Winterarbeit.

Humoristische Plauderei von Freiherrn v. Schlicht.
in: „Das Kleine Journal” Nr. 282 vom 12.Okt. 1896,
in: „Abendblatt”, (Chicago Ill.), vom 27.10.1896 und
in: „Aus der Schule geplaudert”


Als ich noch im Flügelkleide in die höhere Töchterschule ging — ach was, Unsinn: als ich noch als Jüngling mit lockigem Haar in Berlin war, um mich zum Einjährig-Freiwilligen-Examen pressen zu lassen, lenkte ich allabendlich meine Schritte zum Alexanderplatz-Theater. Dort gab man eine Posse, deren Namen mir entfallen ist und in der ein Couplet mit dem schönen Refrain: „Arbeit und Thätigkeit, ist, was das Herz erfreut” vorkam. War es dies Lied, das mich, den faulsten aller Pressiers, so mächtig anzog oder war es die Sängerin? Sie hieß Anna und wohnte — doch das ist ja nebensächlich. Allabendlich durfte ich sie — natürlich in allen Ehren — nach Haus begleiten, wo ein von mir bestelltes und bezahltes Abendbrot unserer harrte. Sie liebte den Sekt und ich nicht minder — so fanden sich unsere Seelen und unsere Herzen. Zuweilen aber, wenn ihr Durst gar nicht zu stillen war, bekam ich Gewissensbisse und ich sprach dann zu ihr: „Quousque tandem Anna abutere pecunia mea?” Zu deutsch: „Wie lange, o Sonne meines Daseins, soll ich mein väterliches Erbtheil noch mit Dir vergeuden?”

Sie verstand vom Latein noch weniger als ich — und das wollte damals viel sagen — aber sie begriff instinktiv, was mein Herz bedrückte, und dann — dann schlang sie ihre weißen, klassisch schönen Arme um meinen Hals, zog mich stürmisch an sich — natürlich in allen Ehren — küßte mich, ergriff dann das Sektglas, und mit mir anstoßend, sang sie mit schelmischer Stimme:

„Arbeit und Thätigkeit
Ist, was das Herz erfreut.”

Heute, als würdiger Ehemann, gedenke ich mit Schrecken und Abscheu der so verlebten Stunden — aber, im Vertrauen gesagt: schön waren sie doch!

So ist das schöne Lied mir in der Erinnerung geblieben, es war mir lieb und theuer, und jetzt, da ich bald ein alter Mummelgreis bin, der die Haare verliert, wenn der Barbier sie abschneidet, und dem die Zähne im Munde wackeln, wenn ich, Nachts spät auf den Fußspitzen heimkehrend, — um die Gattin, ach, die theure, nicht zu wecken — mit dem Kopf gegen die Thür anrenne — jetzt, da ich mich so zu meinem Vortheil verändert, ist dieses Lied mein Wahlspruch geworden.

Ich begreife gar nicht, daß es Menschen giebt, die nicht gerne arbeiten, und doch giebt es solche in jedem Alter, in jedem Stand und Beruf.

Wie gesagt, es ist mir unerklärlich, und ich würde nie und nimmer wieder ein Feuilleton schreiben — was schließlich doch auch eine Arbeit ist — wenn ich nicht müßte, um wenigstens dann und wann meiner Lieblings­beschäftigung, nichts zu thun, fröhnen zu können. Am liebsten thue ich gar nichts, am allerliebsten beschäftige ich mich damit, Austern zu essen und Sekt zu trinken. Manche Leute sagen: wenn man hundert Austern gegessen hat, hört das Vergnügen auf, dann ist es schon mehr Arbeit, aber ich bin nicht so, nicht wahr, Anna — Arbeit und Thätigkeit ist, was das Herz erfreut.

Doch nun, nach dieser ebenso geistreichen wie stumpfsinnigen Einleitung; die zum Thema paßt wie eine Lokomotive zur Zahnbürste, zur Sache.

