„Bohemia” vom 20.Juni 1906:
(Freiherr von Schlicht gegen das Duell.) Der bekannte Militärschriftsteller und ehemalige Offizier Graf Baudissin, der sich unter dem Pseudonym Freiherr von Schlicht in erster Linie als Humorist einen Namen gemacht hat, scheint es darauf abgesehen zu haben, es sich mit seinen früheren Standesgenossen ganz zu verderben. Hat er im Vorjahr durch seine „Erstklassigen Menschen” den Dünkel der Gardeoffiziere gegeißelt, so greift er durch einen eben im Verlag von Heinrich Minden (Dresden) erschienenen Roman „Oberleutnant Kramer” an eine sehr ernste Frage, um sie in einem den herrschenden Anschauungen entgegengesetzten Sinne zu lösen. Oberleutnant Kramer ist ein hochangesehener, ehrenhafter, tapferer Offizier, der im südwestafrikanischen Kolonialkrieg wahre Wunder der Tapferkeit geleistet und dafür die kaiserliche Anerkennung durch hohe Ordensauszeichnungen erhalten hat. In seine heimatliche Garnison zurückgekehrt, verliert er sich gelegentlich eines Kameradschaftsabends in eine Diskussion über die Frage, ob Selbstmord ein Zeichen des Mutes oder der Feigheit sei. Er betrachtet den Selbstmord als Feigheit und erklärt, er seinerseits würde niemals einen Selbstmord begehen, selbst wenn er sich einer den Verlust des Offizierrocks bedingenden Tat schuldig machen würde. Bei nächster Gelegenheit schleudert ihm daraufhin ein junger Leutnant das Schimpfwort „Feigling” an den Kopf. Kramer lacht darüber; er mußte den Beleidiger fordern, weigert sich dessen als prinzipieller Gegner des Duells und wird deshalb ehrenrätlich zum schlichten Abschied verurteilt. Er erlebt aber die Freude zu erfahren, daß viele seiner Kameraden, wenngleich sie nicht den Mut haben, dies zu äußern, ihm recht gaben, seine Gegnerschaft gegen das Duell billigten.
„Das literarische Echo” 1905/1906, S.1733:
Besprechung des Romans „Oberleutnant Kramer”
Das dritte der mir vorliegenden Bücher ist das neueste Fabrikat des Vielschreibers Grafen Baudissin „Oberleutnant Kramer”. Wer sich von der Talentlosigkeit und der Banalität dieses Autors noch nicht überzeugt hat, der kann das an der Hand dieses langweiligsten aller Militärromane reichlich tun. Ich weiß nicht, in welchem Regiment Baudissin die Vorstudien zu seinem Buche gemacht hat, - es muß dort unglaublich roh und „kommissig” zugegangen sein. Meiner Überzeugung nach gibt es im ganzen heutigen Deutschland, selbst im wüstesten Osten und Westen, kein Regiment, dessen Offiziere sich gegenseitig so wenig gentlemanlike behandelten. Kein einziger der im „Oberleutnant Kramer” gezeichneten Herren benimmt sich auch nur einigermaßen korrekt: weder der charakterschwache Major gegen Kramer, noch der Musterknabe Kramer gegen den strafversetzten Gardisten, noch dieser gegen die beiden Genannten. Ebenso unmöglich ist der Gang der Romanhandlung. Weiß der Verfasser wirklich nicht, daß eine im Dienst gefallene Beleidigung (wie es hier der Fall ist) zunächst vor ein Kriegsgericht kommen muß? Weiß er nicht, daß ein aktiver Offiziere einen anderen überhaupt nicht fordern kann, ehe der Ehrenrat darüber entscheidet, ob ein Zweikampf nötig ist? Weiß er nicht, daß vor dem Ehrengericht ein Frage- und Antwortspiel, wie er es berichtet, unmöglich ist, daß der Angeschuldigte nur das Recht zu einer zusammenhängenden förmlichen Verteidigungsrede hat, daß aber Verhöre mit dem Aktenschluß der Voruntersuchung durch den Ehrenrat abgetan sind? Man sieht, die Fabel dieses Romans wimmelt von falschen Voraussetzungen und von Unkenntnis der Standessitten.
