Das erste Gefecht.

Von Freiherr v. Schlicht.
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 30.7.1899 und
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 30.Dez. 1899


Das Recrutenexerciren ist vorüber, und die junge Mannschaft ist in die Compagnie einrangirt, ja, man hat sogar schon ein paarmal in der Compagnie exercirt, und freudestrahlend ist diese Neuigkeit von den jungen Kriegern ihren Angehörigen mitgetheilt worden.

Heute aber ist für die im Herbst eingestellten Leute ein besonders wichtiger Tag, heute sollen sie zum erstenmal ein Gefecht durchmachen. Im Gelände waren sie ja schon oft und zielten dort oder schätzten Entfernungen, auch das Verhalten der Rotte im Feuergefecht wurde durchgenommen, aber ein wirkliches Gefecht zwischen zwei Parteien kennen sie noch nicht.

Der Feind, durch Helmkappen kenntlich gemacht, ist schon vor einer Stunde unter der Führung eines Vizefeldwebels abmarschirt — jetzt rückt der Rest der Compagnie ab. Die Officiere sind eingetreten, die Spielleute schlagen einen flotten Marsch, und im strammen Schritt rückt die Truppe durch die Straßen der Stadt.

Draußen vor dem Thor wird abgeschlagen: „Marschordnung.”

Die Pfeifen und Cigarren werden hervorgeholt, auch ein lustig Lied wird angestimmt, aber gar bald verstummt es, die Leute sind viel zu sehr in Gedanken mit dem bevorstehenden Gefecht beschäftigt.

„Daß mir Keiner die Patronen verliert,” hat der Hauptmann gesagt — heimlich sieht von Zeit zu Zeit der Eine und der Andere in den Taschen nach, ob er seine beiden Rahmen auch noch hat.

Nach einem Marsch von einer halben Stunde wird Halt gemacht, und der Hauptmann gibt die Gefechtsidee aus: „Wir haben den Auftrag, nach dem Dorfe B. zu marschiren und dort Beitreibungen vorzunehmen, vom Feinde wissen wir, daß schwächere Abtheilungen sich im Vorgelände befinden.”

„Na, denn man zu,” sagt ein Musketier zum andern, als der Weitermarsch angetreten wird, „na, denn man zu, laß den Feind nur kommen, wir wollen ihm schon die Jacke voll hauen!”

Zur Sicherung ist eine Spitze vorgeschoben, absichtlich nur zwei alte Leute, sonst lauter Recruten.

„Jungs, macht die Augen auf,” sagt der Officier, „wir müssen zuerst zum Schuß kommen, wer zuerst schießt, der — was der — Hase?” wendet er sich fragend an seinen Nebenmann.

„Der mahlt zuerst, Herr Leutnant!” lautete die prompte Antwort.

„Nein, der trifft zuerst!” belehrt ihn der Vorgesetzte, „merken Sie sich Das.”

Hase nimmt sich vor, sich die Sache ad notam zu nehmen, aber er glaubt selbst nicht recht daran, daß ihm Dies gelingen wird. Er ist von Haus aus man „ein büschen was dösig”, er hat das Pulver nicht erfunden, und für das Pulver ist Das auch nur gut.

„Seht ihr immer noch nichts?” fragt der Officier.

Die Recruten stecken die Nase in die Luft und wittern, vom Feinde keine Spur.

„Nein, Herr Leutnant,” brüllen sie zur Antwort alle auf einmal. Der Officier fällt beinahe vor Schreck um, er faßt mit beiden Händen nach seinen Ohren, er glaubt, sein Trommelfell sei gesprungen.

„Könnt ihr, damit der Feind ja rechtzeitig auf euch aufmerksam wird, nicht noch etwas lauter schreien?” fragt er.

„Zu Befehl, Herr Leutnant,” brüllen die Kerls wie die Wilden.

„Na, ihr seid die richtigen modernen Krieger,” schilt der Vorgesetzte, „wenn ihr im Kriege den Mund auch so weit aufmacht, wird euch schon eine Kugel in den Hals fliegen, und was dann, Hase?”

„Dann schlucke ich sie hinunter,” lautet der prompte Bescheid.

Da fällt ein Schuß und dann noch einer und dann der dritte.

„Hinlegen,” ruft der Officier, der da, wo er sich befindet, für seine Leute gutes Schußfeld hat.

„Herr Leutnant, sie schießen,” ruft ein Recrut mit allen Anzeichen des Entsetzens.

„Herr Leutnant, sie schießen schon wieder,” ruft der zweite.

„Was werden wir denn da machen?” fragt der Officier.

