Wie heißt der Mann?

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Richtung, Fühlung, Vordermann!” und
in: „An die Gewehre”


Die neuen Rekruten waren angestellt(1) und zur Feier des Tages hatte der Herr Oberst sein ganzes Offizierkorps um sich versammelt und hielt ihm eine nach seiner Meinung sehr schöne Rede, in der er noch einmal in kurzen Schlagworten die Gesichtspunkte erwähnte, die bei der Ausbildung der Rekruten in erste Linie auf das Allergenaueste beobachtet werden sollten: „Keine Soldaten­mißhandlungen — Nicht rühran, liebevolle Behandlung, aber ein heiliges Donnerwetter für die Kerls, wenn sie sich nicht Mühe geben. Kein rohes Fluchen und Schelten, aber der Satan soll ihnen in die Rippen fahren, wenn sie keinen geuten Parademarsch lernen. Eiserne Strenge, aber auch väterliches Wohlwollen. Die Leute müssen wissen, daß ihren Vorgesetzten das Wohl und Wehe ihrer Untergebenen wirklich am Herzen liegt. Und deshalb verlange ich unbedingt, daß jeder Hauptmann und jeder Leutnant sämtliche Mannschaften seiner Kompagnie bei Namen kennt und von jedem einzelnen genau weiß, welchen Zivilberuf er ausübt. Das ist mein strenger Befehl und der gilt für Sie, Herr Hauptmann Dorndorf, ganz besonders. Sie haben mich doch verstanden, Herr Hauptmann?”

„Zu Befehl, Herr Oberst!”

Das klang anscheinend ganz ruhig und gelassen und doch schwitzte der arme Häuptling schon lange Blut, denn obgleich er ein sehr befähigter Offizier war, hatte die Natur ihm eine Gabe versagt: Er besaß nicht das leiseste Personon- und Namensgedächtnis, nicht das allerleiseste.

Schon als Leutnant war es ihm unmöglich gewesen, sich die Namen seiner Mannschaften zu merken und bei den Vorinstruktionen, bei denen man den Mann, bevor man die Frage an ihn richtet, erst mit seinem Namen anreden muß (z.B. Musketier Bolten: „Womit fettet der Soldat sein Gewehr?” worauf dann natürlich die Antwort erfolgt: „Mit Fett, Herr Leutnant!”) — bei solchen Vorinstruktionen hat er dann regelmäßig barbarisch etwas auf die Mütze bekommen, weil seine Kerls alle „Müller” und „Schulze” hießen, während sie in Wirklichkeit natürlich auf einen ganz anderen Namen getauft waren. Manchmal war er angeschnauzt worden, daß ihm die Augen übergingen, aber an einem Anpfiff ist noch niemals ein Königlich Preußischer Leutnant gestorben. So blieb auch er am Leben und war vor einem Vierteljahr sogar Hauptmann in seinem alten Regiment geworden.

Und das bedeutete für ihn, daß er sich jetzt nicht mehr wie früher, nur die Namen der Leute seines Zuges, sondern die Namen sämtlicher Leute dreier Züge, aus denen eine Kompagnie besteht, merken mußte. Und in einem Zug stehen durchschnittlich 32 Leute, in einer Kompagnie also 100, meistens sogar noch mehr.

Wie sollte er sich da die Namen merken? Er konnte es ganz einfach nicht, aber der Oberst befahl es, weil er wußte, daß auch die höheren Vorgesetzten streng darauf hielten, und der arme Hauptmann sah es ein: Wenn er nicht schon im ersten Jahr seiner Hauptmannsherrlichkeit um die Ecke gehen wollte, dann mußte er die Namen seiner Leute lernen. Erbarmen kannten die Vorgesetzten in dieser Hinsicht nicht, sein Oberst am allerwenigsten, denn der kannte fast das ganze Regiment bei Namen.

