Sommer–Uebung.

Humoristische Plauderei vom Freiherrn v. Schlicht.
in: „Das Kleine Journal” Nr. 331 vom 30.Nov. 1896,
in: „Abendblatt”, (Chicago Ill.), vom 17.12.1896 und
in: „Türke und Stachelschwein”


Im Winter macht der Offizier seine Winterarbeit — oder richtiger gesagt: er schreibt sie ab — und im Sommer macht der Offizier seine Sommer–Uebung, oder richtiger gesagt. er sollte sie eigentlich machen.

Aber der Sommer ist so kurz, in manchem Jahr geibt es überhaupt keinen Sommer, und hat der Himmel endlich einmal ein Einsehen und schickt einen guten Tag, dann wäre es doch ein Verbrechen, wenn man den durch eine Sommer–Uebung entweihen wollte: da setzen die Vorgesetzten sich lieber auf ihr mehr oder weniger „hohes Pferd” und reiten spazieren.

Und der Lieutenant, dem Anstand und Disziplin befehlen, stets hinter den Vorgesetzten zurückzubleiben, ihnen stets den Vortritt zu lassen, zieht sein Stahlroß aus dem Stall, und glücklich, einmal selbst etwas verpumpen zu können, wo er sonst immer anpumpen muß, pumpt gehörig Luft in die Reifen, ersteigt dann mit mehr oder weniger Grazie sein Vehikel und saust an den Vorgesetzten vorüber — ihnen auch einmal seinen Rücken zur geneigten Beaugenscheinigung darbietend.

Und der Vorgesetzte und der Untergebene sind, wenn sie mit heilen Knochen wieder zu Hause angelangt sind, Beide froh — der Eine, daß er über diesen Ausflug ins Grüne keine schriftliche Ausarbeitung anzufertigen, der Andere, daß er sie nicht zu korrigiren braucht.

Du sollst den Feiertag heiligen, lehrt ja schon eines der zehn Gebote — als Kind wußte ich auch, das wievielte Gebot(1), und ein schöner Sommertag ist ein Feiertag, den die Natur den Menschen schenkt.

Nur keine Entweihung!

Der Sommer ist ja noch so lang, so entsetzlich lang, und morgen ist ja auch noch ein Tag und übermorgen auch, und dann, und dann, ein Tag folgt immer dem anderen — so viel Tage, als es giebt, giebt es ja überhaupt nicht.

Aber eines schönen Tages ist der Sommer vorbei, der Herbst ist gewesen und Schneeflocken tanzen durch die Luft — wie der Lieutenant durch den Ballsaal.

Und die Sommer–Uebungen sind immer noch nicht gemacht. Nun wird es aber bald Zeit.

Die Herren Stabsoffiziere, die ihren Untergebenen den Auftrag geben müssen, denken mit Schrecken daran.

Sie ermann sich und eines Mittags steht im Parolebuch: „Voraussichtlich findet in dieser Woche eine Sommer–Uebung statt. Das Nähere wird noch befohlen werden.”

Aber es wird nichts befohlen — voraussichtlich hat der Kommandeur es vergessen oder er thut wenigstens so, als ob — zwischen voraussichtlich und thatsächlich ist ein Unterschied wie zwischen —

Na, sagen wir — wie zwischen Nansen's Nordpol–Expedition und einem römisch–irisch–asturisch–amerikanischen Schwitzbad.

Selbst die längste Bank, auf die man etwas schieben kann, hat ein Ende, vorausgesetzt, um mit Fritz Reuter zu sprechen, daß die bösen Jungens das Ende nicht abgeschnitten haben, und so geht der Herr Oberstlieutenant denn eines schönen Abends in sich und arbeitet eine Uebung aus, es wird wirklich die höchste Zeit, daß er Zwei „abschlachtet”.

Die beiden Schlachtopfer sind unterdeß auf einem Ball, sie tanzen wie zwei Wasserfälle, und ihre Heldenbüste, pardon, ihre Heldenbrüste sind bei dem Kotillon mit Orden geschmückt worden, als wären sie Befreier des Vaterlandes aus mehr ode weniger drückender Finanznoth, als hätten sie die Gehaltsaufbesserung der Premier–Lieutenants aus einem göttlichen Traum in Wirklichkeit verwandelt.

Für die Gehaltserhöhung(2) der übrigen Beamten haben sie absolut gar kein Interesse — Jeder ist sich selbst der Nächste, der Lieutenant ist sich selbst der Allernächste.

