Militärische Tonleiter

Anonym (Freiherr von Schlicht/Graf Günther Rosenhagen ?)
in: „Lübecker Eisenbahn-Zeitung” Nr. 55 vom 5. März 1893 Seite 2 und
in: „Militaria”


„Und dann noch Eins, meine Herren, ehe ich es vergesse. Als ich vorhin mit meinem Stabe bei einer singenden Kompagnie vorbeiritt, verstummte plötzlich der Gesang und alle Leute sahen mich groß an. Meine Herren, sagen Sie Ihren Mannschaften, daß ich ein frisches, fröhliches Lied sehr gerne höre, es ist ein Beweis, daß die Soldaten die Anstrengungen des Dienstes und die Strapazen des Manövers mit spielender Leichtigkeit ertragen, daß sie lustig und heiter sind, denn traurige, mißvergnügte Menschen singen bekanntlich nie. Als bitte meine Herren, ich werde mich jederzeit freuen, wenn ich die Truppe singen höre. Guten Morgen, meine Herren.”

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„Meine Herren, Sie haben soeben gehört, was Seine Exzellenz der kommandirende Herr General soeben geäußert hat. Auch ich kann mich den Worten Seiner Exzellenz nur voll und ganz anschließen. Nichts macht einen herzerfreuenderen Eindruck, als wenn man die Soldaten auf dem Heimwege singen oder pfeifen hört; sie selbst vergessen darüber die Mühseligkeiten, Hitze, Hunger und Durst und erfreuen sich selber an den heiteren Weisen. Also machen Sie bitte den Mannschaften bekannt, daß sie sich bei dergleichen Vergnügungen durch die Nähe und Anwesenheit von Vorgesetzten nicht stören lassen sollen. Guten Morgen, meine Herren.”

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„Meine Herren Regiments- und Bataillonskommandeure, meine Herren Hauptleute und Lieutenants, Sie haben Alle gehört, was seine Excellenz der Herr Divisionskommandeur soeben gesagt hat. Auch auf mich hat es schon manchmal den Eindruck gemacht, als ob die Leute plötzlich in ihrem Gesang oder in ihrer Unterhaltung verstummten, sobald sie meiner ansichtig wurden. Meine Herren, das ist ganz falsch, das darf nie und nimmermehr geschehen. Die Leute sollen und müssen unter allen Umständen so erzogen werden, daß sie in uns nicht nur die strengen, aber gerechten Vorgesetzten, sondern vor allen Dingen den älteren Kameraden erblicken, denen ihr Wohl und Wehe am Herzen liegt. Meine Herren, da macht es einen schlechten Eindruck, wenn man nur durch sein Kommen so auf die Stimmung der Leute einwirkt. Meine Herren, lassen Sie die Leute singen, so viel sie wollen, es muß ihnen ja auch selbst Vergnügen bereiten. Guten Morgen, meine Herren.”

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„Meine Herren, ich habe den Worten des Herrn Brigadekommandeurs so gut wie nichts hinzuzufügen. Nur Eins möchte ich noch besonders betonen, was der Herr General auch schon hervorgehoben hat: Die Leute machen keinen frischen, muntern Eindruck. Ich weiß es und will ja gerne zugeben, daß die Leute gerade in diesem Jahr ganz besonders unter der enormen Hitze und den schlechten Quartieren zu leiden haben, aber gerade deshalb müssen wir mit doppelter Sorgfalt darauf bedacht sein, die Leute bei gutem Humor zu erhalten. Meine Herren, wir sind hier mit so viel anderen Truppentheilen vereint, die uns natürlich in Allem beobachten, wie wir sie - soll es da nachher heißen, unser Regiment zeichne sich dadurch aus, daß die Mannschaften bei der geringsten Anstrengung die Köpfe hängen ließen? Glauben Sie etwa, meine Herren, daß das ein besonders gutes Licht auf die mir unterstellten Truppen wirft? Meine Herren, das muß 'raus, wir müssen die Leute bei Humor erhalten und ich glaube, es giebt, wie Se. Exzellenz, der kommandirende Herr General nach meiner Meinung sehr richtig bemerkt hat, hierfür kein besseres Mittel als den Gesang, und den bitte ich Sie dringend, nach Kräften zu fördern. Guten Morgen, meine Herren.”