Als der Oberst seine Offiziere entlassen hatte, begaben sich die Hauptleute mit ihren Leutnants zu ihren Rekruten, die in Reih' und Glied dastanden, und auch Hauptmann Dorndorf trat auf seine Mannschaften zu. Es waren mehr als 60 Rekruten(2), die ihn erwartungsvoll anblickten, aber er selbst sah sie noch erwartungsvoller an. Würde ein Wunder geschehen und würde es ihm möglich sein, ihre Namen in seinem Schädel festzuhalten?

Versucht werden mußte es auf alle Fälle.

So trat er denn auf den ersten zu. Die Leute waren schon von ihren Unteroffizieren unterrichtet, wie und was sie zu antworten hätten und so sagte der erste denn: „Müller, Kaufmann!”

Der Hauptmann sah sich den Mann von oben bis unten an und spähte nach einem besonderen Kennzeichen, an dem er sich hätte merken können, daß gerade dieser Mann Müller hieß und Kaufmann war. Aber er fand keins — der Mann war durchaus normal und alles an ihm war, wie es in den Pässen heißt, gewöhnlich. Nase gewöhnlih, Mund gewöhnlich, Ohren gewöhnlich, alles gewöhnlich. Aber endlich fand der Hauptmann doch etwas, das ihm auffiel: der dritte Knopf des Waffenrockes stand offen. Aber was dann, wenn der Mann den Knopf nun zumachte? Dann war es mit dem Erkennungszeichen wieder vorbei.

Vielleicht, daß ihm morgen oder übermorgen etwas besonderes an dem Mann auffiel, so wandte er sich denn jetzt an den zweiten: „Prezwosknimischki, Arbeiter!”

Dem sah man auf den ersten Blick an, daß er ein Pole war und der Hauptmann wurde darüber ordentlich froh. Er brauchte nur seinen Polacken anzusehen, dann fiel ihm der Name auch sofort wieder ein. Wie war der doch noch? Rops, Probs, Wrobs, das konnte der Teufel behalten.

Zehnmal ließ er sich den Namen auch vorsprechen, ebenso oft versuchte er, ihn zu wiederholen, dann gab er es auf und befahl, ihm den Namen klar und deutlich aufzuschreiben, dann wollte er sich am Abend zu Hause hinsetzen und ihn auswendig lernen.

Der dritte Mann wartete schon mit Ungeduld, darauf, sich seinem Vorgesetzten vorstellen zu dürfen und rief diesem sofort zu: „Meier, Kaufmann!”

Aber zum Unglück anscheinend ein christlicher Meier, trotzdem fragte der Vorgesetzte: „Israelit?”

„Im Gegenteil, Herr Hauptmann, Antisemit.”

„Wenn Sie Jude wären, wäre es mir lieber,” sagte der Hauptmann, aber nicht, weil er die Juden besonders liebte, sondern weil ein jüdischer Meier sich durch sein Äußeres von seinen christlichen Kameraden leichter unterscheiden läßt, als ein christlicher Meier.

„Der Nächste, wie heißen Sie?”

„Meier, Herr Hauptmann, Christ, aber kein Antisemit!”

Was hatte der Hauptmann davon? Von außen kann man keinem Menschen seine politische Überzeugung ansehen und ein Rekrut hat sich um alles, was Politik heißt, überhaupt nicht zu kümmern. Wie sollte er die beiden später auseinanderhalten? Gewiß, der eine würde später Meier I, der andere Meier II geannnt werden, aber woran sollte er behalten, daß Meier I Meier I und nicht Meier II sei und umgekehrt. Allerdings war Meier I ein Meter 69 groß und Meier II ein Meter 72. Wenn die beiden nebeneinander standen, war es ja nicht so schwer zu behalten: Der Kleinere ist Meier I, der große Meier ist Meier II. Aber umgekehrt wäre es natürlich noch einfacher gewesen. Was dann, wenn die beiden später nicht in Reih' und Glied standen, sondern, wenn der eine Mann auf dem Kasernenhof langsam(3) Schritt übte, während der andere im Zielschuppen nach der Scheibe schoß? Wie sollte er da feststellen, welcher der Kleinere und welcher der Größere war und ob Meier I nicht doch vielleicht Meier II und Meier II nicht Meier I war?

