Der Fourier-Officier.

Militär-Humoreske von Freiherrn von Schlicht.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 12.Sept. 1899und
in: „Exzellenz lassen bitten.


Im Arbeitszimmer des nur wenige Minuten außerhalb der Stadt, inmitten eines tiefen Buchenwaldes gelegenen Diensthauses, das seinem Besitzer zugleich auch als Wohnhaus diente, saßen der Hausherr, der königliche Forstmeister von Blankenburg, und der Leutnant von Schwalbach sich gegenüber.

Der Herr Forstmeister war von großer, mächtiger Gestalt, ein wahrer Hüne an Wuchs und Kraft, und seine Erscheinung bildete den schroffsten Gegensatz zu dem zwar nicht mehr ganz jungen, aber doch noch sehr jugendlich aussehenden, schlanken Infanterie–Officier, der ruhig und geduldig die lange Rede des Hausherrn über sich ergehen ließ. Keine Miene veränderte sich in seinem Gesichte, als der Forstmeister nun sagte: „Geben Sie sich keine Mühe weiter, Herr Leutnant, es hat wirklich keinen Zweck. Sie können machen, was Sie wollen, Sie können sich auf den Kopf stellen und mit den Füßen Hurrah rufen, ich will Sie dann bewundern. Das ist aber auch Alles, Ihren Major nehme ich nicht in Quartier. Sie selbst wissen, daß ich nicht verpflichtet bin, Einquartierung aufzunehmen — ich würde es aber dennoch thun, wenn der Landrath, den der Teufel je eher je lieber holen möge, mir nicht gestern den Befehl geschickt hätte, dieses Mal ausnahmsweise einen Officier, und zwar einen Stabsofficier, aufzunehmen. Ich will dem Landrath beweisen, daß er mir Nichts zu befehlen hat, und aus diesem Grunde nehme ich Niemanden auf — es thut mir leid, Herr Leutnant, aber es läßt sich nicht ändern, und dies ist mein letztes Wort. Für mich ist die Angelegenheit erledigt.”

Der Hausherr stand auf und gab damit das Zeichen, daß er die Unterhaltung als beendet anzusehen wünsche, aber der Leutnant rührte sich nicht.

„Darf ich Ihnen eine kurze Geschichte von einem Versicherungs­agenten erzählen?” frug er, und er fuhr dann gleich fort: „Ein Agent eroberte einen Versicherungsvertrag von einem Manne, der ihn vorher die Treppe hinuntergeworfen, ihn mit Schimpfworten beladen, in allen Tonarten verwünscht und verflucht, und erklärt hatte, der Agent und seine Gesellschaft seien Räuber und Schwindler, und der mit dem Ausruf geschlossen hatte, er sei bereits versichert. Aehnlich wie dieser Agent sind auch wir Fourier–Officiere, die wir die angenehme Aufgabe haben, im Manöver für die Mannschaften und Officiere Quartier zu machen. Wohin wir auch kommen, überall heißt es: „Bitte, Herr Leutnant, gehen Sie eine Thür weiter, nebenan ist ein viel schöneres Quartier — dort nebenan wird der Herr, den Sie hier unterbringen wollen, viel besser aufgehoben sein.” Junge Dachse, ich meine junge Herren, fallen darauf hinein, mich lassen solche Reden ganz kalt, ich habe eine Ausdauer, um die mich wenigstens zwölf Agenten beneiden können, und da Sie mich noch nicht die Treppe hinabgeworfen, mich auch noch nicht verwünscht und verflucht, mich auch noch nicht für einen Räuber erklärt haben, und da Sie selbst ferner erklären, daß Sie noch nicht versichert, ich meine, noch nicht mit Einquartierung belegt seien, so gebe ich noch lange nicht die Hoffnung auf, Sie zu meiner Ansicht zu bekehren. Ich möchte Ihnen Ihre eigenen Worte zurückgeben, Herr Forstmeister, stellen Sie sich auf den Kopf und rufen Sie mit den Füßen Hurrah. Ich will Sie bewundern, aber einen Officier müssen Sie nehmen. Es fehlt mir ein Quartier, ich muß es haben, und darum bleibe ich hier bei Ihnen, bis Sie „Ja” gesagt haben.”

