Ein Osterspaß.

Von Freiherrn von Schlicht (Schleswig).
in: „Hamburger Nachrichten” vom 1.4.1899,
in: „Kieler Zeitung” vom 2.4.1899 (Ostersonntag),
in: „Thorner Presse” vom 8.4.1899,
in: „Abendblatt”, (Chicago Ill.), vom 13.04.1899,
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 30.4.1899
(dort unter dem Titel „Das Telegramm”) und
in: „Pressburger Zeitung” vom 7.4.1901


Der Rittergutsbesitzer von Weltzin ging mit großen, erregten Schritten in seinem Zimmer auf und ab, und seine Frau und seine Tochter fuhren jedesmal erschrocken zusammen, wenn er gezwungen war, Kehrt zu machen, und dies so energisch ausführte, daß das Petroleum im Lampenbassin heftig schwankte.

„Aber Mann,” bat seine Frau, eine vornehme schlanke Fünfzigerin, „aber Mann, so beruhige Dich doch endlich, wie lange willst Du denn eigentlich noch so auf und ablaufen? Das hilft ja doch nichts, sei verständig, so groß ist das Unglück denn doch nicht, daß Du Dir und uns dadurch das Osterfest verdirbst und verderben läßt.”

„Ach was, Ostern,” schalt er unwillig, „schöne Ostern und dabei sagte der Telegraphenbote, der mir diese Unglückstelegramme brachte, sogar noch: „Ich wünsche allerseits frohe Ostern,” und damit er wenigstens frohe Ostern hatte, habe ich ihm auf Deinen Wunsch hin ein blankes Fünfmarkstück schenken müssen. Fünf Mark für ein Telegramm, das keine fünf Pfennig werth ist!”

„Aber Papa, freust Du Dich denn garnicht, daß wenigsten Fritz sein Referendarexamen bestanden hat?” fragte Eva, die zwanzigjährige Tochter, ein mittelgroßes Mädchen mit lustigen, rehbraunen Augen und einem entzückend frischen Gesichtchen, „freust Du Dich denn garnicht für mich?”

„Natürlich,” brummte der Hausherr, „Du denkst nur an Dich, als wenn es ein Unlück wäre, wenn Du Dich ein Jahr später verlobtest! Es war überhaupt ein Unsinn von mir, Deinem Fritz, nur weil er der Duzfreund unseres Hauses ist, Deine Hand zu versprechen, sobald er das Examen bestanden habe. Ist ja ein Unsinn, was sollen diese Verlobungen und Heirathen? Unter tausend Ehen werden neunhundert unglücklich, und sind Mann und Frau ausnahmsweise glücklich miteinander, dann machen die Kinder Aerger und Verdruß.”

„Werde nicht ungerecht,” bat seine Frau, „Hans hat uns bis zum heutigen Tage nur Freude gemacht und daß er nun durch das Examen gefallen ist, ist doch kein so großes Unglück, da macht er es eben noch einmal.”

„Wenn man dich so sprechen hört,” versetzte der Vater gereizt, „sollte man meinen, daß Du auf Deinen Hans noch stolz bist! Mich soll es garnicht wundern, wenn Du von mir verlangst, daß ich Hans in Zukunft einen größeren Zuschuß gebe und ihm heute Abend wenn er ankommt, meinen innigen Dank dafür ausspreche, daß er so faul gewesen ist. Mit Euch Frauen ist über so etwas ja nicht zu sprechen.”

„Und mit Euch Männern auch nicht,” erwiderte Frau von Weltzin, „Ihr stellt Euch im Alter immer an, als wenn Ihr in der Jugend Engel gewesen wäret, — na, es ist nur gut, daß Du mir einmal Deine Schulzeugnisse, die Du aufbewahrst, gezeigt hast. Aus denen ging doch hervor, daß Dein Fleiß und Deine Aufmerksamkeit stets sehr viel zu wünschen übrig ließen.”

„Ich war Schüler, Hans aber ist Student,” gab der Vater zur Antwort, „das ist ein großer Unterschied, na, ich habe es nun satt, mich mit Euch zu streiten, hat ja auch gar keinen Zweck.” Er zog die Klingel und befahl dem eintretenden Diener: „Der Rappe soll gesattelt werden,” und, zu den Damen gewandt, setzte er hinzu: „Ich will etwas übers Feld reiten, mich nach den Arbeitern umsehen.”

„Das heißt mit anderen Worten, er will an denen seine schlechte Laune auslassen,” dachte seine Frau, die ihren Mann genau kannte.

