Meine Rattenfalle.

Humoreske von Freiherrn v. Schlicht.

in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 12.Nov. 1899


Nur wer selbst lange Zeit in einem Etagenhaus über, neben und unter bösen Nachbarn zur Miethe gewohnt hat, kann sich die Freude vorstellen, die mich erfüllte, als es mir endlich gelungen war, eine kleine, auf hohem Berge gelegene Villa zu miethen, in der ich ganz allein mit meiner Frau, meinem Jungen und meinen Dienstboten wohnte. An Viehzeug, das mit in meine neue Wohnung übersiedelte, besaß ich zwei Kanarienvögel, zwanzig Hühner, zwei Hähne und einen ausgestopften Affen.

Ich war glücklich, als ich das Haus bezog, und ich wäre es heute noch, wenn ich nicht eines schönen, oder richtiger gesagt, eines gräßlichen Tages die Entdeckung gemacht hätte, daß sich auf meinem Grund und Boden Ratten herumtrieben.

Mit Ausnahme der Ballettratten hasse ich Alles, was den Namen Ratte trägt, und ich freue mich schon deshalb, kein Chinese zu sein, damit ich nicht nöthig habe, an hohen Sonn- und Feiertagen, wie das Gesetz es befiehlt, weiße Ratten zu verzehren.

Die Ratten fühlten sich bei mir sehr wohl, sie nahmen zu und vermehrten sich mit unheinlicher Geschwindigkeit, und mit dem Quadrat meiner Flüche, die auf ihre widerlich langen Schwänze herniederfielen.

Um die Tiere los zu werden, wandte ich zunächst das einfachste Mittel an, das es gibt: ich verwünschte sie nach allen Richtungen der Windrose.

Der Erfolg war ein glänzender: Die Ratten vermehrten sich über Nacht um wenigstens 50 %. Ihre Frechheit überstieg sogar die Grenzen, die sie sich selbst gesteckt hatten. Sie spielten auf meinem Pflasterhof im Sonnenschein die lieblichsten Spiele, Verstecken, Greifen und andere schöne Sachen. Waren sie hungrig und durstig, so gingen sie in meinen Hühnerstall und erbarmten sich der extra für sie gelegten Eier; waren sie müde, so legten sie sich irgendwo schlafen, einmal sogar in den kleinen Rollwagen meines Jungen.

Da beschloß ich, zum Mörder zu werden.

Ein Räuber in den Abruzzen kann nicht mehr Mordinstrumente bei sich führen, als ich an jenem Tag, da ich zum ersten Mal auf Rattenjagd ging: meine Taschen strotzten von Patronen und von allen möglichen Giften. Aber ich kam nicht zum Schuß, und selbst mein gelegtes Gift schien den Thieren nicht zu schmecken. Sie ließen es ruhig liegen.

Ich kaufte mir einen Rattenpinscher, und eine Katze — aber anstatt, daß dieses Vieh Ratten biß, biß und kratzte es sich gegenseitig. Eins von diesen Thieren mußte wieder aus dem Haus, und da ich mir nicht darüber einig werden konnte, wer von ihnen am meisten seinen Beruf verfehlt hätte, flogen sie Beide auf die Straße. Meine Ratten tanzten einen Fandango.

Einem Freunde, der mich besuchte, klagte ich mein Leid.

Da es kurz vor Tisch war und er wohl auf ein gutes Mittagessen bei mir hoffte — das ihm denn auch zu Theil ward — hörte er mir andächtig zu.

„Wenn Dir weiter nichts fehlt,” sagte er, „dann kann Dir leicht geholfen werden. Auch ich hatte früher viele Ratten im Haus — durch eine ebenso einfache wie praktische Falle habe ich viele Dutzende gefangen, und habe jetzt keine einzige Ratte mehr. Wenn Du willst, schicke ich Dir morgen eine Falle, oder willst Du lieber zwei haben? Ich habe mir damals mehrere kommen lassen, Du brauchst nur zu bestimmen, wieviel Fallen Du haben willst, ich gebe sie Dir umsonst.”