„Lassen Sie sich die Zeit nicht lang werden,” sagte der Forstmeister halb lachend, halb ärgerlich — am liebsten hätte er den Officier freundlichst gebeten, das Haus zu verlassen; aber Das ging doch nicht, schon der Uniform wegen nicht, die sein Gast trug, und die auch er in früheren Jahren als Reserve- und Landwehrofficier getragen hatte.

„Gestatten Sie, Herr Forstmeister, daß ich Helm und Säbel ablege?” fragte da Herr von Schwalbach. „Da ich voraussichtlich doch noch einige Stunden in diesem gastfreien Hause zubringen werde, bitte ich um Erlaubniß, es mir hier etwas bequem machen zu dürfen.”

„Der läßt nicht locker,” dachte der Hausherr, aber die frische, dabei ruhige und selbstbewußte Art des Officiers gefiel ihm, und er selbst nahm seinem Gast die Sachen ab.

„Darf ich Ihnen eine Cigarre anbieten, Herr Leutnant? Bis Sie mich bekehrt haben, fehlt es nicht an Zeit, sie aufzurauchen. In einer Stunde esse ich Mittag, um acht Uhr Abendbrot, morgen früh um sechs Uhr trinke ich Kaffee, morgen Mittag um zwei Uhr wieder Mittag. Das geht immer so weiter, wenn ich Sie bitten darf, für die nächsten Tage die Mahlzeiten bei mir einzunehmen, sollen Sie mir und den Meinigen herzlich willkommen sein. „Ungegessen und ungetrunken” kann ich Sie nicht so lange warten lassen.”

„Ich danke Ihnen herzlichst,” gab Schwalbach zur Antwort, „und nehme Ihre freundliche Einladung sehr gern an. Ich werde mir erlauben, auch während der Stunden, da wir nicht essen, mich hier aufzuhalten, unter dessen räume ich meinem Major mein eigenes Quartier ein, das ich für mich selbst ausgesucht hatte, ich selbst ziehe hierher und bleibe hier, bis Sie meinem Stabsofficier die Erlaubniß geben, hier einzuziehen. Mögen Sie nun noch „Ja” oder „Nein” sagen, mir soll es einerlei sein, ich habe gesucht, was ich gefunden, ein Quartier, und ich danke Ihnen, Herr Forstmeister, herzlichst. Ich glaubte nicht, daß ich so schnell mein Ziel erreichen würde.”

Dröhnend schlug der Forstmeister mit der Faust auf den Tisch: „Sie sind ja ein ganz — ganz — ganz —”

Er wollte sagen „ein ganz geriebener Junge”, aber er getraute sich nicht, seinen Gast so anzureden, und nun dachte er über einen anderen passenden Ausdruck — leider vergebens — nach. Er hatte sich durch die Einladung, die er an den Officier richtete, selbst gefangen, nun konnte er nicht mehr zurück.

„Was ich gesagt habe, habe ich gesagt, Herr Leutnant, aber eins verlange ich von Ihnen,” sagte Herr von Oertzen endlich. „Sie werden dem Landrath melden, daß ich mich weigere, Einquartierung aufzunehmen und daß Sie nur in meinem Hause bleiben, um meinen Widerstand und Widerspruch zu brechen.”

„Aber selbstverständlich,” erwiderte Schwalbach lachend, „wenn ich um Papier und Feder nebst dazu gehöriger Tinte bitten darf, will ich die Meldung gleich schreiben. Ich glaube,” setzte er, listig mit den Augen zwinkernd hinzu, „es ist besser, Herr Forstmeister, wenn wir diesen Brief durch einen Boten senden, als wenn ich ihn selbst abgebe. Es wäre doch immerhin möglich, daß „wichtige Geschäfte” Sie und die verehrten Ihrigen zu einer plötzlichen Abreise zwängen, daß ich bei meiner Rückkehr die Thür verschlossen fände; und da ich noch keinen Hausthürschlüssel besitze, ziehe ich es vor, hier zu bleiben.”

Der Haus herr lachte, daß es dröhnte, dann aber griff er in die Tasche und holte einen Schlüssel hervor: „So, hier haben Sie, was Ihr Herz begehrt, sind Sie nun zufrieden?”