Der nächste Mann hieß Sanden, dann kam ein Krüger, ein Brückner und nach einer ganzen Weile kam wieder ein Meier, Meier III.

Und der war unglücklicherweise ebensogroß wie Meier I, nein, wie Meier II oder doch wie Meier I. Wer von den beiden war ebenso wie Meier III ein Meter 69?

Der Hauptmann wußte es nicht mehr, der wußte überhaupt nichts mehr. In seinem Schödel tanzten sämtliche Namen und sämtliche Berufe durcheinander: Meier I war Kaufmann, Meier II Bäcker, Meier III Elektrotechniker, der Krüger war Schlächter, der Brückner Maler, der Müller Tischler und der Pole war Bauer. Wie hieß der Kerl doch noch? Pro—wrob—brob—rop—pop—

Vielleicht behielt er den Namen doch, wenn er ihn sich noch einmal ganz langsam vorsprechen und vorbuchstabieren ließ.

So ging er nun schnell auf den Polen zu: „Sagen Sie mir noch einmal, aber ganz deutlich, wie Sie heißen. Buchstabieren Sie mal.”

Und der Mann tat, wie ihm befohlen war: „S-c-h-m-i-d-t, Schmidt, Herr Hauptmann.”

Der Vorgesetzte taumelte beinahe hintenüber, da war er also an eine ganz falsche Adresse geraten. Er stand gar nicht vor dem Polen und doch hätte er vorhin darauf geschworen, daß er den schon an seiner Physiognomie sofort wiedererkennen würde.

Aber wenn er sich jetzt auch geirrt hatte, er würde ihn doch immer herausfinden.

Er ahnte nicht mehr, wo der Mann vorhin gestanden hatte, so lief er denn die Front herauf und dann lief er sie wieder herunter und dann lief er sie noch mal herauf und so ging das weiter. Zwanzig Mal glaubte er den richtigen gefunden zu haben, aber er glaubte es auch nur.

„Zum Donnerwetter, wo steckt denn der Pole?” rief er endlich, „er soll vortreten.”

Und plötzlich glaubte der Hauptmann einen Herzschlag zu bekommen, denn statt des einen Polen traten drei vor, da der Hauptmann noch nicht alle Leute nach ihrem Namen gefragt hatte.

Ob die beiden anderen auch so unaussprechliche Namen hatten wie der erste? Nein, so grausam konnte der Himmel nicht sein.

Und der Himmel hatte auch ein Einsehen: Der eine hieß Woyka, der zweite Gradowsky und der dritte — der Hauptmann wußte es im voraus, das war der, den er suchte.

Aber als der dritte nun seinen Namen ganz langsam buchstabierte, da hieß er: Waranuschek.

Der Hauptmann dachte von neuem, ihn solle der Schlag rühren: „Zum Donnerwetter, wo steckt denn der Pro-ro-bo-pro-po oder wie der Kerl sonst heißt?”

Natürlich trat keiner vor, da niemand mußte, wer gemeint war.

Da näherte sich dem Vorgesetzten einer seiner Kompagnieoffiziere: „Wenn der Herr Hauptmann vielleicht den Prezwosknimischki meint, den habe ich einen Augenblick austreten lassen.”

Der Hauptmann war froh, seinem Herzen Luft machen zu können und so pfiff er seinen Leutnant vor versammeltem Kreigsvolk ganz gehörig an, daß dieser es gewagt habe, einen Mann fortzuschicken, ohne ihn, den höheren Vorgesetzten, gefragt zu haben.

Aber im Grunde seines Herzens war der Hauptmann darüber garnicht wütend, sondern nur deshalb, daß der andere sich sofort einen Namen gemerkt hatte, den er selbst nicht aussprechen konnte.

