Meine Tante Therese.

Von Graf Günther Rosenhagen,
in: „Kleine Geschichten”


Sie liebte nur mich allein auf der ganzen, großen, weiten Welt, nicht als ob ich ein besonders artiger Junge gewesen wäre, der, allem Bösen abhold, nur danach trachtete, seiner lieben guten Tante Therese Etwas zu Liebe zu thun — nein, im Gegentheil; wo es eine Gelegenheit gab und wo wir Etwas fanden, mit der[sic! D.Hrsgb.] wir die alte Tante ärgern konnten, war ich stets einer der Ersten. Aber während sie dann über die anderen unartigen Knaben in heißen Gebeten Gottes Zorn herabflehte, blieb sie mir gegenüber doch stets gleich gütig und liebevoll, ich mochte noch so frech und ungezogen gewesen sein. Nichts konnte mich bei meinem täglichen Besuch, den ich ihr abstatten mußte, vor ihren Küssen retten, die mußte ich mir gefallen lassen, denn ich war ja eigentlich ihr Kind.

Als sie noch jung und hübsch gewesen war — in welches Jahrhundert dies für sie goldene Zeitalter fiel, vermochte sie selbst nicht genau anzugeben, — hatte sie meinen damals noch nicht verheirateten Vater mit der ganzen Glut und Leidenschaft geliebt, deren ihre große jungfräuliche Seele fähig war. Mein Vater hatte ihre Neigung erwidert, Tante Therese hatte alle Ursache gehabt zu hoffen und zu erwarten, daß sie dereinst meine Mutter würde. Schon hatte sie sich ein neues Kleid machen lassen, in dem sie meinen Vater bei seinem feierlichen Heiratsantrag empfangen und umarmen wollte — es war rosarote Seide und hatte das Meter in dem Ausverkauf bei dem ihr gegenüber wohnenden Kaufmann Hansen fünfzehn Mark gekostet und schon hatte sie sich furchtbar über ihre Schneiderin geärgert, die sie wie gewöhnlich im Stiche ließ und mit der Näherei nicht von der Stelle kam — da geschah etwas ganz Unerwartetes. Die zahlreichen Vettern und Cousinen meines Vaters begannen gegen Tante Therese zu intriguiren, das „Warum” ist bis auf den heutigen Tag noch nicht aufgeklärt — und es dauerte nicht lange, da hatte mein Vater sich mit meiner Mutter verlobt, die er bald darauf heiratete. Meine Tante Therese fiel die ersten acht Tage von einer Ohnmacht in die andere „es lohnt sich ja garnicht, sie wieder zu wecken, sie liegt doch gleich wieder drinnen, das ist ja die reine Danaidenarbeit” meinte kopfschüttelnd der alte Doktor, that dann aber doch seine Pflicht und rief die Bewußtlose in diese „Thränenwelt” zurück. Dann bekam Tante Therese Weinkrämpfe. Endlich legte sich ihr Schmerz und sie warf einen wütenden Haß auf Alle, zunächst auf meinen Vater, den Treulosen, der sie um ihre schönsten Hoffnungen betrogen und sie noch dazu in große Unkosten gestürzt hatte; denn was sollte sie mit dem rosaroten Kleid noch machen? Sie mußte es aufbewahren, bis ein Anderer, ein Besserer auf den Gedanken käme, sie zu heiraten, aber so dumm war Keiner. Dann haßte sie meine Mutter, die ihr das Herz meines Vaters gestohlen und sich in eine Stellung hineingeschmuggelt hatte, die ihr, nur ihr ganz allein zukam. Aber am Meisten haßte sie die Vettern und Cousinen, jenes Otterngezücht, das gewagt hatte, meinem Vater von der Partie mit ihr abzuraten und eine Andere an ihre Stelle zu schieben.

Nur mich liebte sie; nur durch einen Zufall war ich ja das Kind meiner Mutter geworden, ihr gehörte ich, mochten die Anderen lachen soviel sie wollten. Sie verfolgte mein Werden und mein Geborenwerden mit der größten Theilnahme — war es doch ihr Kind, das entstand — und als meine Mutter die Erlösungsstunde herannahen fühlte, legte auch Tante Therese sich zu Bett, ließ sich von ihrer Köchin Haferschleim kochen und atmete erleichtert auf, als man ihr meine endliche Ankunft auf dieser Welt meldete. Dann blieb sie als eingebildete Wöchnerin noch vierzehn Tage liegen und strickte für mich Windeln, Schuhe und kleine Jacken in ungezählter Menge. Als ich vor kurzer Zeit Vater wurde, konnte ich meinen Erstgeborenen in die Sachen stecken, die meine Tante Therese für mich gearbeitet hatte. Über meine Erziehung und Ernährung fanden zwischen meiner Mutter und ihr die heftigsten Kämpfe statt und da meine Mutter nicht im Stande war, mir die Brust zu geben, erklärte meine Tante Therese sich bereit, mich an ihren jungfräulichen Busen zu nehmen, bis man ihr schließlich bewies, daß dieses gütige Anerbieten doch kaum Nutzen haben würde.