Der Ball ist beendet, man hat dem Diener mit möglichst souveräner Miene das obligate Fünfzigpfennigstück in die Hand gedrückt — ein Lieutenant giebt nie mehr, wie sollte er auch, ohne bei Rothschild eine Anleihe machen zu müssen, und überlegt, auf der Straße angekommen, wohin man gehen soll.

Nach Haus? Unsinn, was soll man da? Schlafen? Das kann man, wenn man todt ist, noch mehr als genug — exempla lehren, daß Manche das ewige Schlafen gar nicht aushalten, sondern wieder lebendig werden, außerdem ist morgen kein Dienst — der Häuptling läßt schießen — diesen wichtigen Dienstzweig vertraut er keinem Anderen an; laß ihn — der Lieutenant ist nicht ehrgeizig.

Man beschließt, noch einen Pilsener mit nach Haus zu nehmen — natürlich nicht im Glas, das wäre gefährlich, da könnte leicht etwas von dem edlen Naß überschwibben und verloren gehen — der Magen ist ein sichererer Transportkasten.

Man nimmt einem Glas Pilsener nach dem anderen „die Mütze ab”, aber als man sich endlich selbst „die Mütze” aufsetzt, hat man sich mächtig einen „eingeschwenkt”.

Um fünf Uhr kommt der Herr Lieutenant endlich nach Haus — es kann aber auch schon halb sechs sein, die Uhren gehen ja so verschieden, und schwer stöhnend wirft er sich in die Kissen.

Man merkt doch, daß man alt wird, das Tanzen ist doch eine große Anstrengung.

Der Herr Lieutenant ergreift die Streichholzschachtel, um damit das Licht auszudrücken — da fällt sein Blick auf einen neben dem Leuchter liegenden Zettel.

„Dienstveränderung: Morgen früh findet eine Sommer–Uebung zwischen dem Lieutenant Aberg und dem Lieutenant Beberg statt. Die Aufgabe geht den Herren Führern bei dem Antreten der Mannschaften um 7 Uhr zu.”

Der Lieutenant will fluchen, aber seine Kehle ist zugeschnürt — das verdammte Pilsener Bier macht so trocken im Hals. Herr Gott, um sieben Uhr antreten, da muß er ja um sechs Uhr aufstehen und jetzt ist es — wahrhaftig — schon gleich drei Viertel.

„Na, dann gute Nacht.”

Er macht das Licht gar nicht erst aus — das wäre ja eine Streichholzvergeudung und schnarcht nach einer Sekunde wie ein Todter.

Nach kaum fünfzehn Minuten tritt der Bursche in das Schlafzimmer — er ist ein- für allemal dahin instruirt, seinen Lieutenant eine Stunde vor Beginn des Dienstes zu wecken.

Mi vieler Mühe gelingt es ihm auch heute — aber der Lieutenant bittet, ihn noch einen Augenblick schlafen zu lassen: nur noch Einmal herum.

Aber der Bursche ist ein- für allemal auch dahin instruirt, derartige egoistische Wünsche seines Gebieters nie- und nimmermehr zu erfüllen. So zieht der Bursche denn erst die Decke aus dem Bett und dann seinen Lieutenant selbst und gleich darauf steht dieser, noch etwas taumelnd und schwiemelig vom vielen Tanzen, am Waschtisch.

Wasser ist leider billiger als Moët et Chandon — so macht er denn von dem Erfrischungsmittel reichlichen Gebrauch.

Als er seine Wohnung verläßt, ist er wieder Mensch.

Es friert Kieselsteine und den armen Soldaten auf dem Kasernenhof, die seiner harren, klappern die Zähne.

Eine Ordonnanz überreicht ihm einen versiegelten Briefumschlag, der seine Aufgabe enthält.

Ein kräftiger Fluch entfleucht dem Gehege seiner Zähne. Das fehlte auch gerade noch. Das Rendez–vous ist da ganz, ganz hinten, er hat einen Marsch von mehreren Stunden vor sich.

Er nimmt die Karte vor, entwirft seinen Schlachtplan, und nachdem er sich darüber einig ist, wie er seine Truppen zum Siege führen will, kommandirt er: „Das Gewehr über, mit Sektionen vom rechten Flügel, ohne Tritt Marsch!” Er setzt sich an die Tête, klappt den Paletotkragen hoch, steckt die Hände tief in die Taschen und giebt die Marsch­geschwindigkeit an. Der Schnee knirscht unter jedem Schritt, sein schöner Schnurrbart gleicht einem Eiszapfen — ach, solche Sommer–Uebung ist ein Genuß!