Und als der Pole nach Erledigung seiner Geschäfte zurückkam, bekam auch er einen kolossalen Anschnauzer, angeblich, weil er ausgetreten war, in Wirklichkeit aber, weil er einen so verfluchten Namen hatte.

Die anderen Kompagnien waren schon lange entlassen, aber der Hauptmann stand noch immer mit seinen Leuten auf dem Kasernenhof und versuchte, sich ihre Namen zu merken. Vielleicht würde er nie damit Schluß gemacht haben, wenn sich nicht mit einem Mal in seinem Gehirn alles rundum gedreht hätte, sodaß er das dringende Bedürfnis verspürte, seine geschwächten Kräfte durch mehrere Kognaks wieder in das europäische Gleichgewicht zu bringen.

So ließ er denn seine Mannschaften forttreten, morgen war ja auch noch ein Tag.

Es war sogar übermorgen auch noch einer und überübermorgen auch einer und so ging das weiter, ein Tag kam nach dem andern, aber die Tage kamen nicht nur, sie gingen auch vorüber und so oft es Abend wurde, war der Hauptmann noch genau so klug wie am Morgen, er hatte keine Ahnung, wie seine Leute hießen und was sie waren.

Und die Vorgesetzten, die von Zeit zu Zeit erschienen, um sich davon zu überzeugen, welche Fortschritte die Rekruten machten, merkten es natürlich sehr genau, wie es um ihn bestellt war, denn wenn er einen Mann vortreten ließ, dann kam immer ein ganz anderer, als der, der da kommen sollte, weil er wohl jeden bei Namen, aber niemals mit seinem Namen nannte. Schulze hieß Müller und Müller hieß Meier II und Meier I hieß Brückner und so ging das weiter. Nur einer hieß überhaupt nicht, das war der Pole, denn wenn der Hauptmann den Namen auch schon lange auswendig gelernt hatte, aussprechen konnte er ihn deshalb doch noch nicht.

Wenn die Vorgesetzten, der Herr Major und der Herr Oberst sich dann wieder verabschiedeten, um eine andere Kompagnie durch ihren Besuch unglücklich, nein, glücklich zu machen, dann hielten sie zum Schluß naturgemäß immer eine sehr schöne Rede, die mit den Worten endete: „Noch haben Sie ja Zeit, Herr Hauptmann, die Namen zu lernen, aber bald werden Sie keine mehr haben. Eines Tages wird es heißen: Morgen ist Besichtigung. Und was dann?”

Und da die Vorgesetzten nicht nur in großen, sondern auch in kleinen Dingen immer Recht behalten, taten sie es auch diesesmal mit ihrer Prophezeiung. Die Zeit verging wirklich und die Besichtigung war für den morgigen Tag angesagt.

Aber in einem Punkt irrten die Vorgesetzten, die sich nie irren, doch. Der Hauptmann fragte sich nicht „was dann?”, sondern „was nun?”

Daß seine versammelten Vorgesetzten ihn morgen umbringen würden, stand für ihn felsenfest und da er noch nicht sterben wollte, sann er auf Rettung.

Sein erster Gedanke war, bei den hohen Exzellenzen ein Gnadengesuch einzureichen, wie es sonst die Zum Tode verurteilten Verbrecher tun, aber das hatte keinen Zweck, denn bis das Gesuch auf dem Instanzenwege in die Hände der höchsten Exzellenz gelangte, war er schon lange eine militärische Leiche.

Es gab nur eine Rettung, er mußte jetzt noch in der zwölften Stunde die Namen seiner Leute lernen und er lernte sie auswendig, wie ein Schüler die lateinischen und griechischen Regeln, die der Satan erfunden hat. Und bei diesem Auswendiglernen brachte er zu seiner eigenen Verwunderung das Kunststück fertig, daß er sogar den Namen Prezwosknimischki aussprechen konnte, ohne sich dabei die Zunge abzubrechen.

