Der Kringelbäcker.

Humoristische Plauderei von Freiherrn v. Schlicht.
in: „Das Kleine Journal” Nr. 212 vom 3. Aug. 1896,
in: „Abendblatt”, (Chicago Ill.), vom 19.08.1896 und
in: „Türke und Stachelschwein”


„Ah, meine liebe Frau Meier,” sagt die Frau des Regierungs­zivilsuper­numerars und streckt zum fünfundzwanzigsten Mal innerhalb ebenso vieler Sekunden die beiden Hände nach dem vor ihr stehenden Kuchenteller aus, „was haben Sie da für himmlisch schöne Kringel, haben Sie die etwa auch selbst gebacken? Da muß ich denn doch um das Rezept bitten.”

Aber die Gefragte lehnt jede Anerkennung ab: „Nein, nein, diese Kringel hat mein Mann gebacken; Sie wissen ja, als er noch arbeitete — nun haben wir das Gott sei Dank nicht mehr nöthig — hatte er eine Bäckerei und war unter seinen Kollegen berühmt, namentlich als Kringelbäcker.”

Auch beim Militär giebt es Kringelbäcker — selbstverständlich lassen sich diese Kringel, die gebacken werden, nicht essen; das ist auch ganz überflüssig, sintemalen ein wohlerzogener Soldatenmagen nur Kommißbrod verträgt.

Was ein Kringelbäcker ist? Das ist schwer, sehr schwer einem Nicht-Soldaten verständlich zu machen und deshalb weiß ich augenblicklich noch gar nicht, ob diese Plauderei jemals zu Ende geführt wird — geschieht dies aber dennoch, so soll dieser Satz stehen bleiben, damit ein „hochgeneigtes Publikum” erfährt, wie sehr ich bei dieser Arbeit geschwitzt habe.

Der Herr Major hat das Gefechtsexerzieren, bei dem er die ihm unterstellten vier Kompagnien nach allen Richtungen der Windrose auseinandergezogen hat, beendet und will nun die Schulbewegungen durchnehmen. Zu diesem Zweck kommandirt er: „Das Bataillon sammelt sich in der Normal-Doppelkolonne, Front nach dem Wäldchen!”

Nehmen wir an, das erste Bataillon exerziert, so stehen die erste und zweite Kompagnie, jede für sich in Kompagniekolonne, hintereinander — links davon, mit einem Zwischenraum von drei Schritt „bauen sich die beiden anderen Kompagnien auf”.

Viele Wege führen nach Rom — viele Wege führen auch nach der vom Bataillons­kommandeur bezeichneten Stelle; wie überall, ist auch hier der kürzeste Weg der beste. Nun giebt es aber Häuptlinge, die in solchem Falle bald mit der Kompagnie halbrechts, bald halblinks, dann wieder geradeaus, die erst rechts schwenken und dann wieder links schwenken, die mit Sektionen abschwenken und wieder einschwenken, in Reihen setzen lassen, aufmarschieren, kurz, sich im Kreise auf derselben Stelle immer mit der Kompagnie herumbewegen und doch nicht dahinkommen, wohin sie sollen.

Und Leute, die also exerzieren, nennt man „Kringelbäcker”.

In meiner Jugend hatte ich eine französische Bonne und jeder Satz, den sie zu mir sprach, endete mit der Frage: Est-ce que vous avez compris? und regelmäßig antwortete ich „non, mademoiselle” — ich thäte mir leid, wenn der freundliche Leser auf meine Frage, ob er nun compris hat, was ein Kringelbäcker ist, ebenfalls mit „non” antworten würde.

Bei dem Regiment, bei dem ich seinerzeit diente, war ein Häuptling, der von seinen Kameraden nie anders genannt wurde wie der Kringelbäcker. Wie jeder Witz, mag er nun etwas taugen oder nicht, wurde natürlich auch dieser todt gehetzt, und wenn der Hauptmann zu seinen Gesellschaften einlud, schrieb man in der Antwort: „Ganz besonders freue ich mich auf die selbstgebackenen Kringel!” und wenn der Häuptling Mittags vom Exerzieren kam und noch einen Augenblick im Kasino vorsprach, so war die erste Frage, mit der er begrüßt wurde: „Nun, wieviel Kringel haben Sie denn heute Morgen wieder gebacken?”

