Der Meldereiter.

Humoristische Plauderei aus dem Soldatenleben.

Von Freiherrn von Schlicht.
in: „Frankfurter Zeitung und Handelsblatt” vom 25.Juli 1898,
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 21.8.1898,
in: „Indiana Tribüne” vom 28.8.1898,
in: „New Orleans Deutsche Zeitung” vom 28.8.1898,
in: „Was ist los” und
in: „Der stumme Kerl”


„Wanderer, kommst Du nach Sparta, so melde, Du habest
Uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es gebeut!”

Mir kommt, während ich über den Anfang dieser Plauderei nachdenke, der obige schöne Vers in den Sinn und ich schreibe ihn ruhig nieder, denn bei einer Plauderei darf man ja Alles sagen, was mit der Sache irgend etwas zu thun hat. Ich möchte den Menschen von Angesicht zu Angesicht kennen lernen — Reisekosten werden nicht vergütet —, der da behaupten wollte, daß der angeführte Spruch nicht im innigsten Zusammenhang mit dem Thema stände: Das citirte Wort beweist, daß schon im grauen Alterthum Meldungen erstattet wurden, und von Allem, was mit Meldungen zusammenhängt, soll die Rede sein.

Wer kennt nicht die wahre Geschichte — bekanntlich sind alle Geschichten wahr, es gibt sogar Leute, die jede Geschichte, die sie erzählen, selbst erlebt haben und ernstlich böse werden, wenn man ihnen sagt: „Aber lieber Freund, schon Adam machte verzweifelte Anstrengungen, um über diesen Witz noch lachen zu können.” — „wer also,” frage ich erneut mit erhobener Stimme, „kennt nicht die wahre Geschichte, die sich irgendwann irgendwo einmal ereignete?”

Bei einer festlichen Gelegenheit war große Parole–Ausgabe, um den Kommandanten der Garnison standen in einem weiten Kreise sämmtliche Offiziere, vom ältesten General bis zum jüngsten Lieutenant. Nachdem die Regimentsmusik einige feierliche Weisen gespielt hatte, trat geheimnißvolle Stille ein, alle Augen richteten sich auf den Kommandanten; der hohe Herr räusperte sich ein paar Mal und flüsterte dann dem neben ihm stehenden Offizier das Parolewort leise ins Ohr, dieser gab es ebenso weiter und von Mund zu Mund, um nicht zu sagen, von Ohr zu Ohr, ging das geheimnißvolle Wort, das der letzte und jüngste Offizier mit lauter Stimme verkünden mußte.

Das Parolewort, das der Kommandant ausgegeben hatte, lautete: „Gott schütze unseren König”, die Parole die der jüngste Lieutenant meldete, hieß: „Otto, der Schütz.”

Diese, ich betone es nochmals, wahrhaftige Historie lehrt, daß ein Wort, das von Mund zu Mund geht, sehr leicht entstellt wird, besonders schlimm ist dies natürlich bei Meldungen, durch die der Führer, sei es im Manöver oder im Krieg, zu neuen Maßnahmen und Entschlüssen veranlaßt wird.

Wer die Kriegsgeschichte gelesen hat, weiß, wie wichtig richtige Meldungen sind, wer es nicht weiß, wird freundlichst gebeten, die Kriegsgeschichte zu lesen.

„Meine Herren,” sagt der Herr Oberst, „lassen Sie mir die Rekruten vom ersten Tage ihrer Diensteinstellung an täglich kleinere Meldungen überbringen, ganz einfache Sachen, sagen wir z.B.: „Meldung von dem Unteroffizier So und So an den Herrn Lieutenant So und So: „Die Sonne scheint.” Glauben Sie mir, Sie werden mit dieser Art der Meldungen später ganz erstaunliche Resultate, über die Sie sich selbst wundern werden, erzielen.”

Die Stabsoffiziere, die diesen Worten des Herrn Oberst lauschen, wünschen am nächsten Mittag die Herren Hauptleute einen Augenblick zu sprechen.

„Meine Herren,” sagt der Herr Major, „lassen Sie die Rekruten vom ersten Tag ihrer Dienstleistung an täglich kleine Meldungen überbringen, ganz einfache Sachen, sagen wir z.B., nun, was nehme ich gleich für ein Beispiel? Sagen wir meinetwegen: „Die Sonne scheint.” Glauben Sie mir, Sie werden mit dieser Art der Meldung später ganz erstaunliche Resultate, über die Sie sich selbst wundern werden, erzielen.”

