Militärische Ehen.

Skizze aus dem Offiziersleben.
Von Freiherrn von Schlicht (Dresden).
in: „Frankfurter Zeitung und Handelsblatt” vom 22.1. 1900,
in: „Neue Hamburger Zeitung” vom 10.2.1900,
in: „Indiana Tribüne” vom 18.3.1900 und
in: „Einquartierung”.


Die Ehe verweichlicht den Mann im Allgemeinen, den homo militaris communis, auf gut deutsch: den Soldaten im Besonderen, das ist eine alte Geschichte und in früheren Zeiten war es bekanntlich den Leutnants überhaupt verboten zu heirathen. Das ist heut zu Tage wie so vieles Andere anders geworden. Heute kann jeder Leutnant heiraten, wenn er entweder selbst reich ist, oder in der Wahl seines Schwiegervaters vorsichtig gewesen ist. Daß dieser Schwiegervater auch eine Schwiegermutter sein kann, bedarf nicht der ausdrücklichen Bestätigung.

Es gibt zweierlei Ehen beim Militär: solche zwischen Männlein und Weiblein und solche zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Die Vorgesetzten sind in diesem Fall Kommandeure, die Untergebenen sind die Adjutanten.

Der Herr Oberst ist „Wittwer” geworden: sein Adjutant ist ganz plötzlich und unerwartet unter Beförderung zum Hauptmann in ein anderes Regiment versetzt worden. Der Kommandeur ist über diesen Verlust sehr betrübt, und im Stillen seines Herzens bedauert er, seinem Untergebenen eine so vorzügliche Konduite geschrieben zu haben, die das Avancement zur Folge hatte. Es wäre schlauer gewesen, weniger zu loben. Er nimmt sich vor, dies in Zukunft auch zu thun, aber erst muß er wieder Jemanden haben, den er weniger loben kann.

„Mit wem verheirathe ich mich denn nun?” denkt er.

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Er nimmt die Rangliste zur Hand und liest die Namen seiner sämmtlichen Leutnants durch: an jedem hat er etwas auszusetzen. Einen Leutnant, mit dem ein Oberst ganz zufrieden ist, gibt es nicht, der muß noch erst geboren werden.

Als er bei dem letzten Namen angekommen ist, fängt er wieder bei dem ersten an. Endlich hat er einen, der ihm gefällt.

„Hm, hm, der ginge vielleicht,” denkt er, „aber nein, der ist ja schon verheirathet, den kann ich nicht gebrauchen, ein Regimentsadjutant muß ledig sein, aber der wäre nicht ohne, leider ist er ein sehr schlechter Reiter, nein, der geht auch nicht, hm, wenn dieser nicht so häßlich wäre, würde ich den nehmen, aber ich habe nun einmal einen ausgeprägten Schönheitssinn, einen häßlichen Menschen kann ich nicht den ganzen Tag um mich haben; das verdirbt mir die Laune und ärgern darf ich mich nicht. Es ist genug, daß ich Andere ärgere.”

„Schließlich, schließlich hat er ein'n
Am Genicke und am Bein.”

Er ruft den Regimentsschreiber und dieser stürzt in das Zimmer.

„Herr Oberst?”

„Der Leutnant von Emberg soll sofort zu mir kommen, aber sofort!”

Der Schreiber stürzt davon und instruirt nebenan die Ordonnanz, die bis dahin neben dem warmen Ofen saß und schlief.

Eine Minute später jagt die Ordonnanz stolz zu Fuß durch die Straßen der Stadt und holt den Leutnant, der seinen dienstfreien Vormittag dadurch feiert, daß er sich einmal ordentlich ausschläft, aus dem warmen Bett.

Eine kleine halbe Stunde später stehen sich der Oberst und der junge Offizier gegenüber. Müßte der Untergebene in der Nähe des Vorgesetzten nicht still stehen, so würden ihm die Kniee schlottern; zwar ist er sich keiner Schuld (von seinen Schulden abgesehen) bewußt, aber ein Vorgesetzter findet immer etwas, wenn er etwas finden will.

Und der Oberst sieht danach aus, als ob er nicht nur etwas , sondern sehr viel finden wolle: er sagt gar nichts, sondern er blickt den Untergebenen prüfend, forschend, durchbohrend an.

