädchen, die nur auf den reichen Kavalier warten, um sich dem sofort, wenn er anständig bezahlt, für eine oder mehrere Nächte hinzugeben. Daß es unter den zahllosen weiblichen Kabarettdamen auch solche gibt, kann man natürlich nicht leugnen, aber das sind verschwindende Ausnahmen, und ich persönlich habe bisher nur eine einzige kennengelernt, die aber wenigstens so ehrlich war, offen zuzugeben, daß sie ihre Kunst lediglich als Nebenberuf betriebe. Und im Zusammenhang damit möchte ich noch etwas sagen, was ich schon oft in der Unterhaltung gesagt habe, was mir aber nie geglaubt wurde, daß überall in den Kabaretts, auch in der Provinz, wenigstens soweit ich das beobachtet habe, ein sehr anständiger Ton herrscht. Wie kein Direktor es dulden wird, daß eine seiner Nummern auf der Bühne mit Zoten arbeitet, so geht es auch hinter den Kulissen sehr anständig zu, und ich habe während meiner ganzen bisherigen langen Kabarettzeit hinter den Kulissen noch nie einen unanständigen Witz gehört. Und in den meisten Kabaretts wird sehr streng auf gute Sitten und auf Anstand gehalten. Ich kenne verschiedene Kabaretts, in denen der Page jeden Brief, den er von einem Gast an eine Künstlerin bringen soll, dem Conférencier übergeben muß, und ich habe es mehr als einmal gehört, daß dieser dem Pagen den Brief mit den Worten zurückgab: „Bringen Sie dem Herrn den Brief wieder und sagen Sie ihm von mir, aber auch von der Dame, er wäre hier in einem Kabarett und in keinem Bordell; wenn er das letztere sucht, soll er wo anders hingehen.” Nein, im Kabarett wird nicht gezotet, und wie schon gesagt, niemals auf der Bühne, am wenigsten in der Provinz, weil es dort ja meistens ein Familienpublikum ist, das in das Kabarett geht, um sich dort zu zerstreuen. Was man als Vortragender bringt, muß klar und deutlich, es kann auch manchmal derb, aber es darf nie roh sein. So etwas will das Publikum nicht, aber es will noch eins nicht, es will nicht viel nachdenken, sondern das, was es zu hören bekommt, auch gleich verstehen. Deshalb sind überall meine Versuche, meinen sonst so dankbaren und liebenswürdigen Zuhörern meine Satiren zu erzählen, auf das glänzendste gescheitert; sie wirken ganz einfach nicht, man muß seinen Zuhörern den Witz und die Pointe wie einen Ball mitten in das Gesicht werfen, dann lachen sie, sonst geht das, was man sagt, spurlos vorüber.
Mit meinen Satiren habe ich nirgends Glück gehabt. Dafür wirken meine Soldatengeschichten desto mehr, und es ist meine größte Freude, daß sie auch heute noch so gefallen, denn ich betrachte es als meine Aufgabe, durch meine Vorträge im Kabarett die Erinnerung an unser früheres schönes, stolzes deutsches Heer wachzuhalten und die Liebe zu unserem jetzigen kleinen Heer zu erwecken. Und es ist mir weiter eine ganz große Freude, daß in allen Kabaretts, auch hier in Berlin, keins meiner Bücher so fleißig gekauft wird, wie mein neuer Militärroman „Das Millionenmädel”, der in den Kreisen der Reichswehr spielt. Wir sind doch Gott sei Dank alle noch verdammt militärfromm, oder wir sind es glücklicherweise alle wieder geworden.
Und mit dieser frohen Erkenntnis, die ich auf meinen Kabarettfahrten, aber auch hier in Berlin letzthin wieder machte, als ich im Tiergarten die Wache aufziehen sah, ganz wie in früheren Zeiten, begleitet von vielen hundert halbwüchsiger Jungens, aber auch vielen hundert Erwachsener, beendige ich diese Plaudereien, und das auch noch aus einem anderen Grunde, mein Hotelpage meldet mir, daß das Auto vor der Tür steht. Die Pflicht ruft, ich muß in das Kabarett fahren.
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© Karlheinz Everts