Ihr Schwur.

Von Freiherr von Schlicht
in: „Die Lore”


Elfriede, die ebenso hübsche wie temperamentvolle zwanzigjährige Tochter der verwitweten Frau Forstmeister, war erst seit vier Monaten aus Berlin zurückgekehrt, wo sie länger als ein Jahr zum Besuch ihrer auch heute noch sehr wohlhabenden Tante geweilt und wo sie das Leben und die ihr dort gewährte Freiheit in vollen Zügen genossen hatte. Kaum vier Wochen nach ihrer Rückkehr war sie zu ihrem eigenen Erstaunen und zu ihrer größten Überraschung ganz unerwartet glückliche Braut geworden, aber wie schon so oft, dachte sie auch jetzt, während sie auf ihrer Chaiselongue lag und eine Zigarette der anderen rauchte, darüber nach, ob sie wirklich eine glückliche Braut sei. Gewiß, ihr Bodo war ein auffallend hübscher eleganter Mensch, als Mitinhaber einer großen Firma, die stolz darauf war, in der jetzigen schweren Zeit keinerlei Bankkredite nötig zu haben, in sehr guter Vermögenslage; er war auch klug oder wenigstens nicht gerade dumm, und sie wurde von ihren Freundinnen um die glänzende Partie, die sie nun in kürzester Zeit machen würde, auf das wahnsinnigste beneidet, aber sie selbst hatte an ihrem Bodo immer und immer wieder namentlich das eine auszusetzen, er war in allem, was er tat, so fürchterlich korrekt, ganz besonders wenn er sie küßte. Oder wußte er es tatsächlich nicht, daß man ein so hübsches leidenschaftliches junges Mädchen, wie sie es doch war, noch anders küssen konnte als nur auf den Mund, und noch dazu nur so, ja nur so, wie er es tat. Oder glaubte er, daß sie selbst bisher noch nie anders geküßt worden sei, und bildete er sich ein, sie durch andere Küsse sittlich und moralisch zu verderben? Glaubte er vielleicht sogar, seine Lippen wären die ersten, die ihr Blut in Wallung und Raserei versetzt hätten? Und dabei ließen seine Küsse sie, wenn sie ehrlich sein wollte, eigentlich ganz kalt, wenigstens durfte sie dabei nicht daran denken, wie ihr Manfred sie in Berlin geküßt hatte, und erst recht nicht an die mehr als stürmische Art, in der ihr Harald ihr Gesicht und Hände, aber auch ihren Hals und ihren Nacken in den weit ausgeschnittenen Blusen mit flammenden Küssen bedeckte.

Nein, an ihren Manfred, der ihr die Gemeinheit antat, sich ganz plötzlich zu verloben, und an ihren Harald, der glücklicherweise schon verlobt war, als sie ihn kennen lernte, der aber zu ihrer Freude nicht untröstlich darüber war, längere Monate Strohbräutigam zu sein, durfte sie bei den sogenannten Liebkosungen ihres Bodos gar nicht denken, um keinerlei Vergleiche aufkommen zu lassen. Und doch tat sie das fortwährend, mußte es als anständiges junges Mädchen auch, denn sie hatte den beiden doch, allerdings ohne daß der Manfred etwas von dem Harald wußte und der Harald etwas von dem Manfred, wie gesagt, sie hatte den beiden, natürlich jedem einzeln, ihr heiligstes Ehrenwort darauf gegeben, daß sie, wenn sie einmal heiraten sollte, in der Hochzeitsnacht –

Und auch jetzt zerbrach sie sich, wie schon so oft, den Kopf darüber, wie sie das den beiden gegebene Ehrenwort einlösen solle, denn das war auch eine schreckliche Eigenschaft ihres Bodos, daß er ihr nie einen Kosenamen gab, nie. Für ihn war sie immer nur Elfriede. Wenn er diesen Namen, den sie für ihre Person stets gräßlich gefunden hatte, wenigstens in Friedel abgekürzt hätte, dann wäre sie schon glücklich gewesen. Aber nein, er blieb bei Elfriede, obgleich sie ihn beständig bat, sie doch zum Zeichen seiner Liebe mit einem Kosenamen zu nennen, wie andere das an seiner Stelle doch sicher tun würden, und obgleich sie ihn immer aufs neue darum anflehte, sie doch einmal Schatzi oder Mausi oder so ähnlich zu rufen. Allerdings an dem „so ähnlich” lag ihr gar nichts, sie mußte ihn ganz einfach dahin bringen, sie Schatzi oder Mausi, am liebsten beides abwechselnd, zu rufen, denn nur dann, aber auch nur dann konnte sie in der Hochzeitsnacht das ehrenwörtliche Versprechen einlösen, das sie ihrem Manfred und ihrem Harald gab, und sie würde sich ganz schlecht und verdorben vorkommen, wenn sie das Versprechen nicht halten sollte, denn daß sie das tat, hatten alle beide, auch ihr Manfred, um sie verdient, obgleich der die bodenlose Gemeinheit beging, ihr eines Morgens seine Verlobungsanzeige zuzuschicken. Und dabei hatte sie noch achtundvierzig Stunden vorher auf seinem Schoße gesessen, und sie hatten aus demselben Kelch den perlenden Champagner getrunken.

