Eine Soldatenliebe.

Humoreske von Freiherrn v. Schlicht.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 29. und 30.Nov. 1898 und
in: „Der grobe Untergebene”.


Sergeant Kopka(*) war entschieden der strammste und tüchtigste Unterofficier des Bataillons; selbst ein Riese an Kraft, gewandt in allen körperlichen Uebungen, setzte er seinen Ehrgeiz darein, seine Leute zu eben so tüchtigen Soldaten, wie er es selbst war, zu erziehen. Als Kopka vor nunmehr zwei Jahren bei dem Bataillon capitulirt hatte, war unter den vier Hauptleuten ein förmlicher Streit darüber ausgebrochen, wer Kopka zu seine Compagnie bekäme, bis die den Ausschlag gebende Stimme des Herrn Majors den großen und schönen Menschen der ersten Compagnie zutheilte.

Hauptmann von Flotow, der Chef der Königlichen Ersten, frohlockte und triumphirte. Er setzte große Hoffnungen auf seinen Corporal, und diese erfüllten sich nicht nur in jeglicher Weise, sondern die Erwartungen wurden sicher noch übertroffen. Kopka war wirklich eine Perle, er verstand seinen Dienst wie nur Einer, und er hatte seine Leute, denen er ein strenger aber gerechter und wohlwollender Vorgesetzter war, in Zug, daß es eine reine Freude war.

Zwei Jahre waren so vergangen, zwei Jahre hindurch hatte Kopka nie den geringsten Anlaß zum Tadel gegeben, zwei Jahre hindurch hatte er sich tadellos im und außer Dienst geführt, als sein Hauptmann sich eines Tages der Erkenntniß nicht mehr verschließen konnte, daß mit dem tüchtigsten seiner Unterofficiere irgend Etwas vorgegangen sein müsse. Schon zu wiederholten Malen hatte der Hauptmann seinen Sergeanten in der letzten Zeit moniren müssen, er war nicht mehr so frisch und lebendig im Dienst wie sonst, er schien manchmal zu schlafen und zu träumen, anstatt auf seine Leute aufzupassen, und er fuhr erschrocken zusammen, wenn man ihn anredete. Anfänglich hatte der Hauptmann Kopka's Benehmen, ohne ein Wort des Tadels auzusprechen, mit angesehen. „der wird schon von selbst wieder anders werden,” sagte er sich, aber als er bemerkte, daß seine Annahme irrig sei, versuchte er Kopka erst durch kurze Zurufe, dann durch ernste Ermahnungen in die alten Geleise zurück zu führen. Aber Alles war vergebens.

„Kopka, ich muß einmal mit Ihnen sprechen,” sagte da eines Tages der Hauptmann zu ihm, „so geht Das nicht länger. Sie vernachlässigen Ihren Dienst von Tag zu Tag mehr, es thut mir leid, daß ich Ihnen Dies sagen muß. Sie wissen, ich tadele ungern, Sie ganz besonders ungern, aber ich kann nicht anders. Irgend Etwas muß Sie betrüben, vertrauen Sie sich mir an, ich will Ihnen helfen, soweit ich es irgend kann. Fühlen Sie sich krank, wollen Sie einige Wochen auf Urlaub gehen?”

„Nein, Herr Hauptmann.”

„Haben Sie Schulden gemacht oder sonst irend etwas auf dem Gewissen, das Sie quält, dann sagen Sie es mir. Haben Sie Sorgen irgend welcher Art?”

„Nein, Herr Hauptmann,” klang es abermals zurück.

„Dann kann ich Ihnen nicht helfen, dann muß ich gegen Sie ebenso streng sein wie gegen jeden Anderen, der seine Pflicht versäumt. Ein paar Tage will ich es noch mit Ihnen ansehen und ich hoffe, daß Sie sich inzwichen auf sich selbst besinnen werden. So geht es nicht weiter, Das müssen Sie selbst einsehen.”

„Ja, so geht es nicht weiter, Das sehe ich selbst ein,” sprach Sergeant Kopka zu sich, als sein Hauptmann ihn entlassen hatte und er nun, nach Beendigung des Dienstes in seinem Unterofficier–Verschlag saß, der durch quergestellte Spinde und einen grünen Cattunvorhang von der großen Mannschaftsstube abgetheilt war. „So geht es nicht weiter. Ich kenne meinen Hauptmann, dem geht der Dienst über Alles, der spaßt nicht; wenn Das nicht anders wird, bestraft er mich mit Arrest. Und eher gebe ich alle Heiratsgedanken auf, als daß ich mich einsperren lasse und damit meiner militärischen Carrière ein Ende mache. Ein Unterofficier darf nicht bestraft sein, zum wenigsten Keiner, der daran denkt, Feldwebel zu werden. Das ist ein Unding.”

Sergeant Kopka stützte den Kopf in die Rechte und sah grübelnd und sinnend vor sich hin. Das kam davon: warum war er damals der Einladung des Kriegervereins gefolgt? Er hatte gar keine Lust gehabt, das Fest zu besuchen, aber die Kameraden hatten ihm so lange zugeredet, mitzugehen, sich doch auch einmal dort sehen zu lassen, sich einmal ein Vergnügen zu gönnen und nicht jeden Abend bei seinen Leuten zu sitzen und ihnen aus dem Instructionsbuch vorzulesen — sie hatten so lange auf ihn eingeredet, bis er denn schließlich versprach, mitzukommen.

„Ich kann ja jeden Augenblick wieder fortgehen,” hatte er sich getröstet, „wenn der Tanz erst einmal begonnen hat, fragt kein Mensch danach, ob ich da bin oder nicht. Was liegt mir selbst am Tanze? Deswegen gehe ich keinen Schritt vor die Thür.”

