Der Regenschirm.

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Ihre Durchlaucht der Regimentschef” und
in:
„Seine Hoheit”


Schon in seiner Jugend trug er nie einen Regenschirm Seine Bonne hatte ihm das Paraplui(1) in seiner frühesten Kindheit schon verekelt, sie hatte die Angewohnheit, den Schirm so zu halten, daß ihm die herabfließenden Tropfen stets auf die Nase fielen. Und das machte ihn jedesmal wütend, seine nase erst recht. Gegen den Regen vom Himmel hatte er nichts einzuwenden, wohl aber gegen den Regen, der von dem gegen und fü den Regen konstruierten Schirm herabfiel. Wenn schon, dann wollte er ihn gewissermaßen aus erster Hand haben. Als er älter wurde, haßte er den Schirm, weil er entweder gerade kaput war, wenn man ihn brauchte, weil man sich gegenseitig auf der Straße damit ins Gesicht und in die Augen stieß, weil man sich zuweilen den Arm ausrenkte, wenn man einen Passanten überholen wollte, und nun den eigenen Regenschirm über den des anderen hinwegzuheben versuchte, um keine Schirmkarambolage herbeizuführen. Er haßte den Schirm aus tausendundeinem Grunde, alle waren stichhaltig, aber wirklich stichhaltig wurden sie erst, als ein neuer hinzukam. Er wollte Offizier werden — da durfte er später ja auch keinen Schirm tragen, folglich durfte er es jetzt auch dann nicht, wenn er es wollte, und da er es garnicht wollte, durfte er es natürlich um so weniger.

Früher hatte er mit Rücksicht auf seine Eltern, die ihn baten, seine guten Anzüge zu schonen, wenigstens einen Schirm besessen, wenn er ihn auch nie aufgespannt hatte.

Aber auch dieser Zustand war vorüber, als er seinen Eltern eines Abends die Erlaubnis abgerungen hatte, Offizier zu werden.

Als erstes ging er auf den Korridor und zerbrach seinen Regenschirm in tausend Stücke, die in Wirklichkeit aber gar keine tausend waren.

Dann trat er mit den Trümmern seiner früheren Habe in die Küche. „Da, Anna, das schenke ich Ihnen, machen Sie damit, was Sie wollen.”

Dienstboten bedanken sich bekanntlich für jedes Geschenk, das sie unerwartet gelegentlich bekommen, nur am Weihnachtsabend bedanken sie sich prinzipiell für garnichts. So freute sich Anna denn auch jetzt über den kaputen Schirm, womit aber nicht gesagt sein soll, daß sie sich über einen heilen nicht ebenso gefreut hätte. Vielleicht sogar noch mehr.

Und der regenschirmlose Held trat wenig später als Fähnrich in die Armee, und da er ein hübscher Kerl war, bei dem Examen genügende geistige Fähigkeiten zeigte, und da sein Vater ihm außerdem einen sehr anständigen Monatswechsel gab, so sah kein Mensch ein, warum er es nicht wenigstens bis zum General bringen solle.

Das Vertrauen, das Alle in ihn setzten, ehrte ihn, und im Laufe der Jahre war er nun schon bis zum Hauptmann avanziert. Er hatte somit schon einige Stufen jener Leiter erklommen, die jeder nur deshalb hinaufsteigen muß, damit er später, wenn er oben angekommen ist, wieder herunterfallen kann — —

Der wahrhaft weise Mann steigt deshalb auch garnicht erst die Leiter hinauf. Er bleibt hübsh unten und reicht seinen Abschied ein, bevor er in die Armee eintritt, — er wird garnicht erst Offzier.

Wer den bunten Rock nun aber einmal anzog, der muß steigen, um dann wieder fallen zu können.

Unser Hauptmann aber dachte noch garnicht ans Fallen. Er wollte ganz hoch steigen und er würde es auch tun. Er war ein anerkannt tüchtiger Offizier, er hatte nur einen einzigen Vogel, und der war merkwürdigerweise ein Wurm: der Regenwurm.