„Kehrt, Herr Leutnant,” giebt der zur Antwort.

An dem Gelächter der Kameraden merkt Hase, daß er Unsinn geredet hat, so verbessert er sich schnell und sagt „Front!”

Wenn's nicht „Kehrt” ist, kann's nach seiner Meinung nur „Front” sein. Rechtsum oder linksum hält er nach seiner gewissenhaften Ueberzeugung nicht für angebracht.

„Wieder schießen müssen wir,” belehrt der Officier, dann fragt er: „Könnt Ihr auch alle den Feind sehen?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant,” kommt die Antwort.

„Was seht Ihr denn?” fragt der Officier weiter.

Endlich ist die Stärke und die Stellung des Gegners festgestellt, und während der Officier durch den Unterofficier das Feuer eröffnen läßt, winkt er sich die beiden Verbindungsleute heran: „Gehen Sie zurück zu dem Herrn Hauptmann und melden Sie: „Geradeaus, sechshundert Meter vor uns, bei der Brücke am Dorfeingang, eine feindliche Abtheilung in der Stärke von zwanzig Mann. Was sollen Sie melden?”

„Geradeaus, bei der feindlichen Abtheilung eine Brücke. Zwanzig Meter vor uns sechshundert Mann beim Dorfeingang.”

Nach fünf Minuten hat der Recrut endlich begriffen, was los ist, und die Patrouille läuft zum Gros zurück.

Als vorne der erste Schuß fiel und die Spitze sich hinwarf, war dort das Commando erfolgt: „Halt, in den Chausseegraben hinein, marsch, marsch, nieder!”

Alles kniet hin, selbst die Officiere und Unterofficiere, ja, der Herr Hauptmann reitet sogar hinter ein dichtes Gebüsch, wo er nicht vom Feinde gesehen werden kann. Er will damit seinen Leuten den Grundsatz vorführen: man muß das Feuer des Gegners respectiren.

Die Leute sehen Das mit Erstaunen und mit Verwunderung — sollte es mit den Patronen vielleicht doch nicht so ganz ungefährlich sein? „Auf zehn Meter darf nicht mehr geschossen werden,” hat der Hauptmann gesagt, und in der unmittelbaren Nähe von Wohnungen erst recht nicht.

„Hein, Hein, ick glöw, nu werd dat ungemüthlich — ick will mi man noch ßnell een Pip ins Gesicht stecken, wer weet, ob ick datau nachher noch kem, wenn sei mi totscheten hewwen.” (Ich glaube, nun wird es ungemüthlich, ich will mir nur schnell eine Pfeife anzünden, wer weiß, ob ich noch dazu komme, wenn sie mich todtgeschossen haben.)

„Wer spricht, der fliegt ins Loch,” ruft der Hauptmann. „Dat is nix Genaues!” (das ist nichts Genaues), denkt der Sprecher, und die Pfeife und der Tabacksbeutel entfallen vor Schreck seiner Hand, — da hält er lieber den Mund, als daß er sich drei Tage „einbuchten”läßt.

Da kommt die Meldung von der Spitze: in strammer Haltung mit Gewehr über stellen sich die beiden Leute hin.

„Kerl, wollt Ihr Euch wohl hinlegen oder wollt Ihr Euch denn totschießen lassen?” fragt der Hauptmann.

Bei einem Gefecht muß alles „kriegsmäßig” zugehen, davon wissen aber die Leute entweder nichts, oder sie haben es wieder vergessen. Der eine Mann antwortet ganz treuherzig: „Herr Hauptmann, Sie schießen ja man blots (nur) mit Platzers (Platzpatronen).”

Aber bei dem Ungewitter, das sich nun über seinem Haupt entladet, sinkt der Sprecher ganz von selbst in die Knie, und sein Nebenmann folgt seinem Beispiel.

„Nun, was sollen Sie melden?” fragt der Hauptmann.

Der Eine hat es unterwegs vergessen und stößt heimlich seinen Nebenmann an, daß der sprechen soll — aber der weiß auch nichts mehr: „Meldung von die Spitze —” so weit kamen sie Beide, dann aber ist Schluß der Vorstellung.

„Wie einen Bandwurm muß man Euch die Meldung herausziehen,” schilt der Hauptmann, nachdem er endlich durch Fragen Alles erfahren hat, dann befiehlt er: „Den Rest des vorderen Zuges links verlängern.”

Der vorderste Zug schwärmt aus.

„Mehr auseinander, mehr auseinander!” ruft der Unterofficier, der die Sectionen führt, „mehr auseinander, anderthalb bis zwei Schritt Mann zu Mann.”