Wenn Sie es sich richtig überlegte, war ihr Manfred eigentlich ein Schuft, aber ihr Bodo war beinahe noch etwas Schlimmeres, der war ein Trottel, denn so oft sie ihm ihre Mausi- und Schatziwünsche unterbreitete, begriff er nicht, wie sie zu denen käme, und fand sie einfach geschmacklos, während er zugleich erklärte, er würde sie nie und nimmer so nennen, so daß ihr oft die Frage auf der Zunge lag: Was wirst du denn in der Hochzeitsnacht zu mir sagen, wenn du mich in den Armen hältst, wenn ich meinen jungen Körper an den deinen schmiege, wenn nach dem Wort der Bibel unsere Leiber eins werden und eins sind? Wirst du auch im Augenblick der höchsten Sinneslust nur Elfriede zu mir sagen? Das glaubst du doch hoffentlich selbst nicht. Ich für meine Person werde dich dann jedenfalls, wenn auch zum erstenmal, Bubi rufen, denn das Wort wird mir der Augenblick ganz von selbst eingeben, und ich brauche dabei gar nicht daran zu denken, daß Manfred und Harald -

Aber um die beiden handelte es sich jetzt nicht, sondern nur darum, wie sie ihren Bodo dahin brachte, ihn an die Anrede Schatzi und Mausi zu gewöhnen. Bis sie sich, da ihr trotz allen Nachdenkens keine Lösung der schwierigen Frage einfiel, schließlich sagte: Dann bleibt nur eins, ich stelle ihn ganz einfach vor die nackte oder, richtiger ausgedrückt, vor die halbnackte Tatsache, und ich werde es ihm schon zu erklären wissen, daß ich mir an dem einen Fuß eine kleine Verletzung zugezogen habe, die einen winzigen Verband erfordert, der es mir aus Eitelkeitsgründen, aber auch aus Gründen der Vorsicht, damit sich der Verband nicht verschiebt, unmöglich macht, den einen seidenen Strumpf auszuziehen. Na, und wenn man in der Nacht einen seidenen Strumpf anbehält, darf man doch auch den anderen nicht ausziehen, sonst sähe das ja mehr als geschmacklos aus, und da bei einer jungen Frau, wie ich es in der Hochzeitsnacht bin, nichts so unordentlich und unelegant wirkt wie herunterrutschende Strümpfe, wird Bodo es hoffentlich selbst einsehen, daß ich in der Hochzeitsnacht runde seidene Strumpfbänder tragen muß und daß ich mir für den Zweck die allerhübschesten und erst recht die allermodernsten gekauft habe, die es nur gibt, ist doch klar.

Und so erzählte sie ihrem Bodo am nächsten Tage, sie hätte bei ihren Einkäufen in einem der allerersten Geschäfte neue, ganz entzückende runde Strumpfbänder gesehen, seidene Bänder, in die, wie es die allerneueste Mode erfordere, die Namen Schatzi, Mausi, Schnucki, Molli und ähnliches eingestickt wären, die Bänder würden rasend gekauft, die Firma könne gar nicht genug liefern, ob nicht auch sie sich solche kaufen dürfe, denn einmal käme vielleicht doch die Stunde, in der auch er sie anders als nur Elfriede nennen würde, und wenn sie dann auf seinem Schoße sitzen, und wenn er bei der Gelegenheit dann vielleicht ganz zufällig die wirklich reizenden Schatzi-Strumpfbänder sehen solle, dann –

Aber er widersprach so bestimmt und energisch, daß sie in Tränen ausbrach, und sie mußte ihm schwören, sich diese nach seiner Ansicht entsetzlich geschmacklosen Strumpfbänder, die sich allenfalls für eine Kokotte oder eine Geliebte, nie und nimmer aber für eine junge Frau eigneten, unter keinen Umständen zu kaufen. Aber nach und nach versiegten ihre Tränen doch, denn er hatte sich ja glücklicherweise nur schwören lassen, daß sie sich solche Strumpfbänder nie kaufen würde. Sich die schenken zu lassen, stand ihr frei, das hatte er ihr nicht verboten und sie hatte die ja schon längst geschenkt bekommen.

So trat sie ihm denn in der Hochzeitsnacht, nachdem sie ihm schon ein paar Tage vorher von einer leichten Verletzung, die sie sich am Fuße zugezogen, erzählt hatte, mit der halbnackten Tatsache gegenüber, und da geschah ein Wunder. Ihr Bodo schalt nicht, entweder weil er das Wort Mausi auf dem rechten und das Wort Schatzi auf dem linken Strumpfband doch nicht so geschmacklos fand, wie er es geglaubt hatte, oder weil er in der Erregung, in die ihre halbnackte Schönheit ihn versetzte, die Stickerei und noch dazu die verschiedene, auf den Bändern gar nicht bemerkte. Nein, er schalt nicht eine Sekunde und er verlangte erst recht nicht, daß sie die Bänder sofort ablege.

Voller Glückseligkeit schloß er sie in seine Arme und voller Freuden gab sie sich ihm hin, denn sie war mehr als glücklich, in der Hochzeitsnacht nun doch ihr Wort einlösen und in der Erinnerung an ihren Manfred das Strumpfband Schatzi und in der Erinnerung an ihren Harald das Band Mausi tragen zu können, die sie jedesmal hatte umlegen müssen, wenn sie sich ihrem Manfred und später ihrem Harald hingab.

Und in ihrem Glück störte es sie auch nicht, daß sie sich, während die Zärtlichkeiten ihres Bodo ihr immer mehr das klare Denken raubten, plötzlich nicht mehr darauf besinnen konnte, wer von den beiden sie eigentlich Mausi und wer sie Schatzi genannt hatte. Und es störte ihr Glück erst recht nicht, daß jeder von den beiden, dem sie natürlich ihren Hochzeitstag mitgeteilt hatte, nun heute nacht an sie denken und sich einbilden würde, sie trüge von ihm beide Strumpfbänder.


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