Das Richtigste wäre natürlich gewesen, wenn der Häuptling zu diesen und ähnlichen Redensarten gelacht hätte — aber die Charaktere sind ja verschieden und so wurde er denn jedes Mal, wenn er geuzt wurde, grob, und je gröber er wurde, desto mehr wurde er geuzt, so daß er sich schließlich nur noch im Kasino und im Kreise der Kameraden sehen ließ, wenn er wußte, daß ein offizielles Liebesmahl oder etwas Aehnliches die Herren vereinigte. Verdenken konnte man es ihm schließlich nicht, denn im Kasino sitzen auch fast täglich Vorgesetzte und es ist nicht gut, wenn diese auch noch von anderer Seite auf die Schwächen ihrer Untergebenen aufmerksam gemacht werden. Diejenige Frau ist die beste, über die am wenigsten gesprochen wird, und derjenige Offizier ist der glücklichste, über den die Vorgesetzten nicht sprechen — Gutes kommt bei diesen gemeinsamen Unterhaltungen selten heraus.

Unser Hauptmann führte auf diese Art und Weise ein ruhiges, beschauliches Dasein, dem Aerger ging er dadurch, daß er sich nicht sehen ließ, aus dem Wege und auch sonst bewegte kein Sturm die sanft dahingleitende Lebenswoge des „häuptlichen” Lebens. Da geschah es, daß der Herr Hauptmann eines schönen Tages seinen Geburtstag feierte: er war beliebt bei seinen Leuten, und in der Frühe hatte der Sängerchor der Kompagnie ihm schon ein Ständchen gebracht, die Mutter der Kompagnie hatte im Namen der gemeinschaftlichen Kinder einen großen Blumenstrauß überreicht und der Häuptling strahlte vor Freude und Vergnügen, denn „es ist so schön zu leben, wenn man geliebt sich weiß”.

Der Abend vereinte eine große Gesellschaft im Hause des Geburtstagskindes und man hatte gerade auf das Wohlergehen des Gastgebers zum xten Mal die Gläser geleert, als die Saalthüren geöffnet wurden und zwei Dienstleute eine Kiste hereintrugen: darüber natürlich allgemeine Aufregung und Neugierde, selbstverständlich auf Seiten des Geburtstagskindes am allermeisten. Die Dienstleute versicherten, ihre Auftraggeber nicht zu kennen, und sie verschwanden, nachdem sie der Festesstimmung entsprechend belohnt worden waren. Der Vorschlag des Hauptmanns, die Kiste draußen öffnen zu lassen, wurde einstimmig abgelehnt, so wurde der Diener denn fortgeschickt, um Hammer und Bercheisen zu holen, und Alles reckte die Hälse, um zu sehen, was in dem Kasten verborgen sei.

Das Erste, was ausgepackt wurde, war ein Hühnerei — und dann noch eins und dann immer noch eins — wohl fünfzig an der Zahl. Dann kam eine Düte mit Mehl, eine andere mit Zucker und anderen schönen nützlichen Sachen und ganz zuletzt ein Schild, auf das fein säuberlich gemalt war:

„Backe, backe, Kringel,
Schöne frische Kringel,
Wer will schöne Kringel machen,
Der muß haben sieben Sachen:
Eier und Salz,
Butter und Schmalz,
Zucker und Mehl,
Safran macht die Kringel gehl.”

Das war die Strafe der Kameraden dafür, daß der Häuptling sich bei ihnen so selten gezeigt hatte.

Alles lachte, auch der Häuptling, obgleich er innerlich wüthend war, denn die Damen, die am Tische saßen, verstanden die Anspielung nicht und die jungen Lieutenants bemühten sich, in mehr oder weniger humoristischer Weise ihnen die Sache zu erklären. Und nichts ist scheußlicher, als wenn in unserer Gegenwart über unsere kleinen Schwächen und Fehler gelacht wird, obgleich wir selbst über Andere zu lachen nicht im Geringsten schrecklich finden.