Die Hauptleute nicken mit dem Kopf und zeigen dadurch an, daß sie ganz die Ansicht ihres Vorgesetzten theilen. Sie nehmen sich vor, die Angelegenheit am nächsten Mittag eingehend mit ihren Offizieren und Unteroffizieren zu besprechen, und was ein Mensch sich vornimmt, führt er, wenn er inzwischen seine Ansicht nicht ändert, auch aus.

Am nächsten Mittag hält der Hauptmann höchstselbst Instruktion mit seinen Untergeben ab.

„Nennen Sie mir einmal eine ganz einfache Meldung, Unteroffizier Haase.”

Haase sieht zum Fenster hinaus und bemerkt, daß es in Strömen regnet, so sagt er denn: „Meldung: Es regnet.”

Der Häuptling blickt nachdenklich vor sich hin: „Gewiß, ja, hm, hm, was Sie da sagen, ist ja richtig, besonders in diesem Augenblick, aber zu leicht, gar zu kurz dürfen wir die Meldung auch nicht machen. Wir sollen doch die Leute gleichzeitig zum Sprechen erziehen, wir sollen sie doch daran gewöhnen, einige Worte im Zusammenhang zu sagen. Zwei Worte, wie: „es regnet”, scheinen mir etwas wenig zu sein, drei Worte halte ich für das Geeignetste. Der Beispiele gibt es ja genug, sagen wir meinetwegen: „Die Sonne scheint.” Glauben Sie mir, Sie werden mit dieser Art der Meldung später ganz erstaunliche Resultate, über die Sie sich selbst wundern werde, erzielen.”

Acht Tage später sind die Rekruten da, das Exerzieren hat begonnen, der Herr Lieutenant steht auf dem Kasernenhof und sieht zu, wie die Leute mit ihren Gliedmaßen schlenkern. Er befindet sich in der denkbar schlechtesten Laune: wenn es eine Gerechtigkeit auf dieser Welt gäbe, brauchte er in diesem Jahre keine Rekruten mehr zu exerzieren, aber es gibt keine Gerechtigkeit, denn er hat wieder Rekruten. Er ist in der glücklichen Lage, vierzehn Hinterleute zu haben, er war also ganz sicher, in diesem Jahr die alten Leute zu exerzieren — da bricht sich der eine Hintermann, natürlich absichtlich und aus niederträchtiger Bosheit, den Fuß und der andere Hintermann wird abkommandirt. So'n Pech kann auch er nur haben; zum Ueberfluß hat er gestern Abend auch noch seinen Kummer in Pilsener Bier ertränken wollen und hat nun einen Jammer, daß er mit Freuden seinen letzten Thaler ausgeben würde, wenn er dadurch seine Geburt wieder rückgängig machen könnte. Der Gedanke, jetzt zehn Wochen hindurch jeden Tag wieder sechs Stunden auf dem Kasernenhof stehen zu müssen, erfüllt sein Herz mit Verzweiflung. Und dabei ist es heute so kalt und unfreundlich, von der Sonne ist absolut nichts zu sehen, grau wie der Himmel liegt vor ihm die Welt.

Er hält auf seiner Wanderung inne und senkt schwermüthig den Kopf auf die Brust, eine Thräne steigt ihm ins Auge, dies Leben ist wirklich zuweilen nicht werth, gelebt zu werden.

Da tönt eine Stimme an sein Ohr: „Herr Lieutenant, die Sonne scheint!”

Er erhebt die Augen und vor ihm steht ein Rekrut, die personifizirte Dummheit und Stumpfsinnigkeit.

„Kerl,” braust der Lieutenant auf, „willst Du krummgebogene Mondsichel mich hier uzen, willst Du dich hier über deinen Lieutenant lustig machen?” und ehe er es weiß, wie es geschah, hat er den Soldaten­jüngling mit beiden Händen an der Heldenbrust gefaßt und schüttelt und rüttelt ihn.

Vorgesetzte erscheinen bekanntlich immer dann, wenn man sie am allerwenigsten gebrauchen kann, und so betraten in diesem Augenblick der Herr Major und der Herr Hauptmann zusammen den Kasernenhof — ein Unglück kommt ja nie allein! Sie sehen, wie der Herr Lieutenant den Rekruten freundlich hin- und herschüttelt; sie sind starr, einfach starr, dann aber eilen sie so schnell sie können, um den Unglücklichen zu befreien.

Nichts hat dem im Grunde seines Herzens gutmüthigsten aller Lieutenants ferner gelegen, als seinem Untergebenen etwas zu Leide zu thun, aber man glaubt ihm nicht. Die Angelegenheit wird dem Herrn Oberst vorgetragen und dieser bestraft seinen Lieutenant mit sieben Tagen Stubenarrest.