„Eine genügt wohl vorläufig,” gab ich zur Antwort, und am nächsten Tag kam die Falle.

Sie sollte Wunder wirken, und mit einem Freudengeschrei der versammelten Hausbewohner wurde sie begrüßt.

Das Mordinstrument bestand aus einem ungefähr siebenzig Centimeter langen und dreißig Centimeter breiten Brett. In der Mitte befanden sich zwei Klappen, die, sobald man sie berührte, nach unten gingen.

Mit Hülfe der Gebrauchsanweisung stellte ich die „unfehlbar wirkende Falle” auf und zwar wählte ich als den dafür am meisten geeigneten Ort, den Hühnerhof, in dem die Ratten wahre Familienfeste zu feiern pflegten.

Im Schweiße meines Angesichtes grub ich ein tiefes, tiefes Loch und stellte in dieses einen bis zum Rand mit Wasser gefüllten Eimer.

Ueber den Eimer stellte ich die Falle, und bestrich die Klappen mit einem entsetzlich stinkenden Rattenlockungsmittel! Ueber die Klappen wurde ein ganz kleiner, an zwei Seiten offener Kasten gestellt.

Nun mochten dien Thiere kommen — sobald eine Ratte auf eine Falle trat, fiel sie ins Wasser und mußte ertrinken. Dafür, daß sie nicht herausklettern konnte, sorgten mit Steinen belegte Bretter, die rechts und links der Falle lagen.

Sobald die Ratte im Wasser lag, ging die Klappe von selbst wieder nach oben. So konnte man mit dieser sinnreichen Falle einen ganzen Eimer voll Ratten auf einmal fangen, und im Geiste sah ich zahlreiche Leichen vor mir.

Ich glaube, ich ging im Laufe des Nachmittags sechzig mal hin, um in den Eimer hineinzusehen — das Resultat war alle Zeit dasselbe, nämlich: + 0.

Bei Tage, sprach ich schließlich zu mir selbst, werden die Thiere dort auch nicht hineingehen, warte nur bis es Nacht ist, dunkle Nacht, da wirst Du Wunder erleben.

Der Abend kam, und meinen Ratten ein sanftes Ertrinken wünschend, legte ich mich endlich schlafen.

Mitten in der Nacht fuhr ich empor: „Hülfe, Diebe, Mörder, Feuer!” tönte es an mein Ohr.

Vor mir stand zitternd und bebend meine Frau.

Ich rieb mir die Augen: „Aber Kind,” sagte ich, „Du bist weder gestohlen, noch gemordet, und Du brennst auch nicht. Was soll Dein Cassandra-Ruf?”

„Aber so hör doch nur,” bat sie, und ich horchte und hörte.

In meinem Garten war anscheinend der Teufel los: Schreien, Stöhnen, Fluchen und Schelten ertönte, gleich darauf wurde die Nachtglocke gezogen, und kräftige Fäuste schlugen gegen die Hausthür.

Aengstlich verbarg sich meine Frau in einer Ecke hinter einer Gardine.

„Aber Kind,” suchte ich sie zu beruhigen, „ängstige Dich doch nicht, Diebe und Mörder kommen doch meistens leise ins Haus geschlichen. Dies wird also etwas Anderes zu bedeuten haben.”

Ich öffnete das Fenster und rief hinunter: „Was gibt's?”

„Kommen Sie nur herunter,” kam drohend die Antwort. „Sie können sich auf etwas gefaßt machen!”

Die Aussicht war wenig verlockend, aber wozu hat ein Mensch den Revolver erfunden, und wozu hatte ich stets ein solches Mordinstrument neben meinem Bett liegen?

Ich fuhr in die Kleider, nahm ein Licht in die Linke, den Revolver in die Rechte, wartete, bis meine Frau bei dem Versuch, die Thür drei Mal zuzuschließen, mit lautem Krach den Schlüssel hinter mir abgebrochen hatte, und stieg dann die Treppe hinunter.

Es mußte wenigstens eine Handschuhnummer zwölf und ein halb sein, die gegen meine Hausthür trommelte.

Ich stellte das Licht auf einen Tisch, schloß mit der Linken die Hausthür auf und erhob drohend mit der Rechten die Waffe.