Aber während der allgemeinen Heiterkeit that der Häuptling in seinem Innern einen Schwur, den er am nächsten Mittag, als er nach Monate langer Pause sich endlich einmal wieder im Kasino sehen ließ, mit lauter Stimme verkündete:

„Niemals wieder backe ich in meinem Leben einen Kringel, und wenn ich es dennoch thue, dann —”

„Dann?”

„Dann mögt Ihr mit mir anfangen, was Ihr wollt.”

Und die Zeit ging dahin, ohne daß es einem Kameraden gelang, den Häuptling 'reinzulegen, und auch der Himmel war ihm gnädig gesinnt, denn an Gelegenheiten, bei denen man, trotz aller Schwüre und trotzdem man sich alles Mögliche vorgenommen hat, gar mächtig hereinfallen kann, fehlt es beim Militär nie. Die Natur bringt uns nur die Herbst- und die Frühlingsstürme — sind diese vorüber, so folgt ein lachender Himmel und Sonnenschein, der die Erde und die Gemüther der Menschheit aufathmen läßt.

Beim Militär stürmt es immer: wenn die Rekruten kommen, fängt es an.

„Die Ausbildung der Rekruten ist sehr wichtig,” sagt der Herr Oberst zu seinen Häuptlingen, „davon, wie wir unseren Ersatz einexerzieren, hängt Alles ab; wie gesagt, meine Herren, das ist von der äußersten Wichtigkeit, und ich möchte nicht, daß ich irgendwie Gelegenheit finde, eingreifen zu müssen.”

Dann komt das Kompganiexerzieren.

„Meine Herren, darüber ein Wort zu verlieren, ist wohl überflüssig, ich erinnere Sie nur an die Worte des Reglements, daß die Kompagnie geübt sein muß, jeden Befehl, jedes Kommando sofort auf das Genaueste auszuführen. Meine Herren, das ist sehr, sehr wichtig, daß wir das erreichen, und ich bitte Sie, meine Herren, die kurze Zeit, die Ihnen zur Verfügung steht, voll und ganz auszunutzen, und ich ersuche die Herren Bataillons-Kommandeure, für eine gleichmäßige Ausbildung der Kompagnien innerhalb des Bataillons Sorge tragen zu wollen, wie ich natürlich aufpassen werde, daß die Gleichmäßigkeit auch im Regiment erreicht wird.”

Ein(1) Tag nach der Kompagnie-Vorstellung beginnt das Bataillons­exerzieren.

„Meine Herren, das Bataillon ist unsere taktische Einheit. Schon diese wenigen Worte zeigen, von welcher ungemeinen Wichtigkeit die Ausbildung des Bataillons im Exerzieren und im Gefecht ist. Die Kompagnien haben bei der Vorstellung gezeigt, was sie können. Die Strammheit und die Straffheit darf nun natürlich nicht verloren gehen, sondern sie muß noch immer mehr befestigt werden. Und in gleichem Sinne bitte ich Sie, das Exerzieren des Bataillons zu leiten.”

Und kaum ist das Bataillon besichtigt, da beginnt das Regiments­exerzieren.

„Meine Herren, jetzt gilt es, zu zeigen, was wir in den kleineren Verbänden den Leuten beigebracht haben. Ich bitte Sie Alle, sich bei dem Regiments­exerzieren, Jeder an seinem Platz, die allergrößte Mühe geben zu wollen, denn, meine Herren, das Regiments­exerzieren ist nun doch einmal die Hauptsache. Wann wird eine Kompagnie oder ein Bataillon im Ernstfall einmal in die Lage kommen, selbständig ein Gefecht führen zu müssen? Fast nie, meine Herren, und darum werden Sie es begreifen, daß ich auf das Regiments­exerzieren den allergrößten Werth legen muß.”

So bläst der Wind tagein – tagaus, der militärische Barometer fällt immer, er steigt nie, er zeigt stets auf Sturm, höchsten einmal auf veränderlich. Nach der Meinung der Vorgesetzten ist kein Wort so wahr, wie der (frei variirte) Spruch des Dichters: „Alles kann der Mensch vertragen, nur nicht eine Reihe von guten Tagen.”

