Excellenz kommt!

Humoreske von Freiherr von Schlicht
in: „Mährisches Tagblatt” vom 5.8.1897,
in: „Hamburger Anzeige” vom 15.8.1897,
in: „Düna-Zeitung” vom 30.8.1897,
in: „Nebraska Staats-Anzeiger” vom 16.9.1897,
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 29.9.1897,
(dort unter dem Titel „Hoher Besuch”),
in: „Der Fortschritt” vom 13.10.1897,
(dort auch unter dem Titel „Hoher Besuch”),
in: „Utrechts Nieuwsblad” vom 6.12.1897,
in: „Kansan Lehti” vom 19.1.1904 unter dem Titel „Hänen ylhäisyytensä tulee” und
in: „Excellenz kommt!”


Die kleine Garnison, in der nur ein Infanterie-Bataillon stand, befand sich in gewaltiger Aufregung. Am frühen Morgen war auf dem Bataillons-Bureau ein Telegramm eingelaufen, das kurz und bündig besagte: „Excellenz kommt.”

Ein Unglück kommt nie alleine, und eine Excellenz, besonders wenn sie, wie in diesem Falle, der kommandierende General ist, kommt auch nicht alleine, sondern sie bringt verschiedene Heren in ihrem Gefolge mit. Zunächst erscheint der Herr Divisions­kommandeur, dann der Herr Brigade­kommandeur und endlich der Herr Regiments­kommandeur, und jeder dieser Herren hat wenigstens einen Adjutanten bei sich. So viele Augen sehen scharf, was der eine nicht sieht, sieht der zweite oder dritte sicherlich, besonders, wenn er von seinem Adjutanten auf jede Kleinigkeit aufmerksam gemacht wird, und so konnte man es dem Herrn Major nicht verdenken, daß er bei der Nachricht von dem Eintreffen so vieler Vorgesetzter nicht sonderlich erbaut war.

Die Bataillonsbesichtigung sollte abgehalten werden — der kommandierende Herr General hatte sein Kommen als zweifelhaft hingestellt — man hatte das beste gehofft, und nun kam er doch!

Das erste, was der Herr Major that, als er die Schreckens­nachricht erhielt, war, daß er sein Bataillon alarmierte und mit ihm nach dem Exerzierplatz abrückte. Dort wurde „gebimst”, daß den Soldaten und den Herren Soldaten (das sind die Lieutenants) die Augen übergingen und er spät am Nachmittag rückte die Truppe wieder ein, mit der frohen Aussicht, morgen und folgende Tage, bis Excellenz da wäre, noch toller „geschliffen” zu werden.

Der Herr Major war ein äußerst liebenswürdiger und jovialer Herr, der sehr gerne gut aß und noch lieber besser trank und aus Erfahrung wußte er, daß die hohen Vorgesetzten, wen sie am Abend vorher im Kasino gut gegessen haben, am nächsten Morgen gewöhnlich sehr milde und nachsichtig sind. So setzte er sich denn hin und bat Se. Excellenz in einem Privat­dienst­schreiben um die hohe Ehre, das Mittagessen an dem Tage vor der Besichtigung mit den Offizieren des Bataillons abends um sechs Uhr im Kasino einnehmen zu wollen. Einer Zusage glaubte der Herr Major ganz sicher zu sein. In einer langen Unterredung mit dem Tischdirektor wurde das Menü festgestellt und bald darauf spielte der Telegraph nach allen Richtungen um Kaviar, Artischocken und andere in dem kleinen Städtchen unbekannte Genüsse zu bestellen.

Das Unerwartete geschah: Se. Excellenz dankte; sie sei dienstlich verhindert, schon am Tage vor der Besichtigung einzutreffen, sie werde morgens mit dem ersten Zug zusammen mit den anderen Herren eintreffen und nach Schluß des Examens, wenn die Zeit es erlaube, gerne mit dem Offizierkorps zusammen frühstücken.