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„Meine Herren, der Herr Oberst hat sich so deutlich und bestimmt ausgesprochen, daß ich wohl nichts hinzuzufügen brauche. Ich habe ja leider nur erst kurze Zeit die Ehre, dem Regiment anzugehören, aber um so mehr ist es mir, der ich von auswärts komme, aufgefallen, daß unseren Leuten die Lebendigkeit und Frische fehlt. Das sind keine jungen kräftigen Menschen von zwanzig, zweiundzwanzig Jahren. Meine Herren, nehmen Sie es mir nicht übel, aber es ist wirklich so, wenn man unsere jungen Kerle sieht, denkt man unwillkürlich immer an das Wort aus den 'Fliegenden Blättern': 'Die sehen für ihr Alter noch ganz rüstig aus.' Meine Herren, so geht das nicht weiter. Bei meinem alten Regiment wurde schon in der Garnison durch Singstunden, die jede Woche ein oder zweimal von einem besonderen Lehrer gegeben wurden, in dem von Sr. Exzellenz dem kommandirenden Herrn General angedeuteten Sinne gewirkt. Seien Sie versichert, daß ich gleich nach Beendigung der Herbstübung mit aller Strenge auf den Gesangsunterricht dringen werde. Se. Majestät der Kaiser und König haben die Gnade gehabt, mich zum Kommandeur eines Bataillons Soldaten, aber nicht zum Kommandeur eines Bataillons Krüppel zu ernennen. Und das merken Sie sich bitte, meine Herren Hauptleute. Guten Morgen, meine Herren.”

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„Meine Herren, ich möchte Ihnen gerne noch ein paar Worte sagen. Meine Herren, ich habe Sie schon so oft gebeten, mich bei der Führung und Ausbildung der Kompagnie unterstützen zu wollen. Ich kann nicht überall sein, das ist unmöglich. Wenn wir uns auf dem Marsche befinden und die Berittenen an die Tête befohlen sind, ist es Ihre Sache, meine Herren, mit voller Strenge darauf zu halten, daß derartige Sachen, wie sie seine Excellenz mit vollstem Rechte strenge gerügt haben, nicht vorkommen. Aber das kommt davon, wenn die Herren statt sich um Ihren Dienst zu kümmern und Ihre Pflicht zu thun, mit der Cigarre im Mund pomadig einherbummeln, als wenn die ganze Sache Sie weiter nichts angehe. Ich muß dringend bitten, daß Sie sich in Zukunft etwas mehr um Ihre Züge kümmern, sonst würde ich mich genöthigt sehen, in einem anderen Tone mit Ihnen zu sprechen. Guten Morgen.”

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„Ich möchte die Unteroffiziere von meinem Zuge gerne noch einen Augenblick sprechen. Seine Excellenz der kommandirende Herr General hat sich in nicht mißzuverstehender Art und Weise dahin ausgesprochen, daß es einen unendlich jammervollen Eindruck macht, wenn die Kerls jedesmal, sobald ein Vorgesetzter sich sehen läßt, wie auf Kommando das Maul halten. Ich habe es Ihnen schon so oft gesagt, Sie unterstützen mich nicht. Glauben Sie, daß ich dazu da bin, um mir Ihretwegen Grobheiten sagen zu lassen? Was? Oder was denken Sie sich eigentlich dabei? Wie die Unteroffiziere, so die Leute. Sind Sie selber faul und träge, dann wundern Sie sich bitte nicht, wenn Ihre Kerls noch schlapper werden. Sie sind mir für die Leute verantwortlich, das ist Ihr Dienst und dafür bekommen Sie bezahlt. Der Teufel soll Sie holen, wenn Sie nicht in Zukunft darauf halten, daß die Kerls auf dem Marsche singen. Dann fahre ich mit Ihnen ab, daß kein Hund ein Stück Brot von Ihnen nimmt. Danke.”


Ein Tag später. Die Kompagnie marschirt bei 25 Grad R. mit dem bepackten Affen auf dem Rücken auf der staubigen Chaussee. Nur noch etwa zehn Minuten, dann passirt man das Quartier seiner Excellenz, also nun singen:

„Vorwärts, singen, Lied No. 12.”

Aber die Kerls sind todtmüde, die Kehlen wie zugeschnürt, es geht nicht.

„Was Ihr wollt nicht? Bataillon Halt! Das Gewehr über. Batatillon - Marsch!”

Und in strammem Parademarsch geht es den Weg entlang. „Rührt Euch, ohne Tritt! Singen.” Und aus hundert heiseren Kehlen erschallt das Lied: „O, welche Lust, Soldat zu sein.”

Nur ein einziger Drückeberger schweigt und raucht ruhig seinen Tabak weiter.

Wie ein brüllender Löwe stürzt der Unteroffizier auf ihn.

„Und wenn ich Dir Satan die Backzähne einschlagen soll, daß sie Dir sektionsweise aus der Nase herauskommen - singen sollt Du, zu Deinem eigenen Vergnügen sollst Du singen.” Und einen Augenblick später stimmt auch er mit ein in den Refrain: „O, welche Lust, Soldat zu sein.”


„Und dann noch Eins, meine Herren, ehe ich es vergesse. Ich habe da vor einigen Tagen eine Kompagnie gehört, ich glaube sie war von Ihrem Regiment, Herr Oberst. - Die sangen das schöne Lied: 'O, welche Lust Soldat zu sein'.
Mein Herren, man merkte es ordentlich, mit welcher Lust und Begeisterung die Leute es sangen, wie froh sie waren, die herrlichen Worte mit vollem Recht hinein in die Welt hinausjubeln zu dürfen, so muß es aber auch sein! Guten Morgen, meine Herren.”


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© Karlheinz Everts