„Sei nicht so hart,” bat sie, „wenn Du etwas finden solltest, was nicht ganz Deinen Wünschen entspricht.”

Aber er hörte nicht auf ihre Worte, er ging in sein Ankleidezimmer, um Toilette zu machen, und ein wenig später ritt er vom Hof.

Es war ein herrlicher Tag. Der kalte Ostwind, der in den letzten Tagen des März getobt und geweht hatte, hatte aufgehört, kein Luftzug rührte sich. In einem fast wolkenlosen Blau wölbte sich der Himmel, und goldhell leuchtete die Sonne, deren wärmende Strahlen nach dem langen Winter neues Leben hervorriefen. Aus den schweren Erdschollen hervor drang schon die Saat, einem grünen Teppich nicht unähnlich. An den Wegen, in den Gräben sproßten die ersten kleinen Blumen, an den Zweigen der Bäume zeigte sich das erste Grün. Hin und wieder erklang der fröhliche Gesang eines Vogels, ein leises Zwitschern und Zirpen — sonst kein Laut in der Natur, Ruhe und Frieden überall.

Auch die Natur kündete das morgige Osterfest an und dem Reiter kam es so vor, als hätten die Felder heute ein ganz anderes Aussehen als an Wochentagen, als hätten auch sie ein festliches Kleid für morgen angelegt.

Ihm wurde das Herz weit, als er über seinen großen, weit ausgedehnten Besitz ritt.

Wie gut hätte der Hans es haben können. Warum war er nicht Landmann geworden, dann hätte er einst Besitz nehmen können von der väterlichen Scholle und wie ein Fürst, frei und unabhängig von Jedermann, leben können.

Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Der Kuckuk wußte, wie Hans auf den Gedanken gekommen war, Jura zu studiren — nach endlosen Kämpfen hatte der Vater nachgegeben, und nun war Hans beim ersten Examen durchgefallen.

„So'n Lümmel,” dachte der Alte, „das hätte er sich und mir sparen können. Wenn wenigstens der Fritz auch noch durchgefallen wäre, dann wollte ich noch nichts sagen, aber natürlich ist mein Herr Sohn wieder derjenige, welcher — na, warte, mein Junge, — allzu freundlich wird Dein Empfang hier nicht sein.” —

Gleichsam als wollten sie ihn zur Ruhe und Nachsicht mahnen, ertönten in diesem Augenblick von der Gutskirche die Glocken, die den Feiertag einläuteten.

Er sah nach der Uhr, wahrhaftig, es war schon sechs. Die Arbeiter kamen vom Felde zurück, ihren Herrn freundlich grüßend und ein jeder „frohe Ostern” wünschend.

„Wenn nur der Fritz, der Bengel, auch durchgefallen wäre,” dachte er wieder, „nun verlangt der womöglich, daß wir morgen schon die Verlobung veröffentlichen!” Versprochen hatte er das ja zwar, aber was verspricht man nicht Alles, nur um Ruhe zu bekommen, wenn man von allen Seiten gequält wird?

Langsam wandte er sein Pferd und ritt wieder nach Haus. Seine Damen waren damit beschäftigt, Alles für den Empfang der Gäste vorzubereiten. Die Ankunft von Hans war selbstverständlich gewesen — Fritz dagegen hatte nur dann die Erlaubniß gehabt zu kommen, wenn er sei Examen bestände, eher wollte der alte Herr von Weltzin nichts von einem neuen Zusammentreffen zwischen ihm und seiner Tochter wissen.

Erst bei dem Abendbrot, bei dem eine große Schüssel mit buntgefärbten Hühnereiern auf dem Tisch stand, sah sich die Familie wieder.

„Weißt Du wohl noch, Papa,” fragte Eva, „wie ich es früher nie begreifen konnte, daß die Hühner immer zu Ostern rothe und blaue Eier legten? Es hat lange gedauert, bis ich begriff, daß Ihr sie anmaltet.”

„Das weiß Gott,” sagte lachend der Vater, „begriffsstutzig warst Du immer! Weißt Du noch, als wir einmal in Hamburg am Hafen waren? Es war Ebbe, und ich sagte zu Dir: „Sieh einmal, Kind, wenn jetzt die Fluth kommt, steigt das Wasser, und dann gehen die Ruderboote, die hier liegen, alle unter.” Das hast Du damals acht Tage lang geglaubt.”

„Das ist nicht wahr,Papa,” vertheidigte sich Eva, halb lachend, halb ärgerlich, „so dumm war ich nie, die Geschichte hast Du Dir erfunden.”