Ueber den Verlauf des Gefechtes giebt er sich keinerlei Sorgen hin — falsch wird es ja doch oder wenigstens nicht so, wie der Auftraggeber sich die Lösung gedacht hat, das ist so klar wie nur etwas — was soll er sich da also unnütze Sorgen machen. Wenn er nur erst wieder zu Haus wäre und sich schlafen legen könnte — alles Andere ist ihm völlig gleichgiltig.

Manchmal werden die Uebungen schon am Tage vorher befohlen. Dann heißt es im Parolebuch: „Rendezvous der Zuschauer für die morgige Felddienstübung da und da.”

Dann sind die Kämpfer „fein heraus”, dann wissen sie: da, wo die Zuschauer — sämmtliche berittenen und unberttenen dienstfreien Offiziere des Regiments — da, wo die sich sammeln, soll die Schlacht tgeschlagen werden. Und sie schlagen sie auch da, so sicher, wie der Pastorin der Kirche Amen sagt, ganz einerlei, welchen Auftrag sie haben.

Selbstverständlich ist das nicht sehr kriegsgemäß — dem Lieutenant ist das natürlich vollständig „schnuppe”, wie einem richtigen Lieutenant überhaupt Alles „schnuppe” ist, nicht aber den Vorgesetzten.

Bei einem Regiment versuchte ein Oberst, das frühzeitige Bekanntwerden des Sammelplatzes für die Zuschauer dadurch zu verhindern, daß er im Parolebuch bekannt machen ließ: „Den Sammelplatz und die Zeit des Rendezvous erfahren die Zuschauer morgen früh um acht Uhr durch eine Ordonnanz auf dem Kasernenhof.”

In der Theorie war der Gedanke ja sehr gescheidt, aber man kam in Versuchung, ihn in der Praxis herzlich dumm zu nennen.

Die Lieutenants, die abgeschlachtet werden sollten, liefen einfach von einem Feldwebel zum anderen, bis sie die Kompagnie ermittelt hatten, die die Ordonnanz stellte — und wußten sie das erst, dann hatten sie das Andere, was sie wissen wollten, auch bald in Erfahrung gebracht.

Der Auftrag, den der Lieutenant erhält, wird diesem entweder Morgens bei dem Antreten der Leute oder schon einen Tag vorher übersandt — das Couvert ist stets versiegelt und trägt stets den Vermerk, wann und wo es geöffnet werden darf.

Dadurch soll verhindert werden, daß die beiden Gegner sich vorher ihre gegenseitigen Aufträge mittheilen, und die Maßnahmen, die sie treffen, miteinander verabreden.

Daß kein preußischer Offizier das Siegel des Geheimnisses auch nur eine Minute vor der befohlenen Zeit öffnet, ist zu selbstverständlich, als daß es der besonderen Erwähnung bedürfte.

Mir ist nur ein einziger Fall bekannt, wo gegen den Befehl gehandelt wurde.

Bei einem Pionier–Bataillon war es: das Offizierkorps saß bei Tisch, als eine Ordonnanz einem blutjungen Lieutenant den Auftrag für seine Sommer–Uebung überbrachte. Er betrachtete das Siegel des Bataillons, die geheimnißvolle Aufschrift, und Schrecken und Zittern überfiel ihn. Wohl fünf Minuten saß er mit dem Brief in der Hand und starrte ihn an, bis ein Kamerad ihm denselben mit den Worten: „Aber was haben Sie denn da?” aus der Hand nahm.

Der Brief machte die Runde, und als er in die Hände des Adressaten zurückgelangte, war er geöffnet — das Siegel gebrochen.

Der junge Lieutenant war daran ebenso wenig schuld wie ein neugeborenes Kind, trotzdem sah er sich im Geiste kriegsgerichtlich erschossen und extra verschiedenen Raubvögeln als Beute vorgeworfen.

Nach einer halben Stunde war er von den Kameraden beruhigt — da aber trat die Versuchung an ihn heran.

„Na, wenn der Brief nun doch einmal offen ist,” riethen die Freunde, „dann können Sie den Auftrag auch ruhig herausnehmen und einmal durchlesen.”