Als der Herr Major dies Schreiben gelesen hatte, verfiel er beinahe in Trübsinn. Zum letztenmal sollte er sein Bataillon vorstellen, er war einer der ältesten Majors in der Armee, die nächsten Wochen mußten ihm entweder die Beförderung oder den Abschied bringen, ein drittes gab es nicht. Wenn er sich selbst geprüft hatte, war er stets mit sich sehr zufrieden gewesen und er hatte sich gesagt: Wenn ich darüber zu entscheiden hätte, so würde ich mich sicherlich zum Oberstlieutenant mchen. Ganz fest hatte er auf sein Avancement gerechnet — aber nun? Warum kam Excellenz, wo sie doch eigentlich nicht hatte kommen wollen, warum kam Excellenz nicht zu Tisch, wie sie es in früheren Jahren doch stets gethan hatte? Wollte man ihn abschlachten, sollte er in die Wurst? Sollte er, so jung noch an Jahren, schon zur Unthätigkeit verurteilt werden?

Ganz sicher wollte man ihn barbarisch darufhin prüfen, ob er nicht doch irgendwo einen hohlen Zahn sitzen habe, der ein ferneres Verbleiben im Dienst unmöglich mache — ach, wäre Excellenz doch nur zu Tisch gekommen, dann wäre noch alles gutgegangen, er hätte eine Bowle gebraut, eine Bowle, bei deren Genuß selbst das härteste Herz geschmolzen wäre.

Da gab ihm der Himmel einen sehr einfachen Gedanken ein: Wenn Excellenz nicht vor der Besichtigung trinkt, muß er nach der Besichtigung trinken — ich werde ein Frühstück im Kasino arrangieren, daß Excellenz, wenn sie mich am Morgen auch noch so toll heruntergekanzelt hat, sagt: „Der Major ist doch ein feiner Kerl, den wollen wir der Armee nur noch etwas erhalten.”

Wieder setzte er sich mit dem Tischdirektor in Verbindung und nachdem alles besprochen war, durchwanderten sie gemeinsam das Kasino. An allem hatte der Major zu tadeln: „Mein lieber Redwitz, das geht nicht, in ein solches Kasino können wir den kommandierendenn General nicht hineinführen: sehen Sie sich einmal diese Gardinen an, das geht nicht und auf diesen abgetretenen Teppich soll Excellenz seine Füße setzen? Wie das Rauchzimmer aussieht — nicht ein einziger vernünftiger Stuhl und der Teppich hier hat wahrhaftig ein Loch und dieser Spiegel — sehen Sie sich nur einmal diesen Spiegel an.”

„Schön ist er ja nicht,” pflichtete der Lieutenant bei, „aber wir können doch nicht alles neu anschaffen? Wo sollen wir das Geld hernehmen? Wir arbeiten so wie so mit einem großen Minus.”

„Da haben Sie recht, leider, leider,” stimmte der Herr Major zu, „aber geschehen muß etwas, so kann es nicht bleiben,” und langsam und prüfend schweiften seine Augen nochmals durch die ganze Einrichtung, als hoffe er, daß sie dadurch besser würde.

„Redwitz, ich hab's,” rief er plötzlich, „wissen Sie — ich leihe Ihnen meine Möbel. Ich weiß ja nun was Sie brauchen — schicken Sie heute Abend noch ein Dutzend Leute von der Kompagnie mit einem Handwagen, bestellen Sie sofort einen Tapezier, der sofort meine Gardinen hier anmacht und sorgen Sie dafür, daß übermorgen, wenn Excellenz kommt, alles in tadellosester Ordnung ist. Ich mache Sie dafür verantwortlich, vom Exerzieren können Sie zurückbleiben.”

„Zu Befehl, Herr Major.”

Der Major ging nach Haus, um das weitere zu veranlassen, und vierundzwanzig Stunden später war das Kasino feenhaft eingerichtet: dicke Smyrna-Teppiche bedeckten die Fußböden, schneeweiße Gardinen, wertvolle Portieren prangten an den Fenstern und Thüren, schöne Stahlstiche und Oelgemälde berühmter Meister hingen an den Wänden, im Rauchzimmer standen große, bequeme Plüsch-Fauteuils, auf den Borden seltene Nippsachen und eine große Elfenbeingruppe, den Raub der Sabinerinnen vorstellend, schaute verwundert auf die ihr fremde Umgebung.

Excellenz mochte kommen.

Und sie kam.

In Breitkolonne stand das Bataillon in Parade­aufstellung auf dem Exerzierplatz und freundlich grüßend, einen „Guten Morgen Musketiere” wünschend, ritt der kommandierende General die Front der einzelnen Kompagnien ab.