„Oberleutnant Kramer” behandelt die Duellfrage, also ein aktuelles Thema, über das bekanntlich im letzten Jahrzehnt - dank dem bei uns so bedrohlich überhand nehmenden Muckertume - viel geredet und viel geschrieben worden ist, ohne daß freilich alle die Eiferer gegen die mit der deutschen Kultur engverwachsene, schier unausrottbare Sitte des ritterlichen Zweikampfes auch nur um eines Haares breite Terrain gewonnen hätten. Auch Baudissin trägt zur Lösung dieser Frage absolut nichts Positives bei. Häufig verbirgt sich hinter der unfruchtbaren Nörgelei an der in der Armee nun einmal traditionellen Sitte oder Unsitte des Zweikampfes allerlei Feindschaft gegen die Armee überhaupt. Daß Baudissin einer dieser Feinde ist, haben seine giftdurchtränkten „Erstklassigen Menschen” zur Genüge bewiesen. Allerdings ist er seit der Lektion, die man ihm daraufhin erteilt hat, merkwürdig zahm geworden; im „Oberleutnant Kramer” trägt er mächtige Scheuklappen. Das vermehrt den unwahren Eindruck, den der Roman an sich schon erregt: man kann sich der Empfindung nicht erwehren: „Oberleutnant Kramer” ist nicht aus innerem Drange heraus geboren, in Baudissins pathetischer Entrüstung gegen den Zweikampf lodert kein heiliges Feuer.
Dabei scheut sich der flüchtig arbeitende Autor nicht mit seinem Helden psychologisch recht grob herumzuspringen. In den ersten Dreivierteln des Buches schildert er Kramer zweifellos als geistig nur mittelmäßig begabt, als „Soldaten mit Leib und Seele”, der sich nur um seinen Dienst kümmert. Von literarischen Neigungen hören wir nicht das Geringste. Gegen Ende des Buches aber ist Kramer unglaublich orientiert über die Geschichte des Duells, ja er jongliert geradezu mit Reminiszenzen an Schopenhauer, Egidy, Sudermann und sogar an Philosophen des grauen Altertums. Er, der angebliche Held, der in Afrika tagtäglich Gefahren bestanden, ist dort nicht, wie es den meisten Tropenkämpfern ergeht, gleichgültig gegen Leben und Tod geworden, sondern seltsam besorgt um sein bißchen Dasein und gefällt sich in unfruchtbaren Theorien.
„Berliner Tageblatt” vom 28. April 1906, 1.Beiblatt, Literarische Rundschau:
Freiherr v. Schlicht: Oberleutnant Kramer. Roman. Verlag von Heinrich Minden, Dresden und Leipzig.
Noch immer zittert leise die Erregung nach, die durch die Duelldebatten im Reichstage hervorgerufen wurden – vielleicht gerade darum, weil sie so ergebnislos geblieben sind, weil es die allgemeine Überzeugung ist, daß gesunde Vernunft und reifes Ehrgefühl auf diesem Gebiete noch lange nicht den Sieg über die Mächte der Finsternis, über anmaßendes Standesgefühl und mittelalterliche Roheit davontragen werden. Die herrschenden Stände und die Militärbehörde hatten sich mit ihrer ersten trotzigen Erklärung zum Falle Feldhaus denn doch zu weit hervorgewagt, die öffentliche Meinung und besonders das Zentrum, für das es sich hierbei um eine religiöse Überzeugung handelt, zu dreist herausgefordert. So benutzte man denn die Gelegenheit, die von den Zentrumsabgeordneten geboten wurde, um formell einen Schritt zurückzuweichen. „Das Ziel bleibt die gänzliche Abschaffung des Duells” mußte der Kriegsminister verkünden. Inzwischen aber denkt niemand daran, dem Rechtsanwalt Feldhaus die schnöde bezweifelte Ehre wieder herzustellen, obwohl er nur das gleiche mannhaft getan, was der Kriegsminister in seiner zweiten Erklärung als schönes Ziel, als gaukelnde Fata Morganader geduldigen deutschen Welt vorgezaubert hat.