Aber er widerstand &mdash, war die Versuchung auch noch so groß, er wollte größer sein, er wollte dem Teufel nicht unterliegen. Und er hätte auch gesiegt, wenn ihm nicht der Brief zum zweiten Mal entwendet und der Auftrag herausgenommen worden wäre. Er sprang auf, um dem Räuber das Papier zu entreißen — zu spät, schon wanderte es von Hand zu Hand und der Präses der Tischgesellschaft verlas mit lauter Stimme:

„Auftrag für den Sekonde–Lieutenant Gläubig.”

Vernichtet sank dieser auf seinen Stuhl. „Ich bin unschuldig,” rief er mit flehender Stimme, „ich rufe Gott zum Zeugen.”

Ein wahrhaft teuflisches Gelächter folgte diesen Worten — dann aber las der Präses weiter:

„In der Nacht von gestern auf heute hat auf der Oder, in der Nähe von Ratibor, ein Kampf zwischen einem englischen und deutschen Kanonenboot stattgefunden, bei welchem letzteres gesunken ist.

Sekondelieutenant Gläubig erhält den Auftrag, mit seinem Zuge (20 Rotten) die Hebung des gesunkenen Kanonenbootes vorzunehmen.

Das hierzu nöthige Material ist selbständig zu requiriren.
A. B.
Ulkstein,
Premierlieutenant und Bataillonsadjutant.”

Dann ging der Brief an den armen Sekondelieutenant zurück, der sich die Ohren zugehalten hatte, um nichts zu hören &mdash, aber als er die Häünde herunternahm, erfuhr er es doch.

Und als er seinen Auftrag erfahren hatte, „schwitzte er Blut”.

Nach Tisch ließ er sich von einer Ordonnanz aus seiner Kasernenwohnung die Generalstabskarte holen, und tief über dieselbe gebeugt, sann er über die Lösung seiner Aufgabe nach. Nach einander traten die Kameraden zu ihm, besprachen die Sache mit ihm und sagten, was sie in diesem Falle thun würden, bis endlich Alle gemeinsam einen Plan entworfen hatten, den auszuführen Gläubig versprach, wil es ihm so am besten deuchte.

Aber beruhigt war sein Gemüth darum doch nicht — er hatte eine mächtige Angst, wie er sein erstes Debut auf dem Felde der Ehre bestehen würde.

Laut Parolebefehl hatte er die Abmarschzeit seiner Leute selbständig zu befehlen, um sechs Uhr wollte er abmarschiren, aber in der stillen Nacht kamen ihm Bedenken, ob das nicht vielleicht doch zu spät sei, und er rückte schon um fünf Uhr ab, um das gesunkene Kanonenboot, das viele tausend Centner wiegt, mit seinen zwanzig Rotten (vierzig Mann) zu heben.

Und daß er so früh abmarschirte, war sein Unglück, aber nicht sein Unglück allein.

Um dreiviertel auf Sechs erschien eine Ordonnanz, um Herrn Lieutenant Gläubig die Aufgebote zu überbringen, aber Gläubig war fort, nur der Himmel wußte, wohin, denn nur zu bald stellte es sich heraus, daß er den gemeinsam entworfenen Plan geändert und einen neuen, ganz allein, aufgestellt hatte.

„Wo ist der Lieutenant Gläubig,” donnerte der Herr Major seinen Adjutanten an, als diese auf dem Kasernenhof ihre bereitstehenden Pferde besteigen wollten.

Und da mußte der Adjutant bekennen, daß man dem Lieutenant Gläubig einen mächtigen Bären aufgebunden hatte.

Wie konnte man auch annehmen, daß Gläubig, der seiner Leichtgläubigkeit wegen schon so oft gerügt worden war, darauf hineinfallen würde!

Wie konnte er ein Kanonenboot heben, das gar nicht gesunken war?

Das war doch mehr als Unsinn.

Aber der Herr Major hatte für diesen Unsinn absolut kein Verständniß, der Adjutant bekam Dinge zu hören, Dinge, die schon nicht mehr schön waren.

Alle berittenen Offiziere wurden ausgesandt, um Gläubig zu suchen. Endlich fand man ihn, als er gerade im Begriff war, zum dritten Mal in der Umgegend von Ratibor nach dem gesunkenen Kanonenboot zu suchen.

Viele Kritiken sind schon unter Gottes schönem Himmel gehalten worden, aber eine solche Kritik, wie(3) dieser Leistung folgte, noch nicht.