Der Herbst ist da mit Brausen,
Der Wind thut si-sa-sausen,

und wenn der Herbst da ist, wird es überall ungemüthlich: in der Natur und in natura, das ist zwar beinahe dasselbe, aber doch nur beinahe.

Jeder Mensch wünscht den Herbst zum Teufel — nur die goldene Hundertzehn(1) nicht mit ihren mehr als hunderttausend Herbstpaletots; am meisten verwünscht ihn der Offizier. Dem bringt er nichts Gutes, nur Schlechtes, zuerst die Rekruten und dann die Winterarbeit.

Es ist ein weitberbreiteter Irrthum, daß die langen Abende zum Arbeiten wie geschaffen sind. Auch die Vorgesetzten lassen sich von dieser Ansicht nicht abbringen und so werden denn im Oktober den Herren Lieutenants die Themata der Winterarbeiten übersandt, deren Zweck ein eingehendes Studium der Kriegsgeschichte ist. Bei manchen Regimentern ist es auch Mode, daß die Offiziere selbst das Thema angeben, das sie zu bearbeiten wünschen.

Ich betone das Wort „bearbeiten”.

Der Herr Lieutenant liegt auf dem Sopha und denkt an „sie”, die einzig Eine.

Da klopft es an die Thür — „sie ist es!” ruft er frohlockend und springt empor — doch nein: es ist nur eine Ordonnanz.

„Der Herr Lieutenant möchten das Thema zur Winterarbeit einreichen.”

„Muß es denn gleich sein, hat's nicht noch Zeit?”

Aber es eilt — beim Militär eilt bekanntlich Alles — der Herr Lieutenant setzt sich an seinen Schreibtisch, ergreift ein Quartblatt, das er fein säuberlich beschneidet, und denkt nach.

Das ist für Manchen nicht so leicht, wie es aussieht.

„Herr Gott, bin ich aber ein Rindvieh,” spricht er da endlich mit dem Brustton tiefinnerster Ueberzeugung und Niemand widerspricht — selbstverständlich nur deshalb nicht, weil Niemand da ist, der widersprechen könnte. Die Ordonnanz hat hier nach berühmtem Muster nur ein Amt und keine Meinung.

Der Herr Lieutenant ist ja erst seit einem Jahr im Regiment(2) — früher stand er lange Zeit in Dingsda, da hat er auch Winterarbeiten machen müssen, die er auch sorgfältig aufbewahrt hat. Kein Offizier vernichtet seine Winterarbeit, wie kein Schriftsteller sein gedrucktes Feuilleton — man kann nie wissen, wozu man die Sachen später noch einmal wieder gebrauchen kann.

Er kramt die Arbeiten hervor und schreibt die Titel fein säuberlich nieder: „Hier, mein Sohn, reise mit Gott und, wenn es Dir Spaß macht, Zieh an Kali, aber kehre nicht wieder. Bleibe zu Hause — eins dieser Themata wird ja wohl höheren Ortes gebilligt werden. Und dann bin ich fein heraus — dann schreibe ich das Ding einfach noch mal ab und habe vollauf Zeit, mich ihr, der Göttlichen, zu widmen. Das ist dann meine Winterarbeit.”

Etwas schwieriger wird die Sache, wenn man schon Jahre lang in demselben Regiment steht — aber man hat ja gute Freunde und getreue Nachbarn, entweder unter den neu ins Regiment Versetzten oder in einer anderen Garnison, die Einem gern eine Arbeit zur Verfügung stellen, die dann verbotenus „abgehauen” wird, mag die Kritik, die das Werk gefunden, auch noch so vernichtend sein.

Faul ist die Sache natürlich, wenn man ein Thema erhält, das höheren Ortes befohlen und bisher noch von Miemandem bearbeitet ist.

Winterarbeit. Ablieferungstermin 15. Jamuar. „Welche Gründe bewogen England, in den Gang des siebenjährigen Krieges einzugreifen?”

