Rivalen.

Erzählung aus dem Officiersleben.
Von Freiherrn v. Schlicht.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 3., 4. und 5.Juni 1898,
in: Willkommen, Meusser, Messer & Co., Band XVIII, Seite 116 und
in: „Ein Ehrenwort”.


„Nun, wie findest Du ihn?”

Die gemeinschaftliche Mittagstafel im Casino war aufgehoben, die Herren waren aufgestanden, um sich theils ins Lesezimmer, theils in Gesellschaften oder ins Theater zu begeben, nur Lieutenant v. Waldorf war mit seinem Intimus, Herrn v. Kalkstein, der erst am Mittag von einem längeren Commando aus Berlin zurückgekommen war, an dem Tisch sitzen geblieben, um das Wiedersehen noch mit einer guten Flasche zu feiern.

Die Ordonnanzen traten in diesem Augenblick an den Tisch heran, um die leeren Gläaser und Flaschen fortzuräumen, und erst als diese auf einen Wink Waldow's das Zimmer wieder verlassen hatten, konnte Kalkstein auf die Frage seines Freundes antworten.

„Wie ich ihn finde? Es ist schwer, fast unmöglich für mich nach einer so flüchtigen Begegnung ein Urtheil über den neuen Kameraden abzugeben, um so schwerer, da Ihr, die Ihr ihn ja schon länger kennt, Alle von ihm entzückt zu sein scheint.”

„Also mit anderen Worten, er gefällt Dir nicht?” fragte Waldow. „Eigentlich hätte ich mir Das ja aber von vorn herein sagen können, Du hast nun einmal, nach bekanntem Vorbild, die Antipathie, Du bist skeptisch und mißtrauisch —”

Kalkstein unterbrach ihn lachend. „Höre auf, mir meine Fehler vorzuwerfen, weißt Du denn gar keine gute Eigenschaft von mir? Aber so ist's in der Welt, wenn man sich nicht sofort dem Urtheil der Menge anschließt, wenn man sich erlaubt, seine eigene, abweichende Meinung zu haben, fallen sogar die besten Freunde über uns her, schütteln verwundert den Kopf und sagen: „Wie ist so Etwas nur möglich, Du warst doch früher ein ganz verständiger Mensch.”

„Wenn Du einmal gestorben bist, was hoffentlich noch lange dauert, wirst Du da sitzen, wo die Spötter sitzen,” erwiderte der Freund, „nun aber sage mir, was hast Du an ihm auszusetzen?”

Kalkstein schwieg eine ganze Weile, dann antwortete er: „Ja, lieber Freund, Das ist schwer zu sagen, es mag sein, daß Du Recht hats mit Deinem Wort „ich hätte nun einmal die Antipathie”. Es macht auf mich immer einen lächerlichen Eindruck, wenn junge Menschen in unserem Alter mit schwerem Seufzer sprechen: „Ach, wenn Sie wüßten, was ich Alles durchgemacht habe”. Darum will auch ich mich nicht mit meinen Erfahrungen brüsten, aber Du weißt, ich habe bisher im Leben wenig Freunde gehabt und der Dornen am Wege waren stets mehr als der Rosen. So bin ich ernster geworden, als es sich vielleicht für meine Jahre ziemt, ich bin zu der übrigens alltäglichen Erkenntniß gekommen, daß man durch Schweigen und Zuhören nicht nur mehr lernt als durch Sprechen, sondern daß man auch seine Mitmenschen dadurch besser kennen lernt. Je hohler der Kopf, desto mehr spricht der Mund.”

„Nun kommen wir der Sache schon näher, Du hältst ihn also für einen faden Schwätzer?”

„Das ist viel zu viel gesagt, aber er spricht mir zu viel und ist viel zu sehr davon überzeugt, daß Alles, was er sagt, witzig und amusant ist.”

„Aber er hat doch einen reizenden Humor, Das kannst Du doch nicht leugnen?”

„Ein guter Witz macht noch keinen Humoristen,” erwiderte Kalkstein, „außerdem bin ich für Witz in jeglicher Gestalt und Façon ja absolut unempfänglich. Das ist ja aber auch Nebensache. Eines aber möchte ich aus Deinem Munde hören: glaubst Du, daß er ein guter Kamerad ist?”

„Daran zweifelst Du? Wir Alle gehen für ihn durchs Feuer.”

„Das ist keine Antwort auf meine Frage, Das beweist nur, daß Ihr gute Kameraden seid, glaubst Du aber auch, daß er für irgend Einen von uns das Gleiche thun würde?”

„Aber ganz selbstverständlich,” beeilte sich Waldow den abwesenden Kameraden zu vertheidigen; „wie kannst Du nur das Gegentheil annehmen, der Zweifel, den Du durch Deine Frage ausdrückst, ist schon eine Beleidigung.”

„Habe ich es nicht gesagt,” sagte Kalkstein, „wer nicht mitbellt, den beißen die Hunde. Im Uebrigen kann ich Dir versichern, daß ich, trotzdem es auf Commando herrlich war, mich auf das Wiedersehen mit Dir herzlich gefreut habe. Ich denke nicht daran, mir diese erste Stunde durch ein Gespräch über monsieur le beau verbittern zu lassen. Drücke auf den Knopf der elektrischen Biene, die, von dem Hauch meines Mundes getrieben, sich gerade jetzt in unmittelbarer Nähe Deiner Nasenspitze befindet — so denke — ach, da ist ja schon die Ordonnanz — noch einen Pommery! Trinken thun wir sie Beide, es bezahlt sie aber Derjenige, der noch einmal auf das alte Thema zurückkommt. Ich habe so die Empfindung, als wenn mir die Flasche nicht nur gut, sondern auch billig schmecken wird.”

  *  

  *    *  

Unterdeß saß Graf Bodo v. Gleichwitz, um den sich das Gespräch der Freunde drehte, mit mehreren Kameraden beim Kaffee und bei der Cigarre. Die Herren hatten auf der an den Eßsaal angebauten großen Glasveranda Platz genommen, von der aus sie die an dem Casino unmittelbar vorüberführende Straße völlig übersehen konnten, ohne von den Passanten selbst bemerkt zu werden. Nicht mit Unrecht führte die Straße den Beinamen „die Läster–Allee”, denn Jeder und hauptsächlich Jede, die an dem Casino vorbeiging, konnte sicher sein, besprochen und kritisirt zu werden. Das laute, fröhliche Lachen, das oft von der Veranda her erscholl, bewies, daß man sich auf Kosten der Vorübergehenden oft recht faule Witze erlaubte.

Graf Bodo war entschieden der Mittelpunct der kleinen Gesellschaft. Sein Witz und seine den Nagel auf den Kopf treffenden etwas sarkastischen Bemerkungen elektrisirten die anderen Herren, die seine Aeußerungen stets mit jubelndem Beifall begrüßten. Graf Bodo führte von dem Tage an, da er vor Kurzem in das Regiment hineinversetzt worden war, den Beinamen: monsieur le beau, er war mittelgroßer, schlanker und eleganter Figur, die ganze Art, wie er sich trug, jede seiner Bewegungen verrieth den Aristokraten. Mit fast jugendlichem Uebermuth blitzten die tiefschwarzen Augen in die Welt und ein wohlgepflegter schwarzer Schnurrbart beschattete den feingeschnittenen Mund, der beim Lachen zwei Reihen blendend weißer Zähne zeigte. Schön war Graf Bodo, Das mußte ihm der Neid lassen, ohne daß er dabei einer jener sogenannten schönen Männer war, die durch ihre Erscheinung, durch das Kalte, Nichtssagende ihres Ausdruckes eher abstoßen als anziehen. Er gehörte zu jenen Erscheinungen, die sofort sympathisch wirken, und so hatte Graf Bodo sich auch im Fluge die Zuneigung aller seiner Kameraden erworben. Eine große Rolle spielten die Damen; ein zärtliches Verhältniß mit einer angesehenen Dame in seiner früheren Garnison sollte ihn dort unmöglich gemacht und seine Versetzung veranlaßt haben: Genaues darüber wußte man nicht, aber das Wenige, was man erfahren hatte, genügte, um ihn „interessant” zu machen. Auch in der neuen Garnison verfehlte seine Erscheinung nicht, leicht entzündbare Herzen zu entflammen: die Kammerzofen schwärmten nicht weniger für ihn, als ihre Herrinnen, und Graf Bodo hatte ein weites Herz, er ließ sich von Allen lieben, denen es Vergnügen machte — er selbst behauptete, nicht lieben zu können. Es schmeichelte seinem Stolz, sich von Allen geliebt zu wissen, und er bezwang Jede, die er wollte, aber sein Herz wußte Nichts von Dem, was seine Lippen sprachen, und hatte er erreicht, was er wollte, hatte er den Kuß der sich lange Sträubenden auf seinen Lippen gefühlt, hatte er aus ihrem Munde das Wort: „Ich liebe Dich!” gehört, dann existirte die Betreffende nicht mehr für ihn, dann war die Chose, wie er sich ausdrückte, für ihn erledigt.