Aber an diesem Abend hatte auch er die Erfahrung machen müssen, daß oft ein einziger, kurzer Augenblick genügt, um unsere Ansichten und Anschauungen vollständig zu ändern.

Unter den vielen Tänzerinnen, die von Freunden und Bekannten des Vereins eingeführt waren, hatte eine, durch ihre große, schlanke und dabei doch kräftige Figur, durch die frischen rothen Wangen, die großen, dunklen Augen und das tiefschwarze Haar, solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er den Blick nicht von ihr abwandte, sondern sie unverwandt ansah.

Wie es gekommen war, vermochte er selbst nicht anzugeben. Fast wider Willen, von einer höhern Macht bezwungen, hatte er sich ihr genähert, um gleich darauf mit ihr im Tanz davonzustürmen.

Und diesem ersetn Walzer waren so viele andere gefolgt, daß er sich selbst nicht wieder kannte und nicht begriff, woher ihm plötzlich die Lust zum Tanzen kam.

Als er spät am Abend, kurz vor Ablauf seines Urlaubs, in die Caserne zurückkehrte, war er in Marie so verliebt, wie es überhaupt nur menschenmöglich war.

Aber in das Glück zu lieben, mischten sich die bangen Zweifel und Fragen, ob er wieder geliebt werde, ob er den Druck ihrer Hand, den Blick ihrer Augen richtig gedeutet, bis der nächste Tag ihm aus Maries Mund die Gewißheit brachte, daß auch sie ihn liebe.

Grenzenlose Glückseligkeit durchdrang ihn, aber dem Freudenrausch folgte nur zu bald die Ernüchterung, als sie ihm mittheilte, daß sie Wirthschafterin bei seinem Hauptmann und dort noch zwei Jahre contractlich gebunden sei. Von Süddeutschland her war sie ihrer Herrschaft, als diese nach dem Norden versetzt wurde, gefolgt, aber sie hatte sich dazu erst entschlossen, als ihr ein fünfjähriger Contract garantirt wurde, an dem nun noch zwei Jahre nach waren. Mehr als die Aussicht, noch so lange mit der Heirat warten zu müssen, erschrak ihn die Mittheilung, daß Marie im Hause seines Hauptmanns sei. Er kannte nur zu gut die Ansicht des Vorgesetzten, der jeden Monat seine Unterofficiere ermahnte, sich nicht zu sehr mit den Mädels einzulassen, vor allen Dingen sich ja nicht zu verloben oder gar ans Heiraten zu denken. Wenn sein Feldwebel verheiratet sei, so habe er Nichts dagegen, aber mit verheirateten oder verlobten Unterofficieren und Sergeanten capitulire er nicht weiter, die könnten gehen wohin sie wollten, für die habe er keinen Platz, denn er habe die Erfahrung gemacht, daß ein verheirateter Unterofficier für den Dienst bald gar kein Interesse mehr habe.

Früher, als Kopka's Herz noch nicht wußte, was echte Liebe sei, hatte er diese Ansicht stets sehr richtig und verständig gefunden — jetzt aber stimmte sie ihn traurig und machte ihn unruhig. Wenn sein Hauptmann erfuhr, daß er verlobt sei, noch dazu mit seiner, des Vorgesetzten, Wirthschafterin, würde Das ein großes Unglück geben. Der Hauptmann würde ihn nicht bei der Compagnie behalten und damit würde auch die ihm in sichere Aussicht gestellte Feldwebelstelle, die in einem Jahr frei wurde, verloren gehen. Ließ er sich zu einer anderen Compagnie versetzen, so war es mehr als fraglich, ob er ebenso angenehme dienstliche Verhältnisse fände; an ein Avancement war aber auf keinen Fall zu denken. Und doch hätte sein Hauptmann ihm mit Rücksicht auf die bevorstehende Beförderung die Verlobung gestattet, wenn er sich nicht gerade Marie erwählt hätte. Nun und nimmer würde der Hauptmann gestatten, daß Marie sich mit einem seiner Unterofficiere verlobte, daß sie dadurch auf den Gedanken gebracht würde, ihre Stellung aufzugeben und ihn und seine Frau, seinen ganzen Haushalt in Verlegenheit zu setzen, nie würde er Marie Erlaubniß geben, mit ihm zusammen auszugehen, ihn zu sehen und zu sprechen. An eine Veröffentlichung der Verlobung war nicht zu denken, eine Geheimhaltung widerstrebte ihm — er war nicht wie so viele seiner Kameraden, die jeden Augenblick ihre Neigung einer Anderen schenkten, schon vor seinen zukünftigen Untergebenen wollte er nicht, daß man auch nur für einen Augenblick den Verdacht aufkommen lasse, er habe nicht die ernste Absicht, Marie zu seiner Frau zu machen. Und er wußte, das Gerede würde entstehen, sobald man sie einmal heimlich zusammen sähe. Zu wiederholten Malen schon hatte er mit Marie darüber gesprochen, aber auch sie wußte keinen Rath, keinen Ausweg: sie stimmte ihm bei, daß der Hauptmann Nichts erfahren dürfe, damit er später als Feldwebel sein gutes Einkommen für sie Beide habe, aber auch sie war gegen eine Geheimhaltung, die ihr außerdem in der kleinen Stadt unmöglich schien.

So wußte Sergeant Kopka nicht, was er thun sollte — der Gedanke an Marie verließ ihn keinen Augenblick und die Unmöglichkeit, sie anders als nur für einige Secunden und dann auch nur heimlich sehen zu dürfen, quälte und beunruhigte ihn, nahm ihm die Freudigkeit an seinem Beruf und ließ ihn sich die Vergehen zu Schulden kommen, die den Tadel des Vorgesetzten zur Folge hatten.

