Das Reisegepäck des Deutschen.

Eine Plauderei über die Reisetoilette der Herren.
Von Freiherrn von Schlicht
in: „Der Weltcourier”, Illustrierte Zeitschrift für Gesellschaftsleben und Reise, vom 1.Juli 1907.


Mit dem 1. Mai hat es aufgehört, daß der Deutsche auf seinen Reisen 25 Kilo Freigepäck mit sich führen kann. Als damals im Reichstag über diesen Punkt verhandelt wurde, habe ich die unsterblichen Götter angefleht, daß dieser Vorschlag des Eisenbahnministers nicht Gesetz werden möge — nicht, weil ich fürchtete, daß sich meine vielen, teuren Reisen dadurch um ein paar weitere Goldstücke verteuern würden, sondern weil ich es mit dem mir angeborenen prophetischen Blick voraussah und noch voraussehe, daß der Deutsche in Zukunft nun noch weniger Gepäck mit sich führen und noch gewissenhafter als sonst die Frage prüfen wird: „Mit wie wenig komme ich auf der Reise aus?”

Denn das ist ja das Unglück — fast hätte ich gesagt: der Fluch des Deutschen —, daß er sich, wenn er seinen Koffer packt, nicht fragt: „Was brauchst du alles?”, sondern daß er sich fragt: „Was brauchst du alles nicht?”

Wie ist es nur möglich, daß ein Herr eine, wenn auch nur kurze Reise antritt, ohne seinen Frack mitzunehmen? Kann er im voraus wissen, ob er nicht in die Lage kommen wird, diesen unbedingt brauchen zu müssen? Die Redensart: „Da gehe ich einfach im Gehrock und entschuldige mich damit, daß ich eben auf Reisen bin” ist entsetzlich, denn ein Herr, der Wert darauf legt, ein Herr zu sein, darf nie in die Lage kommen, sich wegen seines Anzuges entschuldigen zu müssen. Wenn ich selbst nur auf einen Tag verreise, nehme ich immer einen Gehrockanzug, den Smoking und den Frack mit. Ich habe einen Freund, der mich jedesmal für verrückt erklärt, wenn er meinen Koffer sieht. Aber ich lasse mich dadurch nicht beirren. Können nicht gesellschaftliche oder geschäftliche Verpflichtungen uns zwingen, die Abwesenheit von Hause zu verlängern? Kann nicht eine Première uns veranlassen, noch zu bleiben? Und soll man dann in seinem Reiseanzug, mit einem bunten Hemd, abends ins Theater gehen?

Der Deutsche trägt mit Vorliebe während der Reise selbst den Jackettanzug, gerade das Kostüm, das ihm bei seiner angetrunkenen Bierrundlichkeit am wenigsten steht. Und wenn er dann noch „für alle Fälle” einen schwarzen Rock mitnimmt, so hat er nach seiner gewissenhaften Ueberzeugung mehr als genug. — Entsetzlich!

Man kann in allgemeinen drei Arten von Reisen unterscheiden: die Badereise, die Reise ins Gebirge und die Seereise, und dementsprechend muß natürlich auch das Gepäck zusammengestellt werden. Ich habe Leute — natürlich Deutsche! — gesehen, die während der Hochsaison in Scheveningen am Strande in Bergschuhen spazieren gingen, und ich habe in Interlaken einen sehr feudalen Referendar getroffen, der sich — in Lackstiefeln auf eine Bergtour machte.

Das eine ist natürlich ebenso falsch und unelegant wie das andere.

Wer an die See geht, braucht in erster Linie Anzüge für das Strandleben, Anzüge, nicht einen, sondern wenigstens drei, die am besten sowohl in der Farbe als auch im Stoff verschieden sind. Gräßlich, wenn jeden Tag zur selben Stunde derselbe Herr im selben Anzug an derselben Stelle auftaucht! Natürlich geht man am Strand in einem leichten Jackenanzug aus Flanell, aus Waschleinen oder aus roher Bastseide. Das letztere dürfen aber nur jugendliche, schlanke Gestalten oder ganz alte Herren tragen, für das „Mittelalter” ist das nichts. Auf dem mehr oder weniger schönen Kopf trägt man einen Panamahut oder eine Mütze mit breitem Schirm — natürlich keine wollene, schottische Reisemütze, und an den Füßen entweder braune oder weiße Schuhe, keine schwarzen, geschweige denn Lackstiefel. An den Händen trägt man keine Handschuhe.

Wie lange man in diesen Strandkostümen herumläuft, richtet sich nach der im Bade herrschenden Eleganz. Wenn nicht eher, dann muß man sich aber unbedingt zum Abend entschließen, Toilette zu machen. Und wenn es Brauch ist, muß man zum Diner im Frack erscheinen, sonst darf man kein fashionables Bad aufsuchen.

Selbst in den kleinsten Bädern finden wöchentlich Réunions statt. Ist es nicht ein trauriges Zeichen für uns Deutsche, daß die Kurverwaltung überall Plakate anschlagen muß „Der Zutritt ist den Herren nur im dunklen Anzug gestattet!”? Und ebenso wenig wie auf die Réunion geht man natürlich auch ins Kurtheater nicht im Strandanzug. Die Ansicht, daß man sich für solche Sommerbühne nicht anzuziehen brauche, ist ein Unsinn, denn der Deutsche vergißt immer, daß der Gentleman sich um seiner selbst willen ankleidet.

Wer da in ein elegantes Seebad reist, braucht als Herr also ungefähr 3 Strandanzüge, 2 wärmere Jackettanzüge, Gehrock, Smoking und Frack — also 8 Anzüge. Daß manche die garnicht besitzen, ändert nichts an der Tatsache, daß man sie doch braucht.