In fast heiterer Stimmung verlief die Mahlzeit — der Vater wurde erst wieder mißgestimmt, als Eva ihn bat, am Abend mit dem Kutscher nach dem etwa eine Stunde entfernten Bahnhof fahren zu dürfen, um die beiden Herren abzuholen.

„Ach was, laß das, die finden auch alleine her, so eilig wirst Du es doch nicht haben, Deinen Schatz zu begrüßen, außerdem kommt der Zug erst um elf Uhr an, selbst wenn Ihr sehr schnell fahrt, könnt Ihr vor dreiviertel Zwölf nicht hier sein. Du erkältest Dich nur, bekommst eine rothe Nase und Schnupfen, nein, bleib nur hier.”

Aber Eva ließ nicht nach zu bitten, und als nun auch die Mutter bat, dem Kinde das erlauben zu wollen, sagte der Vater endlich, wenn auch etwas brummend, „Ja und Amen.”

Voller Glückseligkeit fuhr Eva später nach der Bahn, um den Bruder und den Verlobten abzuholen, sie wußte sich vor Freude gar nicht zu lassen und weinte und lachte immer abwechselnd, aber als sie gegen Mitternacht mit den beiden Herren zurückkehrte, war das Lachen verstummt, nur die Thränen flossen.

„Aber Eva, Eva, was hast Du nur?” fragte die Mutter, nachdem die erste Begrüßung vorüber war.

„Er — ist — ja — durchgefallen,” lautete die thränenerstickte Antwort.

„Wer ist durchgefallen?” fragte nun auch der Vater. „Sie doch nicht auch etwa, Fritz? Na, wissen Sie, das freut mich, das freut mich wirklich.”

„Das finde ich sehr wenig hübsch von Dir, Vater,” nahm nun Hans das Wort, „sei nicht böse, wenn ich das sage, aber wie kannst Du Dich nur darüber freuen? Für mich steht ja weiter nichts auf dem Spiel, ob ich ein Jahr früher Minister werde oder nicht, ist ja ziemlich einerlei, aber bei Fritz handelt es sich um ganz andere Sachen, um die öffentliche Verlobung.”

„Mit der ist es jetzt selbstverständlich nichts,” nahm nun der Vater wieder das Wort, während Eva herzzerbrechend weinte und gar nicht auf die Trostworte ihres Fritz achte, „was ich gesagt habe, habe ich gesagt, dabei bleibt es. Aber ganz klar ist es mir nicht, warum Ihr denn das falsche Telegramm schicktet und ich verstehe auch nicht, wie Fritz denn nun hierher kommt? Wir hatten doch Alles ganz klar und deutlich mit einander abgemacht.”

Fritz that diesem Vorwurf gegenüber das Klügste, was er thun konnte: er schwieg.

„Sei nicht so hart, Vater,” bat Hans, „wenn Du Fritz heute Morgen nur gesehen hättest, als er erfuhr, daß er durchgefallen sei. Er war völlig außer sich, geweint hat er wie ein Kind und geflucht wie drei Corporale. Du weißt doch, Fritz hat keine Eltern mehr, das Osterfest steht vor der Thür, meine Koffer waren gepackt, es that mir so leid, daß er nun allein zurückbleiben sollte, wo er sich so auf die Reise hierher gefreut hatte. Ich redete ihm zu, mich trotz Deines Verbotes zu begleiten, er zögerte, bis ich ihm vorschlug, Dir ein Telegramm zu senden, daß er durchgekommen sei. Wir wollten Dir die Wahrheit erst nach unserer Abreise gestehen und hofften dann auf Deine Verzeihung, wir glaubten nicht, daß Du die Verlobung deshalb wieder rückgängig machen würdest. Wir wollten schweigen, aber wie es kam, daß Fritz nach den ersten fünf Minuten alles an Eva erzählte, weiß ich nicht — Verliebte scheinen sich ja alles mittheilen zu müssen.”

„Ihr seid ja eine angenehme Bekanntschaft,” schalt nun der alte Herr, „erst rasselt Ihr Beide durch, dann schickt Ihr ein falsches Telegramm, kümmert Euch nicht um die getroffenen Verabredungen — na, ich muß wirklich sagen, das hätte ich Euch denn doch nicht zugetraut.”

Nun trat auch Fritz näher: „Verzeihen Sie, Herr von Weltzin, ich bitte Sie sehr um Vergebung. Ich that Unrecht, aber die Sehnsucht, Eva wieder zu sehen und bei ihr Trost zu finden, ließ mich so handeln, wie ich that.”