Am schärfsten bläst der Wind natürlich, wenn der Herr Oberst nicht mehr Selbstbeherrscher aller Reußen ist, sondern wenn ein höherer Vorgesetzter, wenn der Herr General bei dem Brigade-Exerzieren die Leitung in die Hand genommen hat. Der Herr Oberst ist ja für die Ausbildung seines Regiments veantwortlich: wenn ein Bataillon bei dem Brigade-Exerzieren einen schlechten Griff macht und dadurch unangenehm auffällt, so ist er daran ebenso unschuldig wie die Leiche Cäsar's an dem Platzen des Ballon captif(2) in der Berliner Gewerbe-Ausstellung, aber man könnte ihn dennoch dafür verantwortlich machen, und diese Möglichkeit genügt, um einen Orkan heraufzubeschwören, in dem ein Dreimaster erbarmungslos untergehen würde, geschweige denn ein armer Häuptling.

Und unser Kringelbäckr war doch nur ein Häuptling!

Die Zeit des Brigade-Exerzierens war da. Die Bataillone und Regimenter hatten ihre Garnisonen verlassen, die Eheleute hatten ihre bessere Hälfte zärtlich auf die Stirn geküßt und mit wehmüthiger Stimme gesprochen: „Wer weiß, wie ich Dich wiederseh'!”, und auf einer endlosen Heide hatte man sich eines Tages wiedergefunden.

Die Brigade hatte die Gewehre zusammengesetzt und Alles wartete auf den Herrn General, der endlich mit seinem Adjutanten angesprengt kam und, ohne erst eine lange Rede zu halten, gleich „Gewehr in die Hand” nehmen ließ. Das imponirte, noch mehr aber, daß der General mit dem anfing, womit die Anderen enden: mit dem Parademarsch.

„Auf das xte Regiment, Front nach der Chaussee, zum Parademarsch in Kompagniefronten formiren!” erscholl das Kommando und die Herren Bataillons­kommandeure führten ihre „Trupfen”, wohin sie sollten.

Die Bataillone stellten sich, die einzelnen Kompagnien in Kompagniefront, auf Vordermann und kaum stand „die Karre”, als die Spielleute des vordersten Regiments auch schon zu blasen begannen. Mit einem Abstand von zweiundzwanzig Schritt marschierten die Kompagnien an dem General vorüber, um aus seinem Munde entweder ein Wort des Lobes oder des Tadels zu vernehmen.

Als erste Kompagnie kam der „Kringelbäcker” mit seinen Leuten und der General konnte nicht umhin, ein „Gut, sehr gut” zu rufen, als die hundertundzwanzig linken Beine himmelhoch flogen, um dann in der Luft hundertundzwanzig rechten Beinen Platz zu machen.

„Gut, sehr gut” wiederholte der General und der Kringelbäcker freute sich über dieses Lob, wie ein Kind, das unter seinem Diktat ein „Gut” zu stehen hat. Kein Mensch aber soll den Tag vor dem Abend loben und ein Untergebener soll sich nicht eher über das Lob seiner Vorgesetzten freuen, als bis er ihnen aus den Augen ist: denn einem Wort des Lobes folgt häufig blitzschnell ein Tadel.

Das wußte der Kringelbäcker und ferner wußt er, daß die Vorgesetzten darauf sehen, daß die Leute nicht nur, während sie die Linie der Points passiren, stramm marschieren, sonden hauptsächlich darauf, daß die Beine auch hinterher noch hochgeworfen werden. So marschierte der Kringelbäcker denn auch als er an dem General vorüber war, immer noch im strammsten Parademarsch, und wenn er zu hören glaubte, daß der Takt nachließ, so rief er: „Höher die Knochen — hö—ö—ö—ö—ö—her, noch höher.”

Und er marschierte immer geradeaus, den Degen gesenkt, und als kein General mehr da war, vor dem er salutirte, salutirte er vor dem Haidekraut.

Und er marschierte immer noch geradeaus &mdash, nun hatte er die Chaussee erreicht — weiter ging es nun nicht mehr; da that er endlich, was er schon lange hätte thun müssen: er sah sich um.

Ganz hinten, „weit in der Türkei”, war ein Gekrabbele und eine Thätigkeit wie in einem Ameisenhaufen.

„Um Gottes Willen,, was machen denn die da hinten?” fragte der Häuptling ängstlich seinen ältesten Lieutenant und dieser antwortete, ohne sich lange zu besinnen: „Die sammeln sich anscheinend.”