„Nun, und was machen wir heute Abend?” fragte jetzt einer der Kameraden, „ewig können wir hier doch nicht sitzen bleiben und uns moquiren, eingedenk des Wortes, daß, wer selbst in einem Glaskasten sitzt, nicht mit Steinen werfen soll.”

„Noch so ein fauler Witz, und Sie sind eine Leiche,” rief Graf Bodo, dann aber setzte er hinzu: „Mich müssen die Herren entschuldigen, ich bin heute Abend versagt.”

„Können Sie denn gar nicht ohne Rendezvous leben?” fragte ein Kamerad.

„Bitte sehr, darum handelt es sich heute nicht!” vertheidigte sich Gleichwitz, „selbst wenn ich ein Rendezvous hätte, würde ich es nicht zugeben, eingedenk des Wortes: „Genießt der Jüngling ein Vergnügen, sei er sittsam und verschwiegen.” Heute Abend bin ich ganz solide, ich bin bei Frau von Malchow zum Thee, sie ist, wie ich Ihnen, glaube ich, schon einmal sagte, eine intime Freundin meiner verstorbenen Mutter.”

„Und hat in Fräulein Elsbeth eine sehr hübsche Tochter.”

„Die kennen zu lernen ich noch nicht die Ehre hatte,” wehrte Bodo den Einwand des Kameraden ab, „ich freue mich aber sehr auf den heutigen Abend, ich bin sehr begierig, die junge Dame, von der ich schon so viel gehört habe, endlich von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen.”

„Heud Di Jung, sind Netteln dran,” (Hüte Dich Junge, es sind Nesseln daran) neckte ein geborener Schleswig–Holsteiner. „Nichts Genaues weiß man nicht, aber man munkelt, daß schön Elsbeths Herz schon gewählt habe.”

Graf Bodo lachte laut auf: „Sehe ich aus wie Einer, der sich verlieben und verloben will? Damit hat es noch lange Zeit, die nächsten zwanzig Jahre will ich die goldene Freiheit noch genießen, wenn man die Fünfzig zu fassen hat, ist es noch immer früh genug, ans Heiraten zu denken. Nun aber: schön'n guten Abend meine Herr'n, es wird Zeit, daß ich mich auf den Weg mache, je kleiner die Gesellschaft, desto glücklicher(1) muß man sein und ich bin heute Abend der einzige Gast.”

Mit einem „Vielleicht auf Wiedersehen heute Abend in der Kneipe”, verließ Graf Bodo das Casino und schritt schnellen Schrittes dem gastlichen Hause entgegen.

Frau von Malchow bewohnte etwas außerhalb der Stadt in einer der Villenstraßen ein kleines Häuschen. Herr von Malchow war früher im Regiment Major gewesen, war dann am Ort lange Jahre Bezirkscommandeur gewesen und hatte damals schon die kleine Villa gekauft, die die Witwe auch nach dem Tode ihres Mannes beibehielt, da die Pension und die Zinsen ihres Vermögens ihr ein völlig sorgenfreies Leben gestatteten. Seit zwei Jahren, nachdem das Trauerjahr verstrichen war, hatte Frau von Malchow mit Rücksicht auf ihre Tochter auch wieder den gesellschaftlichen Verkehr aufgenommen, und die kleinen Feste und Abendgesellschaften, die sie gab, erfreuten sich der größten Beliebtheit, trotzdem es verhältnißmäßig einfach dort zuging. Frau von Malchow war eine kluge, geistreiche Frau, die die seltene Gabe besaß, anzuregen und zu belehren, ohne daß der Zuhörer Dies gleich empfand, ohne daß er auf den Gedanken kam: du sitzest hier einer geistig Bedeutenden gegenüber, die die von ihrem Wissen abgeben will. Elsbeth, die einzige Tochter, hatte in ihrer Mutter nicht nur stets ihre beste Freundin, sondern auch ihre beste Lehrerin gesehen; mit ihrem scharf entwickelten Verstande, ihrem reichen positiven Wissen, ihrer verständigen Lebensauffassung unterschied sie sich suf das Vortheilhafteste von ihren meist recht oberflächlichen Freundinnen, die die vielen modernen Vergnügungen als Hauptzweck ihres Daseins betrachteten, ohne es trotzdem in der Ausführung der vielen Künste auch nicht annähernd zu derselben Fertigkeit zu bringen, wie Elsbeth, die alle diese ihr nebensächlich erscheinenden Dinge spielend erlernte. Die Folge war natürlich, daß es ihr an Feindinnen und Neiderinnen nicht fehlte, aber selbst die böseste Zunge vermochte nicht, ihr etwas Böses nachzusagen.

So war Bodos Neugier, sie kennen zu lernen, wirklich auf das Höchste gespannt; nach Allem, was er über sie gehört hatte, mußte sie ja eine Perle ihres Geschlechts sein.

Nun hatte er die Villa erreicht, ging durch den mit bunten Fliesen gepflasterten Garten, stieg die kleine, eiserne Treppe in die Höhe und zog an der Glocke. Ein sauber gekleidetes Dienstmädchen öffnete ihm und bat ihn im Namen der Hausfrau, gleich abzulegen. Zu seiner Ueberraschung bemerkte er, als er der Aufforderung nachkam, an der Garderobe bereits eine Mütze und einen Säbel hängen, bevor er aber noch Zeit fand zu fragen, wer außer ihm geladen sei, hatte das Mädchen bereits die Thür zu dem Wohnzimmer geöfnet.

Frau von Malchow, trotz ihrer fünfundvierzig Jahre eine fast noch jugendliche, schlanke, vornehme Erscheinung, erhob sich bei seinem Eintritt und ging ihm einige Schritte entgegen. Rasch eilte er auf sie zu und führte galant ihre Hand an die Lippen.

„Elsbeth, darf ich Dir Graf Bodo, den lieben Sohn meiner besten Feundin, von der ich Dir so viel erzählte, vorstellen.”

Elsbeth, die bisher mit dem anderen Gast im Gespräch gestanden hatte, trat einige Schritte vor und mit Bewunderung ruhten Graf Bodos Augen auf der vor ihm stehenden Gestalt: Elsbeth war fast einen Viertelkopf größer als er selbst, ihre Figur war groß und kräftig, ohne dabei des Anmuthigen und Lieblichen zu entbehren. Sie erschien wie eine idealisirte, jungfräuliche Germania, dichtes, blondes Haar schmückte die Stirn und den Scheitel und sinnberückende blaue Augen blickten hell und lustig in die Welt. Die ganze Erscheinung umgab ein solcher Liebreiz von Jungfräulichkeit und Reinheit, daß Bodo bei ihrem Anblick wie gebannt stand. Und nicht viel anders als ihm schien es ihr zu gehen, als sie ihn ansah, es war, als wenn ein elektrischer Funke, von ihm ausgegangen , sie berührt hätte, die beiden schönen Menschen, die sich so eben zum ersten Mal sahen, schienen jeder von der Schönheit des Andern überrascht und gefesselt zu sein. Dunkel färbten sich Elsbeths Wangen und Graf Bodo, der sich einmal damit gebrüstet hatte, daß er noch nie die Fassung verloren habe, stammelte unverständliche und unzusammenhängende Worte, als sie ihm die Hand zum Willkommen bot.