Schwalbach sah nach der Uhr: „Es fehlt zwar noch eine halbe Stunde, aber ich wäre Ihnen sehr, sehr dankbar, wenn ich etwas zu frühstücken bekommen könnte. Seit heute Morgen um vier Uhr bin ich auf den Beinen, und mein Magen kann sich nicht entsinnen, seit dieser Morgestunde, die zwar Gold, aber leider kein Brot im Munde hatte, etwas Anderes als eine Tasse Kaffee genossen zu haben — supposé que mit dem subjonctif, wie der Franzose sagt, daß man die grün–bräunliche Flüssigkeit, die mir vorgesetzt wurde, überhaupt mit dem stolzen Wort „Kaffee” bezeichnen kann.”

„Aber, bester Herr Leutnant, warum sagen Sie Das jetzt erst?”

Der Hausherr stand auf, um die nöthigen Befehle zu geben, und nach einer Viertelstunde saßen Alle bei der Mahlzeit zusammen: außer den beiden Herren noch die Frau und die Tochter des Hausherrn.

„Langweiliges Exercier–Reglement,” dachte Schwalbach, „wie ist es möglich, daß ein solcher Vater solche zierliche graciöse Tochter hat! Wally heißt sie? Der Name ist schauderhaft, aber sie ist süß, sehr süß!”

Und er hatte Recht mit seinem Urtheil. Wallys ganze Erscheinung hatte etwas ungemein Liebliches und Anmuthiges; sie war keine Schönheit, aber sie fesselte Jeden durch ihre frische Natürlichkeit, durch den lustigen, schelmischen Blick ihrer großen blauen Augen, und ihr zierliches, kleines Stumpfnäschen, das jede Andere entstellt hätte, stand ihr, wie Fritz Reuter sagt, „ausgezeichnet zu Gesicht”.

Während Herr von Oertzen erzählte, wie er sich von seinem Gast hätte überrumpeln lassen, betrachtete Schwalbach immer aufmerksamer Fräulein Wally; sie war wirklich reizend. Manchmal war es doch ganz schön, Fourier–Officier zu sein, vierundzwanzig Stunden vor allen anderen Kameraden in das Quartier zu kommen, keinen Rivalen zu haben, ganz allein nach Herzenslust die Cour schneiden zu können, ohne fürchten zu müssen, daß ein Anderer dazwischen käme, einem den Sieg streitig zu machen.

Leutnant von Schwalbach hatte ein weites Herz, er hatte schon oft und viel geliebt und trug sich mit der ernsten Absicht, diese amüsante Beschäftigung, zu lieben und geliebt zu werden, auch noch recht lange fortzusetzen.

„Ohne Liebe kein Leben” hatte er sich als Wahlspruch erkoren, und demgemäß handelte er auch.

Als gewandter Stratege verfügte er über mehrere „Angriffspläne auf weibliche Herzen”, und er dachte ernsthaft darüber nach, welche dieser Operationen wohl bei Fräulein Wally zum Ziele führen würde.

„Schmeichelei — anscheinende Gleichgültigkeit — Natürlichkeit — Geringschätzung” — er wurde sich nicht recht klar, ob er einen directen oder indirecten Angriff unternehmen solle.

„Werden wir die Freude haben, sie längere Zeit bei uns zu sehen?” fragte ihn da die Hausfrau.

„Drei Tage, meine gnädige Frau, bitte ich um freundliche Aufnahme,” gab er zur Antwort. „Heute bin ich Fourier, morgen nehme ich die Truppe in Empfang, übermorgen muß ich eintreten und meinen Zug führen, am nächsten Morgen in allr Herrgottsfrühe mache ich mich dann wieder auf den Weg, um neue Quartiere zu besehen. Leicht hat der Officier es nicht, der Fourier am allerwenigsten. „Allen zu gefallen, ist unmöglich,” sagt ein altes Wort, und doch verlangt man es von einem Fourier. Der Unzufriedenen, die an ihrem Quartier etwas auszusetzen haben, gibt es genug, auszusetzen haben die Vorgesetzten und die Kameraden immer etwas: dem Einen gefällt die Wohnung nicht, der Andere ist mit dem Pferdestall nicht zufrieden, dem Dritten ist das Bett zu lang, dem Vierten zu kurz, der Fünfte klagt über zu viel Fliegen in seinem Zimmer, den Sechsten stört es, daß er aus der Küche das Klappern der Teller hört, der Siebente hätte gewünscht, endlich einmal ein Zimmer nach vorn hinaus zu bekommen, und der Achte schilt, daß er eine Wirthstochter hat, gegen die er liebenswürdig sein muß.”