In solcher Zeit tut es not, daß die mannhaften Männer dieses Landes sich zusammentun, um immer von neuem für ihre sittliche Überzeugung von der Verwerflichkeit des Duellzwanges einzutreten. Das tut Freiherr v. Schlicht in seinem Roman „Oberleutnant Kramer”. Mit außerordentlichem Geschick baut der Verfasser die spannende Handlung auf, die mit unaufhaltsamer Notwendigkeit zur Schlußkatastrophe führt: Verweigerung des Duells, schlichter Abschied. Absichtlich hat der Verfasser die beiden schlimmsten Fälle zugleich herausgegriffen: Verletzung des Gattenehre und Vorwurf der Feigheit.
Mit wuchtigen, vom tiefsten Pathos getragenen Worten verteidigt der Held des Stückes, ein vor dem Feinde verwundeter und dekorierter Offizier, seine Überzeugung, daß ein unreifer, junger Mensch durch den Vorwurf der Feigheit, den er in zänkischer und rechthaberischer Laune ohne jede materielle Unterlage ihm in das Gesicht schleudert – noch dazu während des Dienstes – nur sich selbst, aber nicht den Beleidigten entehren könne: „Unsere Ehre steht und fällt lediglich mit unserem eigenen Tun und ist unabhängig von dem Urteil der anderen.”
Der Verfasser hat als Dichter ein gutes Recht, Optimist zu sein und an die Erfüllung seiner Ideale zu glauben; er sieht bereits den Tag kommen, wo die Mehrzahl der Offiziere offen und frei ihrer Meinung von der sittlichen Verwerflichkeit des Duellzwanges Ausdruck geben werden. Ich fürchte, dieser Tag von Damaskus ist noch fern; kein deutscher Offizier kann doch wagen, sich offen zu seiner persönlichen Ansicht zu bekennen, weil man ihm selber dann sofort an den Kragen geht und ihn schimpflich aus dem Dienst jagt. Der Duellzwang hängt ab von dem Willen der Stände, die in Preußen das Heft in Händen haben, und die wollen ihn aufrechterhalten, weil er ein Stück ihres Regierungssystems, ein Stück ihres Herrenbewußtseins ist. „Es sind nicht die schlechtesten Männer, die am Duell festhalten!” rief einer dieser Männer im stolzen Gefühl seines „Besserseins” im Reichstage aus. Als ob es sich darum handelte! Ich stehe dieser Auffassung noch nahe genug, um zu begreifen, daß der einzelne unter Umständen zu diesem durch die Sitte geheiligten Mittel in heißem Rachedurste greift. Das Unsittliche beginnt da, wo in offener Verhöhnung der Gesetze der schimpflichste Zwang auf andere ausgeübt wird, sich ihrerseits dieser Sitte zu fügen.
Der Roman des Freiherrn v. Schlicht ist eine Tat, um so wertvoller, als er auch gut geschrieben ist und eine fesselnde Lektüre bildet. Ich möchte noch besonders hervorheben, daß trotz der entschiedenen Stellungnahme des Verfassers auf das deutsche Heer und sein Offizierkorps auch nicht der leiseste Flecken fällt.
„Hamburger Fremdenblatt” vom 28. April 1906:
Oberleutnant Kramer. Roman von Frhrn. v. Schlicht. Verlag von Heinrich Minden. Dresden und Leipzig 1906.
Dieser Roman richtet sich mit scharfer Tendenz gegen das Duell und behandelt eingehend die ehrengerichtlichen Bestimmungen der Offiziere. Der Verfasser legt Wert daruf, mitzuteilen, daß die Erzählung lange vor den neuerlichen Verhandlungen im Reichstage im Manuskript vorgelegen hat. Meines Erachtens ist diese Bemerkung ziemlich überflüssig, denn, wer den Roman mir Ernst prüft, wird finden, daß eine solche Arbeit nicht in wenigen Wochen „hingeworfen” werden kann: es steckt ein gut Teil Lebensphilosophie darin, die sorgfältig in die verschlungenen Phasen der Erzählung eingewirkt werden muß, wenn sie nicht lehrhaft und langweilig berühren soll. Es liegt hier aber ein Roman vor, der sowohl durch seinen geistigen Inhalt wie durch die Schilderung der Lebensgeschichte sympathischer Personen interessiert. Er dient also zugleich der Unterhaltung und der Belehrung.