Als ich Tante Therese zum ersten Mal mit Bewußtsein sah, bekam ich einen furchtbaren Schreck. Sie war lang und dünnn wie eine Flaggenstange, Alles an ihr war spitz und eckig, besonders ihre Adlernase, die kühn gebogen fast ihr Unterkinn berührte. Ihr einen Kuß auf den Mund zu geben, war nicht so einfach; erst in späten Jahren habe ich gelernt, sie zu küssen, ohne mir an ihren hervorstehenden Knochen meine Haut zu verletzen. Zwei Vorzüge aber hatte sie, die sie als Ehefrau mit nur Wenigen gemeinsam gehabt hätte, sie war farbenblind und hatte keinen Geschmack (letzteres hing mit der eigenthümlichen Konstruktion ihrer Nase zusammen.) In folge dessen war es ihr ganz einerlei, was sie aß, ob Austern oder einen Eßlöffel voll Rhicinusöl; welche Unsummen hätte sie da nicht an Wirtschaftsgeld gespart und wie hätte man sie bei ihrer Farbenblindheit mit ihren Toiletten betrügen können.

Eine Beschäftigung aber muß der Mensch auf Erden haben, wenn er sich wohl und glücklich fühlen soll, sonst verfällt er auf allerlei Thorheiten. Meine Tante Therese entschloß sich nach längerem Nachdenken bei allen Verwandten Unfrieden und Streit zu stiften, damit wollte sie sich die Zeit vertreiben und es sollte ihre Rache sein für die Beleidigung, die man ihr angethan. Den ganzen Tag war sie unterwegs, von einer Tante lief sie zur Anderen, mit Riesenschritten ging sie durch die Straßen, um das soeben Vernommene brühwarm weiter erzählen zu können, nur mit etwas anderen Worten und einem etwas anderen Sinn, sonst ganz genau ebenso! Sie war sehr spitzfindig, meine gute Tante Therese und mit ihrer scharfen, spitzen Zunge verdrehte sie die harmloseten Sachen. Überall war sie verhaßt; aber Keiner wagte, es sie merken zu lassen, denn wenn Tante Therese anfing, Jemanden schlecht zu machen, so blieb von dem Betreffenden garnichts übrig. Sie war sehr fromm und ging jeden Sonntag in die Kirche; nur mit dem bösen Leumundreden nahm sie es nicht so genau. Einmal passierte Tante Therese aber mit ihrer Frömmigkeit ein kleines Malheur. Eine ihrer vielen Nichten, ein bildhübsches, lebhaftes, junges Mädchen wurde konfirmiert und vergebens zerbrach sie sich den Kopf, welches Geschenk für dieses nach ihrer Meinung total verdorbene Geschöpf wohl am geeignetsten wäre, um es bald möglichst auf den Pfad der Tugend zurückzuführen. Endlich hatte sie ein passendes Buch gefunden und mit salbungsvollen Worten überreichte sie am Konfirmationstage ihrer Nichte „Die fromme Helene.” Als sie sich aber nach einiger Zeit zu ihrer eigenen Erbauung von ihrer Nichte das Buch geliehen hatte und die etwas freien Verse las, schickte sie an Wilhelm Busch einen furchtbaren Brief und machte ihm die heftigsten Vorwürfe, daß er unter frommem Deckmantel solche Sachen schriebe.