Excellenz war sehr gnädig, und die Gnadensonne leuchtete auf allen Gesichtern, sogar auf dem des strengen Herrn Oberst, der ein paar Mal ein halblautes „Gut, sehr gut,” sagte.

Dann begann das Exerzieren — die Leute vergötterten ihren Major, der zwar ein sehr strenger, aber wohlwollender und gerechter Vorgesetzter war. So gaben Sie [sic! D.Hrsgb.] her, was ein jeder in seinen Knochen hatte und die Sache „klappte”, daß es eine wahre Freude war.

Darauf kam das Gefecht, aber kaum hatte der Major seine Anordnungen getroffen, als Excellenz die Uebung abbrechen ließ: „Ich halte es für überflüssig, Ihre Kräfte und die der Leute weiter in Anspruch zu nehmen, das Bataillon ist in tadelloser Verfassung und ich werde Gelegenheit nehmen, Se. Majestät davon in Kenntnis zu setzen. Ich gratuliere Ihnen, Herr Major.”

Der Herr Major dienerte auf seinem Pferd vor Stolz und Glückseligkeit, und wäre es nicht so unmilitärisch gewesen, so hätte er Excellenz am liebsten einen Kuß gegeben.

Das Bataillon war entlassen, und der Major schickte sich an, mit seiner Truppe abzurücken, als Excellenz ihn noch einmal zu sich rief: „Mein lieber Herr Major, Sie werden uns nun ja bald verlassen und in einen neuen Wirkungskreis treten — da möchte ich doch die Gelegenheit, die sich mir heute zum letztenmal bietet, benutzen und Ihrer sehr verehrten Frau Gemahlin noch vor dem Frühstück meine Aufwartung machen.”

„Excellenz sind zu gnädig,” beteuerte der Herr Major, beglückt über die seiner Frau bevorstehende Auszeichnung.

„Ich werde doch Ihrer Frau Gemahlin nicht ungelegen kommen?”

„Aber Excellenz —”

„Nun denn auf Wiedersehen im Kasino,” und Excellenz sprengte mit seiner Suite davon.

An der Tête seines Bataillons rückte der Major ab, aber plötzlich hielt er sein Pferd mit jähem Ruck an: Herr Gott, Excellenz wollte seiner Frau einen Besuch machen und er besaß in der ganzen Etage auch nicht eine einzige eingerichtete Stube. Ueberall fehlten die Gardinen, hier dies, dort das — die Zimmer sahen aus, als wenn groß Reinemachen wäre und da sollte seine Frau Excellenz empfangen? Das war ja unmöglich, einfach unmöglich! Und er setzte sein Pferd in Galopp, um Excellenz einzuholen und zu bitten, von dem Besuch Abstand zu nehmen. Aber nachdem er einige hundert Meter geritten war, hielt er sein Pferd wieder an: das ging doch auch nicht, was würde Excellenz denken und womit sollte er seine Bitte begründen? Plötzliches Unwohlsein? Das ginge, aber wie sollte er die Nachricht erhalten haben? Und in seiner Verzweiflung nahm er sich den Helm vom Kopf und raufte sich die Haare.

Dann aber gab er seinem Gaul die Sporen und jagte, so toll es ging, der Stadt entgegen und durch die Straßen nach dem Kasino, wo Redwitz bereits an der Thür stand, um die Gäste zu empfangen.

„Redwitz, ich kann Ihnen nicht helfen, Sie müssen mir meine Möbel sofort wieder in meine Wohnung schaffen, Excellenz will bei mir Besuch machen —”

„Aber, Herr Major . . .!”

„Hier giebt's kein aber, das einzige Zimmer, das so geblieben ist wie es war, ist das Schlafzimmer, und da können wir Excellenz doch nicht empfangen.”

„Wir können doch nicht die Gardinen herunternehmen — so schnell steckt sie doch kein Tapezier fest.”

„Die Gardinen bleiben hier — da kann ich lügen und sagen, die wären in der Wäsche. Aber die Teppiche und Stühle muß ich wieder haben, alarmieren Sie die Kaserne, alles was zurückgeblieben ist, die Mannschaften aus der Küche, die Revierkranken, die Handwerker, alles muß antreten! Sie sind mir dafür verantwortlich, daß meine Wohnung in einer Viertelstunde wieder eingerichtet ist.”