Als der Lieutenant diesen Zettel zugeschickt erhält, sitzt er mit einigen Kameraden beim Skat. Flüchtig überfliegt er die Zeilen: „Welche Gründe — England — siebenjähriger Krieg? Ist mir furchtbar gleichgiltig, habe überhaupt bis zur Stunde noch gar nicht gewußt, daß England da mitgespielt hat. Uebrigens ein furchtbar blödsinniges Thema, sieht dem Alten wieder so recht ähnlich — Ablieferungstermin 15. Jamuar — das ist ja noch eine Ewigkeit, das wird sich schon historisch entwickeln. Kinder, was war das letzte Spiel? Ach so, richtig, Caro Solo mit dreien, Spiel vier, geschnitten fünf, beinahe schwarz, macht sechs — ach so — fünf mal neun ist fünfundvierzig. Wer giebt?”

Und das Thema zur Winterarbeit ruht im linken Aermelaufschlag des Ueberrocks — bis auf Weiteres.

Am 1. Januar fällt ihm „der Unsinn” plötzlich wieder ein, aber es ist ja noch so lange hin — dennoch erkundigt er sich unter der Hand, ob nicht irgend Jemand einen Schmöker habe, in dem was drinnen stehe. Man verweist ihn auf die Regiments­bibliothek und empfiehlt ihm allerlei Quellen. Am Nachmittag erscheint der Bursche im Kasino und schleppt ein Dutzend dicker Bände und mehr nach Haus und legt sie auf den Schreibtisch. Da liegen sie lange gut und den Herrn Lieutenant stören sie nicht.

Am achten Januar bekommt er Gewissensbisse, am neunten ist er ihrer Herr geworden. Am zwölften nimmt er sich ernsthaft vor, morgen anzufangen, weil es nachgerade ja Zeit wird, am dreizehnten ist Liebesmahl im Kasino, am vierzehnten hat er einen Jammer, daß ihm die Augen übergehen. Aber er reißt seine ganze Energie zusammen, er blättert in den Büchern, bis er gefunden hat, was er braucht, und schreibt dann die Sache wörtlich ab. Damit es nicht gleich gemerkt wird, führt er als „benutzte Quellen” alle Bücher an, die vor ihm liegen — da mag der Kommandeur erst mal finden, wo er seine Weisheit gestohlen hat.

Dennoch verlebt er einige unruhige Tage, bis er die Arbeit wieder in Händen hat. Und mit Freude und Genugthuung liest er, daß das Thema in knapper Form erschöpfend bearbeitet worden ist, daß die Quellenstudien mit Umsicht betrieben sind und daß der Fleiß des Autors anerkannt wird.

„Oh, Anna, singe mir noch einmal das schöne Lied:

„Arbeit und Thätigkeit
Ist, was das Herz erfreut.”

Mit dem Abschreiben ist das solche eigene Sache — wenn man damit hineinfällt, wird man erbarmungslos nach Helgoland beurlaubt.

Und dennoch ist das Abschreiben manchmal gar nicht zu vermeiden.

Ein Freund von mir hatte einmal das Thema: „Die Thätigkeit der xten Division bei dem Gefecht von Gravelotte.”

Verzweifelt rang er die Hände: „Wie kann ich über eine Schlacht schreiben, bei der ich nicht dabei gewesen bin?”

„So frage Einen, der dabei war.”

„Um Gottes Willen, die lügen Alle.”

Wenn er statt „lügen” übertreiben gesagt hätte, wäre ich ganz seiner Ansicht gewesen.

Ich kenne einen Major, der den letzten Feldzug als Sekonde-Lieutenant mitgemacht hat. Wenn der Herr Major etwas zu viel getrunken hat, und das kommt alle vierundzwanzig Stunden einmal vor, fängt er an, von seinen Kriegserlebnissen zu berichten. Seine Lieblingsgeschichte ist, wie er als junger Offizier, seinen Hauptmann vertretend, die Kompagnie, die abkommandirt gewesen war, über das Plateau von Langres nach Dijon geführt hat. Wenn man den Worten des Herrn Major glauben darf, gleicht das Plateau von Langres auf ein Haar dem Tempelhofer Feld, es fehlt jegliche Vegetation, sogar die einsame Pappel, das Plateau ist glatt und eben wie ein Tisch ohne Beulen — über diese Ebene hat er die Kompagnie heil und unversehrt geführt, obgleich an allen Ecken und Kanten französische Flintenläufe sichtbar waren — es war ein Meisterstück der Tollkühnheit und der Strategie. Merkwürdigerweise aber hat(3) er nicht das eiserne Kreuz erhalten und trotz seiner hervorragenden Feldherrntugenden kam er nicht um den Eckstein an der Majorsecke vorbei, sondern lief gerade auf den Stein los und brach sich das Genick.