Er sann hin und her, er wußte nicht, wie Das enden sollte.

Aus der Tischschublade, die verschlossen war, nahm er Mariens Bild und sah die Geliebte an. Er gerieth in Zorn, daß der das Bild stets verschlossen halten mußte. Fast täglich ging der Hauptmann durch die Mannschaftsstuben, um sich davon zu überzeugen, ob sie auch sauber und ordentlich waren, und fast immer warf er dann auch einen Blick in den Verschlag der Unterofficiere. Kopka wagte das Unglück, das entstehen würde, wenn der Vorgesetzte Mariens Bild hier entdecken würde, nicht auszudenken. Stets hielt er es verschlossen, nur in den Abendstunden, wenn er sicher war, nicht gestört zu werden, stellte er das Bild vor sich hin. Alle Sorgen und allen Kummer hatte er stets vergessen, wenn er sie ansah und das Bild ihre Gestalt heraufbeschwor. Aber heute wurde er um so trauriger, je länger seine Blicke auf ihr ruhten, je mehr er darüber nachdachte, desto klarer wurde es ihm, daß vorläufig an eine Verlobung und an eine Heirat nicht zu denken sei, das Beste würde es sein, wenn er die Erinnerung an Marie ganz aus seinem Herzen reißen könnte. Er wollte sie meiden, so viel er konnte, jedem Zusammentreffen mit ihr nach Möglichkeit aus dem Wege gehen, die Zukunft würde schon helfen. Nach einem Jahr, wenn er Feldwebel geworden, war es ja immer noch Zeit, einmal um Marie zu werben — sie Beide konnten inzwischen ihre Herzen prüfen, sich darüber klar werden, ob ihre Liebe auch die echte, wahre sei. Schwer genug würde es ihm werden, seinen Vorsatz auszuführen, aber es mußte sein, sonst, das glaubte er, würde er seinen Dienst nicht mehr wie sonst versehen können, sich Strafen zuziehen und damit Alles verderben.

Er atmete erleichtert auf, als er diesen Entschluß gefaßt hatte, und er that am Nachmittag seinen Dienst so freudig und eifrig, wie seit langer Zeit nicht.

„Was Marie wohl dazu sagen wird?” dachte er ein paar Mal; „ich denke mir, sie wird verständig sein, und mir zugeben, daß ich nicht anders handeln kann. Auf jeden Fall aber bleibe ich standhaft und lasse mich weder durch Bitten, noch durch Thränen umstimmen.”

Marie hatte ihm Nachricht gesandt, daß ihre Herrschaft Abends ins Theater gehen und sie sich auf eine Stunde frei machen würde, um mit ihm an dem üblichen Rendezvous–Platz zusammentreffen zu können. Von acht Uhr an erwarte ich Dich, schrieb sie, und absichtlich ließ er etwas auf sich warten.

„Immer Dienst und Dienst,” klagte er, „für sich selbst hat man gar keine Zeit mehr. Später wird auch Das anders werden, aber jetzt,” und in langer Rede setzte er ihr auseinander, zu welchem Entschluß er gekommen sei. „Glaube mir, es ist das Beste, wenn wir uns ein ganzes Jahr nicht sehen, uns wenigstens nicht zu sehen versuchen,” schloß er, „meine und damit auch Deine Zukunft hängt davon ab. Sei verständig und sieh' ein, daß ich nicht anders handeln kann.”

Schluchzend und weinend hing Marie an seinem Halse.

„Alles, Alles kannst Du von mir verlangen, nur Das nicht. Ich habe Dich so lieb, so unbeschreiblich lieb, nie kannst Du aber von mir verlangen, daß ich verständig sein soll.”

„Aber es geht doch nicht anders,” bat er, „Das mußt Du doch einsehen. Oder weißt Du einen Ausweg?”

„Wir müssen ihn finden,” meinte sie, „laß uns ihn doch suchen. Ach, warum können wir nicht ebenso glücklich sein, wie andere Menschen, die sich lieben. Ach, hätte ich doch nur den unglücklichen Contract nicht verlangt, wäre ich doch nicht so dumm gewesen, auf ihm zu bestehen und davon mein Hierherkommen abhängig zu machen. Nun muß ich aushalten auf meinem Platz, meine Gnädige kann mir nicht kündigen und ich ihr auch nicht.”

„Und was hätte Das auch für einen Zweck?” fragte er, „so lange ich noch nicht Feldwebel bin, können wir uns weder verloben noch heiraten. Würde der Hauptmann erfahren, daß ich Dich liebte, so würde er vielleicht schon aus diesem Grunde einen Anderen zum Feldwebel machen, nur damit Du bei ihm bleiben kannst. Nein, uns ist nicht zu helfen, behalte die gute Stelle, die Du hast, und nach einem Jahr laß uns weiter sehen.”

Je ruhiger er sprach, desto leidenschaftlicher und aufgeregter wurde sie — nein, sie wollte sich nicht darein finden, ihn nicht wieder zu sehen, ihn so lange zu missen. Ihre Liebe bedurfte der Prüfung nicht, sie würde nie einen Anderen lieben als ihn, aber ob auch er ihr treu bleiben werde, Das sei die Frage, und schon aus diesem Grunde, damit er sein Herz und seine Liebe keiner Anderen schenke, müßten sie sich täglich sehen. Sie weinte die bittersten Thränen und gab ihm die süßesten Worte, um seinen Widerstand zu brechen, ihm seine Gedanken auszureden. Aber Alles war vergebens und seine Ansicht war unverändert, als an der nahe gelegenen Caserne der Zapfenstreich geblasen wurde und sie Beide daran erinnerte, daß es Zeit sei, zum Abschied nehmen.

