Was Conti erlebte!

Humoreske von Freiherr v. Schlicht.

in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 23.Apr. 1902


Conti ist ein sehr schöner Terrier mit glänzend weißem Fell, worauf einige schwarze Flecke sich besonders effectvoll machen; Conti war sehr stolz im Bewußtsein seiner Schönheit und unanfechtbaren Raceadels, suchte im Kampf stets stärkere Genossen zu besiegen, was ihm auch stets mit großem Erfolg gelang, in Folge auffallender Klugheit und Gewandtheit.

Es war an einem schönen Sommernachmittage, als er vor dem Hause seines Herrn und Gebieters, Dr. med Hans Fiebig, faul ausgestreckt sich von der strahlenden Sonne bescheinen ließ, bis herannahende Schritte ihn aus friedlicher Ruhe aufschreckten und er wie folgt angerufen wurde:

„Komm Conti, Faulpelz, erwache zu neuem Leben, das Dir noch heute die kühlenden Fluthen der Ostsee geben sollen; sollst einen feinen Tag heute haben, alter Kerl.”

Conti war erst sehr ärgerlich über diese Störung, doch als sein Herr ihm anvertraute, daß „sie” auch dabei sein würde, wurde er liebenswürdiger gestimmt und geruhte, seiner Freude durch einmaliges Schweifwedeln gelassen Ausdruck zu geben.

„Sie” war nämlich stets sehr aufmerksam gegen ihn, warf ihm einen Stein so oft er Lust hatte, ihn zu suchen, tollte und sprang mit ihm um die Wette, was seinem etwas bequemen Herrn selten einfiel. Ja, soweit war „sie” ganz nett, doch sie gab ihm, Conti, zu viel Anlaß zur Eifersucht, weshalb er ihrer Freundlichkeit bisher siegreich widerstanden und ihr nie, selbst auf die dringendsten Bitten, die Pfote gereicht hatte, was sie allerdings ohne allzu tiefen Kummer, oder Rachegelüste an den Tag zu legen, hingenommen hatte.

Es wurde vermuthlich ein angenehmer Nachmittag, ein Bad konnte bei der aufreibenden Hitze nicht schaden, und Conti schüttelte noch einmal energisch alle Müdigkeit ab, um seinem Herrn stolz erhobenen Hauptes zum Bahnhof zu folgen.

Richtig, da stand sie, sah aus wie der verkörperte Sonnenschein, mit dem weißen Kleid, sodaß Conti sich nicht länger beherrschen konnte und in tollen Sätzen auf sie zusprang, um ihre feine Güte einmal etwas deutlicher fühlbar zu machen. Das verstand sie nun wieder absolut nicht zu würdigen, sondern wehrte ihn energisch mit dem Sonnenschirm ab, während sie sich doch in einem unbeobachteten Augenblick von seinem Herrn ohne Protest sehr stürmisch umarmen ließ. Na, schön, aufdrängen wollte er sich nicht. Tief gekränkt folgte er dem Paar, und erst, als sie ihn eigenhändig ins Coupé setzte, ihn dadurch vor schmachvoller Einsamkeit und Absonderung von der Menschheit bewahrend, ward er versöhnlicher gestimmt.

Sie saßen allein im Coupé, sie, Lotte Mertens, und Hans an der einen Seite, Conti ihnen vis–à–vis, und während letzterer in Anbetracht der ihm bevorstehenden Freuden artig und discret aus dem Fenster schaute, konnte er es doch nicht hindern, Zeuge der Unterhaltung zu sein. So hörte er denn, wie Lotte freudestrahlend über ihre diplomatische Geschicklichkeit berichtete, die ihr ermöglicht hatte, heute mit Hans allein diesen Ausflug zu unternehmen, worauf sein Herr entgegnete, daß er diese Heimlichkeiten nicht mehr wollte und sich so bald wie möglich mit Lotte zu verloben gedenke. „Doch darüber,” hörte Conti ihn sagen, „wollen wir heute Abend sprechen, ich habe noch eine ganz besondere Bitte an Dich, die mit Allem in engem Zusammenhang steht; lassen wir Das noch eine Weile ruhen.”

Da hielt der Zug, und Lotte hatte keine Zeit weiter nachzufragen, Conti verlangte nämlich energisch einen Stein; sein Wunsch wurde denn auch sofort als gerechtfertigt befriedigt, und man begab sich nach dem am Strand gelegenen Restaurant „Seetempel”, um dort Kaffee zu trinken. Conti hatte diesen nach seinen Begriffen sehr überflüssigen Aufenthalt schon oft erduldet und zog es auch heute vor, die Grenzen des Anstands und der Vornehmheit zu beachten und ohne Knurren seinem Herrn zu folgen. Es dauerte nicht lange, und er durfte, als wohlerzogener Hund den kurzen Weg vom „Seetempel” bis an den Strand auf zwei Beinen zurücklegen, wo dann erst sein eigentliches Vergnügen begann.

