"Komm', willst Du mich reiten sehen?"

in: „Lübecker Eisenbahn-Zeitung” Nr. 34 vom 9. Februar 1893 Seite 2,
in: „Unser Hausfreund”, Sonntagsblatt des Hannoverschen Couriers Nr. 135 vom 2.Juli 1893,
in: „Nebraska Staats-Anzeiger” vom 2.8.1894

(Heinrich IV.)

Von
Graf Günther Rosenhagen


(Nachdruck verboten)

Bei dem Liebesmahl ging es, wie immer, lustig her. Jung und Alt, Vorgesetzte und Untergebene hatten sich an der festlich geschmückten Tafel versammelt. Scherzworte gingen von Mund zu Mund, die Regimentsmusik ließ muntere Weisen ertönen, die Gläser wurden eifrig geleert und die Zahl der Sektflaschen vermehrte sich mit erschreckender Geschwindigkeit.

Wie immer bei solchen Gelegenheiten hatten sich auch heute die guten Freunde und die einander besonders nahestehenden Offiziere gruppenweise zusammengesetzt und wohin man hörte und sah, überall Gelächter und vergnügte Gesichter. Denn die schwerste Zeit des Dienstes, das Manöver, war beendet; Wochen mühsamer, rastloser Arbeit waren vergangen, gestern war das Regiment in seine Garnison zurückgekehrt und wie der Deutsche nun einmal ist: freut er sich, so trinkt er.

An einer Ecke der hufeisenförmig gedeckten Tafel ging es besonders lebhaft her. "Gott sei Dank", sagte ein etwas wohlbeleibter Offizier, "Gott sei Dank, daß wir wieder zu Haus sind! Wenn man, wie ich, fast seine zweihundert Pfund wiegt, so ist es wahrhaftig kein Vergnügen, sechs Wochen lang täglich acht Stunden per pedes apostolorum durch das Gelände zu ziehen. Als ich noch in Dingsda in Garnison stand, durften wir Älteren uns wenigstens noch ein Pferd in das Manöver mitnehmen; aber hier ist es ja gräßlich! Ja, wenn man noch reiten dürfte!"

"Hurrah, Hagen zu Pferde!"

"Sie fallen ja doch gleich wieder herunter -" so tönte es von alle Seiten.

Würdevoll reckte Hagen sich empor. Wie sein berühmter Ahn überragte er die ganze Tafelrunde um Haupteslänge.

"Thoren," sprach er, "Ihr wagt es, Euch über mich lustig zu machen? - Habe ich Euch nicht erzählt von den großen Touren, die ich zu Pferde unternommen, von den schönen Gäulen, die ich besessen habe? - Lacht nur, zu Fuß, das weiß ich, nehme ich es mit Keinem von Euch auf. Aber komm, willst Du mich reiten sehen?" wandt er sich plötzlich mit Percys Worten an die erstaunten Zuhörer: "Komm willst Du mich reiten sehen? - Wenn ich zu Pferde bin, dann will ich schwören, ich liebe Dich unendlich."

Einen fast drohenden Klang hatte seine Stimme angenommen und seine großen Augen schauten verächtlich im Kreise umher. Einen Augenblick schwiegen Alle, von neuem rief Hagen herausfordernd: "Willst Du mich reiten sehen?"

"Ja, ja, gewiß! Was gilt die Wette, daß er doch nicht reiten wird?"

"Ich wette fünfzig Mark."

"Und wie viel, daß er 'runter fällt?"

"Hundert Mark."

"Gut, abgemacht! Hagen, wollen Sie mein Pferd?"

"Ich kann Ihnen ein famoses Thier empfehlen, fromm - lammfromm -" so schwirrten die Ausrufe durcheinander.

Unbeweglich, als wenn ihn die ganze Sache überhaupt nichts anginge, saß Hagen da.

Als aber der Lärm zu groß, die Wetten zu unsinnig wurden, erhob er sich in seiner ganzen Größe und sprach:

"Wir werden reiten! Glaubt Ihr, ein Hagen hätte Angst vor einer Mähre?"