„Auf Wiedersehen morgen,” bat sie mit flehender Stimme.

Er küßte sie zärtlich auf den Mund, dann ging er, ohne geantwortet zu haben, zur Caserne zurück, und auch Marie schlug den Heimweg ein.

Zu Hause wurde sie bereits mit Ungeduld erwartet. Die gnädige Frau war im Theater unwohl geworden und war von ihrem Manne in einem Wagen nach Haus gebracht worden. Nun lag sie mit Migräne, Kopfschmerzen und leichtem Erkältungsfieber im Bett, sehnte sich nach heißem Thee und einer Wärmflasche, aber Niemand war zur Hand, der ihr hätte helfen können.

„Aber Marie, wo bleiben Sie denn nur? Das ist ja unerhört, wie können Sie so lange fortbleiben?” tadelte der Hauptmann mit strenger Stimme.

„Na, der Herr Hauptmann werden mir doch auch wohl einmal gestatten, für mich Besorgungen zu machen,” gab sie zur Antwort, „und daß ich mich dabei nach Möglichkeit beeile, und mich nirgends länger aufhalte, als unbedingt nöthig ist, und nicht, wie die gewöhnlichen Dienstmädchen, nur Liebesgeschichten im Kopf habe und nicht, wie die Anderen, an der Straßenecke stehe und mit irgend einem Schatz plaudere, und daß ich mir doch auch einmal Sachen für mich kaufen muß, Das wissen der Herr Hauptmann doch so gut wie ich.”

Marie war viel zu sehr überzeugt, eine Perle ihres Geschlechts zu sein, um auch nur den leisesten Tadel, sei er berechtigt oder unberechtigt, auf sich sitzen zu lassen. Das gab es nicht — sie ließ sich nach ihrer Meinung nie etwas zu Schulden kommen, sie hatte schon so viele Jahre treu und redlich gedient, daß sie für Tadel überhaupt nicht zu haben war.

Das wußte ihre Herrin, Frau v. Flotow, auch sehr genau, sie erkannte Mariens Vorzüge voll und ganz an und hatte sie sich einmal zu einem unfreundlichen Wort oder einem Vorwurf hinreißen lassen, so bat sie eher um Verzeihung oder nahm lieber den Tadel zurück, als daß sie Marie Zeit und Gelegenheit zu einer ihrer langen Vertheidigungsreden gab.

Frau v. Flotow mußte in ihrem Zimmer das Gespräch zwischen ihrem Mann und Marie gehört haben, denn lange dauerte das Läuten der elektrischen Glocke, die aus dem Schlafgemach auf den Vorflur führte.

„Gehen Sie nur, Marie, die gnädige Frau erwartet Sie schon lange.”

„Ja, ja, ich gehe ja schon, aber es thut mir leid, daß der gnädige Herr mich in einem falschen Verdacht haben und mir Dinge zutrauen, Liebesabenteuer und Rendezvous, von denen mein Herz nichts weiß, denn trotz meiner zweiundzwanzig Jahre habe ich noch nie einen Liebsten gehabt.”

Marie hielt beständig dieselbe Vertheidigungsrede und diese hatte bis zu dem Tage, da sie Kopka kennen lernte, auch voll und ganz der Wahrheit entsprochen. Aber auch als sie den schönen Sergeanten kennen gelernt hatte, behielt sie die Rede bei, einmal weil sie ihr so geläufig war, daß sie sich schwer an eine andere gewöhnen würde, dann aber auch, weil sie durch diese am besten jeden Verdacht fern hielt, als ob sich in ihrem Leben etwas geändert hätte.

Die Glocke läutete zum zweiten Mal, noch länger und anhaltender als vorhin.

„Marie, gehen Sie jetzt zu der gnädigen Frau. Ich dachte nicht daran, Sie in einem derartigen Verdacht, wie Sie ihn aussprechen, zu haben. Ich weiß ja ganz genau, daß Sie sich nie etwas zu Schulden kommen lassen.”

Die Glocke läutete zum dritten Mal und Marie eilte davon, so schnell ihre Füße sie tragen konnten; nun stand sie groß und gerechtfertigt da und sie säumte nicht länger, ihre Pflicht zu thun.

Aergerlich sah Herr v. Flotow ihr nach: „Es ist ja wirklich eine Schmach, daß man jedes Mal um Verzeihung bitten muß, sobald man ein unfreundliches Wort gesagt hat. Aber Marie thut es nun einmal nicht anders, Das ist ein Fehler, den sie sich wohl nie abgewöhnen wird, na, Das muß man hinnehmen und man nimmt ihn hin, weil sie sonst ausgezeichnet ist. Ich wüßte nicht, was wir anfangen sollten, wenn sie uns einmal verläßt und wir uns mit einer Köchin begnügen sollten, die wie die meisten ihren Namen mit Unrecht führt. Kochen kann die Marie, das muß ihr der Neid lassen und flink und gewandt ist sie wie nur eine. Ihr größter Vorzug aber ist doch der, daß sie sich nichts aus den Mannsleuten macht und sich nicht mit dem ersten besten Unterofficier oder Gefreiten Abends auf der Straße herumtreibt. Hoffentlich wird sie auch in Zukunft nicht auf derartige Thorheiten kommen.”