Weniger Gepäck braucht derjenige, der ins Gebirge reist.

Ist er ein „Salontiroler”, so wird er natürlich in Wadenkostümen einen großen Luxus treiben, der wirkliche Bergtourist aber sieht in erster Linie darauf, daß die Ausrüstung praktisch ist. Gelingt es, zugleich praktisch und elegant angezogen zu sein, so ist das natürlich das Ideal. Unvergeßlich wird mir eine junge Engländerin bleiben, die ich im vorigen Jahre in Grindelwald in der Schweiz sah, als sie mit ihrem Vater zusammen das Hotel verließ, um einen Gletscher zu besteigen: feste, schwarze, aber doch elegante Schnürstiefel mit Nägeln, hohe, lederne Gamaschen, ein bis über die Knie reichender, kurzer, grauer Rock, eine gestrickte, graue Bluse, eine graue Mütze. Obgleich keineswegs hübsch, sah sie doch in dem Kostüm entzückend aus, und als ich gleich darauf eine Deutsche sah: den langen Rock mit einem Kleiderraffer hochgenommen, die einwärts gesetzten Füße in unförmigen Stiefeln, über denen dicke, wollene Strümpfe sichtbar waren, einen alten Hut schief auf dem Kopf, einen entsetzlichen Rucksack auf dem Rücken einer alten, blankgescheuerten, seidenen Taille, im Stehen ein Glas Bier trinkend, und dann weiter schwitzend — — Muse, verhülle dein Haupt — ich habe beinahe geweint —.

Aber die Herren machen es mit ihren Gebirgskostümen auch nicht anders. Ich habe einmal am Schliersee einen Berliner Freund, einen sehr reichen Herrn, in einem derartigen Bergkostüm getroffen, daß ich mich fast genierte, ihn meinen Bekannten vorzustellen. Der deutsche Hochtourist hält es für seine Pflicht, sein ganzes Reisegepäck im Rucksack mitzunehmen. Er will nicht nur die Berge erklimmen, sondern auch über jede Kultur hinaussteigen. Wenn er der Angewohnheit, sich zu waschen, auch in den Bergen treu bleibt, ist das nach seiner Auffassung alles, was man von ihm verlangen kann.

Der Deutsche sucht mit Vorliebe solche Hotels auf, in denen keine Amerikaner und Engländer verkehren, nicht etwa, weil ihm die unsympathisch sind, sondern lediglich, weil er dann Toilette machen muß. Und das ist ihm unbequem. Und wir könnten doch in der Hinsicht so unendlich viel von den anderen Nationen lernen! Man vergleiche nur einmal das ebenso elegante wie praktische Reisegepäck der Amerikaner mit dem unsrigen!

Weit mehr Gepäck als auf den hohen Bergen braucht man auf hoher See — da kann man überhaupt garnicht genug mitnehmen, und der Deutsche müßte und könnte sich dazu eigentlich umso leichter entschließen, als man auf den Schiffen das Gepäck ja frei hat. Unsere großen überseeischen Dampfer sind Hotels allerersten Ranges, und dem entsprechend muß man sich auch anziehen. An Deck geht man natürlich im Jackettanzug, einreihig oder doppelreihig, wie die Anzüge des Kaiserlichen Yachtklubs; im Gehrock geht man da ebensowenig spazieren, wie im Zylinder, und zum Lunch kann man im Deckanzug erscheinen. Am Abend aber muß der Frack — oder wenigstens der Smoking — angezogen werden. Denn auch die Damen erscheinen in großer Toilette und zuweilen — in noch größeren Hüten.

Sehr bescheiden ist der Deutsche auch beim Mitnehmen seiner Wäsche. Seine stehende Redensart ist: „Man kann ja unterwegs waschen lassen”. Bis zu einem gewissen Grade ist das wohl richtig — es kommt nur darauf an, ob es einem ganz einerlei ist, wie gewaschen wird. Auch kann man nicht immer mit Sicherheit darauf rechnen, daß Zeit und Gelegenheit zum Waschenlassen da ist,

Auf kleinen Seereisen — besonders wenn häufig Hafenplätze angelaufen werden — ist es natürlich nicht erforderlich, jeden Abend im Frack zu erscheinen. Aber es ist durchaus ungehörig, — wie ich es auf einer Reise nach Spitzbergen mit einem berühmten und sehr gelehrten deutschen Professor erlebte — daß man in Bergschuhen ud kurzen Hosen zu Tisch erscheint!

Ein kurzes Wort möge noch dem Hemde gewidmet sein. Wie man Jägerhemden tragen kann, wird mir hoffentlich bis zu meiner Todesstunde unverständlich bleiben. Muß man sie auf Befehl des Arztes tragen, dann ist es ja etwas anderes. Wer da auf die Berge steigt, braucht natürlich wollenes Unterzeug, aber sonst? Niemals!

Zum Strandkostüm trägt man seidene oder halbseidene Hemden mit festen, seidenen Kragen und festen, seidenen, weichen oder gestärkten Manschetten. Niemals weiße Manschetten zu einem bunten Hemd! Auch leichte Flanellhemden in uni oder gestreift sind elegant. Dieselben Hemden kann man an Bord des Dampfers tragen. Man kann schließlich an Bord und am Strande auch bunte Hemden tragen, aber der Inbegriff aller Eleganz ist das nicht.

Wohl aber ist der Inbegriff aller Eleganz: auf Reisen stets so angezogen zu sein, daß man sich — nicht „erst anzuziehenbraucht”.


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