Der Ritt wurde endgiltig beschlossen; Hagen verpflichtete sich, auf einem Pferde, das zu stellen er den Kameraden überließ, das aber keine heimtückischen Mucken haben durfte, nach dem etwa eine Stunde entfernten Dorfe Z. zu reiten und dort eine Postkarte an das Regiment einzustecken. Gegenstand der Wette war ein solennes Frühstück.

Der Tischälteste wünschte gesegnete Mahlzeit. Die Lichter wurden auf den Tisch gestellt, Cigarren herumgereicht und damit die letzten Schranken für eine ausgelassene Heiterkeit weggeräumt. - Die Wogen der Freude und Lust gehen immer höher. Die Musik spielt flotte Walzer, in den Nebensälen haben die jüngeren Kameraden sich umfaßt und tanzen wie toll; wieder andere, ernsthafte Männer, haben sich zu einem seßhaften Trunk vereinigt und sind von blauen Dampfwolken eingehüllt. - An einem kleinen Tisch in der äußersten Ecke des Saales, ganz allein mit der schönen Wittwe Cliquot, saß ein Offizier, den schweren Kopf in die Hand gestützt, starr vor sich hinblickend - es war Hagen. Alle Versuche, ihn der Einsamkeit zu entreißen, waren vergebens, auf alle Anforderungen lallte er schließlich nur noch:

"Komm', willst Du mich reiten sehen?"

Ein undefinirbares ungemüthliches Gefühl hatte sich seiner bemächtigt. War es Furcht? Pah, ein Hagen fürchtet sich nicht! - Wovor auch? Vor dem Ritt am nächsten Morgen? - Gewiß nicht!

Lieber aber wäre es ihm doch, wenn er nicht nöthig hätte, das Pferd zu besteigen. Denn daß er ein miserabler Reiter war, wußte Niemand besser, als er selbst. Seit seinen Kriegsschuljahren hatte er keinem Thier sein kostbares Leben anvertraut und das war nun schon zehn Jahre her. Zehn lange Jahre. Ob er sich wohl noch im Sattel halten würde, ob er wohl noch eine Ahnung von der Zügelhaltung hätte? Welchen Zügel gebrauchte man, die Trense oder die Kandare? Oder gar Beide? Und wenn ihm ein Unglück passirte? - Die Blamage, der nie versiegende Spott der Kameraden, wenn er herunterfiele! Aber wie kam er auch nur auf den Gedanken, so zu renommiren?

Er schaute trübe lächelnd in sein Champagnerglas; fand er darin vielleicht die Antwort auf seine Frage?

Der nächste Morgen war für Hagen dienstfrei. Mit einem Kopf gewiß so wüst, wie der des Kämmerers Spazza nach seinem Gesandtschaftsritt, lag er, halb wachend, halb träumend, in seinem Bett. Er hatte das Gefühl, als wenn ihm heute etwas Großes, etwas Besonderes bevorstände. Aber was? Er konnte sich gar nicht darauf besinnen! - Da öffnete sich die Thür seines Schlafzimmers und herein trat der Adjutant.

"Das ist ja famos, daß ich Sie noch treffe! Ich habe zufällig in X. zu thun - kommen Sie rasch, ich habe mein Pferd unten - das Ihrige ist auch bereits da, wir reiten dann zusammen hinaus."

Reiten, das war es! Mit Centnerlast fiel es ihm aufs Herz - aber was machen? - So schnell sein Kopfschmerz es ihm erlaubte, stand er auf, zog sich zum größten Erstaunen seines Burschen hohe Stiefel an, befestigte sogar auf Zureden des Kameraden ein Paar verrosteter Sporen an den Hacken und folgte schweren Herzens dem Voranschreitenden.

"Vielleicht geht das Pferd ruhiger, wenn es mit einem anderen zusammen ist," war seine stille Hoffnung, als er vor dem ungeduldig mit den Hufen scharrenden Thiere stand.

"Wie komme ich nur hinauf?" - Das machte ihm viele Sorgen. Alle Versuche, den Fuß bis zum Steigbügel zu erheben, waren vergebens.