„Wenn mein Vater doch nicht zugegeben hätte, daß ich Offizier wurde,” denkt der Leutnant, „es gibt ja auch Civilschneider, in deren Keidern man einen ganz anständigen Eindruck macht. Warum mußte ich denn gerade bei einem Uniformschneider arbeiten lassen wollen? Uebrigens hat der Oberst einen Blick, um den ihn Julius Seeth(1), oder sonst ein Löwenbändiger beneiden könnte. Vorläufig sieht er nur, was wird er aber erst sagen? Oh, daß ein Anderer an meiner Stelle stände und die Rede über sich ergehen lassen könnte. Unter sieben Tagen Stubenarrest komme ich ganz sicher nicht davon, aber zum Donnerwetter, so sag' doch endlich einmal, was Du auf dem Herzen hast, sonst fangen meine Gliedmaßen wirklich nächstens an zu tremoliren!”

„Wollen Sie mein Adjutant werden, Herr Leutnant?”

„Gott soll mich davor bewahren,” denkt der Leutnant, „lieber sterbe ich ja, als daß ich mich mit Dir verheirathe. „Gehe nicht zu Deinem Fürst, wenn Du nicht gerufen wirst.” Aber er hat Dich nun gerufen, das ist das Gemeine. Was machst Du denn da? Sagst Du „nein”, so verurtheilt er dich kaltblütig lächelnd, sperrt Dich ein und wird Dir grob, was weiß ich? Die Stellung, die mir angeboten wird, ist eine sehr schöne, sie ist sogar selbstständig, soweit mein Oberst mir nicht in meine Sachen hineinspricht, und das wird er wahrscheinlich immer thun. Es ist ein Vertrauensamt, das sich mir bietet. Der Oberst traut mir zu, daß ich ihm helfe, keine Dummheiten zu machen, und wenn er es dennoch thut, so bekomme ich die Grobheiten, die ihm gebühren, zu hören. Es ist ein verantwortlicher Posten, den ich annehmen soll — meinen guten ehrlichen Namen kann ich nun gerade nicht dabei einbüßen, denn morden und brandstiften werde ich wohl nicht, aber Verschiedenes erleben werde ich auf alle Fälle und ob mir das für meine Zukunft gerade als Empfehlung dienen wird? C'est une autre chose. Viele werden mich beneiden — aber nur mit Worten, ihre Gedanken werden die sein: „Lieber Oberst, ich danke Dir, daß Du in Deiner unermeßlichen Weisheit meine Dummheit richtig taxirtest und mich nicht für geeignet hieltest, Deine bessere Hälfte zu werden.” Ich werde beritten werden, das ist das einzig Gute bei der ganzen Sache — aber nur der Pferdehändler, der das edle Roß, auf das ich hineinfallen werde, heute noch im Stall hat, weiß, ob das Roß auch wirklich edel und ob es nicht in Wirklichkeit 'ne alte Ziege ist. Ich bekomme Sporen — es klingt hübsch, wenn man die Hacken mit den Sporen zusamenschlägt, bei der Garde–Kavallerie soll es sogar Herren geben, die abgestimmte Sporen tragen. Das muß sich hübsch machen und die Herzen der kleinen Mädchen noch mehr als sonst vibriren lassen, aber Löcher reißen sie doch in die Beinkleider und sie verursachen auch Schmerzen, wenn sie mitsammt dem Stiefel aus dem Stiefelknecht einem armen Leutnant gegen das Schienbein fahren. Ich bekomme eine Zulage — die Sache ist ja nett, sagt Paula vom Ballet, aber als Regimentsadjutant muß ich besonders gut gekleidet sein, da muß ich repräsentiren und für mich selbst bleiben noch fünf Groschen weniger als garnichts übrig. Aber von all diesen Dingen abgesehen, hat die Sache etwas für sich — selbst das größte Unglück, so sagt man, hat sein Gutes, weil es meistens den Keim zu einem neuen Glück in sich birgt. Also nur vorwärts mit frischem Muth!”

„Nun Herr Leutnant,” sagt der Kommandeur, „Sie überlegen sich die Sache ja sehr lange. Wollen Sie oder wollen Sie nicht?”

„Zu Befehl, Herr Oberst!”

„Na ja also,” meint der Kommandeur, „warum sagen Sie das nicht gleich? Ich glaubte schon, Sie hätten allerlei Bedenken, na, das freut mich, daß ich mich da irrte. Ich hoffe, daß wir gut mit einander auskommen und in einer glücklichen Ehe mit einander leben werden.”

„Daß ich das Beste hoffe, das glaub und zweifle nicht,” denkt der Leutnant, dann schlägt er in die Rechte des Kommandeurs.

Die Beiden sind miteinander verheirathet.

Die Ehe nimmt gleich ihren Anfang — eine Hochzeitsreise gibt es nicht.