Es passiren auf Erden wunderbare Dinge.

Wo sollte der arme Lieutenant nur seine Wissenschaft hernehmen über das Verhalten der xten Division bei Gravelotte? Er wandte sich an den, der es am besten wußte, an Moltke und schrieb wörtlich ab, was dieser im Generalstabswerk sagt, er glaubte, es „gut” zu machen, die Vorgesetzten aber waren anderer Ansicht: sie sperrten ihn ein.

„Ja, beim Souper erlebt man tolle Sachen,” aber auch bei den Winterarbeiten kann man Verschiedenes erleben.

In(3a) einem Regiment hatte ein Premier-Lieutenant den Auftrag erhalten, anstatt der Winterarbeit einen freien Vortrag im Kasino zu halten. Es war ein verteufelt schweres Thema — aber mit Hilfe von Stephan(4) gelang es ihm, in der Armee einen Kameraden ausfindig zu machen, der das Thema seit Jahr und Tag bearbeitet hatte.

Wer war glücklicher als der Herr Premier?

„Bitte, schicke mir die Arbeit,” schrieb er und erhielt die Antwort: „Augenblicklich schreibt sie hier im Regiment noch Jemand anders ab, sobald der fertig ist, steht sie Dir zur Verfügung.”

Ein Tag verrann nach dem anderen, endlich waren es nur noch achtundvierzig Stunden bis zum Vortragsabend, die Arbeit war noch nicht da und er mußte sie noch auswendig lernen.

Der Herr Premier lieh sich einen Thaler und nun ging das Telegraphiren los.

„Bin in tödtlichster Verlegenheit. Wo bleibt die Arbeit?”

„Vor drei Tagen an Dich abgesandt.”

„Nicht erhalten.”

„Recherchire, es wollen sie auch noch Andere abschreiben.”

Der(5) Letztere war dem Herrn Premier völlig gleichgiltig, aber er begann zu recherchiren. Er stürzte zum Postdirektor: „Mein Blut komme über Euch und Eure Kinder,” schrie er dem Beamten an, dann setzte er ihm auseinander, um was es sich handelte.

Fünf Minuten später spielte — dieses Mal auf Staatskosten — der Telegraph nach allen Richtungen der Windrose. Vierundzwanzig Stunden der tödtlichsten Aufregung verliefen, es wurde so viel telegraphirt, daß die Elektrizität auf Erden knapp zu werden begann — und das Resultat war, daß die Arbeit war, wo sie war, nur nicht da, wo sie sein sollte.

Und Abends sollte der Vortrag gehalten werden. Da faßte der Herr Premier einen wahrhaft großen Entschluß, er ging auf das Regimentsbureau und bat den Herrn Oberst um acht Tage Aufschub, da es ihm bei der äußerst knapp bemessenen Zeit nicht möglich gewesen sei, mit der Arbeit fertig zu werden.

Zuerst bekam er einen ganz kolossalen „Anpfiff”, weil er sich erlaubte, die ihm von dem Herrn Oberst und Regiments-Kommandeur gegebene Zeit als „äußerst knapp” zu bezeichnen, und dann erhielt er Bescheid auf seine Bitte: „Ein Aufschub sei unmöglich, da der Herr General sein Erscheinen für den Abend zugesagt habe, das Einzige, was er, der Herr Oberst, gestatten und vor dem Herrn General verantworten wolle, sei, daß der Vortrag vorgelesen werden könne. Das sei doch schon eine enorme Erleichterung(6).”