„Herrn von Kalkstein kennen Sie ja bereits,” hörte Bodo die liebenswürdige Wirthin sagen, „ich hörte, daß die Herren sich heute Mittag schon im Casino getroffen haben.”

Der also war der andere Gast. Sonderlich erfreut war Graf Bodo nicht bei dieser Entdeckung; lieber wäre es ihm gewesen, wenn er hier als einziger Hahn im Korbe hätte sitzen können. Mußte er aber Gesellschaft dulden, so wäre ihm jeder andere Kamerad lieber gewesen als gerade Kalkstein. „Der hat was gegen mich oder der weiß Etwas über mich.” Das war Bodo's Empfindung gewesen, als Kalkstein ihm am Mittag vorgestellt wurde und er seine kalten Augen forschend auf sich ruhen fühlte. Bodo schalt sich hinterher selbst thöricht, daß er den prüfenden Blick nicht ruhig ausgehalten, sondern die Augen zu Boden geschlagen hatte; was konnte Kalkstein, der ihn zum ersten Mal sah, gegen ihn haben? Einbildung seinerseits war es, weiter Nichts. So bot er denn dem Kameraden die Hand und schien es nicht zu bemerken, daß dieser nur widerstrebend ihm die Rechte gab.

„Ich wußte nicht, daß auch Sie heute Abend hier geladen sind,” redete Bodo den Kameraden an, „sonst würde ich gebeten haben, Sie auf dem Weg hierher begleiten zu dürfen.”

„Ich bin nicht geladen, ich habe mich hier selbst zu einer Tasse Thee angesagt. Die gnädige Frau war so liebenswürdig, mir schon im vorigen Jahre die Erlaubniß hierzu zu ertheilen.”

„Eine Auszeichnung, um die ich Sie beneide, und der ebenfalls würdig zu werden, fortan mein eifrigstes Bestreben sein wird.”

„Als Sohn meiner alten in Gott ruhenden Freundin sind Sie mir stets willkommen, mein lieber Bodo, ich hoffe, daß Sie sich in unserem einfachen Kreise recht, recht wohl fühlen werden.”

Das war so herzlich, so innig gesprochen, daß man merkte, es war mehr als eine Phrase, und dankbar küßte Bodo die Hand der Hausfrau, um ihr gleich darauf, als das Mädchen meldete, daß servirt sei, den Arm zu reichen.

An dem einfach, aber reich gedeckten Tisch nahm man so Platz, daß Mutter und Tochter sich gegenüber saßen, Bodo hatte also Fräulein Elsbeth zu seiner Linken.

Kalkstein saß ihm gegenüber, und oft schien es ihm, als wenn dessen Augen mit Unwillen auf ihm ruhten, er glaubte zu empfinden, daß der Kamerad sich über ihn ärgerte, daß seine Anwesenheit ihm unangenehm sei.

„Was fällt denn Dem ein?” dachte Bodo, „der Gast, der eingeladen ist, hat doch mindestens ebenso gut wie der, der sich ansagt, das Recht, sich zu amusiren und vergnügt zu sein, und vergnügt sein will ich heute Abend — wenn Kalkstein glaubt, daß er mir mit seinen scheelen Blicken die Laune verderben kann, irrt er sich ganz gewaltig.”

Und während er bisher ein aufmerksamer Zuhörer gewesen war, fing er allmählich an, die Kosten der Unterhaltung allein zu tragen — Das geschah in so geschickter Weise, daß Niemand seine Absicht merkte. Er hatte die Gabe, eine Gesellschaft auf das Angenehmste zu unterhalten, er verstand lustig und humorvoll zu plaudern, besaß einen stets schlagfertigen Witz, ließ sich durch keinen Einwand oder Zwischenruf aus der Fassung bringen und lachte über seine närrischen Einfälle selbst am allermeisten. Man konnte ihm Stunden lang zuhören, ohne zu ermüden — er wiederholte sich nie, er war jeden Abend ein Anderer, aber immer originell.

Heute sprudelte er von Humor und Witz und selbst Kalkstein konnte sich der Wirkung des lustigen Geplauders nicht verschließen: er mußte, wenn auch wider Willen, ein paar Mal mitlachen, obgleich er sich sonst den ganzen Abend nur damit beschäftigte, in Elsbeths Gesicht zu lesen, welchen Eindruck der neue Gast auf sie machte.

Elsbeths Augen flogen von dem Einen zu dem Anderen, gleichsam als wollte sie Vergleiche anstellen zwischen ihren beiden grundverschiedenen Gästen und in der That, größere Gegensätze konnte man sich kaum denken: an Graf Bodo Alles Schönheit, Vornehmheit und Eleganz, Kalkstein dagegen hatte wenige oder gar keine äußeren Vorzüge aufzuweisen, er war eigentlich Das, was man eine unmilitärische Erscheinung zu nennen pflegte. Er war von mittelgroßer Figur, hielt sich schlecht und hatte eine etwas zu hohe Schulter, die Kameraden, die ihn häufig neckten, sagten, er hätte nur ein einziges Mal in seinem Leben ganz gerade gestanden, das sei gewesen, als er in gegebener Veranlassung von dem Regimentscommandeur einmal einen gewaltigen Rüffel bekommen habe. Da sei er während der Rede immer gerader und gerader geworden, bis er endlich stolz und aufrecht wie eine Tanne dagestanden habe — als die Rede verhallt sei, wäre er aber sofort wieder in sich zusammen gesunken. Er sprach so gut wie gar nicht, er amusirte sich am besten, wenn er still in einer Ecke sitzen und beobachten konnte, da sah er aber auch Alles, und hin und wieder äußerte er seine Beobachtungen mit beißendem Spott. Er war ein Mensch, auf den man sich unbedingt verlassen konnte, er war treu wie Gold und hatte im ganzen Regiment keinen einzigen Feind. Jeder achtete und respectirte ihn als einen Ehrenmann vom Wirbel bis zur Zehe, wenn Manche auch sein etwas nachlässiges Wesen nicht billigten.

Ohne Freude und ohne Sonnenschein war er herangewachsen — sein Vater war früh gestorben, das alte Familiengut hatte verkauft werden müssen, die Mutter und die Schwester lebten in einer billigen Stadt von den Zinsen des geringen Capitals. Er selbst hatte seinen Lieblingswunsch, Medicin zu studiren, aufgeben müssen, war durch die pecuniäre Unterstützung eines Verwandten Officier geworden und fristete nun sein Dasein kärglich aber ehrenhaft von seinem geringen Gehalt und der kleinen Zulage, die des Kaisers und Königs Majestät ihm in Gnaden bewilligt hatte. Vor einem Jahre waren seine Mutter und seine Schwester innerhalb ganz kurzer Zeit an Diphtherie gestorben und von der Zeit an stammte die Freundschaft, die ihn mit dem Hause der Frau von Malchow verband. Frau von Malchow hatte ihm, als sie die Traueranzeige erhielt, einige herzliche Worte der Theilnahme geschrieben, er kam, um sich persönlich dafür zu bedanken und das Gespräch hatte sich um die Verstorbenen gedreht. Mit glühender Liebe hatte er von seiner Mutter erzählt, wie schön, wie gut und edel sie gewesen sei und wie zur Zeit, da sie noch auf dem Lande wohnten, die Arbeiter, die Gesunden wie die Kranken, zu ihr hinauf geschaut hätten wie zu einer gütigen Fee. Durch freundliche Fragen hatte sie ihre Antheilnahme bezeugt und sein aufrichtiger Schmerz und seine Verzweiflung hatten ihr Thränen des Mitleids in die Augen getrieben. Endlich hatte er sich erhoben, aber beim Abschied hatte er, nach langem, inneren Kampf zu ihr die Worte gesprochen:

„Gnädige Frau, ich stehe nun ganz allein auf der Welt, ich habe Niemanden mehr, darf ich manchmal zu Ihnen kommen und Ihnen von meiner Mutter erzählen?”