„Setzen Sie sich hier nur gleich hin, Emberg, unterzeichnen Sie vorläufig „stellver­tretender Regiments­adjutant”, Sie wissen ja, wir gebrauchen zu unserer Ehe den Segen der vorgesetzten Behörden, den ich telegraphisch erbitten werde — in drei Stunden kann die Antwort da sein. Also los! Hier ist ein Schreiben von der Division — die klugen Leute behaupten, wir hätten uns bei der Zusammenrechnung der Patronen verrechnet — sehen Sie nach, ob es wahr ist.”

Er sieht es nach, aber er ist mit dem berühmten Rechenkünstler Jacques Jeaudi(2)weder verwandt noch verschwägert. Als in der Schule die Addition durchgenommen wurde, amusirte er sich damit, seinen Vordermann und seine Nebenleute mit Federn in die Beine zu picken. Er bekommt jedes Mal ein anderes Resultat, nach dreistündiger Arbeit hat er festgestellt, daß sowohl das Regiment als auch die Division sich verrechneten: er hat die richtige Zahl entdeckt.

Nach fünf Tagen bekommt das Regiment seinetwegen den ersten Anpfiff von der Division: zwar ist der Adjutant inzwischen bestätigt, aber die Division kann sich nicht genug darüber wundern, daß das Regiment einen Adjutanten habe, der nicht einmal in den vier Species bewandert ist. Die Division fragt an, was das Regiment sich eigentlich und uneigentlich dabei dächte?

Der Oberst bindet sich seinen Adjutanten vor: „Herr, was denken Sie sich eigentlich dabei?” donnert er seinen Untergebenen an, „glauben Sie, daß ich Sie zu meinem Adjutanten gemacht habe, damit ich mir Ihretwegen Grobheiten sagen lassen muß? Was? Wie? Wie kommen Sie dazu, sich zu verrechnen? Wenn mir das noch einmal passirt, sind wir geschiedene Leute.”

„Gott wie wäre das schön,” denkt der Leutnant, „die wenigen Tage, die ich die hohe Ehre habe, mit Dir zusammen zu regieren, haben mir zur Genüge bewiesen, daß es wahrlich nicht das höchste Glück auf Erden ist, mit Dir verheirathet zu sein. Aber ich fürchte, Du wirst Deine Drohung nicht wahr machen. Auch in wirklichen Ehen soll es, einem allerdings unverbürgten On dit zur Folge, zuweilen vorkommen, daß man sagt: wir wollen uns scheiden lassen. Aber wenn es dann soweit ist, dann thut es meistens Beiden, immer aber Einem leid, und anstatt auseinanderzugehen, versuchen sie noch einmal, zusammenzubleiben, weil sie wohl wissen, wen sie fortschicken, aber nicht, wen sie wieder bekommen. Hieran wird, fürchte ich, auch unsere Trennung scheitern.”

Und so ist es, obgleich ein Leutnant, wie das bei seinem geringen Unterthansverstand ja auch gar nicht anders sein kann, sich sonst, wenigstens nach Meinung seiner Vorgesetzten, mit seinen Anschauungen und Ansichten beständig auf dem Holzwege befindet. Und die Holzwege sind bekanntlich die einzigen, die nicht nach Rom führen.

Der Leutnant behielt Recht: die Ehe wird nicht geschieden, sie bleibt bestehen, aber sie ist nicht glücklich. Ach nein, das ist sie nicht, das kann kein Mensch behaupten.

Auch bei anderen Ehen kommt das ja zuweilen vor: aber wenn die Gatten sich da zanken, geht der Mann hinterher in sein Zimmer und die Frau schließt sich unter tausend Fällen neunhundert und neunzig Mal in ihrem Schlafzimmer ein. Sie sehen sich nicht, so lange sie sich nicht sehen wollen und Jeder geht seinen eigenen Weg, den Jeder nicht freiwillig, sondern wie er mit zehn Eiden schwört, gezwungen von der anderen Partei, einschlägt.

Bei der Ehe zwischen einem Kommandeur und seinem Adjutanten ist das anders: zunächst wird immer nur die ein Partei grob und diese eine ist jedesmal dieselbe. Das ermüdet auf die Dauer und macht das Zusammenleben noch schwieriger, als wenn man sich gegenseitig grob wird. Auch gehen die Parteien nicht auseinander, um sich in ihren Zimmern einzuschließen: der Vorgesetzte fühlt dazu nicht die leiseste Veranlassung und der Leutnant? Der möchte wohl, aber er kann nur nicht. Er muß nicht nur in derselben Stube, sondern auch an demselben Tisch sitzen bleiben und weiter andächtig lauschen auf das, was seine andere Hälfte, die nicht gerade seine bessere ist, zu ihm sagt.