Gewiß, ja, aber ob man einen Vortrag, von dem man das Manuskript nicht hat, auswendig lernt oder abliest, ist genau dasselbe — Beides ist unmöglich.

Als der Herr Premier Nachmittags um sechs Uhr zu Tisch kam, war der Brief noch nicht da — um acht Uhr war der Vortrag.

Dem Herrn Premier klapperten die Zähne; die Gefühle, die der Delinquent empfindet, wenn der Herr Scharfrichter über seiner Gurgel das Henkerbeil schwingt, sind Wollustschauder, verglichen mit den Qualen, die der Herr Premier ausstand.

„Und wenn ich meinen Abschied bekomme, kann ich mir nicht einmal einen Civilanzug bestellen, mein Schneider, der Schuft, schrieb mir gestern, mein Kredit sei erschöpft.”

Allen standen die Haare zu Berge, wie sollte das enden?

Da, in zwölfter Stunde, kam der Brief, der Gott weiß wo in der Welt herumgeirrt war.

Ein Schrei der Erlösung rang sich von des Gequälten Lippen. „Der Briefbote soll sich auf meine Kosten bis zur Bewußtlosigkeit betrinken,” rief er; er selbst wollte das Manuskript ein paar Mal durchlesen. Da erschien der Herr Oberst.

Allgemeines Entsetzen.

„Nun, ist die Arbeit fertig?”

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

„Wie lange wird der Vortrag denn dauern?”

Der Herr Premier hatte noch nicht einmal das Couvert geöffnet, so log er denn auf gut Glück: „Ungefähr eine halbe Stunde.”

Fünf Minuten vor acht Uhr erschien der Herr General und mit dem Glockenschlag acht Uhr bestieg der Herr Premier die Rednertribüne.

Als er das Manuskript auseinanderschlug, taumelte er beinahe gegen die Wand: die Arbeit war stenographirt!

Mit blödem, irren Lächeln blätterte er in den Bogen, dann that er das Einzige, was er thun konnte: er faßte jäh mit der Hand nach seinem Herzen, klappte die Augen zu und fiel der Länge nach hintenüber, mit dem Kopf gegen das Buffet, daß es eine „Dröhnung” gab.

Und damit war der Vortrag bis auf Weiteres zu Ende.

Habent sua fata libelli, nicht nur die Bücher, auch die Winterarbeiten haben ihr Geschick.

Soll ich Euch noch davon eine kleine Geschichte erzählen?

Ich höre das „Nein” nicht, das mir entgegengerufen wird, so tunke ich die Feder von Neuem ein — sie ist eingetunkt — und schreibe:

Es ist bei den meisten Regimentern Usus, daß der etatsmäßige Stabsoffizier das Thema zur Winterarbeit giebt, diese zuerst korrigirt und sie dann dem Herrn Oberst unterbreitet. Die beste und die schlechteste Arbeit eines jeden Offizierkorps wird dem Generalkommando unterbreitet.

Bei dem Regiment, von dem ich erzählen will, war der Etatsmäßige das, was man eine „giftige Kröte” zu nennen pflegt. Gnade der Himmel Demjenigen, auf den der Oberstlieutenant, der zum Ueberdruß auch noch Junggeselle war, eine Pique hatte: der wurde seines Lebens nicht froh, und das will thatsächlich viel sagen, denn der Etatsmäßige hat eigentlich gar nichts zu sagen. Trotzdem krakehlte und schimpfte er über Jedes und über Jeden, und Derjenige, den er am allerwenigsten riechen konnte, war Don Juan, natürlich nicht der Mozart'sche, sondern ein älterer Sekonde, der seinen Beinamen seinen vielen „coups” verdankte.

Die Beiden liebten sich nicht, sie mochten einander nicht leiden.

Die Zeit der Winterarbeiten nahte heran und Don Juan bekam ein Thema, bei dem ihm angst und bange wurde.

„Für diesen Winter soll Don Juan sein Flirten schon bleiben lassen,” dachte der Etatsmäßige, und Don Juan meinte: „Wo ist mein Leporello, der mir hilft?”