So rührend, so kindlich flehend hatten seine Worte geklungen, daß sie, von innigstem Mitgefühl ergriffen, geantwortet hatte:

„Sie sollen mir und meinem Hause jeder Zeit willkommen sein, ich wäre glücklich, wenn es mir allmählich gelingen sollte, Ihnen, soweit es möglich ist, die Mutter zu ersetzen.”

Von diesem Tage an verkehrte Kalkstein sehr viel im Hause; wenn sein Weg ihn vorbeiführte, sprach er auf einen Augenblick vor, er sagte sich hin und wieder zu Mahlzeiten an, oft kam er auch, wenn er die Damen bei Tisch wußte, und es war vereinbart, daß das Mädchen, wenn sie ihn anmeldete, ihm als Antwort ein einfaches „Ja” oder „Nein” brächte — Frau von Malchow genirte sich nicht, ihn abzuweisen, wenn es ihr irgendwie nicht paßte, und Kalkstein dahcte nicht daran, es irgendwie übel zu nehmen, wenn der Hausfrau seine Besuche ein paar Mal nach der Reihe ungelegen kamen.

Heute, am ersten Tage seiner Rückkehr von dem mehrwöchentlichen Commando, hatte er es als seine erste Aufgabe betrachtet, den Damen seine Aufwartung zu machen, und wie ein alter, lieber Freund, der schmerzlich vermißt worden war, war er begrüßt worden. Eine halbe Stunde vor Bodo war er eingetroffen und hatte von seinen Erlebnissen erzählt und berichtet, nun saß er als aufmerksamer und doch widerwilliger Zuhörer. Die ganze Art und Weise seines Kameraden stieß ihn ab, und doch zollte er der Kunst Bewunderung, mit der Bodo Alle, auch ihn, zu bezwingen wußte.

Als man sich endlich lachend und scherzend vom Tisch erhoben hatte, setzte Graf Bodo sich ans Clavier; er besaß einen schönen, von trefflichen Lehrern geschulten Baryton und die Kunst seines Vortrages wurde durch den Schmelz seiner zu Herzen gehenden Stimme und durch die vollendete Art, in der er sich selbst begleitete, gehoben. Auch Elsbeth war eine tüchtige Künstlerin auf dem Clavier; so gingen die Stunden im Fluge dahin und es war schon spät, als die beiden Kameraden endlich aufbrachen.

  *  

  *    *  

Von diesem Abend an war Graf Bodo fast täglicher Gast im Hause der Frau von Malchow, er hatte beiden Damen ungemein gefallen und Beide freuten sich, so oft er ihre Schwelle überschritt. Frau von Malchow war ganz entzückt von ihm, sein frisches, natürliches, munteres Wesen gefiel ihr ungemein und ihre Augen strahlten, wenn er bei ihr saß, ihren Worten lauschte oder ihr in galanter Weise Ritterdienste erwies. Die sonst so kluge, Welt und Menschen genau kennende und durchschauende Dame ließ sich völlig von seinem einnehmenden Aeußeren und von seiner liebenswürdigen Höflichkeit bestechen. Nicht ganz so begeistert war Elsbeth von dem neuen Gast; als sie ihn zum ersten Male sah, hatte seine Schönheit einen fast fascinirenden Eindruck auf sie gemacht und ihr Herz hatte höher geschlagen, dann aber war ihre Ruhe, ihre Besonnenheit zurückgekehrt, sie hatte Vergleiche zwischen Kalkstein und Bodo angestellt und sich gesagt: wer ist der bessere Mensch, und ihr erging es wie dem treuen Freund des Hauses, auch sie glaubte in Bodos Augen Etwas zu finden, das ihr nicht gefiel, und von diesem Augenblick an war sie ihm mit gleichmäßiger Freundlichkeit, aber doch mit einer gewissen Zurückhaltung begegnet. Noch Eins kam bei ihr hinzu, Dies zu erklären, sie wußte, sie fühlte, daß Kalkstein schon seit langer Zeit um sie warb. Nie hatte er mit einem Wort ihr von Zuneigung oder Liebe gesprochen, dennoch glaubte sie sich nicht zu irren. Scherzend hatte Frau von Malchow ihn einmal gefragt, als die Verlobung eines Kameraden angezeigt wurde, ob er denn gar nicht daran dächte, sich einmal zu verheiraten. „Sehe ich aus, wie ein Freier,” hat er lachend gesagt, „mich nimmt Keine und ich nehme Keine, es müßte denn schon sein, daß ich Eine fände, die meiner Schwester ähnlich wäre.”

Wie seine verstorbene Mutter sein Abgott, so war seine Schwester sein Stolz und sein Sonnenschein gewesen. Nach seinen Schilderungen hatte sie durch ihre Schönheit und Anmuth alle Welt berückt. Mit Vorliebe erzählte er dann, wie sie einst auf einem Costümfest so bezaubernd ausgesehen habe, daß der Fürst des Landes, der das Fest mit seiner Gegenwart beehrte, sie zu sich in seine Loge befahl, um, wie er sich ausgedrückt habe, seinem schönsten Landeskinde ungestört Bewunderung zollen zu können. Für ihn, den von Natur weniger reich Ausgestatteten, war ihre siegende Schönheit Etwas gewesen, an dem er sich nicht satt sehen konnte, an deren Anblick er sich aufrichtete und erfreute, wenn seine Häßlichkeit ihn betrübte und quälte.

Viele Wochen und Monate waren seit dem Abend, an dem er jeden Gedanken an eine Heirat zurückwies, verflossen, als er eines Tages unaufgefordert ein Bild seiner Schwester mitbrachte. Er hatte nicht zu viel gesagt, sie schien, nach der Photographie zu urtheilen, in der That eine ungewöhnliche Schönheit gewesen zu sein, und so fühlte Elsbeth sich stolz und glücklich, als er in seiner zuweilen etwas launigen Art zu ihr sagte: „Ich habe Ihnen das Bild mitgebracht, mein gnädiges Fräulein, weil ich in der letzten Zeit finde, daß Sie meiner Schwester ähnlich sehen.”

Das war das erste und das letzte Mal gewesen, daß er ihr ein Compliment gesagt hatte, sie fühlte aber auch, der er ein größeres ihr nach seiner Meinung nicht hätte sagen können.

Bald darauf war es auch geschehen, daß er ihr durch ein Geschenk zum ersten Mal eine Aufmerksamkeit erwies. Seine Mittel erlaubten es ihm nicht, täglich, wie Graf Bodo es zu thun pflegte, einen Blumenstrauß mitzubringen, Schulden machen wollte er nicht und so hatte er offen und ehrlich gebeten, es ihm nicht als Mangel an Dankbarkeit auszulegen, wenn er stets mit leeren Händen käme. Zufällig hatte Elsbeth eines Abends gesagt, daß sie das Veilchen–Parfum allen anderen vorziehe, besonders beim Tanzen erfrische sie es ungemein. Bald darauf war im Casino Ball gewesen und Kalkstein, der sich an die Rundtänze, die er als „Blödsinn” bezeichnete, nicht heranwagte, tanzte mit Elsbeth, die er schon lange vorher engagirt hatte, die zweite Quadrille. Es war heiß im Saal und die Luft schwül und drückend, Elsbeth sagte ihrem Partner ein paar hierauf bezügliche Worte. Statt aller Antwort griff er in die Tasche. „Befehlen gnädiges Fräulein etwas Parfum?” Und er, der Sparsamste der Sparsamen, hielt ihr ein großes Flacon des köstlichsten Veilchen–Parfums entgegen, das ihm sicherlich mehr als die Hälfte seiner monatlichen Zulage gekostet hatte. Und von dieser Stunde an war Kalkstein ohne sein Veilchen–Parfum nicht mehr denkbar. Natürlich wurde er in Folge dessen von den Kameraden viel geneckt und gefoppt und kein Fest verging, an dem nicht irgend ein böser Bube mit den Worten „Kalkstein, Euer Fläschchen” an ihn herantrat, aber alle Versuche, in den Besitz des Flacons zu kommen, scheiterten, kein Anderer als Elsbeth durfte es in die Hand nehmen, für sie allein trug er es immer bei sich und sie war gerührt und dankbar für so viel Aufmerksamkeit.