Glücklicherweise trafen die hohen Exzellenzen erst morgen früh zur Besichtigung ein und das hatte wenigstens das Gute, daß heute abend kein offizieller Begrüßungs-Bierabend stattfand, so konnte der Hauptmann die letzten ihm noch verbleibenden Stunden benutzen, um zu lernen.

Es ist ein alter Brauch in der Armee, daß die Rekruten eines jeden Jahrgangs sich mit ihrem Hauptmann, ihrem Leutnant und den Unteroffizieren auf einem Gruppenbild photographieren lassen, und ein solches Bild, unter das der Kompagnieschreiber reihenweise kalligraphisch schön die Namen der Leute aufgeführt hatte, hielt der Hauptmann vor sich und lernte und lernte: Das da war Schulze und das war Müller und der vor Hansen stand, war Prezwosknimischki und neben ihm stand Becker und dahinter Krause und vor ihm stand Meier I.

Der Hauptmann lernte mit emsigem Fleiß, er schwitzte vor Eifer, aber plötzlich legte er das Bild wieder fort. All seine Mühe war ja doch vergebens, denn morgen standen die Leute nicht in einer photographischen Gruppe auf dem Kasernenhof, sondern in vier Gliedern der Größe nach und da hatte ein jeder einen ganz anderen Vorder-, Hinter- und Nebenmann als hier.

Es war drei Uhr morgens, als der Hauptmann sich endlich schlafen legte, denn selbst wenn er bis zum jüngsten Tage wach geblieben wäre, geholfen hätte es doch nichts.

Er hatte einen furchtbaren Traum. Er stieg die Treppen zum Schafott empor und der Pole Prezwosknimischki, dessen Namen er jetzt, seitdem er ihn aussprechen konnte, überhaupt nicht mehr los wurde, führte ihn die Treppen empor. Oben auf dem Schafott stand die höchste Exzellenz als Scharfrichter in einem langen purpurroten Mantel. Er mußte hinknien und zwar so, daß er der Exzellenz seinen Rücken zukehrte. Und dann kam die Exekution. Aber anstatt, daß er ihm den Kopf abschlug, bekam er gegen das Hinterteil einen derartigen Fußtritt, daß er in einem weiten Bogen aus dem Bette flog und plötzlich der Länge nach auf der Erde lag.

Fluchend erhob er sich wieder und kroch in sein Bett zurück und um nicht wieder herausgeworfen zu werden, blieb er wach liegen und beschäftigte sich im Geiste fortwährend mit der Frage: „Wie wird es dir bei der Besichtigung ergehen?”

Und wie die Schüler nach Schluß der großen Ferien oft wünschen, daß das Schulgebäude abbrennen möchte, so wünschte sich der Hauptmann, daß alle Kasernenhöfe und Exerzierplätze spurlos von der Erdoberfläche verschwänden, damit es heute und für alle Zeiten keine Besichtigungen mehr gäbe.

Aber sein Wunsch ging nicht in Erfüllung. Der Kasernenhof war zu der für die Besichtigung angesetzten Stunde noch da, wo er immer war, und pünktlich auf die angesagte Minute traten die hohen Vorgesetzten ein. Exzellenz hatte sich vorbehalten, erst im letzten Augenblick zu bestimmen, welche Rekruten er zuerst sehen wollte, und jetzt entschied er sich für die Kompagnie des Hauptmann Dorndorf.

Und man mußte es dem Hauptmann und seinen Leutnants lassen, die Kerls waren tadellos ausgebildet. Stellung, Haltung, Gewehrgriffe, alles klappte glänzend und die Vorgesetzten hielten mit warmen Worten der Anerkennung nicht zurück.

„Sehr gut!” lobte Exzellenz, „ausgezeichnet, der Kerl marschiert wie ein junger Gott, den will ich nachher noch ganz besonders loben, wie heißt der Mann?”