„Gewiß, ja, natürlich, selbstverständlich — aber in welcher Formation — ich habe doch gar keinen Befehl — bitte, wollen Sie „Gewehr ab” nehmen lassen, ich will einmal vor reiten und nachsehen, was denn eigentlich los ist.”

Die alte braune Stute bekam die Sporen, schüttelte sich einmal, als wolle sie ihren Reiter abwerfen, setzte sich dann aber, als sie merkte, daß ihre Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt waren, in Galopp. Auf halbem Wege kam dem Häuptling ein keuchender Adjutant auf keuchendem Pferde entgegen.

„Die Bataillone sammeln sich in Doppelkolonne — Front nach dem Wäldchen — der Herr Oberst läßt bitten, im Laufschritt einzurücken.”

„Zum Donnerwetter — warum bekomme ich denn den Befehl nicht eher?” fragte der Häuptling, aber der Adjutant that, als wenn er nichts hörte, sondern wandte sein Pferd und eilte von dannen. Auch der Häuptling machte auf der Hinterhand Kehrt und jagte zu seiner Kompagnie zurück.

„Stillgestanden — das Gewehr über — Laufschritt marsch — marsch!”

„Ei verflucht,” dachte Jeder und der älteste Lieutenant erlaubte sich die Frage: „Sollen wir die ganze Strecke laufen?” und als er ein „Ja” zur Antwort erhielt, betete er: „Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist.”

Aber nicht einmal ein Rennpferd hätte die ganze Entfernung durchlaufen können, um wie viel weniger ein Musketier, der die Bundeslade auf dem Rücken trägt. So hieß es denn auch nach einigen hundert Meter: „ Im Schritt” — nur der Hauptmann blieb im Galopp, um die Stelle zu suchen, wohin er gehörte.

„Wo steht nun das Regiment?” fragte er sich, „am rechten oder am linken Flügel? und wo ist das erste Bataillon?”

„Hierher, hierher, hierher, Herr Hauptmann,” riefen da drei Stimmen: der General vor der Mitte der Brigade, der Herr Oberst vor der Mitte des Regiments, der Herr Major vor der Mitte des Bataillons. Gleichzeitig sah er auch in der Natur ein Loch, das auszufüllen ihm vorbehalten war.

„Aha, da soll ich also hin,” sprach er zu sich selbst, dann hob er den rechten Arm hoch, um der anrückenden Kompagnie ein Zeichen zu geben. Und während die Kompagnie, von der ganzen Brigade erwartet, anmarschierte, dachte der Häuptling: „Wie kommst Du nun am besten in dieses Loch in der Natur hinein.”

Er hatte es sehr leicht: er brauchte nur im Marsch geradeaus zu bleiben, dann mit linksum einzurücken, zu halten und Gewehr ab nehmen zu lassen.

Die schwierigsten Sachen sind häufig die einfachsten und die einfachsten die komplizirtesten — wenigstens in unseren Augen.

Auch dem Kringelbäcker erschien die Lösung der Aufgabe ungemein schwierig, so schwierig, daß er einem Kameraden, der hinter der Front hielt, die Frage zuflüsterte: „Sagen Sie nur, wie komme ich da mit Anstand hinein?”

„Backe, backe Kringel,
Frische schöne Kringel”

neckte der und der Häuptling wandte sein Pferd und eilte seiner Kompagnie entgegen: „Kringelbacken? Nein, die Zeiten waren vorüber.”

„Halblinks — marsch!” kommandirte er und Schulter hinter Schulter marschirten die Leute, wohin sie sollten. Hätte der Häuptling rechtzeitig wieder „gerade — aus” befohlen, so wäre die Sache vielleicht noch gut gegangen, so aber marschierte er mit dem linken Flügel in die vor ihm stehende Kompagnie hinein.

„Hierher, hierher, hierher!” riefen da abermals drei Stimmen.

„Ach so, dahin!” entgegnete der Häuptling mit gutgeheucheltem Erstaunen, als sähe er nun erst das Naturloch.

„Bataillon — halt. Ganzes Bataillon — kehrt. Halblinks marsch.”

Zurück dahin, wo er gewesen war.

