Verpflegung der Truppen im Felde.

Von Freiherrn v. Schlicht
in: „Neues Wiener Tagblatt” (Tages-Ausgabe) vom 9.9.1914


Wohl so mancher, der in der letzten Zeit auf den Bahnhöfen die endlos langen Züge mit den Soldaten an die Grenze fahren sah, der da beobachtete, wie durch die Mobilmachung immer neue Mannschaften gewissermaßen aus der Erde gestampft wurden, dem drängt sich wohl oft die Frage auf: Wie werden denn nur all diese unendlichen Mengen im Felde verpflegt? Und wenn dann in den Zeitungen zu lesen war, daß die in Straßburg angekommenen ersten französischen Soldaten erklärten, sie hätten vier Tage lang nichts Ordentliches zu essen bekommen, und wenn man dann weiter las, daß an der Ostgrenze russische Kavallerie­patrouillen unter der Anführung ihrer Offiziere sich den Preußen ergaben und um ihre Gefangennahme baten, nur damit sie satt zu essen bekamen, da wird gar manches deutsche Mutterherz ängstlich gedacht haben: „Ach Gott, ach Gott, hoffentlich braucht mein armer Junge nicht auch zu hungern.” Natürlich ist jede derartige Befürchtung grundlos. Kein Angehöriger der deutschen Armee braucht im Felde zu hungern, wenngleich die Mannschaften während der Dauer eines Krieges selbstverständlich nicht täglich so vollgestopft werden können, wie dies während der Eisenbahnfahrt an die Grenzen erfolgte, auf der die Mannschaften außer den ihnen vom Staate bewilligten drei täglichen Mahlzeiten derartig viel Liebesgaben erhielten, daß die Leute sie zuweilen trotz des besten Willens gar nicht bewältigen konnten.

Menschenersatz, Munitionsersatz und Verpflegung der Truppen, das sind die ausschlaggebenden Faktoren für den glücklichen Verlauf eines Krieges, und bei der beispiellosen Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit, mit der bei uns im Frieden alles für den Kriegsfall vorbereitet wird, ist natürlich auch die Verpflegungsfrage seitens unserer Intendantur auf das genaueste geregelt, und unsere Intendantur hat im Laufe der langen Friedensjahre bei den großen Kaisermanövern immer aufs neue Gelegenheit gehabt, die von ihr ausgedachten und eingeführten Neuerungen daraufhin zu prüfen, ob sie sich im Ernstfalle auch bewähren würden. Die größte Neuerung, die seit dem letzten Kriege in der Armee eingeführt wurde, sind die Feldküchen, von denen jede Kompagnie und jede Batterie eine mit sich führt. Diese Feldküchen, die Selbstkocher sind, um Heizstoffe zu sparen, begleiten die Truppen auf dem Marsch und gehören mit zur sogenannten Gefechtsbagage, die, soweit es irgend geht, bei der Truppe verbleiben und erst bei Beginn des Gefechts aus der dann aufgelösten Marschordnung verschwinden, aber sich auch dann in nächster Nähe zu halten haben. Aus diesen Feldküchen erhalten die Mannschaften außer Kaffee und Tee täglich nach Möglichkeit zweimal warme Speisen, und zwar Fleisch, Gemüse, Suppe und Kartoffeln, während im Kriege 1870 die Ernährung in der Hauptsache bekanntlich aus der Erbssuppe bestand, die nicht nur ausgezeichnet schmeckte und sehr nahrhaft war, sondern die man sich auch erst nach sehr langer Zeit überaß, während anderseits die Truppen im Kriege 1870 des ewigen Hammelfleisches sehr bald überdrüssig wurden. Das Schlachtvieh wird von den Lieferanten, mit denen schon im Frieden Verträge abgeschlossen sind, den Truppen im lebenden Zustand zugetrieben und an Ort und Stelle von den Schlächtern, die sich teils nur als solche, teils als mitkämpfende Mannschaften bei den Truppen befinden, geschlachtet, und auf dem Felde gilt die Regel, daß das Fleisch vierundzwanzig Stunden geschlachtet sein muß, bevor es gekocht wird. Das Gemüse besteht aus Konserven.

Frisches Gemüse ist während des Krieges ja selbst in den Städten oft nur schwer zu bekommen, auf die Schlachtfelder ist es natürlich nicht lieferbar, weil es schon während des Transports verderben würde. Dafür sind aber die Konserven von der besten Qualität. Auch mit den Konservenfabriken sind seitens der militärischen Behörden schon in Friedenszeiten Verträge abgeschlossen, und jahraus jahrein werden große Mengen der fertiggestellten Konserven bei den Fabriken gegen sehr gute Bezahlung für die Armee mit Beschlag belegt. Diese Vorräte werden in den Kriegsproviantämtern eines jeden Armeekorps angehäuft, wo sie während des Krieges fortwährend ergänzt werden. Diese Kriegsproviantämter sind die Ausgabestellen für die Lieferungen während des Krieges an die Truppenteile, und von hier aus werden die Vorräte für die Fuhrparkskolonnen ausgegeben, die diese an die Truppen weiterbefördern. Jede Kompagnie, jede Schwadron etc. hat ihren Lebensmittelwagen und ihren Futterwagen, der zu der kleinen Bagage gehört. Diese ergänzen ihren Inhalt aus den weiter hinten befindlichen leichten Proviantkolonnen, diese wieder aus den rückwärtigen schweren Proviantkolonnen und diese endlich aus den Fuhrwerkskolonnen. Eine leichte Proviantkolonne besteht aus 36 Proviantwagen, eine schwere Proviantkolonne aus 17 Wagen, eine Fuhrwerkskolonne aus 48 Fuhrwerkswagen. Der bei den Truppenteilen mitgeführte Lebensmittelwagen enthält durchschnittlich eine zweitägige Ration für den Mann an Brot, Milch, Dauerfleisch, Kaffee, Tee und Salz und außerdem die eiserne Ration für die Bespannung. Die eiserne Ration ist nur im äußersten Notfall und nur mit Erlaubnis der Vorgesetzten anzurühren und besteht aus 250 Gramm Eierzwieback, 200 Grammn Fleischkonserven, 150 Gramm Gemüsekonserven, 25 Gramm Salz und 25 Gramm Kaffee oder Tee. Mindestens eine solche eiserne Ration, die nach Gebrauch sofort wieder ergänzt werden muß, trägt jeder Mann bei sich.