„Hoffentlich sind Sie nicht selbst der Achte,” neckte ihn Wally.

Der Officier machte ein dummes Gesicht.

„Da habe ich mir aber schön den Mund verbrannt,” sagte er lachend, „da bin ich unhöflich gewesen, ohne es zu wollen. Bedarf es eines feierlichen Schwurs, daß ich mich mit dem Achten nicht gemeint habe? Im Gegentheil, ich bin immer glücklich, wenn ich in meinem Quartier eine schöne und liebenswürdige junge Dame — aber bitte, mein gnädiges Fräulein,” unterbrach er seinen angefangenen Satz, „sehen Sie mich nicht immer so an, dann weiß ich wirklich nicht, was ich sagen soll. Sie machen mich ganz verwirrt, und ich bringe nicht einmal die einfachste Entschuldigung zu Stande.”

Herr von Schwalbach wurde ernst und verlegen — das war ihm seit langer, langer Zeit nicht passirt; aber Wally hatte ihn mit einem Blick angesehen, der da zu sagen schien: „Rede nicht mehr, als Du verantworten kannst; im Uebrigen mache ich keinen Anspruch auf Deine Liebenswürdigkeit.”

Zum Glück lachten Alle über die Verlegenheit, die er zeigte, laut auf, und aus ganzem Herzen stimmte er in ihre Lustigkeit mit ein — es war ja auch zu dumm von ihm, sich aus dem Concept bringen zu lassen.

Menschen, die auch nur ein einziges Mal zusammen herzlich gelacht haben, sind sich nicht mehr fremd — das heilige Lachen gewährt einen Einblick in die Denkungsart unserer Mitmenschen, und so hatte auch plötzlich die kleine Gesellschaft am Mittagstisch die Empfindung, als säßen sie heute nicht zum ersten Male beieinander, als wären sie vielmehr schon gute, alte Bekannte. Sie plauderten miteinander über alle möglichen Sachen, und Schwalbach, der seine Ruhe wiedergefunden hatte, ließ seinem Humor freien Lauf, erzählte eine lustige Geschichte nach der anderen und sorgte dafür, daß die Zuhörer nicht aus dem Lachen herauskamen.

Der Forstmeister, der den Leutnant noch vor wenigen Stunden zum Teufel gewünscht hatte, befand sich in der denkbar besten Stimmung. „Kinder,” sagte er, „so habe ich seit Monaten nicht gelacht. Man muß die Feste feiern, wie sie fallen. Wally, besorg' uns noch eine Flasche Rothwein, nein, hole eine Flasche Sect, und dann laßt uns gleich bis zum Abend sitzen bleiben; es lohnt sich ja doch nicht mehr, erst wieder aufzustehen.”

Aber die Damen widersprachen, und Schwalbach stimmte ihnen bei; mit dem Essen muß man aufhören, wenn es am besten schmeckt, und die Unterhaltung muß man abbrechen, wenn sie am amüsantesten ist. Ein „zu viel” ermüdet — er wollte den guten Eindruck, den er auf Fräulein Wally gemacht, nicht wieder verwischen, und daß er einen guten Eindruck auf sie gemacht hatte, sah er ganz genau, er merkte es an der Art und Weise, wie sie sich an der Unterhaltung betheiligte und auf seine Worte einging.

„Die Truppen sind angesetzt und der Angriff auf das Herz Fräulein Wallys ist eingeleitet,” sagte Schwalbach beruhigt zu sich selbst; „nun kommt es darauf an, daß der Angriff gelingt, und daß wir siegen. Haben wir aber gesiegt, dann — ja, was dann?”

Am liebsten hätte er sich selbst bei dieser Frage verwundert angesehen, da Das aber nicht ging, begnügte er sich damit, ein wenig geistreiches Gesicht zu machen. Was wollte er denn eigentlich? Wollte er nur mit Fräulein Wally flirten, oder dachte er daran, sie zu hei—ra—ten?

