Der Kompagnieschneider.

Militärhumoreske von Freiherr v. Schlicht
in: „Lustige Blätter”: : schönstes buntes Witzblatt Deutschlands,
Jahrgg. 1908, Nr. 51, S.8 und 9 und
in: „Die Fürstengondel”


Als Schreckgespenst drohte am Himmel wieder einmal eine Besichtigung, und täglich wurden Appells mit den Bescihtigungs­anzügen abgehalten. Den heutigen Appell bei der Königlichen Dritten hielt der Herr Major wieder in höchsteigner Person ab, denn in der vorigen Woche hatten die Anzüge so hundsmiserabel gesessen, daß sie nun heute endlich unbedingt sitzen mußten. Aber allen Befehlen zum Trotz saßen sie heute erst recht nicht.

Der Major faßte sich mit beiden Händen an die Stirn: „Herr Hauptmann, wie ist so etwas möglich?”

Anstatt auf diese Frage hin zu schweigen, wie es sich für einen wohlerzogenen Untergebenen gehört hätte, gab der Hauptmann eine Antwort. Das war mehr als unerhört; aber der Hauptmann konnte sich den Luxus leisten, seine Karriere leichtsinnig auf das Spiel zu setzen, er war ein sehr reicher Mann, und vor dem Geldbeutel der Untergebenen hat selbst die Grobheit der Vorgesetzten Respekt.

Der Hauptmann hatte tatsächlich den Mut, eine Antwort zu geben, und die lautete: „Ich habe dem Herrn Major schon in der vorigen Woche erklärt, daß ich auf der ganzen Kompagnie unter meinen Leuten nicht einen einzigen Schneider von Beruf habe. Nur mit den Flickschneidern kann ich die Anzüge nicht in Ordnung bekommen, und wenn ich nicht bald einen gelernten Schneider erhalte, dann nehme ich lieber meinen Abschied, als daß ich mich hier unverdientermaßen tadeln lasse.”

Der Major war ob dieser Antwort hin sprachlos, aber nicht aus Empörung, sondern aus Neid. Wie reich mußte der Hauptmann sein, um so zu einem Vorgesetzten sprechen zu können! Er hatte bisher immer geglaubt, so viel Geld gäbe es nur im Juliusturm, aber es schien doch auch ebenso volle Banktresors zu geben.

Der Major selbst war ein armer Teufel, er besaß nur sein Gehalt, und gerade deshalb wäre er dem Hauptmann am liebsten saugrob geworden. Aber das durfte er nicht, denn der Hauptmann führte ein sehr gastfreies Haus, gab sehr gute Diners und hatte einen hervorragend schönen, alten Kognak, der das Entzücken aller bildete. Und solche Untergebene müssen dem Heere im Interesse des Vaterlandes erhalten bleiben.

Anstatt dem Hauptmann grob zu werden, mußte der Major ihn beschwichtigen. Das wurde ihm nicht leicht, aber er gelobte sich, wenn er wieder einmal bei dem Untergebenen zu Gast war, sich an seinem schönen Wein zu rächen. So sagte er denn: „Mein lieber Herr Hauptmann, wer wird denn gleich daran denken, die Flinte ins Korn zu werfen? Ich sehe zwar absolut nicht ein, warum sie einen gelernten Schneider brauchen, denn ich selbst habe während meiner ganzen Hauptmannszeit auch keinen gehabt (in Wirklichkeit hatte er in jedem Jahr zwei gehabt), aber wenn sie denn meinen, daß es ohne dem nicht geht, will ich mich beim Regiment dafür verwenden, daß sie einen bekommen.”

Und schon am nächsten Tag wurde dem Regiment vom Bataillon das Ersuchen unterbreitet, der Königlichen dritten Kompagnie einen gelernten Schneider zu überweisen.

Als der Herr Oberst das Schriftstück las, wurde er noch wütender, als er es ohnehin schon war, denn er hatte gestern abend zuviel Bratwurst mit Sauerkraut gegessen und infolgedessen eine sehr schlechte Nacht verlebt. „Wenn der Hauptmann einen Schneider braucht, soll er sehen, woher er einen bekommt, ich habe auch keinen. Glaubt er denn, ich könnte solchen Jüngling aus dem Ärmel schütteln? Was soll überhaupt der Unsinn? Als ich noch Kompagniechef war, dachte kein Mensch daran, uns einen Schneider zu stellen, da mußten wir auch sehen, wie wir fertig wurden. Und wir sind fertig geworden, meine Kerls waren stets angezogen wie die Puppen, und das habe ich alles ganz alleine gemacht, nicht einmal einen Flickschneider hatte ich, und deshalb meine ich —”

Der Oberst hielt mitten im Satz inne. Sein Adjutant glaubte ihm nicht einmal, wenn er die Wahrheit sprach. Was hatte es da für einen Zweck, noch in derselben Tonart wie bisher weiter zu lügen.