So hat sich das Wort des Herrn Oberst erfüllt: es ist mit dieser Art der Meldung ein ganz erstaunliches Resultat erzielt worden, über das man sich nicht genug wundern kann.

Am nächsten Tag versammelt der Herr Oberst seine Offiziere um sich und setzt ihnen auseinander, daß die Meldung „die Sonne scheint” natürlich nur ein Beispiel, nur eine Art der Meldung hätte bezeichnen sollen. Aber das hilft nichts, kein Tag vergeht, an dem nicht tausendmal auf dem Kasernenhof gemeldet wird, „die Sonne scheint”, bis diese eines Tages wirklich zu scheinen beginnt.

Die Zeit der Felddienstübungen ist da und jeden Morgen zieht der Häuptling mit seiner Schaar in's Gelände, um Felddienst zu üben; dies ist der einzige Dienstzweig, der den Leuten hin und wieder Vergnügen macht, dem Hauptmann dagegen bereitet er viel Aerger und Verdruß. Jeder Uebung soll eine Idee zu Grunde gelegt werden und das ist nicht so leicht, wie sich das wohl Mancher denkt. Infolgedessen schenken viele Leute sich die Idee, sie ziehen einfach mit ihren Kompagnien in die Welt und üben lustig darauf los. Einen Feind haben sie sich garnicht gegenüber gedacht, nicht einmal einen markirten, trotzdem werden munter „Patrouillen gegen den Feind” vorgesandt; der Intelligenz des Herrn Gefeiten bleibt es überlassen, gute Meldungen zu schicken. Es ist sehr schwer, eine Meldung über die feindliche Aufstellung zu schicken, wenn thatsächlich ein Feind vorhanden ist, viel schwieriger aber ist dies natürlich noch, wenn gar kein Gegner da ist. Was soll man da melden? Aber ein tüchtiger Gefreiter weiß sich zu helfen, der schickt immer eine Meldung nach der anderen: „Fünfhundert Meter vor uns eine feindliche Patrouille.”   „Am Eingang des Dorfes hat der Gegner einen Doppelposten aufgestellt”; und ähnliche schöne Sachen mehr.

Meldungen müssen erstattet werden, unter allen Umständen, denn die Felddienst­übungen sind ja eine Vorbereitung für das Manöver. Daß man diese Art der Meldungen eben so gut im Bett machen könnte, ist eine Thatsache, die nur geistig Beschränkte leugnen können. Aber der Dienst muß abgehalten werden, auch wenn er nicht viel Nutzen hat; so ziehen die rauhen Krieger eben jeden Morgen von Neuem in die Welt.

In einem Manöver war es.

Gefolgt von seinem Adjutanten und seinem Ordonnanz­offizier, auch „Galopin” genannt, sowie begleitet von einigen Mannschaften der Kavallerie ritt der Herr Oberst die Schlachtreihen entlang und versuchte, einen Einblick in die Verhältnisse beim Feind zu gewinnen. Aber wie so Vieles gelang ihm auch dies nicht. Da rief er seinen Ordonnanzoffizier herbei:

„Herr Lieutenant, sehen Sie halblinks hinter uns das hohe Hünengrab?”

Das Hünengrab war beinahe so hoch wie der Mont Blanc und der Lieutenant hatte, obgleich er ein Monocle trug, sehr gute Augen.

Nur wer auf dem Pferd sitzt braucht, wenn er mit dem Vorgesetzten spricht, die Hacken nicht zusammenzunehmen. So legte der Galopin eben nur die rechte Hand an den Helm und sagte: „Zu Befehl, Herr Oberst!”

„Sie werden zu diesem Hünengrab hinreiten und von diesem hohen Uebersichtspunkte aus die Bewegungen des Feindes beobachten. Sie können sich drei Kavalleristen mitnehmen und werden mir durch diese beständig Meldung schicken.”

Wieder erklang ein „Zu Befehl!” und gefolgt von seinen Kavalleristen trabte der Galopin von dannen.

Als er sich dem Hünengrab auf etwa fünfzig Meter genähert hatte, sah er, daß dort schon ein anderer Offizier mit seiner Begleitung hielt, der anscheinend ebenso wie er beobachten sollte.

„Um so besser,” dachte er, „da werde ich Gesellschaft haben.”

Aber mit Schrecken sah er plötzlich, daß der Offizier ein feindlicher war, der zehn Kavalleristen bei sich hatte, während die bewaffnete Macht, über die er verfügte, nur aus dreien bestand.

Was sollte er machen? Umkehren? Das gibt es nicht; den Feind attakiren? das wäre mehr als Selbstmord gewesen.