Daß der Verfasser, ein ehemaliger Offizier, von einer höheren Warte aus so lebhaft gegen die kastenmäßigen Bestimmungen des Offiziersduells eintritt, das Duell als entscheidend über die Ehre eines Menschen überhaupt verwirft, ist ohne Zweifel gewichtig für alle, die unbedingte Gegner des Duells sind. Schlicht erzählt uns die Geschichte eines braven tüchtigen Offiziers, der des Friedens überdrüssig, in die Schutztruppe von Ostafrika eintritt, dort sich durch große Tapferkeit auszeichnet und verwundet wird, dann von seiner jungen Frau in Aegypten gesund gepflegt wird und schließlich in seine alte Garnison als Hauptmann wieder zurückkehrt. Die Schilderung des Garnisonslebens in einer kleinen Stadt ist, wie von dem gewandten Erzähler nicht anders zu erwarten, sehr anschaulich. Namentlich interessieren die verschiedenen Offizierstypen, die im Gegensatz zu denjenigen in Schlichts vohergegangenem Romane, nichts unsympathisches an sich haben, bis auf einen jungen zur Strafe in die kleine Garnison versetzten Gardeleutnant, der sich durch kecken Cynismus in Wort und Tat bemerkbar macht. Dieser Leutnant ist es denn auch, der den von allen Kameraden hochgeschätzten Oberleutnant Kramer in frivolster Weise beleidigt. Ein Duell ist nach den Satzungen des Ehrengerichts unvermeidlich, aber Kramer, der sich schon vorher energisch gegen das Duell erklärt hat, weil er in ihm keine Ehrenrettung erblicken kann, weil seine Ehre durch einen dummen Jungen nicht beleidigt werden kann, lehnt dieses Duell ab, und sein bester Freund, der Major, muß als Vorsitzender des Ehrengerichts selbst dafür stimmen, daß Kramer mit schlichtem Abschied entlassen wird. Ein junger Offizier, der Kramers Schwägerin liebt, gibt ebenfalls seinen Abschied, weil er die Ungerechtigkeit, unter der Kramer leidet, aufs tiefste empfindet.
Diese Affaire ist, wie man sieht, durchaus tendenziös behandelt, es sind in ihr alle Momente zusammengetragen, welche den Duellzwang der Offiziere so absurd wie möglich erscheinen lassen. Natürlich fehlt es dabei nicht an langen Auseinandersetzungen und höchst ernsthaften Vorträgen über Ehre des Menschen und der Offiziere im speziellen. Das würde in dem Roman sehr peinlich wirken, wenn der Autor es nicht verstanden hätte, diese unkünstlerische Tendenz durch die feine und liebenswürdige Darstellung rein persönlicher Verhältnisse abzuschwächen. Der Roman erzählt uns nämlich auch von einem Ehebruch, den die Frau Kramers begangen hat, als er in Afrika war, und die Schilderung der Gewissensbisse, welche die Frau Oberleutnant hat, ist tief ergreifend.
Wie alle Tendenzromane, leidet auch dieser natürlich darunter, daß die Hauptperson, welche die Trägerin der Idee ist, fast übermenschlich gut und edel ist. Einen so idealen Ofizier, wie Kramer ist, gibt's wohl kaum, aber hat man sich mit dieser Idealgestalt als wirklich existierend abgefunden, so gewinnt man doch auch ein persönliches Interesse für ihn und verfolgt seinen Kampf gegen das Duell und sein Leiden als betrogener Ehemann mit großer Spannung. Alles in allem genommen, verdient dieser Roman die Aufmerksamkeit der weitesten Kreise, in denen die Duellfrage hin und her diskutiert wird, und sei deshalb zur Lektüre warm empfohlen. O. R.