Ach, hätte der Herr Hauptmann in Mariens Herz lesen und ihre Gedanken während der langen Nacht errathen können! Ruhelos lag Marie in ihren Kissen, der Schlaf floh sie, ihre Gedanken weilten bei dem Geliebten. Sie hatte noch nie geliebt und sie fühlte, sie würde nie wieder Jemanden so lieben können wie den schönen Sergeanten. Aber nicht nur sein Aeußeres reizte sie, sie hatte Achtung vor seinen dienstlichen Leistungen, deren Lob sie oft verkünden hörte, sie war stolz auf das schnelle Avancement, das er hinter sich hatte; sie liebte ihn um seiner selbst, um seiner vielen vortrefflichen Eigenschaften willen, und sie zitterte bei dem Gedanken, daß er sie vergessen, sich in eine Andere werde verlieben können. Das konnte, sollte und durfte nicht sein. Und dennoch, so fürchtete sie, würde Dies geschehen, wnn sie sich fortan nur selten sähen. Sie wußte, nicht sie allein hatte ihr Herz an ihn verloren, es gab Viele gleich ihr, deren Gedanken ihm galten, die sich glücklich schätzen würden, von ihm geliebt zu werden. Liebte er vielleicht schonn eine Andere? Leise stieg der Zweifel in ihr auf, die Eifersucht wurde rege und ihre Gedanken ließen die Gewißheit in ihr wach werden, daß er sie nicht mehr liebe, daß er nur deshalb sich so lange ihr fern halten wollte, damit auch ihre Neigung zu ihm erlösche, damit er sich keine Vorwürfe zu machen brauche, wenn er sich später mit einer Anderen verlobe. Gewiß, Das war es — hatte er nicht selbst gesagt, sie wollten sich prüfen, ob ihre Liebe auch die wahre, echte sei? Er hatte schon geprüft und seine Liebe, die er ihr so oft mit heißen Thränen versichert, nun plötzlich als „unecht” befunden. Aber sie, sie liebte ihn, und sie dachte nicht daran, ihn so leicht, so ohne Weiteres freizugeben, sie war ein ehrbares, ordentliches Mädchen, wenn sie auch arm war und weiter Nichts besaß, als einige Ersparnisse, die sie dem Fleiß ihrer Hände verdankte. Sie liebte ihn, und hatte er ihr die Ehe versprochen, hatte er sie gefragt, ob sie dereinst seine Frau werden wollte, so sollte, so mußte er sie auch heiraten. Und damit er Das thäte, damit er gezwungen wäre, sie zu heiraten, mußte er sich officiell mit ihr verloben. In der Zeitung sollte ihr Name neben dem seinigen stehen, ihre Herrschaft, die ganze Stadt sollte es erfahren, dann war er fest an sie gebunden, dann gab es kein Zurück mehr für ihn.

Dann wieder dachte sie an Das, was er ihr gesagt, daß seine Carrière leiden würde, daß der Hauptmann ihn nicht bei der Compagnie behalten würde, sie zitterte bei dem Gedanken für ihn und für sich, aber geschehen mußte etwas.

Und es geschah etwas.

Am nächsten Mittag war das ganze Essen derartig verbrannt, daß es garnicht zu genießen war.

Marie stand in der neben dem Eßzimmer gelegenen Küche am Herd, hielt die Hände auf dem unruhig schlagenden Herzen und lauschte angstvoll der heftigen Scene, die sich nebenan zwischen ihrer Herrschaft abspielte.

Sie hörte, wie die Hand des Hausherrn dröhnend auf den Tisch fiel und wie er sagte: „Das ist ja geradezu unerhört, ein solches Essen auf den Tisch zu bringen. Den ganzen Vormittag ist man in der Caserne beschäftigt und kommt man endlich halbtodt vor Hunger nach Haus, so ist das Essen nicht zu genießen. Wie oft habe ich Dir nicht schon gesagt, Du möchtest Dich etwas mehr um die Wirthschaft kümmern, der Köchin nicht Alles allein überlassen, aber dafür hast Du natürlich keine Zeit, Du mußtest natürlich gerade heute einige nothwendige Besuche machen. Habe ich Recht?”

Die Stimme der Hausfrau zitterte: „Sei nur nicht böse,” bat sie. „Du hast Recht, ich habe heute Mittag Besuche gemacht, aber Du selbst hast mich ja gestern daran erinnert, heute endlich zu der Frau Oberst zu gehen.”

„Das wird immer besser,” lachte er höhnisch, „habe ich Dir vielleicht gesagt, Du solltest Deinen Besuch so spät machen, daß Du Dich nicht mehr, wie es Deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist, um den Mittagstisch kümmern kannst. Das ist Eure berühmte Logik, es fehlt nur noch, daß Du behauptest, ich wäre an dem vrbrannten Essen Schuld.”

„Bitte, sprich doch wenigstens nicht so laut,” bat sie, „was sollen die Dienstmädchen denken.”

„Ach was,” donnerte er, „Das ist mir ganz egal.” Dann aber senkte er doch seine Stimme und die Lauscherin verstand nicht mehr, was er sagte.

Marie war ihrer Herrin aufrichtig zugethan und ihre Augen füllten sich mit Thränen, als sie die harten Worte des Tadels hörte. „Gott, meine arme Gnädige thut mir wirklich zu leid, sie kann doch ganz gewiß nichts dafür, daß das Essen verdorben ist. Sie kommt ja zwar jeden Mittag in die Küche und fragt, ob auch Alles gut ist, aber probiren darf sie nicht, Das ist ein stillschweigendes Uebereinkommen, von dem der Herr nichts wissen darf. Daß ich probiren lasse, was ich gekocht habe, gibt es nicht, dafür bin ich perfecte Köchin mit dem Titel Mamsell und hundert Thaler Lohn im Jahr. Ohne meinen Willen brennt mir nie etwas an, und daß ich nun auch gerade heute Mittag die Rebhühner, die der Herr so besonders gerne mag, absichtlich habe anbrennen lassen, ist ja auch eigentlich zu schlecht von mir. Aber Jeder und auch Jede ist sich doch schließlich selbst die Nächste und wenn ich nicht dafür sorge, daß ich meinen Arthur bekomme, meine Gnädige sorgt dafür gewiß nicht und mein Herr erst recht nicht.”