Sie wußte, sie fühlte es, daß Kalkstein eines Tages vor sie hintreten und um ihre Hand anhalten würde und sie wußte auch, daß sie mit Freuden „Ja” sagen würde. Liebte sie ihn? Sie hatte sich die Frage oft gestellt und jedes Mal mit einem „Nein” genatwortet, wenigstens war Das, was sie für ihn empfand, nicht die himmelanstürmende, Alles bezwingende, Alles verleugnende Liebe; aber sie achtete und schätzte ihn wie keinen Zweiten und sie wußte, einen besseren Mann würde sie nie finden können, sie würde mit ihm glücklich sein.

So hatte sie schon mehrere Anträge abgelehnt, so war das Gerücht entstanden, daß schön Elsbeths Herz nicht mehr frei sei, daß sie bereits im Stillen gewählt habe, Niemand ahnte, wen sie erkoren, auf Kalkstein verfiel Niemand, Graf Bodo am allerwenigsten, obgleich er häufig mit dem Kameraden bei Frau von Malchow zusammentraf. Oft dachte er, wenn sie zu Viert am Abendbrottisch saßen und lachten und sich amusirten: „Wer mag der Glückliche sein, dem Elsbeth ihr Herz geschenkt hat.” Er fühlte, sie wich ihm aus, sie ging nicht auf den Ton ein, den er ihr gegenüber anschlug, sie hörte seine Worte, aber sie fanden keinen Widerhall in ihrem Innern. Und je mehr Bodo Dies empfand, desto größer ward in ihm das Verlangen, ihre Liebe zu erlangen, den Widerstand, den sie ihm entgegensetzte, zu brechen, sie zu bezwingen. Je mehr sie sich zurückzog, desto mehr machte er ihr den Hof, bis sie ihm eines Abends halb lachend, halb scherzend sagte: „Ihre Zeit muß nicht kostbar sein, daß Sie sie so unnütz vergeuden können.”

Nur er hatte die Worte gehört, nur für ihn waren sie berechnet, aber Elsbeth irrte sich, wenn sie geglaubt hatte, ihn dadurch zu bekehren.

„Glauben Sie, mein gnädiges Fräulein?” hatte er nur zur Antwort gegeben und sich dann ans Clavier gesetzt und alle die Lieder gesungen, die Elsbeth, wie er wußte, nicht leiden konnte.

„Mag sie noch so stolz und ablehend sein, mag ih ihrem Herzen wohnen wer da will, sie soll mich lieben,” gelobte er sich an jenem Abend im Stillen.

Und von dieser Stunde an war ein stiller, aber desto heftigerer Kampf zwischen Beiden entbrannt, selbst die Mutter und Kalkstein merkten Nichts von Dem, was zwischen den Beiden vorging, es war ein trotziges Ringen und Streiten, Jeder hatte sich geschworen, eher zu sterben als zu unterliegen. Zuweilen dachte Elsbeth daran, sich ihrer Mutter anzuvertrauen, aber sie wußte es, sie würde dieses Mal an ihr nicht die richtige Stütze finden. Frau von Malchow wäre glücklich gewesen, Graf Bodo als Schwiegersohn zu bekommen, der der Träger eines stolzen Namens und der Besitzer eines großen Vermögens war und dessen Liebenswürdigkeit sie ganz umstrickt hatte. Elsbeth wollte ihm nicht angehören, eine Stimme in ihrem Innern, die sie sich selbst nicht zu erklären vermochte, warnte sie vor ihm. Vielleicht hätte sie seinen Werbungen weniger Widerstand entgegengesetzt, wenn sie seine Absicht, sie zu gewinnen, nicht so deutlich gemerkt hätte. Ihr Trotz, ihr Stolz lehnte sich dagegen auf, immer wieder gelobte sie sich „ich will nicht, ich will nicht”, ohne zu wissen, ohne es sich selbst einzugestehen, daß Graf Bodo sein Spiel schon halb gewonnen hatte.

„Haben Sie mich denn gar nicht ein Bischen lieb?” fragte er sie eines Abends, als sie sich nach kurzer Unterhaltung von ihm abwenden wollte.

„Ich hasse Sie,” gab sie zur Antwort.

„Ihr Herz weiß nicht, was Ihr Mund spricht,” erwiderte er gelassen und betheiligte sich dann so ruhig an dem allgemeinen Gespräch, als ob nicht das Geringste vorgefallen wäre — er that, als wenn er die Thränen nicht sehe, die in Elsbeths Augen gestiegen waren und die sie vergebens zu unterdrücken gesucht hatte.

Aber noch ein Anderer sah die Thränen — Das war Kalkstein. Mit einem Male sah er, was hier vorging, und ein heiliger Zorn gegen den Kameraden ergriff ihn — wie war es nur möglich, daß er blind gewesen die ganze Zeit hindurch, daß er von Elsbeths Leid Nichts gemerkt hatte. Nicht Eifersucht war es, was er in diesem Augenblick empfand, obgleich er jetzt erst fühlte, wie grenzenlos er sie liebte; alle persönlichen Gefühle und Empfindungen aber traten zurück gegen Elsbeths Kummer. Wuth und Haß erfüllten seine Seele, und er schwur sich, Graf Bodo solle ihm Rede und Antwort stehen.

Er wußte es einzurichten, daß er Elsbeth, als diese an das Buffet trat, um Etwas zu holen, in unauffälliger Weise folgte. Hier ergriff er ihre Hand, und sie mit seinen treuen Augen, in denen sich seine reine Seele widerspiegelte, ansehend, sagte er: „Fräulein Elsbeth, kann ich Ihnen irgendwie dienlich sein? Sie wissen, auch ohne daß ich es Ihnen sagte, was ich für Sie empfinde; geben Sie mir das Recht, für Sie zu handeln?”

Schon wollte sie ihrem Herzen Luft machen, schon wollte sie sagen: „Helfen Sie mir, stehen Sie mir bei in dem Kampf, in dem ich, ich fühle es, unterliege” — da traf sie ein Blick aus Bodos Augen, so herrisch und stolz und doch wieder so bittend und demüthig, daß sie nicht den Muth fand zu sprechen, sondern sich mit einem „Nein, nein, ich danke, ich weiß auch nicht, worauf Sie anspielen,” abwandte.

Früher als sonst brachen die Herren auf, Kalkstein hatte keine Ruhe und er wußte Bodo zu bestimmen, ihn zu begleiten.

„Gehen wir noch ein Glas Bier trinken?” fragte Bodo, als sie auf der Straße waren, „vielleicht treffen wir noch Kameraden!”

Doch Kalkstein lehnte ab: „Ich danke, ich verspüre wenig Neigung, doch wenn es Ihnen Recht ist, machen wir noch einen kleinen Umweg, ich möchte gern mit Ihnen noch einige Worte sprechen, ich möchte Sie um Etwas fragen.”

„Bitte sehr,” erwiderte Bodo höflich, „so weit es mir möglich ist, werde ich Ihnen gern jede Frage beantworten.”

Das sollte ruhig und gelassen klingen, gleichsam, als wisse er nicht, worauf der Andere anspiele, doch konnte er es nicht verhindern, daß seine Stimme ein wenig bebte und zitterte.