Handschreiben des Fürsten Karl zu Löwenstein,
des Ehren-Vorsitzenden der Deutschen Anti-Duell-Liga,
an den Verfasser, Graf Von Baudissin:
„Ich bin Ihnen wegen der Tendenz des Buches sehr zu Dank verpflichtet. Über Duell und Ehre sind viele vortreffliche Gedanken ausgesprochen, manche sind völlig neu, wie z.B. auf Seite 243 und 244, andere sind in neuer, überzeugender Weise durchgeführt. Ich glaube daher, daß Ihr Buch sehr dazu beitragen wird, unselige Standesvorurteile zu beseitigen und es den Gegnern des Duells zu erleichtern, in schwierigen Lagen ihrer Überzeugung und ihren Grundsätzen treu zu bleiben.
In aller Hochachtung Ew. Hochwohlgeboren ergebener
Karl Fürst zu Löwenstein.”
„Bohemia” vom 27.Juli 1911:
(Freiherr v. Schlicht als Testamentsvollstrecker v. Gaffrons.) In einem Potsdamer Blatt richtet der unter dem Namen Freiherr v. Schlicht bekannte Schriftsteller Wolf Graf v. Baudissin in Weimar an die Nachlaßgläubiger des am 10.Mai während des Zweikampfes mit dem Leutnant Oswald v. Richthofen gefallenen Leutnants a. D. und Malers Wilhelm v. Gaffron und Oberstradam die Aufforderung, etwaige Forderungen innerhalb von vier Wochen unter Nachweis der Berechtigung bei ihm als Testamentsvollstrecker geltend zu machen.
Über das Duell Richthofen-Gaffron fand ich folgenden Bericht (auf: www.luise-berlin.de/bms/bmstxt01/01072gese.htm):
Horst Wagner:
Nach dem Duell das Kriegsgericht
Der Streit zwischen Oswald von Richthofen und Wilhelm von Gaffron
„Das Duell Richthofen-Gaffron vor dem Kriegsgericht” titelte der „Berliner Lokal-Anzeiger” in seiner Abendausgabe vom Mittwoch, dem 19. Juli 1911, in besonders großen Lettern. Auch in der seriösen „Vossischen Zeitung” war der Bericht aus dem Verhandlungssaal der Landwehr-Inspektion in der Papestraße auffälliger aufgemacht als Gerichts-Informationen sonst.
Das außergewöhnliche Medieninteresse verwundert nicht. Handelte es sich doch bei dem nach § 206 des Reichsstrafgesetzbuches („Wer seinen Gegner im Zweikampf tötet, wird mit Festungshaft nicht unter zwei Jahren bestraft”) Verurteilten um keinen Geringeren als den Freiherrn Oswald von Richthofen (1878-1953), einen Sohn des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt. Und die „Ehrensache”, um die es beim Duell ging, war ein Streit um ein Darlehen, für das der Todesschütze die Erbschaft seines höchstbeamteten Vaters verpfändet hatte. Das Duell hatte reichlich zwei Monaten zuvor, am 10. Mai, in der Jungfernheide stattgefunden. Der eigentliche Anlass lag allerdings schon drei Jahre zurück.
Es war im Jahre 1908, als Freiherr von Richthofen junior, zu dieser Zeit 23 Jahre alt und Leutnant im 2. Ulanen-Garderegiment, den ihm aus Sportwettkämpfen bekannten Wilhelm von Gaffron, ebenfalls im Offiziersrang und gelegentlicher Kunstmaler (er hatte auch schon mal Wilhelm II. porträtiert), um ein Darlehen von 25 000 Reichsmark bat, „um seine drückenden Schulden tilgen zu können. Er deutete an, daß er mit ziemlicher Sicherheit darauf rechne, eine reiche Amerikanerin zu heiraten, wodurch er in die Lage käme, das Darlehen zurückzuzahlen”, wie es im Lokal-Anzeiger hieß. Herrn von Gaffron schien das keine ausreichende Bürgschaft. Darauf bot Richthofen, wie der „Lokal-Anzeiger” weiter berichtete, „zur Sicherheit eine ihm zustehende, von seinem Vater, dem verstorbenen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, herrührende Erbschaft im Werte von mehr als 40 000 Mark an, die nach fünf Jahren auszuzahlen sei”. Damit erklärte sich Gaffron einverstanden. Es wurden fünf Prozent Jahreszinsen für das Darlehen vereinbart, und ein Notar besiegelte unter dem Datum des 22. Juni 1908 den Handel. Allerdings brachte dieser das Ganze, da die Verpfändung einer Erbschaft juristisch nicht möglich sei, in die Form eines Kaufvertrages. Genauer gesagt, es wurden zwei Verträge geschlossen, der eine, um den rechtlichen Schein zu wahren, über die ganzen 40 000 Mark; der andere, unter der Hand, über 25 000 Mark, die Richthofen tatsächlich bekam.