"Ich habe mir doch in diesem Manöver einen bösen Rheumatismus geholt; Sie thäten wirklich ein gutes Werk, wenn Sie bei dem Kommandeur mal ein gutes Wort für mich einlegen würden - könnte ein Kommando gebrauchen," wandte er sich verzweiflungsvoll lächelnd an seinen Begleiter, der schon längst zu Pferde saß.

Plötzlich öffnete sich die Hausthür und die Wirthin erschien mit einem kleinen Küchentritt.

"Nee, Herr Leutnant, das kann ich nicht mehr mit ansehen, wie Sie sich abquälen müssen; kommen Sie man, es sieht ja keiner."

Hagen stieg vorsichtig die Stufen empor, stellte den Fuß in den Bügel und saß einen Augenblick später wirklich im Sattel. - Zuerst ging es ganz gut, das Pferd war ruhig und fromm, es wollte sich erst an die schwere Last gewöhnen; außerdem ritten sie noch im Schritt auf dem Straßenpflaster.

Hagen athmete erleichtert auf; es schien ja wirklich ein selten vernünftiges Thier zu sein! Wie wollte er stolz sein, wenn er nicht herunter fiele, wenn -

"Aber Hagen, was ist denn los?"

Hagens Pferd machte einen großen Satz, der erschrockene Reiter griff mit beiden Händen nach dem Stabsoffizierszügel, dem Sattelknopf. Der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn.

"Ich glaube, ich habe das Thier soeben mit den Sporen berührt," sagte er entschuldigend, "ich hatte solch starkes Reißen im rechten Bein."

Langsam näherte man sich der Chaussee.

"Kommen Sie, lassen Sie uns einen ordentlichen Trab machen, dabei verlieren Sie Kopfschmerz und Rheumatismus! - - Aber Bester, traben Sie doch englisch, das hält der Gaul bei Ihrem Gewicht ja sonst nicht aus!"

Der Unglückliche gab sich Mühe, der Aufforderung nachzukommen, er faßte die Zügel fester, setzte sich in dem Sattel zurecht, kam dem schon durch den unruhigen Sitz seines Reiters nervös gewordenen Pferde mit beiden Sporen in die Seite, und in riesigen Sätzen ging der Gaul durch. Alle Versuche, zu halten, waren vergeblich, - so ging es die Chaussee entlang, bis an das Dorf. Erschrocken flohen die Kinder davon, lautes Fluchen und Schimpfen tönte hinter ihm her, als er einen Kinderwagen, der glücklicherweise leer war, über den Haufen warf - immer schneller flog er vorwärts!

Endlich lag das Ziel seines Rittes, das Wirthshaus vor ihm, aber was war das? - - Standen nicht zwei lachende Kameraden vor der Thür? -

"Und wenn ich Dir Satan das Maul entzwei reiße, stehen sollst du!"

Er gab eine Sekunde mit den Zügeln nach und riß sie dann mit furchtbarer Gewalt zurück. Da gab es einen Krach - der Kandarenzügel riß, Hagen verlor das Gleichgewicht und jagte dem Thier beide Sporen in die Seiten. Einen Augenblick später lagen Roß und Reiter am Boden und der wild emporstrebende Gaul schlug seinem Peiniger derartig mit dem Hufe gegen die Schulter, daß dieser das Bewußtsein verlor.

Das war freilich ein trauriger Ausgang der Wette! - Aber als Hagen nach einigen Wochen genesen das Kasino betrat, unterbrach er den stürmischen Jubel über das Wiedersehen mit den ruhig behaupteten Worten:

"Was wollt Ihr, Kinder? - Die Wette habe ich doch gewonnen! Nicht ich, sondern der Gaul stürzte, in der Luft stehen bleiben mochte ich nicht - also bezahlt Ihr das Frühstück."


Das Zitat „Komm, willst du mich reiten sehen? Wenn ich zu Pferde bin, dann will ich schwören: Ich liebe dich unendlich!” wird auch in dem Buch „Der Manöverheld” in Kap. 7, Seite 204, erwähnt.



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© Karlheinz Everts