von Müller — von Schulze!

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Kaisermanöver”


Der neue Oberst hatte seinen Einzug in der Garnison gehalten und das ganze Offizierkorps von Anfang an dadurch enttäuscht, daß er als Junggeselle kam. Für die Verheirateten bedeutete das, daß es keine Möglichkeit gab, sich durch die eigene Frau bei der Frau des Herrn Oberst und durch diese bei dem Herrn Oberst selbst beliebt zu machen . . . Für die Unverheirateten aber lag die Gefahr vor, daß der Oberst als Junggeselle, wenn auch nicht gerade täglich, so doch sehr häufig im Kasino mitessen und dadurch die Gemütlichkeit stören würde.

Na, es blieb abzuwarten, wie sich alles gestalten würde, für heute galt es, den Kommandeur, der gestern nachmittag in der Garnison eingetroffen und in einem Hotel abgestiegen war, persönlich von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen.

Die Übergabe des Regiments war soeben unter dem üblichen Zeremoniell erfolgt, nun versammelten sich sämtliche Offiziere um den ältesten Stabsoffizier, um von diesem einzeln dem Herrn Oberst vorgestellt zu werden. Streng nach der Anciennität bauten sich alle in einer schnurgeraden Linie auf und der Herr Oberst ging ganz langsam die Front ab, während der Herr Oberstleutnant ihm den Namen eines jeden Offiziers nannt. Für einen kurzen Augenblick blieb der Kommandeur vor dem Betreffenden stehen, um sich nicht nur dessen Namen, sondern auch dessen Gesichtszüge fest einzuprägen, damit er nicht morgen bei dem ersten Exerzieren dem Leutnant von Dennwitz etwas auf den Hut gab, während in Wirklichkeit der Leutnant von Fannschmidt den Rüffel verdiente.

Ein Name nach dem andern wurde dem Herrn Oberst genannt und jedesmal legte der Herr Oberst salutierend die Hand an den Helm. Das tat er auch jetzt, als der Oberstleutnant zu ihm sagte: „Herr Leutnant von Berghaus.” Auch jetzt grüßte er, aber die Hand kam nur langsam und zögernd in die Höhe, während er zugleich den hübschen Offizier, der in tadelloser, strammer Haltung dastand, prüfend und forschend ansah. Selbst der Oberstleutnant merkte es, irgend etwas fiel dem Herrn Oberst an dem Leutnant auf. So musterte er denn auch seinerseits den jungen Offizier mit einem schnellen Blick, um den Grund des Anstoßes zu entdecken, aber er fand absolut nichts an dem Leutnant auszusetzen, weder an dessen Kleidung, noch an dessen Haltung. Trotzdem, besser war es schon, wenn der Oberst bald weiter ging. Vielleicht hatten dessen scharfe Augen doch etwas Tadelnswertes an dem Untergebenen gefunden und so meinte der Oberstleutnant denn mit einer Handbewegung auf den nächsten deutend: „Leutnant von Kaltborn.”

Aber der Herr Oberst nahm davon gar keine Notiz. Er blickte immer noch auf den Leutnant von Berghaus, er sah ihn an voller Verwunderung und Erstaunen, zugleich aber auch voller Zweifel und nicht zuletzt mit einem gewissen Gefühl des Unbehagens.

Der Leutnant wußte nur zu gut, was in dem Vorgesetzten vorging, aber keine Miene zuckte in seinem Gesicht, als er den Blick des Kommandeurs ruhig und gelassen aushielt, während er sich zugleich im stillen sagte: „Ja, ja, mein sehr verehrter Herr Oberst, sieh mich nur an, ich bin es wirklich. Das hätten wir uns damals in Berlin im Palais de Danse auch nicht träumen lassen, daß wir uns noch einmal so gegenüberstehen würden — — — damals, als du mir die hübsche Schwedin entführtest, die sich eigentlich für mich entschlossen hatte, die dann aber doch mit dir ging, weil du über das größere Portemonnaie verfügtest. Ja, sieh mich nur an, ich bin es, an dessen Tisch du dich heransetztest, weil sonst nirgends ein Platz war. Ich bin es, der sich dir später, als er in dir einen, wenn auch sehr viel älteren Kameraden erkannte, als von Müller vorstellte, während du dich selbst von Schulze nanntest. Einer glaubte natürlich nicht dem andern, aber wer wird in so später Stunde und in so übermütiger Gesellschaft seinen richtigen Namen nennen.”