Eine ganze Weile gingen die Kameraden schweigend neben einander her, Kalkstein sann darüber nach, wie er Das, was ihn beschäftigte, am passendsten in Worte kleiden könne, dann sagte er, plötzlich stehen bleibend: „ Ich möchte Sie auf Ehre und Gewissen fragen, ist es Ihre feste Absicht, Fräulein von Malchow zun heiraten?”

„Eine sonderbare Frage in der That,” erwiderte Graf Bodo ausweichend, „und ich finde Zeit und Ort seltsam gewählt, sie an mich zu richten, darf ich, bevor ich Ihnen Antwort gebe, mir die Frage erlauben, was Sie zu derselben veranlaßt?”

Kalkstein hatte den Weg weiter fortgesetzt und Bodo war an seiner Seite geblieben, wieder gingen sie einige Schritte schweigend neben einander, dann sagte Kalkstein: „Ich verlange eine offene Antwort, da muß auch ich offen sein und Ihnen anvertrauen, was außer mir kein Mensch weiß. Ich liebe Fräulein Elsbeth und werbe um sie seit langer Zeit, ich glaubte ihrer Gegenliebe sicher zu sein, bis Sie in das Haus kamen.”

„Also Eifersucht,” versuchte Graf Bodo zu scherzen.

„Der Ausdruck ist ganz falsch gewählt,” gab Kalkstein gelassen zur Antwort, „ich bin mir dessen sehr wohl bewußt, daß ich sehr wenig zu bieten habe, daß ich unterliegen muß, wenn ein Anderer mit mir in den Wettbewerb tritt. Das Gefühl der Eifersucht kenne ich nicht, dazu bin ich — es soll kein Stolz sein, wenn ich es sage — zu sehr von mir selbst eingenommen, vielleicht aber auch zu wenig. Doch darum handelt es sich auch gar nicht, es handelt sich nicht um mich, sondern um Fräulein Elsbeth. Wir Beide werben um sie und ich habe es heute Abend bemerkt, daß Fräulein Elsbeth Sie liebt — ist es Ihr Ernst, wollen Sie sie heiraten, so trete ich freiwillig zurück, ich räume das Feld um Die, die ich über Alles liebe, glücklich zu machen, ich hoffe dadurch einen großen Theil der Dankesschuld, die auf mir ruht, abtragen zu können. Denken Sie, Herr Graf, also(2) nicht daran, sich mit Fräulein Elsbeth zu verloben, ist es nur ein Spiel, das Sie treiben, dann bitte ich Sie, daß Sie heute Abend die Schwelle des Hauses zum letzten Mal übertreten haben, ich bitte Sie darum im Interesse der Familie von Malchow, in meinem und auch in Ihrem eigenen Interesse, Herr Graf.”

(3)„Sollen Ihre Worte eine Drohung enthalten? Wer gibt Ihnen das Recht, so zu mir zu sprechen, sind Sie von den Damen beauftragt, mir diesen Rath zu ertheilen?”

„Was ich Ihnen sagte, geschah nur aus eigener Initiative — jede Drohung lag mir fern, es war nur eine Bitte, die ich an Sie richtete. Das Recht zu dieser Bitte werden Sie mir wohl nicht absprechen können.”

„Und wenn ich es dennoch thue?”

„So beweist mir Das nur, daß Sie der Beantwortung meiner Frage aus dem Wege gehen wollen. Hätten Sie ernste Absichte, so würden Sie mir jetzt sagen: Ja, Kalkstein, ich liebe Fräulein Elsbeth, und werde glücklich sein, wenn Sie [sic!] mich erhört!”

Graf Bodo fühlte nur zu gut, daß der Kalkstein Recht hatte, aber er war nicht geneigt, dem Kameraden Rede und Antwort zu stehen. So sagte er denn, nach einer neuen Ausrrede suchend: „Und wenn ich mir heute Abend noch nicht ganz klar bin über die Gefühle, die ich für Fräulein von Malchow habe, wenn ich selbst noch nicht weiß, ob die Liebe, die ich für sie empfinde, stark genug ist, um den entscheidenden Schritt zu thun, was dann?”

„Dann will ich hoffen, daß Sie sich bald über Ihre Gefühle klar werden, und ich werde Ihnen dankbar sein, wenn ich bald erfahren würde, wie es in Ihrem Innern aussieht. Hier, glaube ich, trennen sich unsere Wege. Gute Nacht!” und ohne dem Kameraden die Hand zu reichen, schlug Kalkstein, nachdem er flüchtig die Rechte an die Mütze gelegt hatte, einen Seitenweg ein.

Einen Augenblick sah Bodo ihm ganz verwundert nach, dann setzte er seinen Weg fort. In seinen Gedanken wiederholte er sich noch einmal die kurze Unterredung und blieb dann plötzlich stehen: Wie kam aber Kalkstein denn dazu, ihn so zur Rede zu stellen, gleichsam als wenn er ein thörichter Junge wäre, Das war ja unerhört. „Ich Thor, der ich mir Das ruhig gefallen ließ,” murmelte er vor sich hin, während er wieder weiter ging, „warum habe ich ihm meine Absicht nicht ordentlich gesagt, was geht es ihn an, ob ich Elsbeth liebe oder nicht: Laß ihn doch um sie anhalten, wenn er seiner Sache so sicher ist — lächerlich was er da redet von nicht eifersüchtig sein, war ja Alles Unsinn, was er da redet, meinetwegen kann er sie heiraten, wenn er will, morgen, heute — nein, heute noch nicht und morgen auch noch nicht. Erst will ich aus ihrem Munde hören, daß sie mich liebt, erst soll sie ihren Kopf an meine Schultern lehnen, die Arme um meinen Hals schlingen und mit bebenden Lippen flüstern: „Hier bin ich, ich liebe Dich über Alles.” Erst will ich sie an mich drücken und den ersten Kuß von ihren Lippen trinken, dann ist sie frei, eher nicht, dann will ich auch Kalkstein Antwort geben auf seine Frage. Neugierig bin ich, ob sie mich zu fesseln vermag — qui vivra, verra.”

Und ein lustig Lied vor sich hinpfeifend, ging er mit schnellen Schritten seiner Wohnung entgegen, denn in aller Frühe hatte er schon wieder Dienst und es war doch später geworden, als er geglaubt hatte.

Als er am nächsten Mittag aus der Caserne zurückkehrte, fand er einen Brief vor, in dessen Adresse er Elsbeths Handzüge zu erkennen glaubte. Schnell öffnete er das Couvert, faltete den Bogen auseinander und las:

„Sehr geehrter Herr Graf!

Wenn es wahr ist, was Sie mir so oft sagten, was Sie so oft zu beweisen suchten, wenn Sie mich nur ein klein wenig lieben, so bitte, so beschwöre ich Sie: kommen Sie nicht wieder zu uns, meiden Sie fortan unser Haus. Ich will, ich darf Ihren Worten nicht glauben, denn grenzenloses Unglück könnte für uns Beide daraus entstehen. Sie würden meiner nach kurzer Zeit überdrüssig werden und ich würde die Achtung und die Liebe eines der besten und edelsten Männer dadurch verlieren, ohne dafür Ersatz zu finden.

Und darum noch einmal: Kommen Sie nicht wieder zu uns, geben Sie mir den Frieden zurück, den Sie mir raubten. Thränenden Auges, demüthig bitte ich Sie darum.”

Zweimal las Bodo diese Zeilen, dann rief er seinen Diener, kleidete sich schnell um und schlug den Weg zum Hause der Frau von Malchow ein, das er in kurzer Zeit erreichte.

„Die gnädige Frau macht Besorgungen, das gnädige Fräulein ist im Musikzimmer,” meldete das Mädchen.

„Um so besser,” dachte Graf Bodo, — „nein, danke, lassen Sie nur, ich kenne den Weg ja,” hielt er das Mädchen zurück, als dieses ihn anmelden wollte.

Leise, fast unhörbar, ging er durch das Empfangszimmer und öffnete dann die nur angelehnte Thür zu dem Musikzimmer, in dem Elsbeth, ohne zu spielen, am Clavier saß. Sie drehte dem Eintretenden den Rücken zu und hatte sein Kommen überhört.