Der Kommandeur machte sich mit seinen Akten zu schaffen, der Adjutant aber verfaßte stillschweigend einen Bericht an die Brigade: „Die dritte Kompagnie des Regiments brauche notwendig einen gelernten Schneider, und da das Regiment keinen habe, werde die Brigade von dem Regiment ergebenst ersucht, der dritten Kompagnie einen Schneider zu besorgen.”

Als der General das Schriftstück las, machte er ein sehr langes Gesicht und sah seinen Adjutanten ganz verwundert an: „Sagen Sie mal, lieber Aberg, wozu braucht der Hauptmann denn einen Schneider?”

Der Adjutant war im Gegensatz zu seinem General wirklich ein befähigter Mensch. Er hatte sich fest vorgenommen, Karriere zu machen, und er wußte, das konnte er am besten, wenn er immer die Ansicht der Höheren teilte. Natürlich sah er es vollständig ein, daß kein Hauptmann der ganzen Welt ohne einen gelernten Schneider existieren kann, trotzdem aber sagte er jetzt: „Ich verstehe das auch nicht, Herr General, ja, noch mehr, die Sache ist mir sogar völlig unverständlich.”

Alle Vorgesetzten sind froh, wenn ihre Adjutanten ihnen zustimmen. Geht die Sache dann schief, dann haben sie hinterher jemanden, dem sie grob werden können. Daß sie ihnen auch dann, wenn sie ihnen nicht zustimmen, grob werden, ist selbstverständlich.

So war der General denn glücklich, daß der Adjutant seine Ansicht teilte und schon wollte er das Gesuch mit dem Vermerk „Abgelehnt” an das Regiment zurückschicken, als sein Adjutant ihm riet, das Schreiben doch lieber an die Division weiterzugeben: „Wenn es ja natürlich ganz ausgeschlossen sei, so wäre es doch immerhin möglich, daß die Division anders dächte, aber da sie wahrscheinlich ebenso dächte, wäre es für alle Fälle sehr gut, den Beweis für das geistige Einvernehmen schwarz auf weiß zu besitzen.”

Das leuchtete dem General ein und so wurde denn an die Division ein Schreiben gesandt: „Die dritte Kompagnie des Infanterie­regiments Fritz Paul brauche einen gelernten Schneider und da das Regiment sowohl wie die Brigade keinen hätten, würde die Division ersucht, der Kompagnie einen Schneider zur Verfügung zu stellen.”

Aber die Division hatte auch keinen auf Lager und Se. Exzellenz schalt nicht schlecht, daß man ihm mit solchen Sachen käme. „Wenn der Hauptmann einen Schneider braucht und keinen hat, dann soll er sich einen besorgen. Woher er ihn nimmt, das ist seine Sache.”

Der Adjutant nahm den Häuptling in Schutz: „Der Herr Hauptmann weiß sich vielleicht alleine nicht zun helfen, er wendet sich vielleicht gerade deshalb an die Division.”

Exzellenz wurde grob: „Zum Donnerwetter, ich weiß doch auch nicht, wie ich da helfen soll. Wenn die Kompagnie, das Bataillon, das Regiment und die Brigade das zusammen nicht wissen, wie soll ich es denn da allein wissen?”

Auf diese Frage hin schwieg der Adjutant, denn er konnte seinem Brotherrn doch nicht ins Gesicht sagen, daß der Exzellenz geworden sei, weil er nach Ansicht der Höheren klüger wäre, als alle seine Untergebenen zusammen.

Das konnte er nicht sagen. Exzellenz wäre imstande gewesen, das wirklich zu glauben.

Die Division wußte nicht, woher sie den Schneider nehmen solle und so wurde der schwierige Fall dem Generalkommando unterbreitet.

Als der kommandierende General das inzwischen sehr angewachsene Schriftstück durchgelesen hatte, fühlte er in seiner auswattierten Brust ein menschliches Rühren. Er dachte an seine eigene Hauptmannszeit zurück und so befahl er, daß von den Leuten, die bei der letzten Stellung zum Militär als überzählig freigekommen wären, sofort ein Schneider zu den Soldaten ausgehoben würde, und um dem Hauptmann eine wirkliche Freude zu machen, befahl er, daß dieser Schneider, wenn irgend möglich, sogar ein Zuschneider sein solle.