Selbst in Gedanken ging das Wort nicht glatt über seine Lippen. Wollte er die schöne, goldene Freiheit aufgeben und freiwillig die Fesseln der Ehe auf sich nehmen? Wollte er, einer der größten Courmacher Sr. Majestät, sich in einen soliden Ehemann verwandeln?

Der Gedanke kam ihm so sonderbar vor, daß er laut auflachte — er und heiraten, nein, Das gab es nicht — aber das Lachen kam ihm nicht recht von Herzen.

Unzufrieden mit sich selbst, ging er in dem großen, schattigen Garten spazieren — er langweilte sich und war ärgerlich, daß er selbst dem Vorschlag, vom Tisch aufzustehen, beigestimmt hatte. Da sah er Fräulein Wally auf der Chaussee, die unmittelbar an dem Garten vorbeiführte, hoch zu Rad vorbeifahren.

Einen Augenblick sah er ihr nach — dann fiel ihm plötzlich ein, daß er ja noch allerlei Besorgungen zu machen habe, und eine Minute später sauste er auf seinem Zweirad, das ihn am Vormittag hierher gebracht hatte, hinter ihr her.

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Am nächsten Vormittag spielten sich die Manöver in der kleinen Stadt ab, und so zog denn am frühen Morgen eine große Schar von Zuschauern zu Pferde, zu Wagen, zu Rad und zu Fuß hinaus in das Gelände, um den Uebungen zuzuschauen. Auch Wally schickte sich an, hinauszuradeln, und sie machte ein sehr erstauntes Gesicht, als Leutnant von Schwalbach keine Anstalten machte, sie zu begleiten.

„Wollen Sie mich denn ganz allein fahren lassen?” fragte sie, und aus ihren Worten klang nicht nur Verwunderung, sondern man merkte es, daß sie sich auf seine Gesellschaft gefreut hatte. Nur schlecht vermochte sie die Enttäuschung zu verbergen.

Er stand neben ihr, während sie sich davon überzeugte, ob an ihrer Maschine auch alles in Ordnung sei.

„Ich führe gerne mit Ihnen, gnädiges Fräulein, sogar sehr gerne,” gab er zur Antwort; „aber es geht nicht. Ich habe darüber nachgeacht, ob ich nicht unter irgend einem Vorwand mit Ihnen radeln könnte; aber ich muß zu Hause bleiben. Ich darf mich auf dem Manöverfelde nicht blicken lassen, wenn ich dort dienstlich nichts zu thun habe; sonst heißt es gleich: „Wenn der Fourier–Officier spazieren fahren kann, kann er auch in die Front eintreten.” Das darf nicht sein.”

Sie stand unschlüssig da, sie wußte nicht, ob sie nun fahren oder zu Haus bleiben sollte. Die Freude war ihr verdorben, auch fürchtete sie, daß sie nun, ohne militärische Begleitung, nicht überall Zutritt haben und von manchen Wegen sogar zurückgewiesen werden würde.

Endlich aber entschloß sie sich, dennoch zu fahren; sie glaubte, wenn sie zurückbliebe, Schwalbach zu deutlich zu beweisen, daß sie Gefallen an seiner Gesellschaft fände. So reichte sie ihm denn zum Abschied die Hand; aber während sie auf der Chaussee dahinfuhr, weilten ihre Gedanken stets bei dem jungen Officier. Sie hatte früher immer gelacht, wenn sie gelesen hatte, daß in den Romanen sich ein junges Mädchen auf den ersten Blick in den ersten Officier, der ihr begegnete, verliebte, sie hatte nie an den Einfluß des „zweierlei Tuch” auf Mädchenherzen glauben wollen.

Aber war es wirklich die Uniform, die ihr so gut gefiel? War es das bunte Tuch allein, das den Damen bei den Officieren so gut gefiel? War es nicht vielmehr die ritterliche Art, die gute Erziehung, die tadellosen Manieren, der frische, fröhliche Geist, die sorglose Lebensauffassung?