Von diesem Augenblick an glaubte Gläubig gar nichts mehr — er erhielt bald seinen Abschied, weil er zu keinem ihm angesetzten Dienst mehr kam, und er kam nicht, weil er glaubte, das wäre wieder eine Uzerei, und an der einen hatte er mehr als genug.

Diese Sommer–Uebung war wirklicher Humbug — aber auch die anderen Sommer–Uebungen sind, wenigstens in den Augen der Kämpfenden, theilweise Humbug — sie wären es ganz, wenn es keine schriftliche Ausarbeitung gäbe.

Das ist eine Arbeit, von der kein Civilist sich eine Vorstellung zu machen im Stande ist.

Jeder Lieutenant erhält seine Sommer–Uebung wenigstens drei Dutzend mal zurück, „weil die Zeiten nicht stimmen”.

Der Eine schreibt: „Um 8.15 Uhr bemerkten mein Patrouillen den Feind, 8.20 stieß ich auf stärkere Abtheilungen und eröffnete 8.21 das Feuer.”

Der Gegner schreibt: „Um 8.12 Uhr bemerkten meine Patrouillen den Feind, 8.14 stieß ich auf stärkere Abtheilungen und eröffnete 8.19 das Feuer.”

Das stimmt nicht — wenn der Eine um 8.18 Uhr auf stärkere Abtheilungen stößt, kann der Andere nicht um 8.20 auf stärkere Abtheilungen gestoßen sein.

Soll Attinghausen(4) umsonst gestorben sein? Seid einig, einig, einig!

Und so einigten sich die beiden Gegner dahin, daß sie um 8 Uhr 19 Minuten auf stärkere Abtheilungen gestoßen sind.

Selbstverständlich muß die ganze Arbeit deswegen noch einmal abgeschrieben werden, und ist der eine Fehler beseitigt, so entdeckt der Stabsoffizier einen neuen Fehler, den er beim ersten Mal übersehen hat, und so geht das bis in die Unendlichkeit.

Das Praktischste wäre entschieden, wenn man die letzte Abschrift als erste anfertigen könnte, aber das geht ja leider nicht.

So sitzt der eine Lieutenant denn in der Nähe des wärmenden Ofens und arbeitet seine Sommer–Uebung aus. Sehr erfreut ist er darüber nicht, viel, viel lieber wäre er ausgegangen, ins Konzert oder ins Theater, wo man sein Lieblingsstück spielt: „Die Welt, in der man sich langweilt.”

Und nun muß er sich hier langweilen.

Er hat am Morgen ein rosa–rothes, zartes, duftendes Billet–doux erhalten — von schöner, unbekannter Hand. Sein Blick hat genügt, ein leicht entzündbares Frauenherz zu entflammen — sie hat ihm geschrieben, sie erwartet ihn im Theater — Parkett, eine der vordersten Reihen — „an meinem Gatten sollst Du mich erkennen”, und sie hat ihm genau geschildert, wie der Mann aussieht, neben dem sie sitzt.

Glücklicher Gatte!

Armer, armer Lieutenant!

Das kommt davon, wenn man die Sommer–Uebungen im Winter machen muß — viel lieber hätte er sie im Sommer gemacht, noch lieber gar nicht.

Endlich, spät in der Nacht, ist die Ausarbeitung nebst allem Zubehör fix und fertig. Kunstvoll dreht er einen schwarz und weißen Faden — nur mit einem solchen darf die Arbeit geheftet werden, und endlich schiebt er das Manuskript weit, weit von sich, stärkt die ermatteten Glieder durch einen Cognac und sein Werk betrachtend stöhnt er:

„Das Fechten ist der Güter höchstes nicht
Der Uebel größtes aber ist das Schreiben.”

So unrecht hat er nicht.


Fußnoten:

(1) In der Buchfassung fehlt der Satz: „als Kind wußte ich auch, das wievielte Gebot”. (zurück)

(2) Die meisten großen Zeitungen Deutschlands berichten im ganzen zweiten Halbjahr 1896 über die geplante Besoldungserhöhung im gesamten öffentlichen Dienst — Zivil und Militär. (zurück)

(3) In der Buchfassung heißt es hier: „wie sie dieser Leistung folgte”. (zurück)

(4) Attighausen stirbt in „Wilhelm Tell”, 4. Aufzug, 2. Szene mit den Worten: „Seid einig, einig, einig!”. (zurück)


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