Da wurde er nach einem Stein ins Wasser gejagt, wieder ans Ufer gelockt, mit dem Dünensand beworfen, wodurch er unverkennbare Aehnlichkeit mit einem Schaf bekam. Da Das nun seiner Ehre widerstrebte, ging er immer wieder in die Fluthen, verschluckte prustend manchen Schluck Salzwaser, bis er endlich nach mehrstündigem Tollen erschöpft vor seiner Freundin liegen blieb. Doch schnell raffte er sich wieder auf, er hatte das Wort „Abendessen” erlauscht, und um dieser verlockenden Aussicht willen ließ er sich mit echt schafiger Geduld mit Sand trocken reiben, bis er strahlend vor Reinlichkeit und Schönheit vor Hans und Lotte stand, die ganz kindisch über seine herausfordernde Haltung lachten.

Dann gingen alle Drei ins Restaurant zurück, Essen wurde bestellt, und Conti genoß mit dem Behagen eines Gourmands die ihm zu Theil gewordenen reichlichen Leckerbissen, um endlich physisch und psychisch im richtigen Gleichgewicht mit stummer, aber reger Theilnahme die Unterhaltung zu belauschen.

Aber was war Das? Ein Streit? Nach einem so köstlich verlebten Nachmittag? Conti hörte bestürzt zu und vernahm Folgendes:

„Hans,” sagte Lotte aufgeregt, „wie kannst Du ein solches Verlangen an mich stellen? Ich soll meine schriftstellerischen Arbeiten aufgeben, jetzt, wo ich erst seit kurzer Zeit Erfolg erzielt? Nein, geh, das kann Dein Ernst nicht sein.”

„Ja, Lotte,” sagte Hans entschieden, „es ist allerdings mein Ernst, daß Du Dich als meine Frau von jeder Verpflichtung der „Zeitschrift” gegenüber freimachen mußt. Ein paar Stunden am Tage hast Du zu Deiner Verfügung, schreibe während der Zeit, so viel Du magst, vervollkommne Dich in Deinem Können, aber einen Zwang dulde ich nicht! Ich will keine Frau, die, um ihren Ehrgeiz zu befriedigen, Liebe und Interesse für ihren Mann vergißt und ihn vernachlässigt.”

„Und ich,” brauste Lotte leidenschaftlich auf, „will keinen Zwang empfinden müssen bei meiner Arbeit, frei will ich schaffen können! Oder glaubst Du etwa, ich könnte mit Buch und Feder neben den Kochtöpfen sitzen?”

„Nein,” sagte Hans trübe lächelnd, „dann würde wohl alles verbrennen und gerade, um eine derartige Unbehaglichkeit zu vermeiden, mußt Du Dich von Deiner Verpflichtung lossagen!”

Lotte sah ihn mit großen Augen an, indem sie fragte: „So hältst Du mein Talent für so gering, daß ich, ohne der „Zeitschrift” zu schaden, meine Verbindung lösen kann?”

„Nein, Lotte,” erwiderte Hans, „ich weiß recht gut, daß Du im Stande bist, mehr zu leisten wie die Mehrzahl, aber soll ich darum meine Zukunftsträume opfern, kannst Du deswegen auf das Glück verzichten, das wir Beide uns so oft in wonnigstem Glanze ausgemalt haben? Sei doch nicht kleinlich, Lotte, indem Du Dich in Deiner Eitelkeit gekränkt fühltst, Du weißt ja selbst, was in Dir steckt, und kannst unmöglich eine Schmeichelei von mir erwartet haben.”

Lotte schüttelte den Kopf, dachte einen Augenblick nach und sagte dann mit wieder erwachender Heftigkeit, daß sie für eine solche Ehe, wie Hans sie sich dächte, wohl überhaupt nicht passe; jedenfalls hielt sie es für besser, wenn sie sich einige Zeit prüften und vorläufig nicht wieder begegneten.

Das war der Schluß der aufregenden Unterhaltung, die Conti mit seinem Verständniß und steigender Bestürzung erlauschte.

Also nicht kochen wollte sie, nur schreiben! Das könnte ihm passen! Einfach lächerlich! Und dabei hatte sein Herr noch Geduld, sprach mit liebevollem Ernst auf sie ein. Unbegreiflich! Endlich schwieg auch er, sah jedoch so traurig aus, daß Conti sich verpflichtet fühlte, seiner ehemaligen Freundin durch ostentatives Zukehren seines breiten Rückens seine grenzenlose Verachtung auszudrücken. Nun wollte sie auch noch zärtlich werden. Na, das fehlte gerade noch, und zornig knurrte er sie an, ja er zeigte sogar die Zähne, was ihm allerdings einen strafenden Verweis seines Herrn eintrug.