Vor mir stand eine unheimliche Gestalt: lang und breit, ein wahrer Riese, auf dem Kopf eine Ballonmütze. Ein struppiger schwarzer Bart ging dem Mann fast bis auf die halbe Brust. In der Rechten schwang er eine brennende Laterne, die bei dem strömenden Regen jeden Augenblick zu erlöschen drohte.

„Was wollen Sie?” herrschte ich ihn an.

„Was? Grob werden Sie auch noch?” fragte er, „das wird ja immer besser. Ich sollte Ihnen grob kommen, Das gehörte sich so und Sie können sich man freuen, daß mein College sich den Fuß gebrochen hat, sonst würde er Ihnen die schönsten Keile geben. Nun kommen Sie man mit,” und dabei erfaßte er mich am Arm und zog mich, der ich nur nothdürftig bekleidet war, nach draußen in den strömenden Regen.

„Aber wer sind Sie denn eigentlich?” fragte ich.

„Das wissen Sie nicht mal?” sagte er, „Sie haben mir doch selbst gesagt, daß ich alle acht Tage kommen soll und Ihre Müllgrube ausnehmen soll.”

„Dann nehmen Sie sie doch aus,” erwiderte ich, „was geht mich Das weiter an. Wenn ich Ihnen Geld schuldig sein sollte, können Sie doch am Tage zu mir kommen und mir Das sagen.”

Inzwischen hatte er mich ruhig weiter gezogen, und plötzlich blieb er stehen und sagte: „Sehen Sie, da liegt er.”

Und richtig, vor mir lag eine ebensolche unheimliche, finstere Gestalt, wie sie neben mir ging, stöhnend auf der Erde.

Mir wurde unheimlich zu Muthe.

„Was soll denn das Alles?” fragte ich.

Da hob mein Begleiter seine Laterne, beleuchtete die uns umgebende Natur, und das Erste, was ich sah, war meine in tausend Stücke zertretene Rattenfalle.

Ich taumelte zurück

„Nein, bleiben Sie nur hier,” hielt mich mein Nachbar zurück, „sehen Sie: hier ist er hineingetreten, durch das dünne Brett hindurch in den Eimer, und der Länge nach ist er hingefallen. Als er aufstehen wollte, konnte er nicht, er muß sich den Fuß gebrochen haben, er kann sich nicht rühren. Sie müssen ihm den Fuß bezahlen.”

„Jawohl, das müssen Sie, und nicht zu billig, und darauf können Sie sich verlassen.”

Hätte mir in diesem Augenblick Jemand einen Schlag mit einem hundert Pfund schweren Hammer vor den Kopf gegeben, ich glaube, ich hätte nicht „zerschlagener” sein können, als ich es jetzt war.

„Rette, was zu retten ist, denk' an Deinen Geldbeutel,” sprach da plötzlich eine innere Stimme zu mir, und ich befolgte diesen Rath.

„Ich soll bezahlen? Ich denke gar nicht daran. Wozu haben Sie denn Ihre Augen, wenn Sie sie nicht aufmachen? Nicht einen Pfennig gebe ich Ihnen.”

„Das ist mir denn auch einerlei,” sagte der Gefallene, „dann verklag ich Sie bei Gericht, und dann müssen Sie noch viel mehr bezahlen. So, und nun gehen Sie man hin, und holen Sie mir einen Doctor und einen Wagen, daß ich nach Haus komme.”

„Sie sind wohl unklug,” rief ich, und zu meinem Begleiter gewandt, setzte ich hinzu: „Gehen Sie doch hin.”

Der wies auf sein Fuhrwerk, das auf der Straße hielt: „Ich kann die Pferde nicht allein lassen, das eine ist noch ganz jung, gestern erst achtzehn geworden.”

Ich sah und merkte es, die Leute wollten sich an mir rächen.