Er haßte die Sonne und liebte den Regen, wenigstens nach außen hin. Im stillen freute er sich natürlich über den hellen Sonnenschein genau so gut, wie jeder andere Mensch, aber er liebte den Regen aus ehrgeizigen Gründen. Der gab ihm Gelegenheit, seinen Vorgesetzten und seinen Untergebenen immer aufs neue zu beweisen, wie jung er noch sei, wie er jedem Wind und Wetter trotze, wie es für ihn keine Erkältung, keinen Schnupfen gäbe. Er zeigte Allen: ich bin gesund, seht mich an, ich nehme es mit jedem meiner jungen Rekruten auf, mag es noch so viel gießen, was schert es mich! Wie er früher nie einen Regenschirm getragen hatte, so trug er jetzt nie einen Mantel, wohl aber erlaubte er, daß seine Offiziere ihn trugen, denn das hob das Ansehen seiner eigenen Gesundheit, und gab den Höheren zugleich eine lebendige Illustration zu dem Thema: „Die Verweichlichung der heranwachsenden männlichen Jugend”.

Den Hauptmann genierte kein Wolkenbruch.

„Der Mensch ist wahrhaftig nicht naß zu kriegen,” sagten die Vorgesetzten und die Kameraden. Und bis zu einem gewissen Grade hatten sie recht.

„Der regnet sich wirklich noch bis zur Exzellenz durch,” meinte einmal bei Tisch im Kasino ein Witzbold. Er mußte zwar für diese unglaublich faule Bemrkung zwanzig Pfennige Strafe an die Tischkasse bezahlen, aber das Wort war nun einmal gesprochen und wurde weiterkolportiert.

Der Häuptling freute sich darüber. Aber die hohen Vorgesetzten ärgerten sich. Die wußten doch am besten, daß es nicht nur vom eigenen Willen und den persönlichen Fähigkeiten des Einzelnen allein abhängt, Karrière zu machen oder nicht, sondern doch auch etwas von der Beurteilung, die die Höheren dem Untergebenen zu Teil weren lassen. Und gerade, weil diese streng und gerecht sind, verstimmt es sie, wenn da Einer sagt: ich will vorwärts kommen. Der eigene Wille muß sich auch hier, wie überall, dem Wohl der Allgemeinheit unterordnen.

Das Wort „er regnet sich durch” machte die Vorgesetzten hellhörig. Man fing an, mißtrauisch zu werden, jetzt erst wurde Allen klar, daß er sich absichtlich naßregnen ließ, er wollte damit nicht zeigen, wie jung er war, er wollte dadurch nur jünger erscheinen, als er war.

Er wollte die Vorgesetzten dadurch täuschen.

Vorgesetzte aber lassen sich nicht täuschen. Dazu sehen sie zu scharf, ihrem Blick entgeht garnichts, und wehe dem, der da wagt, ihnen ein x für ein u machen zu wollen.

Wehe dem!

Dem Hauptmann „wehte”, aber er merkte nichts davon. Er tat seine Pflicht, auch wenn einmal die Sonne schien, aber er hatte gottseidank(2) eine Garnison erwischt, in der das Barometer meist auf Regen zeigte.

Der Hauptmann sollte Major werden, er war der „Dranste”, vorher aber kamen noch einmal alle seine Vorgesetzten in der Garnison zusammen, um ihm auf den hohlen Zahn zu fühlen.

Er hatte ein gutes Gewissen und so dachte er: „Na, fühlt schon.”

Und sie fühlten, aber die Zähne saßen verflucht fest und hohl war kein einziger.

Da fing es während der Besichtigung plötzlich an zu regnen, nein, zu gießen. Es war, als ob der liebe Herrgott immer einen Eimer voll Wasser nach dem anderen über die Köpfe der armen Menschen ausgösse. Die höchsten Vorgesetzten, die im Kriege unter Umständen mit der Fahne in der Hand ihren Leuten voranstürmen, dem sicheren Tode entgegen, bekamen es mit der Angst, sie jagten den Gäulen die Sporen in die Seiten und flohen davon, dem heimatlichen Grog entgegen — —

Alle flohen. Damit die Uniformen nicht zum Teufel gingen, stellten die Mannschaften sich unter den Schutz der nahen Bäume.