Er war da und wurde gefunden.

Der Etatsmäßige war erst seit einem halben Jahr im Regiment und hatte dasselbe Thema bei seinem vorigen Truppentheil schon dort einem Herrn zur Bearbeitung gegeben: Selbstverständlich ließ Don Juan sich die Arbeit kommen und schrieb sie, da sie von dem Etatsmäßigen hervorragend kritisirt worden war, wörtlich ab.

Don Juan triumphirte: aber zu früh.

Nach acht Tagen erhielt er die Arbeit zurück mit der Aufforderung, dieselbe noch einmal zu machen, da das hier Geschriebene nichts wie Unfug sei.

Don Juan war in der glücklichen Lage, Sinn für Komik zu haben, so lachte er denn und schrieb die Arbeit noch einmal verbotenus ab.

Mit einer geradezu vernichtenden Kritik ging die Arbeit dann an das Regiment weiter.

Acht Tage später war Liebesmahl und Don Juan hatte sich ganz gehörig die Nase begossen, von der Liebe allein kann kein Mensch leben.

Und in seiner Sektlaune bindet er sich anstatt seiner Serviette den Oberstlieutenant vor:

„Na, mit dem Herrn Oberstlieutenant möchte ich gerne einmal ein paar Worte sprechen — Diskretion ist ja natürlich selbstverständlich und der Herr Oberstlieutenant müssen mir das Ehrenwort darauf geben, nicht darüber zu sprechen, denn sonst blamiren sich der Herr Oberstlieutenant unsterblich — jawohl, un-sterb-lich.”

Der Herr Etatsmäßige gab sein Wort und nun erzählte ihm Don Juan die ganze Geschichte seiner Winterarbeit und schloß mit den Worten: „Und ich weiß auch, warum der Herr Oberstlieutenant mich nicht ausstehen können — weil ich viel mehr Glück habe bei den jungen Mädchen als der Herr Oberstlieutenant — sonst sind der Herr Oberstlieutenant ja ein sehr kluger Mann, aber in der Liebe bin ich dem Herrn Oberstlieutenant denn doch über.”

Ein Vierteljahr später war Don Juan nach Posemuckel versetzt, die giftige Kröte hatte ihn aus dem Regiment herausgebissen.

Und das Alles wegen einer Winterarbeit.

Noch von tausend anderen Winterarbeiten könnte ich erzählen — hat doch fast eine jede ihre Geschichte; aber ich glaube, es ist genug für heute.

Und nun, Anna, wo Du auch immer weilst, Du, meines Herzens erste, aber nicht einzige Liebe, singe mir jetzt, da die Arbeit für heute beendet, noch einmal das Lied, dem ich so gern gelauscht, wenn der Sekt in den Kelchen perlte und die Austern, von Deiner süßen Stimme angelockt, sich neugierig öffneten — singe mir noch einmal das Lied, bei dem ich Alles vergaß, das schöne Lied:

„Arbeit und Thätigkeit
Ist, was das Herz erfreut.”

Anna, ich danke Dir.


Fußnoten:

(1) Die „Goldene Hundertzehn” war ein großes Warenhaus in Berlin. (zurück)

(2) Schlicht/Baudssin war am 15.Sept. 1895 in das Inf.-Regiment 84 versetzt worden, er ist also „seit einem Jahr im Regiment”. (zurück)

(3) In der Buchfassung: „hatte”. (zurück)

(3a) Diesen Abschnitt von dem „stenographierten Kasino-Vortrag” hat Schlicht/Baudissin auch in seinen Band „Meine Kabarettgeschichten” unter dem Titel „Der Kasino-Vortrag” aufgenommen, leicht gekürzt und den veränderten Zeitumständen angepaßt. (zurück)

(4) Generalpostdirektor v.Stephan, Organisator des deutschen Postwesens und Mitbegründer des Weltpostvereins. (zurück)

(5) In der Buchfassung: „Das”. (zurück)

(6) In der Buchfassung: „Das sei doch auch schon eine Erleichterung.” (zurück)


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