Aus der Küche drang herzzerbrechendes Schluchzen und Weinen in dem Augenblick, als der Diener in des Eßzimmer trat, um abzunehmen.

„Was gibts denn da drinnen?” fragte der Hausherr zornig.

„Marie, ich meine die Mamsell, ist ganz außer sich, daß ihr das Essen mißrathen ist,”

„Das Frauenzimmer hätte lieber bei Zeiten auf ihre Kochtöpfe achten sollen, dann hätte sie nun nicht nöthig, wie ein Schloßhund zu heulen.”

„Aber, Mann,” bat die Hausfrau, „überlege Dir doch Deine Ausdrücke.”

„In Gegenwart des Dieners verbitte ich mir jede Erziehung Deinerseits,” schalt er unwillig, „gesegnete Mahlzeit!” und die Serviette auf den Tisch schleudernd, ging er in sein Zimmer, um bei einer Cigarre seinen Aerger zu vergessen.

Gleich darau standen sich die Hausfrau und Marie gegenüber — Beide mit verweinten Augen.

„Gnädige Frau, seien Sie mir nur nicht böse,” bat Marie mit flehender Stimme, „ich weiß es nicht, wie es gekommen ist, ob es am Herd liegt oder an der neuen Feuerung, ich verstehe es nicht. ich habe mir dieselbe Mühe gegeben wie sonst, so etwas ist mir doch in der ganzen Zeit nicht passirt und es soll auch nie und niemals wieder vorkommen.”

Aber schon am Abend waren die Bratkartoffeln, die Herr v. Flotow mit Vorliebe aß, derartig hart, daß es vorsintfluthlicher Zähne bedurft hätte, um sie beißen zu können.

„Es muß am Herd liegen,” hörte Marie ihre Herrin sagen, „wir haben schon den Töpfer bestellt, er kommt morgen früh gleich her und morgen Mittag wird Dir Dein Essen wieder ebenso schmecken wie sonst.”

Aber weder am nächsten noch an einem der folgenden Tage schmeckte das Essen so wie sonst; der Herd habe daran keine Schuld, Das hatte der Töpfer behauptet, und der mußte es doch wissen, die Feuerung konnte auch keine Schuld haben, die war ebenso gut wie sonst, wenn nicht noch besser, Das hatte der Kohlenhändler behauptet, und der mußte es doch wissen, und Marie hatte auch keine Schuld, Das behauptete sie selbst fest und steif, und sie selbst mußte es doch schließlich am besten wissen.

Schuldig allein war der Sergeant Kopka — wäre der, wie Marie es erbeten und erhofft hatte, am nächsten Tag pünctlich zum Rendezvous gekommen, dann wäre Alles gut gewesen, aber er kam nicht, eine Viertelstunde verstrich nach der andern, er kam und kam nicht und zornig eilte Marie wieder nach Haus.

Das beständig verdorbene Essen fing an, den ehelichen Frieden im Flotow'schen Hause zu stören, fast täglich kam es zwischen den Eheleuten zu erregten Aussprachen und ein paar Mal war es schon vorgekommen, daß Herr v. Flotow Mittags durch eine Ordonnanz sagen ließ, er äße im Casino. Dann saß die gnädige Frau allein am Mittagstisch mit so trauriger Miene und so verweinten Augen, daß Mariens Herz blutete und sie sich immer und immer wieder fragte, „wie kann man nur aus lauter Egoismus so schlecht sein? Ich schäme mich vor mir selbst.”

Sie schämte sich, aber sie besserte sich doch nicht, im Gegentheil, sie kochte von Tag zu Tag schlechter und schlechter, bis eines Abends der Sturm losbrach, den sie schon lange erwartet hatte und der die Luft reinigen sollte.

Herr v. Flotow hatte eines Abends von einigen Kameraden zum Nachtessen Besuch erhalten, Marie hatte geschworen, sich die größte Mühe zu geben, aber fast unberührt waren die Speisen vom Tisch gekommen.

„So, Marie, nun ist es aber genug,” donnerte der Hausherr, als ihn seine Gäste verlassen hatten, „nun sind wir mit einander fertig. Ich habe eine fast unbegreifliche Nachsicht in der letzten Zeit mit Ihnen gehabt, aber ich tadelte nicht, weil ich mir sagte, Sie würden von selbst wieder die Alte. Ich habe Sie gebeten, meine Frau hat Sie gebeten, sich mehr Mühe zu geben, es war Alles vergebens. Warum Sie mit einem Mal so hundsmiserabel kochen, weiß ich nicht — daß man so schnell etwas vergessen könnte, was man bisher konnte, war mir neu. Sie scheinen uns aus irgend einem Grunde Ihre Macht zeigen zu wollen, da aber irren Sie sich, wir sind fertig mit einander, Sie können gehen.”

„So? Ich kann gehen, Das wird ja immer besser,” nahm Marie nun, anscheinend in höchster Erregung das Wort, „ich kann gehen. Natürlich, so sind die Herrschaften immer: so lange wir etwas leisten, wird unser Können als etwas Selbstverständliches hingenommen, wir bekommen ja bezahlt. Aber wenn unsere Kräfte einmal nachlassen, wenn unsere Leistungen nicht mehr ganz auf der Höhe stehen, dann können wir gehen. Mitleid mit dem Dienstboten gibt es nicht, daß auch wir unsere Sorgen haben, daran denkt die Herrschaft ja nicht.”