„Warum stellen Sie denn aber auch einen Eimer mitten in den Weg?” fragte mich da der Verunglückte. „Wenn man einen Eimer hinstellt, stellt man ihn doch eben hin, und gräbt ihn nicht ein. Und warum legen Sie denn ein Brett darüber, und noch dazu solch dünnes? Das sieht ja beinahe so aus, als wenn Sie es gewollt hätten, daß sich da jemand Hals und Bein bricht. Das wird Ihnen theuer zu stehen kommen, was Hein (Heinrich)?”

Und Heinrich stimmte ihm bei: „Ja, billig wird dem Herrn Das nun gerade wohl nicht werden. Ich wenigstens würde mich dafür ordentlich bezahlen lassen.”

„Sei man ruhig, Hein, Das werde ich auch thun,” lautete die für mich äußerst tröstliche Antwort.

Ich begriff, daß mir die Sache um so theurer würde, je länger ich den Verwundeten liegen ließ. Möglichst schnell mußte ich ihn mir vom Halse richtiger gesagt, vom Hofe schaffen, und ich ging in das Haus, um mich anzuziehen, und dann den Kutscher und den Arzt zu holen.

Damit ich nicht entschlüpfte, folgte mir der mit Hein Angeredete.

Ich hieß ihn einen Augenblick auf der Treppe warten, dann ergriff ich den Thürgriff, um in das Schlafzimmer zu treten.

„Oeffne,” bat ich, „ich bin es.”

„Aber der Schlüssel ist doch abgebrochen,” klang es zurück.

Richtig, Das hatte ich ja ganz vergessen. Qui nunc? sagt Blunk. „Was thun?” sprach Zeus.

Unmöglich konnte ich in dem Aufzug, in dem ich mich befand, zum Schlosser gehen. Der Mann wohnte ungefähr eine Viertelstunde entfernt, und es war überhaupt sehr die Frage, ob der Schlosser mitten in der Nacht kommen würde. Soweit ich ihn kannte, würde er sagen: „Morgen ist auch noch ein Tag.”

Aber die Thür mußte auf, Das half nun Alles nichts, wenn nicht mit, dann ohne Schlüssel.

Ich stemmte mich mit meiner Schulter gegen die Thür, um das Schloß zu sprengen — meine Schulterblätter knackten, aber die Thür rührte sich nicht.

Da fiel mir „Hein” ein, der es sich auf dem Treppenabsatz gemüthlich gemacht hatte.

Ich rief ihn zur Hülfe, nun lehnte auch er mit seiner breiten Schulter gegen die Thür — sie fing an zu knacken.

„Nun noch mal ordentlich,” rief Hein, „nun mal Beide gleichzeitig — eins, zwei und — drei.”

Mit Donnergepolter flogen wir in die Stube, mit einem gellenden Aufschrei flog meine Frau bei dem Anblick des unheimlichen Fremden unter das Bett.

Nach einer Stunde holte der Arzt den Kranken ab, der Fuß war gebrochen, daran konnte keine Diagnose etwas ändern.

Am nächsten Mittag erhielt ich von dem Verunglückten auf gedrucktem Formular eine Rechnung: „für einen gebrochenen Fuß, incl. Schmerzensgelder, 600 Mk.”

Auf eine Null weniger oder mehr kommt es ja nicht an, dachte ich und bat, mit sechzig Mark zufrieden zu sein.

Er wollte nicht so, wie ich wollte, und da ich auch nicht so wollte, wie er wollte, so beschritten wir Beide den Klageweg: ich wegen muthwilliger Zertrümmerung meiner Rattenfalle und wegen versuchter Erpressung, er wegen seines kranken Fußes.

Ein halbes Jahr processirten wir mit einander, dann wurde er glänzend freigesprochen, und ich noch glänzender verurtheilt. Ich sollte wirklich sechshundert Mark zahlen.

Natürlich legte ich Berufung ein und nicht umsonst. Das Reichsgericht hatte ein Einsehen und fand, daß bei der groben Fahrlässigkeit, die meinerseits vorläge, die Strafe nicht hoch genug sein.

Ich mußte — siebenhundert Mark bezahlen.


(Zur Zeit der Veröffentlichung der obigen Erzählung wohnte Schlicht schon nicht mehr in Schleswig, sondern in Dresden. D.Hrsgb.)


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