Als meine Tante Therese durch ihr ewiges Gerede ein solches Lügengewebe zwischen allen Verwandten geflochten hatte, daß sie selbst nicht mehr darin zu recht finden konnte, faßte sie in einer schlummerlosen Nacht den Vorsatz, ihre vielfachen Vergehen dadurch wieder gut zu machen, daß sie etwas Lobenswertes vollbrächte, irgend eine That, für die ihr noch Kinder und Kindeskinder auf den Knieen danken würden. Aber was? — Bald hatte sie es gefunden, sie wollte eine Heirat stiften. Wer paßte denn nun wohl zusammen? Aribert und Adelgunde waren die beiden Unglücklichen, auf die sie aufmerksam wurde. Nie haben zwei Menschen schlechter zu einander gepaßt als diese beiden vollständig entgegengesetzten Naturen. Mit der ganzen Beredsamkeit, deren sie fähig war, überzeugte Tante Therese Aribert, daß er bis über beide Ohren in Adelgunde verliebt sei und umgekehrt. Der Tag der Trauung kam heran und stolzer kann keine berufsmäßige Heirats­vermittlerin auf ihr Werk sein, als Tante Therese es war. Strömenden Auges schloß sie die Neuvermählten in ihre langen hageren Arme: „Mir, nur mir, der vielgeschmähten und vielgeprüften Tante Therese verdankt Ihr Euer Glück, laßt Euch segnen und küssen,” und sie drückte ihre Adlernase gegen die Backenknochen des jungen Paares. Aber das Glück, das Tante Therese ihnen versprochen und so schön ausgemalt, fanden sie nicht. Aribert langweilte sich bei seiner Frau, die für Nichts auf der Welt Interesse hatte und noch dazu jeden Mittag total verdorbenes Essen auf den Tisch brachte. Er fing sein Junggesellenleben bald wieder an, trank, spielte und saß den ganzen Tag im Club. Aber das nicht allein; Tante Therese erhielt Beweise, untrügliche Beweise, das Aribert seiner Ehefrau die Treue bräche. Sie war außer sich —, war das das Gute, das sie hatte stiften wollen? Er sollte ihr nur kommen, sie wollte ihn schon mit Liebe oder mit Strenge auf den richtigen Weg zurückführen! Aber wie seiner habhaft werden, der ihr ängstlich aus dem Wege ging? Sie eilte zu dem Papierhändler: dann schrieb sie mit verstellter Handschrift einen glühenden Liebesbrief an Aribert und bestellte ihn zu einem Rendez-vous. Pünktlich stellte er sich ein: „Wer bist Du, göttergleiches Wesen, das in Liebe und Sehnsucht nach mir vergeht?” Da fühlte er eine harte, knöcherne Hand an seinem Hals — er dachte, es wäre der Tod — dann fielen hageldicht schallende Ohrfeigen auf sein Gesicht: „Ich, Deine Tante Therese, bin das göttergleiche Wesen! Glaubst Du, daß dein jeder Scham und Ehrenhaftigkeit entbehrendes Benehmen nicht stadtbekannt ist? Kehre sofort zu deiner Frau zurück und sage ihr, daß Du sie liebst.” Und reumüthig ging Aribert in den Klub zurück und zechte und spielte wie noch nie. Das kommt davon, wenn man absolut Gutes stiften will. —

Nun ist meine Tante Therese schon lange tot und kein Mensch hat ihr eine Thräne nachgeweint, nicht einmal ich.

„Tante Therese, wo hast Du eigentlich die furchtbar großen Füße her?” fragte ich sie als Kind einmal, als ich bewundernd vor ihren langen Gummischuhen stand. Hätte Willibald Alexis die Dinger gesehen, ich glaube, er hätte sich um die Hosen des Herrn von Bredow nicht weiter gekümmert, sondern über die Gummistiefel der Tante Therese eine Geschichte geschrieben.

„Gefallen sie Dir nicht, mein Junge, das thut mir leid, ich wollte sie Dir eigentlich bei meinem Tode vermachen,” hatte sie erwidert, „vielleicht freust Du Dich doch, wenn Du sie erbst.”

Voll Erstaunen hatte ich die alte Frau angesehen und ihre Worte nicht begriffen.

Jahre, viele Jahre waren vergangen. Ich war Student und saß eines Tages in meiner Dachstube und fror, denn mein baares Geld war ausgegeben, obgleich es erst der dritte im Monat war. Da hörte ich schwere, mühsam schleppende Schritte auf der Treppe; ich öffnete die Thür, Dienstmänner brachten eine Riesen-Kiste in meine Stube.

Neugierig öffnete ich sie: Tante Thereses Gummistiefel waren drinnen, mein einziges Erbstück, bis oben gefüllt mit klingenden Goldstücken!

Ich war ihr Universalerbe; ich war ja auch der Nächste dazu, denn ich war ja doch eigentlich ihr Kind!


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