Einen Augenblick ließ er seine Augen über die liebreizende Gestalt schweifen, dann rief er mit bittender, zärtlicher Stimme: „Elsbeth!”

Ein unterdrückter Schrei — und dann lag sie an seinem Halse, lachend und weinend zugleich, seine Küsse duldend und sie erwidernd, seinen Worten lauschend, und immer wieder fragend: „Hast Du mich auch wirklich lieb?”

„Sage mir, daß Du mich lieb hast,” drängte er, und sie barg ihren Kopf an seine Schultern, und während glühendes Roth ihre Wangen färbte, stammelte sie Worte der Liebe, der grenzenlosesten Liebe.

  *  

  *    *  

Am nächsten Tag fuhr Bodo vierzehn Tage auf Urlaub unter dem Vorwande, daß Familien–Angelegenheiten ihn fortriefen, war es ihm leicht gelungen, die Erlaubniß zur Abreise zu erhalten. In Wirklichkeit war es ihm nur darum zu thun, Elsbeth fern zu sein, — nachdem er sie geküßt, nachdem er das Geständniß ihrer Liebe vernommen, war sein Rausch, schneller als er es selbst vermuthet, verflogen — schon nach wenigen Minuten, noch während sie, an ihn geschmiegt, zärtliche Worte flüsterte, erschien ihm die ganze Sache so prosaisch und unpoetisch wie nur möglich. Er konnte nun einmal nicht lieben, sein Herz wußte Nichts von Dem, was die Lippen sprachen, und während er die zärtlichen Liebkosungen erwiderte, dachte er im Stillen schon darüber nach, wie er sich mit Anstand aus der Affaire ziehen könnte. Leicht gelang es ihm sie zu bewegen, vorläufig gegen Jedermann, auch gegen die Mutter, Schweigen zu beobachten. Absichtlich vermied er es davon zu sprechen, daß er kommen würde, ihre Hand zu erbitten. Das hatte, wenn es absolut sein mußte, ja noch viel Zeit, vorläufig wollte er sich die Sache in aller Ruhe überlegen und dazu schien es ihm am geeignetsten, etwas auf Urlaub zu gehen, ihm fiel plötzlich ein, daß er seit mehr als einem Vierteljahr nicht fortgewesen war.

Vergebens erwartete Elsbeth an den beiden nächsten Tage den Besuch des Geliebten, erst am dritten Tage erfuhr sie durch Kalkstein, daß Bodo plötzlich habe verreisen müssen. Nicht ein Wort hatte er ihr davon gesgat. Kalkstein sah, wie sie sich bei seinen Worten verfärbte, wie Angst und Zweifel in ihre Züge traten, aber ihre Lippen blieben auch dieses Mal stumm. Aber auch ohne daß sie sich ihm anvertraute, wußte er, was geschehen war, er wollte ihr Glück wünschen zu der Wahl, die sie getroffen, aber er fand keine Worte, jetzt, da er sie verloren hatte, merkte er erst, wie sehr er sie liebte.

Wohl eine gute Woche war verstrichen, da kam endlich der lang ersehnte Brief. Elsbeth eilte in ihr Zimmer und schloß hinter sich ab, um sicher vor jeder Störung die Worte des Geliebten lesen zu können, und sie las:

Mein sehr verehrtes gnädiges Fräulein!

Sie werden sich wundern, nach Dem, was zwischen uns vorgefallen ist, so feierlich und förmlich angeredet zu werden, und dennoch, so leid es mir thut, muß es sein. Die Stunde, in der Sie mir Ihre Liebe gestanden, und in der ich, von Ihren Worten berauscht, in gleicher Weise zu Ihnen sprach, ist verflossen — an Stelle der Begeisterung, des Taumels ist die ruhige Ueberlegung getreten. Ich bin vor Ihnen geflohen, um mir ganz klar zu werden über die Gefühle, die ich für Sie empfinde, und je mehr ich darüber nachdenke, je mehr ich mich selbst prüfe, desto mehr komme ich zu der Ueberzeugung, daß ich Sie nicht mit jener Tiefe und Leidenschaft liebe, wie es für ein späteres Glück unbedingt nöthig ist. Jetzt erst sehe ich auch ein, daß es Unrecht von mir war, daß ich trotz Ihres Briefes zu Ihnen kam, jetzt, wo es zu spät ist — aber nein, wo es noch nicht zu spät ist, sondern wo es noch Zeit ist, Geschehenes rückgängig zu machen. Lassen Sie das grenzenlose Unglück, das Sie uns selbst prophezeiten, nicht über uns hereinbrechen, und glauben Sie mir, daß die Stunde kommen wird, in der Sie mir für diese anscheinend so harten und lieblosen Worte danken werden.

In aufrichtigster Verehrung und Ergebenheit bin ich stets

Ihr
Bodo Graf von Gleichwitz.

Also doch! Was sie im Stillen gefürchtet, was auszudenken sie kaum gewagt hatte, war zur Wahrheit geworden — Bodo hatte nur sein Spiel mit ihr getrieben, er hatte ihr beweisen wollen, daß Keine, auch sie nicht, ihm widerstehen könne, sie war unterlegen und nun zog er sich zurück.

Eine Zeitlang sah sie starr vor sich hin, sie wollte, sie konnte das Furchtbare nicht begreifen, dann aber, als ihr die Erkenntniß Dessen kam, was geschehen war, brach sie vernichtet zusammen. Zorn und Scham erfüllten ihr Herz, und laut aufschluchzend barg sie ihr Gesicht in den Händen — die größte Schmach, die einem Weibe widerfahren kann, war ihr begegnet, sie war bei Seite geworfen, wie eine Frucht, die man gekostet und für schlecht befunden hat.

Und plötzlich stand Kalkstein vor ihrem geistigen Auge: Hätte sie sich ihm doch anvertraut, hätte sie doch sein Anerbieten angenommen, als er sich bereit erklärte, ihr zu helfen, sie zu schützen gegen den Kameraden. Nun hatte sie auch ihn verloren; als Freund, Das wußte sie, konnte sie alle Zeit auf ihn zählen, aber Alles, was sein Herz sonst noch für sie empfunden hatte, war erstorben, mußte nach ihrer Meinung in ihm erstorben sein.

Aber rechtfertigen wollte sie sich vor dem Freunde, so schrieb sie ihm denn einige Worte und bat ihn, zu einer Stunde, da sie die Mutter nicht zu Hause wußte, sie aufzusuchen — der Mutter wollte sie den großen Kummer, sich in dem Sohn ihrer Jugendfreundin, den sie wie ihren eigenen Sohn geliebt hatte, so getäuscht zu haben, ersparen. Mit Aufbietung ihrer ganzen Kraft gelang es ihr sogar, Alles, was in ihr vorging, zu verbergen und zu verheimlichen, mit keiner Miene verrieth sie die innere Unruhe, sondern war heiter und fröhlich wie stets.

Am Nachmittag kam Kalkstein, weinend trat sie ihm entgegen und reichte ihm den Brief, den Bodo ihr geschrieben.

„So, lieber Freund, nun wissen Sie Alles, können Sie mir den Kummer, die Enttäuschung verzeihen, die ich Ihnen bereitete? Verstoßen Sie mich nicht ganz aus Ihrem Herzen, denn Einen muß ich haben, dem gegenüber ich mich offen aussprechen kann, der Mutter kann ich mich nicht anvertrauen, sie soll nie von der Schmach, die man ihrem Kinde zugefügt hat, erfahren.”

Kalkstein sprach auf sie ein mit Worten des Trostes, er suchte sie hinwegzusetzen über die Enttäuschung, die sie erlitten und versicherte immer wieder, daß Das, was er für sie empfinde, auch nicht für eine Secunde erloschen oder erstorben sei. Noch sei die Stunde nicht da, und es werde ihm schlecht anstehen, wenn er heute schon sprechen wolle, aber er werde komme, sie um ihre Hand bitten und werde glücklich sein, wenn sie ihn erhören würde.