Da gedachte er des Wortes der Felddienst­ordnung: „Parlamentäre, die sich durch Tragen einer weißen Fahne oder durch Schwenken eines weißen Tuches als solche zu erkennen geben, werden nicht als Feinde behandelt.”

So band er denn sein Taschentuch an seinen Reitstock und trabte ruhig dem Hünengrab entgegen, das er gleich darauf erreichte.

Er sprang vom Pferde und näherte sich dem feindlichen Offizier: „Gestatten Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle, mein Name ist von Oberg.”

„von Emberg,” stellte sich der Andere vor.

„Ich komme, wie Sie an meinem weißen Tuch sehen,” begann der Galopin, „um mit Ihnen zu unterhandeln, und zwar wegen der Räumung dieses Hünengrabes.”

„Herr Kamerad, es thut mir sehr leid, mich in diesem Punkte auf keine Unterhandlungen einlassen zu können, ich habe den direkten Befehl, hier zu beobachten und Meldungen zu schicken.”

„Denselben Befehl habe ich auch,” pflichtete Oberg bei; „was mache ich denn da?”

„Nun, das ist doch sehr einfach, ich verpflichte mich, Ihnen kein Leid zuzufügen und Sie schwören mir bei Ihrer hoffentlich gefüllten Cognacflasche, daß Sie mich nicht verdursten lassen wollen, dann bleiben wir Beide hier und beobachten gemeinsam. Was ich von Ihren Truppen nicht sehe, sehen Sie vielleicht und sind so liebenswürdig es mir zu sagen, wie ich auch Ihnen natürlich gerne jede gewünschte Auskunft geben werde. Sehen Sie, z.B. gerade jetzt wird dort am linken Flügel unsere Reserve sichtbar in der Stärke von zwei Bataillonen, nehmen Sie eine Meldekarte, ich werde Ihnen das Nähere diktiren.”

Das ließ Oberg sich natürlich nicht zweimal sagen und eine Minute später sauste ein Kavallerist mit der Meldung an den Herrn Obersten von dannen.

Dann diktirte Oberg dem Kameraden Alles, was er über die Absichten und Bewegungen seiner Truppe wußte und auch diese Meldung wurde ins Land geschickt.

Nach gethaner Arbeit setzte man sich hin und frühstückte, viel und gründlich, und in dieser Beschäftigung ließen sie sich auch nicht stören, als die beiden Kavalleristen mit dem Bescheid zrückkamen, der Herr Oberst hätte gesagt, es wäre gut so, der Herr Lieutenant möchte weiter beobachten.

Als bald darauf zur Kritik geblasen wurde, ward es bei der Besprechung ganz besonders hervorgehoben, daß beide Führer so hervorragend über die Bewegungen des Gegners unterrichtet gewesen seien.

„Ich sehe daraus zu meiner größten Befriedigung und Genugthuung, meine Herren,” sagte Se. Excellenz, „daß das Meldewesen, dieser so überaus wichtige Dienstzweig, in der vorzüglichsten Weise gehandhabt wird. Wer waren die beiden Meldereiter?”

Die Namen wurden genannt und Se. Excellenz fuhr fort: „Meine Herren, ich kann nicht umhin, meine höchste Anerkennung auszusprechen und ich gratulire den beiden Regimentern zu solch tüchtigen Offizieren, wer selbst so Hervorragendes leistet, wird auch seine Untergebenen hervorragend erziehen.”

Ordonnanzoffiziere sind stets bei ihrem Kommandeur einquartirt, und beide Obersten beeilten sich, am Mittag ihren Meldereiter wegen der vortrefflichen Dienste, die sie ihnen geleistet hatten, zu einer Flasche Sekt einzuladen.

Da aber erwachte in Beiden das Gewissen. Beide sagten: „Pater peccavi” und erzählten, wie sie in den Besitz der guten Meldungen gelangt seien.

Der Oberst des Lieutenant Oberg faßte die humoristische Schilderung seines Lieutenants verständig auf, amüsirte sich herrlich dabei und sagte: „Nun trinken wir zwei Flaschen Sekt.”

Der andere Oberst gerieth, als er die Wahrheit erfuhr, ganz außer sich und bestrafte seinen Meldereiter mit drei Tagen Stuben–Arrest. Um seinen Verdruß loszuwerden, bestellte er die Flasche Sekt nicht wieder ab, sondern bestellte sich gleich noch zwei dazu und trank dann alle drei Flaschen allein aus.

Das war die schwerste Strafe, die den Meldereiter treffen konnte.


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© Karlheinz Everts