Aber die Leute sind wie wild, die Kampflust in ihnen ist erwacht, mit dem geladenen Gewehr in der Rechten dringen sie nach vorn.

„Noch einmal eintreten,” ruft der Hauptmann, „Das sieht ja aus, als wenn eine Hammelherde am Sonntag-Nachmittag von zwei bis vier Uhr bei gutem Wetter spazieren geht.”

Beim zweiten Mal geht es bedeutend besser, die Kerls „flutschen”, fliegen auseinander, nur bei der rechten Flügelsection hapert es. Die soll auf das Gelände neben der Straße, in ihrer Hast übersehen sie, daß ein Heckthor auf das Feld führt — einer stürzt auf einen dichten Knick zu und die anderen alle hinterher.

Das dichte Gestrüpp bietet unerwarteten Widerstand, und der Vorderste, dem die Zweige in das Gesicht schlagen, will Kehrt machen. Aber nun ist es zu spät, einer drängt den anderen, ein Zurück giebt es nicht mehr. Da — ein Krachen, die Zweige brechen, das Gestrüpp gibt nach, und kopfüber und kopfunter purzeln gleich sechs auf einmal in den Graben auf der anderen Seite der Straße hinein. In einem Knäuel liegen sie aufeinander. „Ick bün dod!” (ich bin todt), stöhnt der zu unterst Liegende, aber gleich darauf ist er wieder lebendig und mit Händen und Füßen macht er sich Luft. Endlich entwirrt sich der Haufen, alle springen in die Höhe. „Is dat ock mien Been?” (ist das auch mein Bein?), fragt der eine, um sich davon zu überzeugen, daß er auch seine eigenen Gliedmaßen bei dem Durcheinander wieder gefunden hat; dann nehmen sie alle ihre Beine in die Hand, und im „Trab, Trab” laufen sie nach vorne.

„Na, kommt Ihr auch noch mal?” fragt der Unterofficier, „beim Essen die Ersten, aber sonst die Letzten, Das kenne ich bei Euch nicht anders.”

Die Schützenlinie wird verstärkt und das Feuer aufgenommen.

„Herr Leutnant, ich hab' keine Patronen mehr.”

Um diese vollständig überflüssige Meldung abzustatten, hat Hase sich in seiner ganzen Schönheit erhoben und steht stolz in der Schützenlinie, aber schon ergreifen die Kameraden seine Füße, und wie eine gefällte Eiche stürzt er vorne über.

Tief bohrt sich seine Nase in den Sand.

„Sie gleichen als Soldat einem Ende Knackwurst ohne Pelle,” tadelt der Officier, gleich darauf läßt er lebhafter feuern, denn von hinten naht neue Unterstützung.

Sprungweise muß es nun gegen den Feind vorgehen.

„Sprung — auf, marsch, marsch.”

„Hurrah!” ruft da Hase, der da glaubt, daß er schon den Sturmangriff machen soll, und die Anderen stimmen mit ein: „Hurrah, Hurrah!”

„Herr Leutnant, was soll Das heißen?” fragt der Hauptmann.

„Weiß ich's,” denkt Der, Hase muß nicht nur Sand in die Nase, sondern auch in den Gehirnkasten bekommen haben, er muß sich zu Hause seinen Verstand, wenn er überhaupt einen hat, einmal ordentlich auswaschen.

„Hurrah!” rufen die Leute immer noch.

„Mund halten!” donnert der Hauptmann, aber sein Befehl dringt nicht durch, die Kerls rufen weiter, bis ihnen endlich vom Laufen und gleichzeitigen Schreien die Puste ausgeht.

„Herr Leutnant, Das wollen wir noch einmal machen,” sagt der Hauptmann, und der Officier commandirt: „Kehrt, marsch!”

Hase ist an dem ganzen Unglück schuld, und wenn er es noch nicht gewußt hat, so merkt er es jetzt an den Rippenstößen der Anderen; plötzlich liegt er wieder mit der Nase im Sand.

„Aber Hase, so fallen Sie doch nicht immer um,” ruft der Officier. „Sie haben mir umgeschmissen,” will sich Hase vertheidigen, aber die geballte Faust eines Kameraden, die unerwartet vor seiner Nase, die schon so viel hat dulden müssen, auftaucht, erinnert ihn beizeiten daran, daß Kameradschaft die beste militärische Tugend ist.

Der Angriff beginnt von Neuem — erst springt der rechte Zug und dann der linke, so geht Das weiter, bis man auf dreihundert Meter an den Feind heran ist.