Sie hielt inne und barg weinend ihr Gesicht in den Händen.

Zornig stampfte der Hausherr mit dem Fuß auf die Erde: „Thun Sie mir den einzigen Gefallen und reden Sie keinen Unsinn, Sie glauben ja selbst nicht die Hälfte von Dem, was Sie sagen, Ihre Worte beweisen nur, daß Sie es viel zu gut bei uns hatten, Sie sind maßlos verwöhnt und ich glaube, Sie werden sich bei Ihrer neuen Herrschaft sehr wundern. Sehen Sie sich bald nach einer neuen Stelle um. Heute haben wir den Dritten, zum nächsten Ersten können Sie gehen. Den Lohn bezahle ich Ihnen für den Rest dieses Vierteljahres.”

„Der gnädige Herr scherzen wohl,” sagte Marie, „ich habe mit der gnädigen Frau noch Contract auf fest(1) zwei Jahre und wenn der gnädige Herr mir jetzt kündigen, so verlange ich meinen Lohn für die contractlich ausgemachte Zeit, und ebenso ist es mein Recht, für den Rest meiner Dienstzeit eine Entschädigung für Lebensunterhalt und Wohnung zu verlangen, und was Recht ist, ist Recht, und auf meinem Recht bestehe ich, und dann kann ich ja zum Ersten gehen!”

„Sie sind verrückt und unverschämt!” donnerte Herr v. Flotow. Zornig warf er die Thür hinter sich zu und ging zu seiner Frau, um dieser das Resultat seiner Unterredung mitzutheilen.

Aufmerksam hörte die Hausfrau zu, dann sagte sie : „In ihrem Recht ist sie, Du selbst bestandest ja seiner Zeit darauf, einen mehrjährigen Contract zu machen. Ich rieth Dir ab, aber Du gabst nicht nach, weil wir eine so gute Köchin nach Deiner Meinung nie wieder bekommen würden und weil Du sie Dir für eine Reihe von Jahren sichern wolltest. Laß mich noch einmal mit Marie sprechen, vielleicht hört sie auf mich und nimmt Vernunft an.”

Und der Hausfrau gegenüber nahm Marie auch wenigstens theilweise Vernunft an: „Mir ist es ja selbst so schrecklich, daß ich aus diesem Hause fort soll, in dem ich so lange treu und redlich diente, und in dem ich mir nie etwas zu Schulden kommen ließ, und ich dachte auch, daß ich hier bleiben könnte, bis ich selbst meinen eigenen Haushalt gründete, bis mal Einer käme, der mich zu seiner Frau haben wollte, denn unsereiner hat doch auch ein Herz in der Brust und unsereiner weiß doch auch, was Liebe ist, besonders, wenn man das Glück hat, von einem solchen Manne geliebt zu werden, wie ich.”

„Aber Marie, was höre ich!” rief Frau v. Flotow auf das Aeußerste verwundert, „Sie haben eine Liebschaft?”

„Was man so gewöhnlich eine Liebschaft nennt, das habe ich nicht,” gab Marie, ihre Thränen trocknend, beleidigt zur Antwort. „Da sollten die gnädige Frau mich doch viel zu gut für kennen, um mir so etwas zuzutrauen. Ich bin verlobt, heimlich verlobt, und wenn ich noch keinen Ring trage und wenn es noch nicht, wie es sich für ein ehrbares Mädchen, wie ich es bin, gehört, in der Zeitung gestanden hat, so sind wir ganz gewiß nicht daran Schuld, sondern höhere Mächte. Uns kann Niemand helfen, ich bin zu unglücklich.”

„Aber Marie,” sagte die Hausfrau tröstend zu dem in Thränen aufgelösten Mädchen, „wer wird denn so muthlos sein, vielleicht kann doch noch Alles gut werden.”

„Ja, Das kann es,” stimmte Marie ihr bei, „aber nur, wenn die gnädige Frau uns beistehen wollte, wenn die gnädige Frau den gnädigen Herrn um Erlaubniß bittet, daß er sich mit mir verloben darf; er ist nämlich Unterofficier und will mich heiraten, wenn er im nächsten Jahr Feldwebel ist. wenn die gnädige Frau Das thäte, dann sollte wohl Alles in Ordnung kommen, dann will ich auch zum Ersten abgehen und mich mit dem Lohn für das Vierteljahr begnügen und nicht auf mein Recht pochen, obgleich ich vor Gericht immer Recht bekommen würde. Und wenn die gnädige Frau es wollte, bliebe ich auch gern hier, bis gnädige Frau eine neue Köchin hätte und nie mehr sollte das Essen verderben. Aber jetzt geht es nicht anders, Das müssen die gnädige Frau doch selbst einsehen, wenn Eine solch Herzeleid hat wie ich, denn(2) kann sie nicht dafür, wenn sie das Essen zu lange auf dem Feuer hat und statt Salz Pottasche auf den Braten streut. Denn wenn das Herz sich sorgt, ist auch der Kopf nicht klar und die Hand weiß dann nicht, was sie thut und dann kommen solche Sachen vor. Ach, ich bin zu unglücklich und wenn die gnädige Frau ihn nur einmal sehen könnte, aber was sage ich nur, gnädige Frau kennen ihn ja, auf der Kaiser–Geburtstags­feier hat er ja mit der gnädigen Frau einen Walzer getanzt.”

„Was? An den schönen Sergeanten hast Du Dein Herz verloren? Wie heißt er doch noch?”