„Pfui, Fritz, ich finde Dein Benehmen scheußlich,” sagte Eva, „dann hättest Du lieber erst die Wahrheit sagen sollen, nein, bitte, laß mich in Ruhe,” wehrte sie ab, als Fritz sich ihr näherte und zärtlich und versöhnend mit der Rechten über ihr dichtes Haar fuhr, „bitte laß mich, ich will nichts von Dir wissen.”

„Dann ist es wohl das Beste, ich fahre morgen früh wieder fort,” sagte Fritz beleidigt. „Darf ich Sie bitten, Herr von Weltzin, mir für heute Nacht Aufnahme zu gewähren und mir morgen früh einen Wagen nach dem Bahnhof zur Verfügung stellen zu wollen?”

„Reisende Leute soll man nicht aufhalten,” gab der Hausherr zur Antwort, „wenn Sie wieder fort wollen, nachdem Sie kaum angekommen sind, kann ich es nicht ändern. Aber das sage ich Euch Allen,” setzte er voller Ingrimm hinzu, „dies ist das letzte Osterfest, das ich feiere, oder richtiger gesagt, das ich feiern wollte. Im nächsten Jahre reiße ich die Seiten aus dem Kalender heraus, damit ich garnicht weiß, wann Ostern ist — für solche Feiertage danke ich. Ich gehe jetzt zu Bett und stehe erst wieder auf, wenn das Osterfest vorüber ist. Auch Ihr solltet Euch schlafen legen. Es ist spät, gute Nacht.”

Mißmuthig wandte er sich zur Thür, um das Zimmer zu verlassen.

„Halt!” rief Hans, „noch einen Augenblick.” Und als in diesem Augenblick die Uhr auf dem Kamin Zwölf schlug, riefen die beiden Freunde plötzlich laut lachend einstimmig:

„April — April — April.”

Für einen Augenblick war Herr von Weltzin starr, dann warf er einen schnellen Blick nach dem Wandkalender und sagte dann scherzend, seinen Aerger darüber vergessend, daß er sich so hatte in den April schicken lassen: „Ihr Esel, Ihr — na wartet nur.”

„Was ist denn los?” fragte Eva erstaunt, während ihre Mutter glückselig ihren Sohn in die Arme schloß.

„Mädel, Du bist wirklich zu dumm,” rief der Vater lustig, „kannst Du denn nicht lesen, was auf dem Kalender steht?”

„Doch,” sagte sie, „so dumm bin ich denn doch nicht. Dort steht ,Monat April. Dreißig Tage'.”

1732. Jos.Haydn, Komponist, geb.

1747. J.B. Lamark Naturforscher, geb.

1815. — o,” rief sie auf einmal, „jetzt weiß ich es., heute vor 84 Jahren ist Fürst Bismarck geboren.”

Der alte Herr rang die Hände: „Fritz, entloben Sie sich wieder, ich meine es gut mit Ihnen, was wollen Sie mit solcher begriffsstutzigen Frau? Der erste April ist heute, Du Schlaueste der Schlauen, begreifst Du es nun, warum die bösen Buben uns necken wollten? Die ließen sich die Seltenheit, daß dieses Mal Ostern gleich dem ersten April folgt(1), nicht entgehen, einen tollen Streich zu machen.”

Aufathmend warf sich Eva dem Verlobten in die Arme. „Das also war es. Fritz, Fritz, welch schlechter Mensch bist Du, wieviel Thränen habe ich heute um Dich geweint!”

„Ja, warum bist Du auch so dumm,” schalt der Vater, „natürlich haben beide das Examen bestanden, wie, oder nicht?”

„Sogar cum laude,” riefen beide jungen Leute.

„Na ja, also,” fuhr der Vater fort, „ich habe daran überhaupt keinen Augenblick gezweifelt, ich wollte Euch nur Euren Spaß nicht verderben, Ihr Grünschnäbel! — Und nun packt Euch zu Bett, sonst verschlaft Ihr mir noch den schönen Ostersonntagmorgen! — Wenn Ihr mich foppen wollt, müßt Ihr schon sehr früh aufstehen, das merkt Euch!”

Sprach's und schritt mit Würde zur Thür hinaus.


Fußnote:

(1) Im Jahre 1895 fiel der Ostersonntag auf den 2.April, im Jahre 1899 fiel der Karfreitag auf den 2.April. Das erste Ereignis nutzte Schlicht/Baudissin wohl als Motiv für diese Erzählung. (zurück)


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© Karlheinz Everts