„Blasen Sie: „Seitengewehr pflanzt auf,” sagt der Hauptmann leise zu dem Hornisten und fragt dann, als der Spielmann durch sein Horn viel Spucke, aber wenig Töne in die Luft geblasen hat: „Was war Das für ein Signal, Hase?”

Der hat keine Ahnung, er ist so unmusikalisch wie nur möglich, selbst bei dem Parademarsch kann er die große Trommel nicht von der Clarinette unterscheiden und hat infolgedessen niemals eine Ahnung, wann er den linken Fuß hinsetzen soll. Er ist immer der Einzige, der in der Compagnie Tritt hat, und nun soll er wissen, was der Hornist geblasen hat. Das ist zu viel verlangt.

Er weiß es nicht, aber sein Nebenmann in der Schützenlinie weiß es und flüstert es ihm zu und stolz sagt er: „Essen holen, Herr Hauptmann.”

Der Vorgesetzte weiß nicht, ob er über diese „an höheren Stumpfsinn grenzende Dummheit” lachen oder fluchen soll, schließlich befiehlt er: „Dem Hase werden von heute an jeden Abend eine Stunde lang die Signale vorgeblasen, und zwar so lange, bis er sie begriffen hat.

Wenn da nur die zweijährige Dienstzeit ausreicht!

„Seitengewehr — pflanzt auf,” commandiren die Officiere, und gleich darauf heißt es: „Auf — Marsch.”

Da erst sieht der Hauptmann, daß Hase das „Aufpflanzen” nicht markirt hat, wie er soll und muß, sondern daß er sein Faschinenmesser wirklich auf das Gewehr gesetzt hat.

„Haben Sie denn Flöhe im Gehirn?” ruft der Hauptmann entsetzt, „wollen Sie denn Jemanden umbringen, Sie wahnsinnig gewordener Heringsbändiger?”

Der Hauptmann bekommt es mit der Angst, wie leicht kann da ein Unglück entstehen. Er stöhnt laut auf, es ist in jedem Jahr dieselbe Geschichte, bei dem ersten Gefecht sind die Leute ganz aus der Tüte, und wenn man da nicht ordentlich aufpaßt, gibt es wirkliche Leichen.

Er schickt einen Unterofficier ab, der Hase das Gewehr aus der Hand nimmt.

„Marsch — marsch — hurrah!” heißt es jetzt.

Hase hat neben dem Unterofficier gestanden, um sein Gewehr in Ordnung bringen zu lassen, — aber als jetzt dies Commando erfolgt, hält es ihn nicht länger, er macht sich auf und stürzt davon.

Fünfzehn Schritt hinter der Schützenlinie läuft Hase für sich allein — mit dem Heldenmuth der Verzweiflung immer „Hurrah!” rufend.

Einer Waffe bedarf es nach seiner Meinung nicht, wozu hat er denn seine beiden Riesenfäuste? Wo die hinschlagen, wächst in den nächsten vierundzwanzig Jahren auch Nichts wieder.

Hinter Hase stürzt der Unterofficier daher, er will ihm sein Gewehr wiedergeben, er hat keine Lust, beide zu tragen.

Endlich hat er ihn eingeholt: „Zum Donnerwetter, so nehmen Sie doch Ihr Gewehr!”

Die Augen immer geradeaus, den Blick nach dem Feind gerichtet, streckt Hase die Hand aus — er erfaßt den Lauf, aber der Kolben kommt ihm zwischen die Beine, er stolpert und torkelt, und zum drittenmale fliegt er in den Sand.

Der schwache Feind ist geworfen und zieht sich zurück — das Gefecht ist zu Ende.

Gleich darauf erfolgt die Kritik, der Hauptmann ist froh, daß die Leute sich nicht gegenseitig mit den Platzpatronen todtgeschossen haben und daß sonst kein Unglück geschehen ist, so ist er bei der Besprechung sehr milde! „Na, Jungens, schön war es nun gerade nicht, was ihr heute gemacht habt, aber es war so leidlich, und wenn man sich beide Augen zuhielt und nicht hinsah, konnte man sogar zufrieden sein. Das nächste Mal wird es schon besser gehen — Ihnen aber, Hase, gebe ich den guten Rath: verpassen Sie sich auf Kammer für das nächste Gefecht ein Paar anderer Beine, auf denen sie fester stehen.”

Wenig später rückt die Compagnie ab, fröhlich erklingen die Soldatenlieder, die Leute tragen ihren Kopf noch einmal so hoch als sonst — sie sind stolz auf ihr erstes Gefecht, das sie mitgemacht haben.

Am stolzesten ist aber Hase, er hat heute bewiesen, daß er ein ausgezeichneter „Sandhase” ist, und Das muß ja jeder Infanterist sein.


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