„Kopka,” schluchzte Marie, „Kopka, Arthur heißt er mit Vornamen.”

„Nun, fasse nur Muth,” beruhigte die Hausfrau, „ich will gleich mit dem gnädigen Herrn sprechen und sehen, was ich für Dich thun kann.”

„Nun, was hast Du ausgerichtet?” fragte Herr von Flotow seine Gattin, als diese wieder zu ihm ins Zimmer trat. „Was hat sie Dir Alles erzählt; ist sie noch ebenso verrückt, wie vorhin?”

„Vor allen Dingen ist sie verliebt,” gab sie zur Antwort, und sie erzählte Alles, was Marie ihr anvertraut hatte.

„Das ist also die Lösung,” brauste er auf, „mit der Köchin ist Nichts mehr anzufangen und mit meinem Sergeanten erst recht nicht. Heute Abend, als ich in der Caserne noch später als sonst zu thun hatte und Kopka aufsuchte, weil ich ihn nach etwas fragen wollte, saß er in seinem Verschlag und sah mit so verklärten Zügen auf eine vor ihm stehende Photographie, daß ich den Grund seines veränderten Benehmens zu errathen glaubte, zumal Kopka, sobald er meiner ansichtig wurde, das Bild vor mir in der offen stehenden Schublade verbarg. Das also ist die Lösung, die Beiden lieben sich, Das wird ja immer besser, nun warten sie darauf, daß ich ihnen den Segen gebe und Ja und Amen sage? Prosit Mahlzeit. Meinem Unterofficier werde ich morgen den Kopf waschen, daß, er in den nächsten 25 Jahren nicht wieder daran denkt, sich zu verlieben, und was Marie betrifft —”

Herr von Flotow schwieg und sah nachdenklich vor sich hin, und diesen Augenblick benutzte seine Gattin, um ihre Ansicht zu äußern: „Du solltest nicht so hart sein, vor allen Dingen solltest Du aber auch an uns denken, an mich und an Dich selbst. Verbietest Du die Verlobung, so geht Marie fort, Du mußt ihr viele Hundert Mark zahlen, darauf wird sie dann bestehen, und wer weiß, was wir für eine neue Mamsell wiederbekommen. Eine so gute wie Marie ganz sicher nicht, die kann kochen, wenn sie will, und sie hat mir hoch und heilig geschworen, daß sie wieder Herrin ihrer Kochkünste sein wird, sobald ihr liebendes Herz erhalten hat, was es verlangt. Und darum sei verständig und gib nach! Du behältst Deinen besten Unterofficier, sparst viel Geld und wir Beide behalten Marie.”

Mit großen SChritten ging er erregt im Zimmer auf und ab. „Solche Niedertracht hätte ich der Marie garnicht zugetraut, denn daß sie absichtlich jeden Tag das Essen verdarb, um eine Kündigung unsererseits zu erreichen und ihrerseits dann wie ein siegreicher Feldherr die Bedingungen dictiren zu können, wird mir um so klarer, je mehr ich darüber nachdenke.”

„Ganz Recht finde ich es ja auch nicht,” stimmte sie ihm bei, „aber denkst Du daran, was wir ehemals aufgestellt haben, um die Einwilligung meines Vaters zu erhalten, als er gegen unsere Verbindung war? Da haben wir noch ganz anders intriguirt, um unser Ziel zu erreichen und um glücklich zu werden.”

Er lachte laut auf: „Da hast Du Recht, na, weißt Du, das Schlaueste wäre es vielleicht, wenn man Kopka und Marie glücklich werden ließe. Eine gute Frau Feldwebel zu haben, die ordentlich auf ihren Mann paßt, gut für ihn sorgt und ihn für seinen vielen Dienst stets bei guter Laune erhält, ist auch etwas werth. Na, ich werde morgen mit meinem Sergeanten sprechen, von Marie aber verlange ich, daß morgen Mittag das Essen in nie geahnter Vollendung auf den Tisch kommt.”

Sergeant Kopka machte am nächsten Morgen große Augen, als sein Hauptmann ihn zu sich heranrief und zu ihm sagte: „Sie wissen, daß ich immer sehr mit Ihnen zufrieden gewesen bin, und um Ihnen einen Beweis meiner Zufriedenheit zu geben, will ich nichts dagegen haben, daß Sie sich mit meiner Marie verloben. Gehen Sie jetzt in meine Wohnung und holen Sie mir die Mappe, die ich auf meinem Schreibtisch habe liegen lassen. Sollten Sie Ihre Braut sehen, so sagen Sie ihr, ich hätte Sie absichtlich geschickt.”

Mit großen Schritten eilte Sergeant Kopka davon, um wenig später seine Marie stürmisch in die Arme zu schließen.

„So, nun ist es aber genug,” wehrte sie ihn endlich ab, „wie das Alles gekommen ist, erzähle ich Dir ein anderes Mal. Du mußt jetzt zum Dienst, ich muß an die Arbeit, meine Herrschaft soll sich heute Mittag mit uns unseres Glückes freuen.”

Und Flotows' waren glücklich, als am Mittag Marie ihren Ruf, die beste Köchin der Stadt zu sein, auf's Neue glänzend bewährte. Sie freuten sich noch mehr über die Verlobung als das Brautpaar selbst, deren Namen schon an demselben Abend mit großen Buchstaben in der Zeitung prangten.


Fußnote:

(*) Ein „Feldwebel Kopka” tritt auf in „Feldwebel Kopka” und in „Der Gardegraf”. (zurück)

(1) In der Buchfassung heißt es hier: „fast”. (zurück)

(2) In der Buchfassung heißt es hier: „dann”. (zurück)


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