„Herr Leutnant von Kaltborn,” erklang da abermals die Stimme des Oberstleutnants, dem die Sache zu lange dauerte und der gar nicht begriff, warum der Kommandeur nicht weiterging.

Anscheinend ganz erstaunt blickte der Oberst auf und mit einer Handbewegung auf Leutnant von Berghaus deutend, meinte er: „Sie nannten mir doch vorhin einen anderen Namen, ich habe ihn momentan vergessen, war es nicht von Müller?”

„Aha,” sagte sich der Leutnant im stillen, „aha, mein sehr verehrter Herr Oberst, nun bist du wieder im Bilde, nun weißt du, wann und wo du mich sahst. Aber wenn du glaubst, daß ich das zugebe, dann irrst du dich sehr, ich werde mich hüten!”

So zuckte er denn auch jetzt mit keiner Wimper, als der Oberst ihn von Müller nannte und ihn dabei so forschend und durchbohrend ansah, wie ein Untersuchungsrichter einen Sünder, den er zu einem Geständnis veranlassen will.

„Der Name war nicht von Müller, sondern von Berghaus, Herr Oberst.”

„Richtig, richtig,” meinte der Kommandeur, „nun fällt es mir wieder ein, natürlich von Berghaus, wie kam ich nur auf von Müller, es ist mir selbst unerklärlich.”

Endlich, endlich ging er weiter, bis dann schließlich die Vorstellung beendet war. Die jungen Leutnants stürmten in das Kasino, um zu frühstücken, der Herr Oberst aber stieg mit seinem Adjutanten die Treppe zu dem Allerheiligsten empor, um in dem Regiments­bureau mit seinem Adjutanten zu regieren. Aber er war nicht bei der Sache, dieses ganz unerwartete und plötzliche Wiedersehen mit dem Leutnant irritierte ihn und brachte ihn ein klein wenig aus seinem seelischen Gleichgewicht. Als er vorhin dem Leutnant gegenüberstand, war ihm die damals in Berlin verbummelte Nacht mit allen Einzelheiten wieder eingefallen. Gewiß, er brauchte sich seines Aufenthaltes in dem Palais de Danse und des galanten Abenteuers mit der hübschen Schwedin nicht zu schämen. Er war Junggeselle und noch kein alter Mummelgreis, sondern ein Mann in den besten Jahren. Aber trotzdem, in seiner Eigenschaft als Kommandeur war es ihm peinlich, unter seinen Untergebenen einen Zeugen jener Nacht zu haben und diesen nun täglich vor Augen sehen zu müssen. Und was dann, wenn der nun unten im Kasino saß und das damalige Erlebnis den Kameraden erzählte? Was dann, wenn die daraus ihre Schlüsse zogen? Dann setzte er sich dem aus, daß seine Leutnants, wenn er die einmal wegen ihres Lebenswandels zur Rede stellen mußte, sich im stillen sagten: „Rede keine großen Töne, du bist der beste Bruder auch nicht und wenn du als Stabsoffizier noch solche Zicken machst, wie damals mit der hübschen Schwedin, dann mußt du uns erst recht erlauben, unsere Jugend zu genießen.”

Es war für ihn, den Herrn Oberst, wirklich eine sehr unangenehme Geschichte und er hätte nicht das geringste dagegen einzuwenden gehabt, wenn plötzlich der Satan gekommen wäre, um sich den Leutnant von Berghaus zu holen.

Aber da der wirklich Satan ja doch nicht kam, mußte er selbst den Satan vertreten und so meinte er denn plötzlich zu seinem Adjutanten gewandt: „Sagen Sie mal, lieber Blomberg — — aber was ich Ihnen heute sage, bleibt natürlich wie alles, was wir in Zukunft auf dem Bureau miteinander besprechen, ganz unter uns — — also, was ich Sie fragen sollte, mir fiel es vorhin auf, als Leutnant von Berghaus mir vorgestellt wurde, wie kommt es, daß der noch im Regiment ist?”

Ganz erstaunt sah der Ajutant seinen Brotherrn an und so antwortete er denn mehr als verwundert: „Berghaus ist einer unserer tüchtigsten Leutnants, der frühere Herr Oberst hat ihm eine glänzende Konduite geschrieben.”