Im November 1908 reiste Richthofen nicht zwecks Heirat nach Amerika, sondern zwecks Jagd- und anderer Vergnügungen nach Afrika. Inzwischen hatte es um das zweifelhafte Darlehensgeschäft allerhand Tuscheleien im gesellschaftlichen Umfeld des Herrn Gaffron gegeben, und Oswald von Richthofen hatte seinen Brüdern offenbaren müssen, dass er für die Erbschaft nicht 40 000 sondern nur 25 000 Mark erhalten habe, was nun wieder Gaffron nicht wahrhaben wollte. Er schrieb Richthofen mehrere Briefe, in denen er ihn beschuldigte, seinen, Gaffrons, guten Ruf zu schädigen, und drohte wohl auch mit einem Duell. Richthofen war darob sehr ungehalten und forderte nun seinerseits Genugtuung. Nachdem Richthofen im Oktober 1909 nach Berlin zurückgekehrt war, besuchte er am 8. November mit einem Regimentskameraden das Weinrestaurant „Traube”. „Da sah ich Herrn Gaffron eintreten”, so Richthofen bei seiner Vernehmung. „Ich sah absichtlich weg und las die Speisekarte, bemerkte dabei nicht, dass Herr von Gaffron in einem Bogen zu mir herantrat. Hastig sagte er zu mir: Sie haben mir einen Brief geschrieben. Hier haben Sie die Antwort - und schlug mir ins Auge.” Bevor noch Richthofen oder sein Regimentskamerad reagieren konnten, war der Angreifer aus dem Lokal heraus und in seinem Auto weggefahren. Schon am nächsten Morgen schickte Richthofen Gaffron eine Duellforderung. Dieser nahm nicht an, weil Richthofen nicht „satisfaktionsfähig” sei, und wurde erst einmal in einem von Richthofen angestrengten Beleidigungsprozeß zu 500 Mark Geldstrafe verurteilt, forderte aber wieder seinerseits Richthofen zum Duell. Dieses fand am 10. Mai 1911, morgens 4 Uhr, in der Jungfernheide statt. Die Bedingungen lauteten: 15 Schritt Distanz und Kugelwechsel bis zur Kampfunfähigkeit. Sie galten als außergewöhnlich schwer und waren auf Forderung von Gaffron gewählt worden, der als guter Schütze bekannt war. Der erste Kugelwechsel blieb folgenlos. Beim zweiten wurde Gaffron tödlich getroffen.
Am 19. Juli dann also der Prozess vor dem Kriegsgericht. „Der Angeklagte erscheint wenige Minuten vor 10 Uhr”, kann man darüber im „Lokal-Anzeiger” lesen. „Er hat den Dienstanzug angelegt mit Feldbinde und Orden. Die Brust ziert das goldene Bandolier. Er ist ein großer schlanker Mann in der Mitte der zwanziger Jahre. Das Monokel sitzt fest im Auge.” Nach kurzer Vernehmung des Angeklagten und den Aussagen der Zeugen erging nach einigen Stunden schon das Urteil. Das unterste Strafmaß - zwei Jahre Festungshaft - sei gewählt worden, so hieß es in der Begründung, weil Richthofens Duellgegner Gaffron „nicht als Kavalier” gehandelt habe, als er Richthofen 25 000 Mark lieh, aber 40 000 zurückverlangte.
© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7-2/2001
Ausführliche Berichte findet man in der Tagespresse Berlins (z.b. Berliner Tageblatt, Norddeutsche Allgemeine) vom 19.Juli 1911. Dort ist allerdings als Testamentsvollstrecker der Rechtsbeistand von Wilhelm v. Gaffron, Lt.d.Res. v. Holz, genannt.