Und ohne auf die Entgegnung des armen Lieutenants zu hören, sprengte der Major wieder von dannen.

„Friedrich! — Frie—de—rich!!”

Schon hundert Meter vor seinem Hause fing er an, nach seinem Burschen zu rufen.

„Friedrich!!!”

Aber der hörte nicht.

„Wo steckt der Kerl nur? Ich sperre ihn drei Tage ein, ich lasse ihn ablösen, diesen faulen Lümmel, — Frie—de—rich!”

„Herr Major?”

Da kam der Gerufene endlich aus dem Stall.

„Na, warte, wir sprechen nachher miteinander — hier, nimm das Pferd” — und so schnell seine Korpulenz es ihm erlaubte, schwang er sich aus dem Sattel und eilte in seine Wohnung. Er öffnete mit einem Drücker die Etagenthür und stürzte über den Korridor.

„Elsbeth — Elsbeth, Herr Gott, hört denn heute kein Mensch, — Elsbeth, — Excellenz kommt, das hat gerade noch gefehlt.”

Stürmisch riß er die Thür zu dem Wohnzimmer auf, um seine Frau zu suchen — aber plötzlich blieb er wie gebannt stehen, seine Knie wankten, er fühlte sich einer Ohnmacht nahe, denn da drinnen saß die Excellenz schon in eifrigem Geplauder mit seiner Frau.

„Nur herein, lieber Herr Major,” lachte Excellenz leutselig, „ich bin ja selbst verheiratet und weiß, was groß Reinemachen in einem Haushalt zu bedeuten hat. Die Entschuldigungen Ihrer sehr verehrten Frau Gemahlin waren ebenso unnötig, wie es Ihre Besorgnis ist.”

„Excellenz sind wirklich zu gnädig und nachsichtig,” stotterte der Major und nahm auf dem einzigen noch leeren Stuhl Platz, um sich an der Unterhaltung zu beteiligen.

Da ertönten schwere Schritte auf dem Korridor — der Major fühlte sein Ende nahen — er hörte Redwitzens Stimme und gleich darauf stand dieser in der offenen Stubenthür, im Arm die Elfenbein-Gruppe, den „Raub der Sabinerinnen” haltend und im Hintergrunde stand der ganze Korridor voller Soldaten, die mit Teppichen, Tischdecken und Stühlen beladen waren.

„Erde, öffne dich,” flehte der Major, allein vergebens.

Verwundert schaute die Excellenz abwechselnd auf die Hausfrau, den Herrn des Hauses und auf den in der Thür stehenden Lieutenant.

Niemand fand ein Wort.

Da ertönte auf dem Korridor die laute Stimme eines Musketiers. „Herr Leitnant, sollen wir die Sachen, wenn Excellenz doch all (schon) da ist, gleich wieder ins Kasino tragen?”

Die Excellenz erhob sich, um sich zu verbschieden, — es wurde ihr ungemütlich.

„Excellenz,” flehte da der Herr Major — ich glaube Euer Excellenz eine Aufklärung schuldig zu sein,” und er erzählte, warum sich seine Möbels [sic! D.Hrsgb.] auf Reisen befänden.

Da reichte ihm Excellenz heiter lächelnd die Hand: „Daß ich den Herren bei meinen Besichtigungen zuweilen die Ruhe und den Schlaf raube, ist ja leider eine Thatsache, die sich nicht ändern läßt — aber daß ich auch den Damen die Bequemlichkeit entziehe, das hätte ich denn doch nicht von mir gedacht. Für so schlecht hätte ich mich nicht gehalten.” — — —

Der Herr Major ist nun schon seit einigen Jahren Oberstlieutenant und zugleich Präses der Kasino-Kommission im neuen Regiment. Er wird alljährlich wiedergewählt, weil er noch nie den Antrag gestellt hat, daß die Verheirateten bei gemeinsamen Festen dem Kasino mit ihren Möbeln aushelfen sollen.

Aus eigener Erfahrung weiß er, in welche fatale Situation man dadurch zuweilen kommen kann.


„Kansan Lehti” vom 19.1.1904:



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