„Das ist es ja gerade,” stimmte der Oberst ihm bei. „Daß dieser Berghaus ein selten befähigter Offizier ist, habe ich ihm auf den ersten Blick angesehen. Er hat in jeder Hinsicht einen äußerst vorteilhaften Eindruck auf mich gemacht, deshalb sah ich ihn mir so lange an. Der Leutnant gefällt mir ausgezeichnet und wenn natürlichauch ich im allgemeinen den Standpunkt vertrete, daß man sich die besten Offiziere im Regiment behalten soll, so meine ich auf der anderen Seite auch, daß Offiziere, die den Durchschnitt wesentlich überragen, nicht in der Front verkümmern, sondern durch ein Kommando Gelegenheit finden müssen, ihre geistige Spannkraft frisch zu erhalten und ihren militärischen Blick und ihre militärischen Kenntnisse zu erweitern. Mich wundert es, offen gestanden, daß mein Vorgänger nicht ebenso dachte und daß er Berghaus nicht längst ein nettes Kommando verschaffte, natürlich keins, das nur vier oder sechs Wochen dauert, sondern mindestens zwei, wenn nicht gar drei Jahre.”

Der Herr Oberst schwieg und sah seinen Adjutanten erwartungsvoll an. Der aber war gar nicht so dumm, wie der Vorgesetzte es anzunehmen schien, denn aus der Art und Weise, in der der Kommandeur den Leutnant lobte, hörte er heraus, daß der den Leutnant aus irgend einem Grunde los sein wollte. Das Warum wußte er natürlich nicht, das ging ihn auch nichts an, und so meinte er denn nur: „Der Herr Oberst haben da vollständig Recht. Wenn einer ein Kommando verdient, ist es wirklich Berghaus, er ist auch in seinem Lebenswandel sehr ordentlich, er läßt sich hier in der Garnison auch nicht das geringste zuschulden kommen und wenn er einmal bummeln will, fährt er nach Berlon.”

„Das ist es ja gerade,” entfuhr es dem Herrn Oberst unwillkürlich, bis er sich dann schnell wieder verbesserte: „Ich wollte natürlich sagen, das ist auch ein Grund, weshalb ich ihm ein Kommando nach Berlin geben möchte. Ein Leutnant kann doch nicht nur seinen Dienst tun, er muß das Leben doch auch einmal genießen, sonst wird er vor der Zeit alt und unbrauchbar.”

„Mensch, Mensch, was redest du dir da alles nur für dein Gehalt zusammen?” dachte der Adjutant. In mancher Hinsicht hatte der Oberst mit seinem Gequassel ja recht, aber trotzdem, irgend etwas stimmte da nicht und um hinter das Geheimnis zu kommen, beschloß er, heute nachmittag bei dem offiziellen Liebesmahl, mit dem der neue Oberst angefeiert wurde, sowohl den Kommandeur, wie auch den guten Berghaus betrunken zu machen. Er selbst konnte einen ganz gehörigen Wasserstiefel vertragen und wenn er die beiden anderen erst vollgegossen hatte, würde der Wein ihnen die Zunge schon lösen.

Aber als dann am Abend die Sprechstunde beginnen sollte, war der Adjutant am betrunkensten von allen. Der hatte mit einigen anderen um die Wette getrunken und diese Wette glänzend verloren. Starr und steif saß er auf seinem Platz und glotzte abwechselnd seinen Kommandeur und Berghaus an. Ihm war so, als ob er etwas von den beiden gewollt hätte, aber es fiel ihm nimmer wieder ein.

Und das war gut, wenigstens in den Augen des Herrn Oberst, der die sinnlose Trunkenheit seines Adjutanten mit stiller Genugtuung konstatierte. Der hatte schon gefürchtet, der Adjutant werde heute nachmittag in der Sektlaune gegen Berghaus doch irgendwie gesprächig werden, denn das hatte der Herr Oberst inzwischen eingesehen, er hatte am Vormittag den Berghaus etwas zu sehr über den grünen Klee gelobt, das mußte dem Adjutanten ja auffallen.

Nur ein Glück, daß der Adjutant jetzt nicht sprechen konnte, dafür wollte er, der Herr Oberst, nun selbst mit Berghaus reden. Auch er hatte sehr reichlich getrunken und in der Sektlaune beschlossen, die Gewißheit zu erlangen, ob Berghaus mit dem Herrn von Müller wirklich identisch war und vor allen Dingen, ob der sich des Zusammentreffens mit dem Herrn von Schulze noch erinnere. Vielleicht hatte der bei seinen vielen Bummelfahrten, die er nach Berlin unternahm, jene Nacht längst vergessen, während sie ihm selbst in der Erinnerung geblieben war. Einmal wegen der auffallenden Schönheit der jungen Schwedin; dann aber auch; weil er von seiner früheren Garnison in dem fernen Osten nur sehr selten nach Berlin gekommen war.