Adjutanten, die ganz den Beifall ihres Herrn finden, gibt es nicht, entweder sind sie zu wenig selbstständig oder zu selbstständig. Im ersteren Falle heißt es: „Wenn ich doch Alles allein machen und anordnen soll, hätte ich ja gar nicht nöthig, mir einen Adjutanten zu halten.” Im anderen Falle sagen die hohen Herrn: „Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich auch noch auf der Welt bin und ich muß es mir auf das energischste verbitten, daß Sie hier selbstständig anordnen und befehlen. Der verantwortliche Redakteur bin ich!”

„Das stimmt,”denkt dann der Leutnant, „aber ich bin der Sitz–Redakteur, ich bekomme Arrest und muß sitzen, wenn etwas nicht so ist, wie es sein sollte,” — —

Eine militärische Ehe dauert gewöhnlich drei Jahre — so wollen es die bestehenden Bestimmungen — und wenn sie glücklich gewesen ist, so ist sie Mühe und Arbeit gewesen. War sie aber unglücklich, dann war sie noch etwas ganz anderes, dann war es ein Leben in der Hölle.

Zuweilen, allerdings auch nur zuweilen, geht es auch in der militärischen Ehe ganz lustig zu.

Ich kannte einen Major, der für Alles auf der Welt Interesse hatte, nur nicht für seinen Dienst. Der hing ihm in Gestalt von einigen Orden, die er sich sauer verdient hatte, thatsächlich zum Halse heraus. Er kümmerte sich um gar nichts, der Adjutant machte Alles und wenn dieser seinen Herrn in einer wichtigen Angelegenheit einmal um Rath fragen mußte, so sagte der Major: „Das kann ich so nicht entscheiden, das wollen wir uns bei einer Flasche guten Rothwein erst einmal zusammen gründlich überlegen.”

Und sie überlegten es sich, bis sie am nächsten Morgen Beide schwer Kopfweh hatten.

Da geschah es, daß Se. Excellenz sich eines Mittags für den kommenden Tag zur Besichtigung des Bataillons, das der Major in der kleinen Stadt selbstständig befehligte, telegraphisch ansagte.

Da gab es viel zu befehlen und des Ueberlegen der Befehle nahm viele Stunden in Anspruch. Die zehnte Flasche Rothwein war leer, als der Kommandeur und sein Adjutant Alles auf das Genaueste bestimmt hatten. Der Anzug, die Zahl der Platzpatronen, die Zahl der Flaggen, das Gepäck, kurz, Alles was nur irgendwie in Frage kam, war auf das Genaueste angeordnet.

Nach gethaner Arbeit und nach genossenem Frühstück ist gut ruhen — so legten sich denn die beiden Herren am Nachmittag schlafen und verboten ihren Burschen bei Todesstrafe, sie vor dem nächsten Morgen zu wecken.

Der nächste Tag brachte in frühester Morgenstunde Se. Excellenz. Der Major und der Adjutant holten den hohen Herrn auf dem Bahnhof ab und ritten mit ihm zusammen nach dem Exerzierplatz, wo das Bataillon unter dem Befehl des ältesten Hauptmanns in Parade–Aufstellung stehen sollte — aber leider nicht stand.

Der Exerzierplatz war leer, von dem Bataillon war nichts zu sehen, denn Alles hatten der Major und sein Adjutant befohlen, nur eine Kleinigkeit hatten sie vergessen: den Tag und die Stunde der Besichtigung. Die Erde schien zu bersten, so krachte es. Die Ehe wurde geschieden; der Major bekam seinen Abschied, der Adjutant trat in die Front zurück, denn beim Militär bildet die selbstverschuldete Trunkenheit des Angeklagten keinen Strafmilde­rungsgrund. Auch in dieser Hinsicht hat der Civilist es bei Weitem besser als der so oft und doch so selten mit Recht beneidete Soldat.


Fußnoten:

(1) Julius Seeth (* 9. Februar 1863 in Kollmoor, Holstein; † 20. Januar 1939 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Löwendompteur (de.wikipedia.org/wiki/Julius_Seeth). (zurück)

(2) In der Buchfassung heißt der Nachname richtig: „Inaudi”. (Jacques Inaudi, 15.10.1867 - 10.11.1950) (zurück)


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© Karlheinz Everts