Und kaum hatte Exzellenz das befohlen, da begann in allen Räumen des Generalkommando ein großes Suchen nach einem Zuschneider. Die Gestellungs–Listen und andere Aktenbündel wurden herbeigeschleppt. Die Schreiber fingen mit dem Suchen an, die Adjutanten halfen bei dem Suchen, die Generalstab­offiziere unterstützten das Suchen mit ihrer Weisheit, der Chef des Stabes hielt allen Suchenden eine lange Rede darüber, wie man suchen müsse, um etwas zu finden und Se. Exzellenz selbst, dem das Suchen zu lange dauerte, suchte selbst so lange mit, bis endlich ein Schreiber aus den Stammrollen einen Zuschneider ausfindig gemacht hatte.

Darüber herrschte im Generalkommando eitel Freude und Sonnenschein, und telegraphisch wurde dem Mann, der froh war, daß er kein Soldat geworden war, mitgeteilt, er solle sich freuen, er werde nun doch noch Soldat.

Vierundzwanzig Stunden später traf der Mann in seiner neuen Garnison ein und wie es der wahren Kameradschaft entspricht, die nie an sich selbst, sondern nur an andere denkt, wurde der Hauptmann um seinen Zuschneider von allen Kameraden auf den Tod beneidet.

Langsam aber sicher rückte der Tag der Besichtigung heran und als er da war, kamen die ganzen hohen Vorgesetzten, sogar der kommandierende General erschien. Bei jeder Kompagnie hatte die höchste Exzellenz etwas an dem Anzug auszusetzen, nur bei der dritten nicht. Da war alles tadellos. Allerdings kam es dem Komandierenden so vor, als wären die Kragen schlecht aufgenäht, als wären manche Ärmel zu lang und andere zu kurz, und noch so manches Andere fiel ihm unangenehm auf, aber er mußte sich da unbedingt irren, denn daß ein Zuschneider von solchen Dingen mehr verstand, als er, das sah er selbst ein.

Der Hauptmann wurde über den grünen Klee gelobt. Der Anzug seiner Kompagnie sei über alles Lob erhaben, allerdings wäre das ja auch weiter kein Wunder, wenn man einen Zuschneider auf der Kompagnie habe. Er hoffe, nicht nur der Hauptmann selbst, sondern die ganze Kompagnie würde stets dafür dankbar bleiben, daß er ihnen eine solche hervorragende Kraft geschickt habe, er erwarte, daß die Kompagnie im Frieden durch doppelt gute Leistungen sich dieses Beweises seines Wohlwollens würdig erweisen werde. Und käme es einmal wieder zum Kriege, dann sei er sicher, daß die ganze Kompagnie, wie sie da stände, aus Dankbarkeit für den ihnen gesandten Zuschneider mit noch größerer Freude und Begeisterung als sonst für das Vaterland zu sterben wisse. Denn das höchste Glück, das ein Soldat sich vom Tage seiner Diensteinstellung an wünschen könne, wäre das, totgeschossen zu werden. Und so fordere er sie denn auf, allen Gefühlen der Dankbarkeit, der Liebe und Verehrung, die sie für ihn in ihrer Brust hegten, zusammenzufassen in dem Ruf: Der Kaiser Hurra!

Das Hurra verklang und Exzellenz ging weg mit dem frohen Bewußtsein, nicht nur eine sehr schöne Rede gehalten, sondern durch die Überweisung des Zuschneiders an die Kompagnie eine wirklich gute Tat getan zu haben. Das Lob, das er der einen Kompagnie spendete, würde die anderen dazu anspornen, es ihr gleichzutun und wenn dann alle Kompagnien seines Armeekorps in bezug auf den Anzug unerreicht daständen, wer konnte wissen, ob er dann nicht in Anerkennung seiner Verdienste um die Ausbildung der Armee zum Generalfeld­marschall ernannt würde!

Exzellenz träumte von einem Interims–Feldmarschall­stab, wie ihn Waldersee mit nach China nahm und den er als einziges Gut rettete, als sein Asbesthaus in Flammen aufging.

Aber Exzellenz wurde kein General­feldmarschall und der Hauptmann reichte sehr bald seinen Abschied ein, trotz des Wohlwollens, das die Vorgesetzten seiner Person, seinem Weinlager und seiner letzten neuen Sendung des alten Kognaks entgegenbrachten.

Und daß der Hauptmann ging, hatte seinen guten Grund.

Der Zuschneider, den Exzellenz ihm in höchsteigener Person hinschickte, hatte vor seinem Dienstantritt nur dann einen Rock und eine Hose in Händen gehabt, wenn er sie an- und auszug. Sonst nie, denn er war nicht Zuschneider in einem Kleidergeschäft, sondern in einer Lederfabrik.


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© Karlheinz Everts