Dann brach er auf; es war ihm gelungen, Elsbeth zu beruhigen und zu trösten, nun mußte er allein sein, auch er bedurfte der Ruhe und der Sammlung, zu wild stürmten die Gedanken auf ihn ein. Sein ehrlicher, offener Charakter bäumte sich auf gegen Das, was er gehört und erfahren, wie war so Etwas nur möglich. Aber nicht ungestraft sollte Bodo dieser Streich bleiben, er überlegte hin und her, noch war kein Grund vorhanden, ihn zur Rechenschaft zu ziehen, noch hatte auch er kein Recht, für Elsbeth einzutreten, noch nicht, aber die Stunde würde kommen und dann mochte Graf Bodo sich hüten.

Lange wartete Kalkstein vergeblich auf eine Gelegenheit, sich mit Bodo auseinander zu setzen. Seit Wochen schon war letzterer vom Urlaub zurückgekehrt, als Bodo den Kameraden, der ihm niemals sympathisch gewesen war, wieder begrüßte, fühlte Bodo, daß sein Todfeind ihm gegenüberstand und zum ersten Mal gedachte er wieder des Wortes, das der Freund ihm zugerufen hatte, als von Schön–Elsbeth die Rede gewesen war: „Heud Di Jung, sind Netteln drann.” (Hüte Dich Junge, es sind Nesseln daran.)

Woche auf Woche verging, Bodo wußte sehr wohl, daß Kalkstein auf die erste beste Gelegenheit wartete, ihn zu fordern und vorsichtig, mit der Klugheit und Schlauheit eines Fuchses, ging er Allem aus dem Wege, was irgendwie zu einem Streit hätte Anlaß geben können: er liebte das Leben und seine Schönheit viel zu sehr, um Beides wegen einer Bagatelle aufs Spiel zu setzen. Kalkstein ging um den Kameraden herum, wie ein Raubthier, das den richtigen Augenblick abwartet, wo es sich auf seine Beute stürzen kann — seit einigen Tagen war er mit Elsbeth verlobt, auch er hatte gebeten, vorläufig gegen Jedermann darüber zu schweigen, den Grund seiner Bitte versprach er ihr später zu erklären.

Auf einem Liebesmahl kam es endlich zu dem Conflict, Kalkstein, der Dies erwartete, hatte dem Wein fast garnicht zugesprochen, während Graf Bodo sich in der Sectlaune befand und allmählich in eine versöhnliche, rosige Stimmung gerathen war. Und da geschah es, daß Bodo von(4) mehreren Kameraden, die das gespannte Verhältniß zwischen Beiden bemerkt und schon lange eine Versöhnung gewünscht hatten, an Kalkstein herantrat und ihm die Hand zum Frieden bot.

Kalkstein war empört über diesen Schritt, zu dem seinen Gegner, wie er ganz genau wußte, nur die Feigheit trieb, und so sagte er denn mit eisiger Ruhe: „Ich bedaure, Ihnen die Hand nicht geben zu können.”

Einen Augenblick war Alles still, dann drängten die Kameraden in Kalkstein, doch nicht unversöhnlich zu sein, sie wüßten ja zwar nicht, was vorläge, aber so groß sei kein Vergehen, daß es dafür keine Vergebung gebe.

„Gut,” sagte Kalkstein nach kurzem Besinnen, „unter einer Bedingung will ich Ihnen die Hand reichen —”

„Und welches ist die Bedingung?”

„Ich verlange von Ihnen, Herr Graf, daß Sie hier öffentlich vor allen Kameraden erklären, daß Sie in der nur uns Beiden bekannten Angelegenheit wie ein Schurke gehandelt haben.”

Aller Augen waren auf Bodo gerichtet, aus dessen Gesicht jeder Blutstropfen gewichen war. Jeder wußte, daß Kalkstein, dessen Ruhe und Besonnenheit Jeder kannte, nicht ohne ernste Veranlassung ein solches Ansinnen an den Kameraden stellen würde.

„Und wenn ich mich nun weigere, Ihre wahnwitzige Bedingung zu erfüllen, wenn ich unter diesen Umständen auf die Ehre verzichte, mich mit Ihnen zu versöhnen, was dann?” fragte Bodo außer sich vor Zorn und Scham.

„Dann hoffe ich, im Interesse unseres Officiercorps, daß Sie wenigstens so viel Ehrgefühl haben, um mich wegen der Zumuthung, Ihnen die Hand reichen zu sollen, um Verzeihung zu bitten.”

Ein unbeschreiblicher Tumult folgte diesen ruhig und laut gesprochenen Worten. Bodo wollte sich auf seinen Gegner werfen und wurde nur mit Mühe von den Kameraden zurückgehalten. Alle sprachen durcheinander, die Einen ergriffen für Kalkstein, die anderen für Bodo Partei, bis Kalkstein endlich sagte: „Ich glaube, da ich bedaure, meine Worte nicht zurücknehmen zu können, daß jede weitere mündliche Auseinandersetzung überflüssig ist; wenn Graf von Gleichwitz noch Etwas von mir will, so treffen seine Zeugen mich zu Hause. Darf ich zwei der Herren bitten, mein Interesse vertreten zu wollen?” und nachdem er von den Kameraden, die vortraten, zwei ausgewählt und ihnen seinen Dank ausgesprochen hatte, ging er nach Hause, mit Ungeduld den Augenblick herbeisehnend, wo es ihm endlich vergönnt sein sollte, Rache zu nehmen.

  *  

  *    *  

„Meine liebe kleine Elsbeth!

Wenn diese Zeilen in Deine Hände gelangen, habe ich Abschied von Dir genommen für immer; ich weile dann nicht mehr unter den Lebenden, Bodo's Kugel hat mich getroffen. Zürne mir nicht, daß ich Dir das Duell verschwieg, es mußte sein, ich hoffte, Bodo zu strafen, das Dir zugefügte Leid ihn büßen lassen zu können — das Schicksal hat es anders gewollt. Ich habe Waldow, den lieben Karl, der mir secundirt und den ja auch Du näher kennst, gebeten, Dir diesen Brief zu überbringen, wenn ich fallen sollte, und eine dunkle Ahnung sagt mir, daß wir uns nicht wiedersehen, obgleich mein Blut so ruhig ist und meine Hand nicht zittert. Bodo hat den ersten Schuß, ich glaube, er wird mir keine Gelegenheit geben, zu antworten.

Höre auf Das, was Waldow Dir in meinem Namen sagen wird: weine und klage nicht, Du bist noch jung, ein langes Leben liegt noch vor Dir und viel Glück und Freude kann Dir noch zu Theil werden.

Jeden ereilt sein Geschick, auch für Bodo wird die Stunde kommen, da er bestraft wird für Das, was er gethan; ein Höherer wird mit ihm richten und der Gedanke soll und muß Dich zur Milde und Nachsicht gegen ihn stimmen.

Und nun, Geliebte, lebe wohl: möchte eine rosige Zukunft Dich reichlich entschädigen für den Schmerz, den Du jetzt erleidest, und möchtest Du mir alle Zeit einen kleinen Raum in Deinem Herzen bewahren.

In dieser Hoffnung grüße und küsse ich Dich in grenzenloser Liebe und denke Deiner, bis mein Herz aufgehört haben wird zu schlagen.”


Fußnote:

(1) Muß es hier nicht vielleicht besser heißen: „pünktlicher”? Schlicht hatte ja eine sehr schwer leserliche Handschrift. [Der Herausgeber] (zurück)

(2) Muß es hier nicht auch vielleicht besser heißen: „aber”? [Der Herausgeber] (zurück)

(3) In der Buchausgabe (zumindest in der 2. und 3. Auflage) fehlen die nächsten 6 Absätze. Dort geht es weiter mit dem Absatz: „Einen Augenblick sah Bodo ...”. (zurück)

(4) In der Buchausgabe heißt es hier - wohl auch richtig - „vor mehreren Kameraden”. (zurück)


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