Sehr schweigsam fuhr man zurück, sehr ernst einerseits und trotzig andererseits nahm man auf unbestimmte Zeit Abschied, und sehr liebevoll wurde Conti noch an demselben Tage behandelt und ins Vertrauen gezogen.

„Sieh, Conti,” sagte sein Herr, „es ist mir ja nicht leicht geworden, auf diese Art von ihr Abschied zu nehmen, aber sie ist sehr trotzig und muß energisch behandelt werden. Ich weiß bestimmt, daß sie vielleicht schon morgen zu mir kommen wird, denn sie liebt mich und ist nicht dumm genug, ihr und mein ganzes Lebensglück einer Laune zu opfern. Talent zum Schriftstellern ist ihr ja nicht abzusprechen, ich bin ja selbst sehr stolz auf ihr Können, aber ihr Talent, mich armen, einsamen Kerl durch ihre Lebenslust glücklich zu machen, übersteigt Das zum Schriftstellern.”

„Was meinst Du, Conti, wird sie kommen?”

Conti drückte sein Mitgefühl sehr stürmisch aus, wurde dann eigenhändig von seinem Herrn in den Korb gelegt, wo er auch bald fest einschlief nach den Aufregungen dieses Tages, während sein Herr noch lange, lange wachte.

An den nächsten Tagen wurde Conti gründliche Veranlassung gegeben, die Frauen zu hassen. Er dachte nämlich wie viele Menschen auch, machte das ganze weibliche Geschlecht für das, was „sie” Schlechtes beging, verantwortlich.

Warum kam „sie” nicht? War sie thöricht genug, zu glauben, daß sein Herr oder gar er, Conti selbst, die Annäherung herbeiführen würden?

Es war schon eine volle Woche seit jenem verhängnißvollen Tage verstrichen, die Stimmung sank immer tiefer, kein frohes Lachen erscholl, im Hause herrschte Gewitterschwüle, sodaß Conti stets froh war, wenn seines Herrn Aufmerksamkeit durch die Sprechstunde in Anspruch genommen war, denn er hatte viele ungerechte Knüffe und Püffe während dieser Tage erduldet. Er schlich seinem Herrn ins Studirzimmer nach und legte sich mäuschenstill unter den Schreibtisch.

Da kamen nun die vielen Patienten (natürlich meistentheils Frauen, die sind ja immer krank), alle gingen getröstet wieder fort. Die Uhr schlug sieben, und Conti blickte fragend zu seinem Herrn auf, ob der noch nicht zum Abendessen gehen wollte? Der aber saß schwer seufzend vor einem liebreizenden Bilde, das er traumverloren ansah. Dann fuhr er sich mit der Hand über die Augen und wollte sich zum Fortgehen rüsten, als die Thür noch einmal klinkte. Conti horchte auf, als er die Stimme vernahm, die draußen so zaghaft nach Herrn Dr. Fiebig fragte, sprang vor lauter Aufregung auf den der Thür zunächst stehenden Stuhl und fühlte sich im nächsten Augenblick umarmt, während die bekannte Stimme schluchzend rief: „Ach Conti, warum bist Du nicht zu mir gekommen, ich war so einsam auf meiner stolzen Höhe und so entsetzlich verzweifelt.”

Conti ließ sich die Liebkosung ruhig gefallen, er war sehr gerührt, obgleich er sich sagen mußte, daß es eigentlich wieder Trotz von ihr sei, ihn und nicht den Hans zu umarmen. Doch der hatte sie jetzt in seine Arme genommen und hielt sie so fest, daß Conti wohl sehen konnte, er würde sie nie, nie wieder hergeben. Dann saß sie auf seinen Knien und bat so innig um Verzeihung. Conti konnte sogar Worte, wie „lächerliche Selbstüberhebung” und „Größenwahn” erlauschen, sodaß er schließlich nicht länger mit seiner Freundschaft kargen wollte und sich fest an ihre Füße schmiegte. Er wurde nun mit gebührender Aufmerksamkeit und Liebe behandelt, das alte gute Einvernehmen war vollständig wieder hergestellt, und die Strahlen der Abendsonne blickten verklärend auf drei überaus glückliche zufriedene Geschöpfe.

Das war nun die glückliche Auflösung des Conflictes, dachte Conti, nun würden die Beiden bald heiraten — und er noch immer mehr erleben. Ja, er führte ein beneidenswerthes Dasein, er war ein Auserkorener unter den Hunden, der Conti.


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