Der Herr Oberst wollte Gewißheit haben, schon um sein Verhalten und sein Benehmen dem Leutnant gegenüber danach einrichten zu können und so zog er ihn denn, als man endlich von Tisch aufgestanden war, in ein leutseliges Gespräch. Mit großer Genugtuung konstatierte er, daß auch Berghaus sehr trunken war, denn darauf verfiel der Herr Oberst trotz seiner Schläue nicht, daß der andere seine Trunkenheit nur markierte. Der hatte vorausgesehen, was da kommen würde und sich wohlweislich gehütet, sich zu betrinken. Nie und nimmer durfte er zugeben, jener Herr von Müller zu sein, denn dann würde der Oberst nicht eher ruhen, bis er ihn aus dem Regiment heraus hatte und er selbst dachte nicht daran, die Garnison zu verlassen.

Der Oberst sah es endlich ein, indirekt kam er nicht zum Ziel und so meinte er denn plötzlich: „Sagen Sie mal, lieber Berghaus, der Adjutant erzählte mir, daß Sie häufig nach Berlin fahren. Wo amüsieren Sie sich denn da und vor allen Dingen, wie nennen Sie sich, wenn Sie einmal in die Lage kommen, sich vorstellen zu müssen?”

Berghaus lachte in der Trunkenheit vor sich hin: „Wie ich mich nenne? Sehr einfach, Schulze, von Schulze.”

„Nanu,” entfuhr es unüberlegter Weise dem Herrn Oberst, „ich denke, Sie heißen dann — von Müller?”

Aber Berghaus wehrte ab: „Nichts zu machen, Herr Oberst, und wer das erzählt hat, ist absolut nicht orientiert.” Und weiter den Trunkenen markierend, fuhr er fort: „Ich heiße von Schulze. Ich werde doch nicht so dumm sein, mich von Müller zu nennen! Sage ich von Müller, dann sagt der andere ganz sicher von Schulze, denn Müller und Schulze gehören doch zusammen, wie Kain und Abel, Adam und Eva und Löser & Wolff. Wenn der andere sich von Schulze nennt, dann tut er das doch nur deshalb, weil er nicht glaubt, daß ich von Müller heiße. Da sagt er sich: Kannst du lügen, dann kann ich das auch. Aber wenn ich ihm nun seine Lüge vorweg nehme und wenn ich mich selbst von Schulze nenne, dann ist der andere platt. Auf den Namen Müller kommt er dann gar nicht mehr und weil er den falschen Namen, den er nennen wollte, nicht mehr nennen kann, nennt er aus Versehen den richtigen. Ich wenigstens habe es noch nie erlebt, daß sich einer mir gegenüber von Müller nannte und so erfahre ich stets, mit wem ich es in Wirklichkeit zu tun habe, während der andere mir gegenüber im Dunkeln herumtappt.”

Das war eine lange Rede und sie wurde nur stockend und mit vielen Wiederholungen und mit vielen Pause zu Ende gebracht. Aber sie hatte einen Vorteil, sie war wahr. Das hörte der Herr Oberst trotz des reichlich genossenen Sektes aus jedem Wort heraus, denn die Art und Weise, in der Berghaus es begründete, warum er sich stets von Schulze nannte, war so einleuchtend, daß der wirklich ein Esel hätte sein müssen, wenn er sich damals von Müller genannt hätte. Und so kam der Herr Oberst zu der Erkenntnis, bei der er auch in Zukunft blieb, daß er dem Leutnant Berghaus doch früher nie begegnet war, daß lediglich eine zufällige Ähnlichkeit, die in Wirklichkeit auch gar nicht so groß war, wie es zuerst den Anschein hatte, ihn täuschte, als er annahm, früher einmal mit Berghaus unter einem anderen Namen zusammengetroffen zu sein.

Und die Folgen dieser Erkenntnis blieben nicht aus, denn als der Adjutant den Leutnant Berghaus eine Woche später für ein zweijähriges Kommando in Berlin in Vorschlag brachte, meinte der Herr Oberst: „Wir wollen ihn doch lieber noch in der Front lassen — ich habe mich inzwischen davon überzeugt, daß er doch nicht der selten befähigte Offizier ist, für den ich ihn im ersten Augenblick fälschlicherweise gehalten habe!”


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