Wie die Gemüsekonserven, so sind auch die Fleischkonserven allerbester Qualität, und ich erinnere mich eines Wettbewerbes, der vor vielen Jahren in meiner alten Garnison stattfand, als unser dortiges Kriegsproviantamt wegen Ueberfüllung Ochsenzungenkonserven abgab. Mir selbst fiel nur eine zu, trotzdem wurden mir zwei in das Haus gebracht. Nie in meinem ganzen Leben habe ich wieder eine so wundervolle Ochsenzunge gegessen. Ich ließ sie mir damals herrlich schmecken, bis ich dann hinterher ein Donnerwetter zu hören bekam, wie kaum je zuvor, und das, weil die zweite Ochsenzunge nicht für mich bestimmt gewesen war, sondern für meinen Major, und mir nur durch ein Versehen in das Haus gebracht wurde. Nun sollte ich die zweite Ochsenzunge wieder herausgeben, und der Major versprach mir als Gegenleistung Verzeihung meiner militärischen Sünden und Fehler auf dem Exerzierplatz, selbst wenn ich meine Sache dort noch so falsch machen würde. Es half aber alles nichts, auch die zweite Ochsenzunge war längst verspeist und verdaut. Aber da der Major das im Interesse seiner eigenen Zunge nicht glauben wollte, glaubte er es nicht, und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte er bei mir eine Hausdurchsuchung vornehmen lassen.

Für den Brotbedarf besitzt jedes Armeekorps zwei Feldbäckereien, von denen jede aus zwölf fahrbaren Feldbacköfen besteht, die bei ununterbrochenem Betriebe innerhalb von 24 Stunden 23,000 Brotportionen à 750 Gramm herzustellen vermögen. Semmeln und Brötchen gibt es im Kriege natürlich ebensowenig wie im Frieden, es wird nur das sogenannte Kommißbrot gebacken; und welchen Ruf nicht nur unsere Offiziere, sondern auch unsre Militärbäcker im Auslande genießen, erfuhr ich vor zehn Jahren auf einer Orientreise bei dem Besuche der militärischen Bäckereien in Damaskus. Der große Betrieb stand unter der Leitung eines Deutschen, noch dazu eines Landsmannes von mir, der überglücklich war, sich in Damaskus mit mir in seinem geliebten schleswig-holsteinischen Platt unterhalten zu können, während er sonst nur Türkisch sprechen mußte und sich natürlich auch wie ein Türke kleidete.

Wie vortrefflich alles bei uns organisiert ist, davon hat sich ein jeder überzeugen können, der wie ich in diesen Tagen zufällig Gelegenheit hatte, eine neu zusammengestellte Proviantkolonne auf einem kurzen Uebungsmarsch zu sehen. Alle Wagen befanden sich in tadellsoer Verfassung, die ausgehobenen Kriegspferde waren mit neuen braunen Geschirren vorgespannt und hinter der Kolonne wurden die Reservistenpferde geführt. Der Zug stand unter dem Kommando eines Trainoffiziers, die Fahrer waren eingezogene Soldaten, denen man es aber weder an der Uniformierung noch an ihren Leistungen ansah, daß sie jemals ihrem Truppenteil fern gewesen waren. Bei uns klappt alles bis auf das genaueste, und unsere Proviantämter und unsere Kolonnen enthalten tatsächlich alles, was sie enthalten sollen, es fehlt an den vorgeschriebenen Beständen auch nicht der kleinste Teil und die kleinste Ration. Und wenn man es in diesen Tagen in der Zeitung las, daß ein hoher russischer Intendanturbeamter Selbstmord beging, weil allein in seinem Proviantamt 700,000 Kilogramm Getreide fehlten, die er selbstverständlich unterschlagen hatte, dann freut man sich doppelt und dreifach der vollendeten Ordnung, die bei uns herrscht.

Aber so genau auch alles vorbereitet ist, um unsere Truppen während des Krieges im eigenen Lande zu ernähren, der Hauptgrundsatz heißt trotzdem: möglichst vom Kriegschauplatz zu leben, wie es jetzt schon in Belgien und in dem neutralen Luxemburg geschieht. Was unsere Truppen dort an Lebensmitteln brauchen, wird bar bezahlt, und wenn der Kriegsgott unsern Waffen weiter gnädig ist, werden auch die im Westen stehenden Truppen bald von Frankreich reich ernährt werden und aus der Heimat nur noch die Zufuhr erhalten, die nötig ist, um die verbrauchten Vorräte der eisernen Bestände der Lebensmittel- und der Futterwagen zu ersetzen, soweit eine solche Ergänzung nicht ebenfalls aus den Vorräten des feindlichen Landes möglich ist.


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© Karlheinz Everts