Nur klein war der Kreis der jungen Herren, mit denen sie in Berührung kam; aber trotz langer Bekanntschaft hatte ihr noch keiner so gut gefallen wie Schwalbach, und sie wurde traurig bei dem Gedanken, daß am übernächsten Tage die Trennungsstunde für sie schlagen und daß sie ihn dann vielleicht, nein ganz bestimmt, niemals wiedersehen würde. Sein Regiment lag in einer entfernten Garnison. „Jede Provinz,” hatte er gestern gesagt, „hat vier bis fünf Manöverbezirke, so kommt man alle vier bis fünf Jahre wieder in dieselbe Gegend, aber fast niemals wieder an den selben Ort.” Wenn er noch wenigstens Jäger wäre, dann hätte sie ihren Vater bitten können, ihn später einmal zu einer der großen Jagden zu laden; aber im Laufe des Gesprächs hatte er gestern vom „Weiden der Rehe” gesprochen und damit bewiesen, daß er in seinem Leben noch nie auf Jagd gegangen war.

Es war zu schade, daß er übermorgen schon wieder fort mußte, und denselben Gedanken hatte Schwalbach auch; er fand den ewigen Quartierwechsel entsetzlich langweilig und studirte eifrigst die Karte, ob es sich nicht machen ließe, daß er blieb, wo er war. Als Fourier konnte er sich ja „hinlegen”, wo es ihm gefiel, immerhin aber mußte er in der Nähe seiner Truppe bleiben, und die zog übermorgen wieder weit, weit fort. „Achtunddreißig Kilometer,” knurrte er ingrimmig vor sich hin, nachdem er die Entfernung mit dem Zirkel ausgemessen hatte, „hol' mich der Teufel, oder möge er wenigstens meinen vorschriftsmäßigen Officiers­koffer holen, damit ich nicht nöthig habe, mit dem Ding wieder in der Welt herumzuziehen. Hier bliebe ich gern noch ein paar Tage, selbst auf die Gefahr hin, daß wir dadurch so viel später in die Garnison zurückkehren. Was soll man da? Dienst ist nicht, Urlaub habe ich wie gewöhnlich natürlich wieder nicht bekommen, weil ich in diesem Jahr „unbegreiflicher Weise”, wie ein hohes Regiments–Commando sich auszudrücken beliebte, schon einmal vier Wochen verreist war, was soll man da in seiner einsamen Junggesellen­wohnung? Na, und den ganzen Tag in der Kneipe und im Casino sitzen, kann man doch auch nicht. Das Klügste wäre es wahrhaftig: man heiratete.”

Und wieder stand Wally Bild vor ihm.

Bis spät am Abend hatten sie gestern Alle zusammen gesessen und geplaudert, gelacht und gescherzt, und als er endlich zu Bett gegangen war, hatte er zu sich gesagt: „Alter Junge, gib dir keine Mühe, dich selbst zu belügen, du bist verliebt, ud zwar gründlich,” und Stunden lang hatte er noch wach gelegen, sich und sein Herz geprüft und sich immer wieder gefragt: „Ob auch Wally dich wohl liebt?”

Auch jetzt beschäftigte ihn diese Frage, und erschrocken fuhr er zusammen, als der Schlag der Uhr ihn daran mahnte, daß es Zeit sei, sich umzukleiden und sein Bataillon, das jeden Augenblick einrücken konnte, zu empfangen. Er mußte dabei sein, wenn die Fourier–Unterofficiere die Quartierbillette an die Compagnien ausgaben, vor allen Dingen aber mußte er den Herrn Major in das Quartier begleiten.

Ihm graute davor; denn die Wohnung war nicht schön. Auch der Stall ließ Vieles zu wünschen übrig, und als kluger und vorsichtiger Untergebener machte er sich schon im Voraus auf einige Liebenswürdigkeiten gefaßt. Kein Stabsofficier läßt sich stillschweigend ein Leutnantsquartier gefallen, der Seine würde Dies erst recht nicht thun; denn Der war wegen seiner Grobheit ebenso unbeliebt wie gefürchtet.

„Am liebsten zöge ich mir ein dickes Fell an,” dachte Schwalbach, „aber leider ist dieses für Untergebene äußerst praktische Bekleidungsstück officiell in der Armee ja noch nicht eingeführt worden. Na, es wird ja hoffentlich auch so gehen.”

Und es ging, aber frag' mich nur nicht wie.