„Aber so machen Sie doch endlich wieder Front, Herr Hauptmann.”

„Ganzes Bataillon Front.”

Der Häuptling sah sich in der Natur um und bemerkte, daß er bei dem Zurückgehen viel zu weit nach rechts gerathen war.

„Bitte, Herr Hauptmann, ich warte schon eine Viertelstunde auf Sie, beeilen Sie sich etwas.”

„Zu Befehl, Herr General. Mit Sektionen links schwenkt marsch — gerade aus — halblinks marsch — gerade aus — halbrechts marsch — gerade aus — mit Sektionen rechts schwenkt marsch — gerade aus — halbrechts marsch — gerade aus.”

„Aber, Herr Hauptmann, was machen Sie denn da?” rief der Herr General.

Aber der Häuptling that, als wenn die Frage gar nicht ihm gegolten hätte.

„Links um. Bataillon halt, Front. Gewehr ab!”

Nun stand er wenigstens, aber leider nicht da, wo er stehen sollte. Dieser Einsicht konnte er sich nicht verschließen.

„Mit Sektionen rechts schwenkt marsch; gerade aus — halbrechts marsch — gerade aus — mit Sektionen links schwenkt marsch — gerade aus. Bataillon halt. Gewehr ab!”

Wieder stand er, dieses Mal beinahe auf dem Platz, den er einnehmen sollte — aber er mußte mit der Kompagnie, die links von ihm stand, sich auf gleicher Höhe befinden — statt dessen aber war er hundert Meter vor.

„Ganzes Bataillon — kehrt. Bataillon marsch. — Ganzes Bataillon — Front.”

So, nun stand er wirklich — die dicken Schweißtropfen liefen ihm von der Stirn und ängstlich sah er sich nach seinem Vorgesetzten um.

Der Major zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen: „Mein Sohn, Du thust mir leid, aber ich kann Dir wahrhaftig nicht helfen,” der Herr Oberst machte ein derartig wüthendes Gesicht, daß der Häuptling wußte: „Die Unterredung unter vier Augen kann nachher genußreich werden!” und der Herr General schüttelte nur den Kopf.

Als der Häuptling am Nachmittag sich vom Stabsarzt auf Invalidität hin hatte untersuchen lassen, fragte er einen ihm auf der Straße begegnenden Kameraden:

„Sag' mal, Lieber, war denn der Kringel, den ich heute Morgen gebacken habe, wirklich so schrecklich?”

„Schrecklich?” erwiderte der Andere, „wer sagt denn das? Ich gebe Dir die Versicherung, das war der schönste und größte Kringel, der jemals in de preußischen Armee gebacken worden ist. Da kannst Du stolz drauf sein.”

Aber trotz dieses Lobes war der Häuptling gar nicht stolz — er senkte sein Haupt zur Erde und schlich betrübt und gedrückt von dannen.

Nie wieder hat er einen Kringel gebacken und als homo civilis konnte er in die größte Wuth gerathen, wenn die theure Gattin zu ihm sagte: „Was meinst Du, sollen wir zu dem bevorstehenden Fest Kringel backen?”


Fußnoten:

(1) In der Buchfassung: „Einen Tag”. (zurück)

(2) Der „Hannoversche Courier” vom 30.Juni 1896 (Morgens) meldet:
„Der riesige Fesselballon auf der Ausstellung [gemeint ist die Berliner Gewerbe-Ausstellung vom 1.Mai bis 15.Okt. 1896. D.Hrsgb.] ist aus bisher noch nicht aufgeklärter Ursache heute Nachmittag nach 1 Uhr plötzlich geplatzt. Er war infolge des starken Windes in lebhaftes Schwanken gerathen, zeigte plötzlich an der Seite einen großen Längsriß und zerbarst dann in sechs bis acht Stücke. Von den anwesenden Besuchern und den Beamten wurde Niemand verletzt, der Ballon aber ist vollständig zerstört. Er wurde sofort verpackt und wird nach Hannover geschickt, wo er zusammengeflickt werden soll.”
Die Erwähnung dieses Vorfalls zeigt, daß die Erzählung „Der Kringelbäcker” zwischen dem 30.Juni und dem 3.Aug. 1896 entstanden ist. (zurück)


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