Nur der Häuptling blieb auf seinem Platze unter freiem Himmel halten. Ihm wurde der Regen nicht langweilig, wohl aber seinem Gaul. Der war nach seiner eigenen maßgeblichen Meinung vollständig naß genug. Und sein Herr schien im Sattel zu schlafen.

„Ach was, der merkt es ja nicht,” sagte das Roß sich, „ich kneife ihm einfach aus —”

Er legte die Ohren an und lauschte, ob sein Herr sich rührte. Dann nahm er seinen ganzen Mut zusammen und lief seinem Reiter davon.

Der fühlte, wie das Pferd unter ihm immer kürzer wurde, jetzt sah er nur noch den Schwanz — und ehe er noch Zügel und Bügel hatte wieder ergreifen können, lag er auf der Erde.

„Verfluchter Schinder!”

Aber der machte sich nichts aus der Verwünschung — in Carriere sauste er dem heimatlichen Stalle entgegen.

„Wer ihn kriegt, kreigt einen Taler!”

Aber es kriegte ihn keiner, weder den Gaul, noch den Taler.

Der Hauptmann saß — in des Wortes wahrster Bedeutung — schön in der Patsche. Die Wogen schlugen über seinem Kopf zusammen. Als er endlich wieder auf den Beinen stand, glich er einem kohlpechrabenschwarzen Mohr — —

So führte er seine Kompagnie zu Fuß nach Hause.

Als er am nächsten Morgen aufstehen und zum Dienst gehen wollte, ging es nicht — er brachte die Beine nicht aus dem Bett.

Der Doktor kam und rieb sich vergnügt die Hände: „Nun habe ich meine Wette doch gewonnen, ich hab's ja immer gesagt — selbst die Regentonne braucht einen Deckel, wenn sie voll ist — nur Sie haben keinen haben wollen.”

Der Kranke wurde ungeduldig: „Sagen Sie endlich: was fehlt mir?”

Der Arzt legte sein Gesicht in ernste Falten: „Was Ihnen fehlt? Der Regenschirm — weiter nichts. Sie haben den idealsten Rheumatismus, den man sich als Arzt zur Behandlung nur immer wünschen kann, und daß Sie jemals wieder dienstfähig werden, glaube ich nicht. Aber das ist Ihre eigene Schuld, Sie haben von Kindheit an gegen Ihre Gesundheit gewütet — ein wahres Wunder, daß Sie bei dem feuchten Leben, das Sie führten, nicht eher zusammenklappten. Na, seien Sie ruhig, Ihr Herz ist noch leidlich und Sie können als Zivilist noch ganz ruhig bis zu Ihrem Tode leben. Aber eins müssen Sie sich unbedingt anschaffen: einen Regenschirm. Sonst ist das Ende das Ende.”

Und der Arzt behielt Recht: der Hauptmann wurde nicht wieder dienstfähig. Mit dem Titel als Major bekam er den Abschied und, zur Untätigkeit verurteilt, ging er täglich seine sechs Stunden und mehr „seinem Tode entgegen”. Selbst bei schönstem Wetter mit dem Regenschirm in der Hand, um ihn sofort aufspannen zu können, sobald der erste Regentropfen fiele.

Aber wehe dem, der ihm da zu nahe kam! Dem pickte er dann mit dem Schirm, wohin er ihn treffen konnte: ins Gesicht, in die Augen, auf den Hut, in den Halskragen, überallhin. Zuweilen schleuderte er ihn zu Hause mit einem ingrimmigen Fluch in die Ecke. Aber er nahm ihn dann doch immer wieder zur Hand, denn sonst war das Ende das Ende. Das hatte der Arzt gesagt und es wäre doch noch schöner, wenn der verflixte Regenschirm, der ihm schon so viel Unheil gebracht hatte, am Ende auch noch am Ende schuld sein sollte. —


Fußnoten:

(1) In der Fassung von „Seine Hoheit” heißt es hier: „Parapluie”. (Zurück)

(2) In der Fassung von „Seine Hoheit” heißt es hier: „Gott sei Dank”. (Zurück)


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