Und ohne sich einen Augenblick zu besinnen, sagte der Hauptmann: „Prezwosknimischki!”

Exzellenz glaubte nicht recht gehört zu haben: „Wie heißt der Mensch?” Der Hauptmann wiederholte es noch einmal und ganz stolz setzte er hinzu: „Wenn ich Euer Exzellenz vielleicht den Namen vorbuchstabieren dürfte?” und er brachte auch dieses Kunststück fertig.

Exzellenz hörte belustigt zu, dann versuchte er selbst den Namen auszusprechen und endlich rief er den Polen herbei und bei dieser Gelegenheit stellte sich zum höchsten Erstaunen aller heraus, daß der Mann tatsächlich so hieß, wie der Hauptmann gesagt hatte.

Alle waren starr: Der Hauptmann kannte seine Leute bei Namen. Das hatte niemand von ihm erwartet, auch Exzellenz nicht, dem es natürlich von früheren Jahren her bekannt war, daß der Hauptmann keine Namen behalten konnte und jetzt vermochte er es sogar, sich den Namen Prezwosknimischki zu merken.

Exzellenz hatte die Absicht gehabt, bei dem Hauptmann auch in dieser Hinsicht auf den hohlen Zahn zu fühlen, aber nach der Proeb, die dieser eben abgelegt hatte, verzichtete Exzellenz darauf, er fragte garnicht weiter und als Exzellenz sich endlich verabschiedete, erntete der Hauptmann das höchste Lob und scherzend setzte Exzellenz hinzu: „Und daß Sie jetzt sogar die Namen Ihrer Leute behalten können, Herr Hauptmann, ist mir ein neuer Beweis für die Wahrheit des alten Wortes: Mit dem Amte kommt auch der Verstand.”

Natürlich wurde dieser Witz seiner Exzellenz nach Gebühr belacht, dann ging der hohe Herr zu einer anderen Kompagnie und der Hauptmann atmete wie von sämtlichen Lasten der Welt befreit erleichtert auf. Für dieses Mal war er gerettet und was die Zukunft später vielleicht brachte, das sollte ihm heut' nicht die gute Laune verderben.

Am Abend fand im Offizierkasino aus Anlaß der Besichtigung ein großes Liebesmahl statt und Hauptmann Dorndorf war der Held des Tages. Alle wollten von ihm wissen, wie er es im letzten Augenblick doch noch fertig gebracht habe, sich die Namen seiner Leute zu merken, denn keiner zweifelte daran, daß er alle wußte, wenn er den schwierigsten von allen sogar buchstabieren konnte.

Aber der Hauptmann hütete sich, sein Geheimnis preiszugeben.

Wenige Sekunden vor dem Eintreffen Seiner Exzellenz, als es nicht mehr möglich war, Abhilfe zu schaffen, hatte der Feldwebel ihm schreckensbleich gemeldet, daß der Musketier Prezwosknimischki von dem linken Stiefelabsatz das Hufeisen verloren habe.

Es war ein wahres Wunder, daß keiner der Vorgesetzten das bemerkte, als der Mann so schön an Exzellenz vorbeimarschierte, daß der hohe Herr sich sogar nach dem Namen des Rekruten erkundigte.

Keiner hatte das bemerkt, nur der Herr Hauptmann und lediglich, weil dem Mann das Hufeisen fehlte, hatte er sofort gewußt, daß der Mann Prezwosknimischki hieß.

Aber wie der Mann von morgen an, wenn das Hufeisen wieder angebracht war, hieß, das wußte der Hauptmann selbst noch nicht, nur soviel wußte er ganz genau, daß der Musketier Prezwosknimischki morgen und auch in Zukunft niemals wieder Prezwosknimischki heißen würde.


Fußnoten:

(1) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt es hier: „eingestellt”. (zurück)

(2) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt es hier: „mehr als 60 Leute”. (zurück)

(3) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt es hier: „langsamen Schritt”. (zurück)


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