Als Schwalbach in sein Quartier zurückkam, befand er sich in jener Stimmung, die zum Leben zu traurig, zum Sterben nicht traurig genug ist.

„Was haben Sie denn nur?” fragte Wally, die von ihrem Ausflug vor kurzer Zeit zurückgekehrt war und ihm im Garten begegnete. „Was ist passirt? So kenne ich Sie ja gar nicht.”

Er nahm sich den Helm ab und trocknete sich die Stirn. „Was ich habe? Ich verwünschte den Mann, der das Militär erfand, im Allgemeinen, und Den, der die weise Einrichtung mit dem Vorgesetzten aufbrachte, im Besonderen. Ich weiß nicht, ob Sie meinen Major haben fluchen hören, ein Wunder wäre es nicht, der Mann machte einen Spectakel, als ob ihm in meiner Person ein ganzes rebellisches Bataillon, das er in Ordnung bringen müsse, gegenüber stände, und dabei war ich so artig und sagte keinen Ton.”

„Aber was wollte der Major denn von Ihnen?” fragte sie. „Ist dieser anscheinend schreckliche Mensch derselbe, den wir ins Quartier bekommen sollten?”

Recte dixisti, so ist's, mein gnädiges Fräulein,” gab er traurig zur Antwort. „Sie sollten ihn bekommen und werden ihn bekommen. Er will es, und gegen die Wünsche der Vorgesetzten ist der Untergebene ebenso machtlos wie ein Zahnkranker gegen die mörderische Zange.”

„Innerhalb einer Stunde ein anderes Quartier, oder ich löse Sie wegen gänzlicher Unfähigkeit von Ihrem Posten ab,” sprach er mit donnernder Stimme. „Ich kenne den Mann, der droht nicht zum Spaß, er muß hierher, sonst steckt er mich in die Front, und ich kann mich auf vergnügte Tage gefaßt machen. Das wird selbst Ihr Herr Vater nicht wollen, bitten Sie ihn, daß er mir zu Liebe „ja” sagt, ich packe unterdeß meinen Koffer. Wollen Sie mir helfen, Ihren Vater zu bewegen, daß er doch noch „ja” sagt?”

„Nein!”

Das klang so bestimmt, aber zugleich auch so unfreundlich, daß er verwundert aufsah und da erst merkte er, daß sie sich kurz abwandte und sich anschickte, in das Haus zu gehen.

Er trat ihr in den Weg.

„Darf ich wissen,” fragte er,„warum Sie meine Bitte so schroff abweisen?”

Vergebens versuchte sie, ihm auszuweichen, an ihm vorüber zu kommen.

Sie ward blaß, und ihre Stimme zitterte, als sie endlich, auf sein erneutes Drängen, erwiderte: „Ich — ich hatte geglaubt, daß Sie gerne bei uns wären und daß Ihnen an unserer Freundschaft mehr läge, als an dem Zorn Ihres Vorgesetzten. Nun aber lassen Sie mich bitte fort.”

Aber er ließ sie nicht, er ergriff ihre beiden Hände und sah mit leidenschaftlichen, flehenden Blicken zu ihr empor. „Noch Eins, so lasse ich Sie nicht. Sag mir ein Wort, willst Du, daß ich bleibe?”

Sie antwortete nicht, aber eine glühende Röthe färbte ihre Wangen, und wenn der Mund auch stumm blieb, ihre Augen sprachen: „Bleib.”

Stürmisch schloß er sie in seine Arme, und sie duldete und erwiderte seinen Kuß.

Dann schlang er seinen Arm um ihre Taille: „So, Geliebte, und nun komm, laß uns Deine Eltern um ihren Segen bitten! Dann aber laßt uns Barricaden bauen und dies Haus zur Vertheidigung einrichten; denn mag ich abgelöst werden, so viel ich will, hier bleibe ich, ich lasse keinen neuen Fourier–Officier, der hier für den Major Quartier machen will, herein. Vielleicht müßte mein Nachfolger ebenfalls ein paar Tage auf die Einwilligung Deines Vaters warten, und wer weiß, ob nicht auch der neue Fourier sich um Deine Gunst bewerben würde!”

Sie lachte glücklich vor sich hin, und zum ersten Mal sprach ihr Mund: „Sei ohne Sorge — ich habe Dich lieb.”


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