Drei Worte.

Militärische Humoreske von Freiherrn von Schlicht.
in: „Montags-Zeitung” vom 14.06.1897,
in: „Abendblatt”, (Chicago Ill.), vom 24. und 25.06.1897 und
in: „Türke und Stachelschwein”


„Drei Worte nenn' ich euch inhaltsschwer,
   Sie gehen von Munde zu Munde,
Doch stammen sie nicht von „Muschko” her;
   Der Obere giebt davon Kunde.
Dem Soldaten ist aller Wert geraubt,
   Wenn er nicht mehr an die drei Worte glaubt.”

Ich bitte die Manen Friedrich von Schillers wegen dieser Travestie — oder ist in diesem Falle Parodie richtiger? — um Verzeihung. Aber was soll ein armer Skribifax bei diesen schlechten Zeiten machen — einen Anfang muß doch die Plauderei haben, und so nimmt man halt den, der einem einfällt. —

Als ich bis zu diesem Gedankenstrich gekommen war, beschaute ich das Werk meiner Hände und sank beinahe ohnmächtig in mich zusammen, denn ganz ohne es zu wollen, habe ich im ersten Satz ja die drei geheimnisvollen Worte schon genannt.Und ich wollte sie noch verschweigen, so lange es irgend ging, die Neugierde auf das Aeußerste zu erregen versuchen, die Neugierde der etwaigen Leser so weit treiben, daß sie mir zuzurufen hätten: „Bitte, bitte, ich verzehre mich vor Ungeduld, ich schenke Ihnen eine Million, aber dann sagen Sie mir, bitte, die drei Worte.”

Ich hätte dann kaltblütig die mir geschenkten Millionen in die schon von meinem Schneider zu diesem Zweck ganz gewaltig erweiterten Hosentaschen gesteckt, hätte mich als Rentier etabliert und sonst noch allerhand Unfug getrieben.

Dann erst hätte ich die drei Worte verraten.

Da ich durch meine Indiskretion mich selbst der Möglichkeit beraubt habe, Millioneser zu werden, hat es ja gar keinen Zweck, noch zu schweigen.

Und darum sei es hier gesagt, die drei Worte heißen:

„In diesem Falle.”

Der Herr Assessor, Lieutenant der Reserve, ist zu einer achtwöchentlichen Uebung eingezogen, und stolz wie Mars schlendert er, da er keinen Dienst hat, durch die Straßen der Stadt. Unterwegs begegnet ihm die Ordonnanz mit dem Parolebuch.

„Na, geben Sie mal her, mein Sohn, was treibt man denn morgen für'n Unfug . . .”

Mit souverainem Lächeln blickt er in das Buch der Bücher, aber das Lächeln erstirbt gar bald, und wenn die Ordonnanz nicht zuspränge, würde der Herr Lieutenant sicherlich vor Schrecken umfallen.

Denn die Schreckenskunde lautet: „Morgen früh ist Bataillonsexerzieren.”

Zum Ueberfluß fällt ihm aus einem Lied über die Reserveoffiziere noch ein schöner Vers ein, den er vor einiger Zeit einmal irgendwo gelesen hat und der da lautet:

„Zum Exerzieren rückt das Bataillon,
   Sein Selbstgefühl sieht er da plötzlich schwinden,
Und auch der Kompagniechef murmelt still:
   Gott schütze Sie, das Weitere wird sich finden.
Das findet sich denn auch gewöhnlich bald,
   denn unserem bied'ren Reservistenonkel
Ist meistenteils des Dienstes Reglement
   sehr schleierhaft, um nicht zu sagen: donkel!”

So steht der Herr Lieutenant d.R. am nächsten Morgen ziemlich beschneit neben seinem Zuge und wartet auf den Augenblick, da abgerückt wird.

Da fällt ihm noch etwas sehr Wichtiges ein. Seine Augen schweifen umher, endlich hat er seinen Burschen gefunden, den er suchte.

Er ruft ihn zu sich heran: „Meier, haben wir auch den Kognak mit?”

„Zu Befehl, Herr Lieutenant.”

„Na, dann geht's ja wenigstens noch,” sagt der Lieutenant, und wohlgemut zieht er wenig später mit dem Bataillon zusammen ins Gelände.

Ein Gefecht macht den Anfang des heutigen Exerzierens.

Der Herr Lieutenant d.R. führt den dritten Zug der Kompagnie, der erst ganz zuletzt, unter Umständen auch gar nicht, in Schützen aufgelöst wird.

„Herr Lieutenant, Sie folgen mit Ihrem Zug als Unterstützungstrupp.”

„Mit Wollust,” denkt der Lieutenant, „wenn ich nur eine Ahnung hätte, was ich da zu thun habe.”

Der Hauptmann liest in dem Gesicht seines Untergebenen, was in dessen Seele vorgeht, und so sagt er denn: „Bleiben Sie nur immer mit Ihrem Zuge 200 Meter hinter mir, das Weitere wird sich schon historisch entwickeln.”

Das Gefecht beginnt und damit das Vorgehen des Unterstützungstrupps; liegen vorne die Schützen und feuern, so geht der Herr Lieutenant vor; laufen die Schützen vorne, bleibt der Herr Lieutenant mit seinem Zuge liegen.

Selbst Napoleon hätte nicht richtiger und sachgemäßer mit seinen Truppen operieren können.

Soweit war ja alles schön, nun aber ist der Augenblick der „historischen Entwicklung” gekommen.

Dem Herrn Lieutenant fängt an, etwas „mau” zu werden. Die Schützenlinie vorne ist schon bis auf 150 Meter an den Feind herangekommen und verschießt alle Patronen, die sie noch hat.

Der Herr Lieutenant liet mit seinem geschlossenen Zuge noch immer als Unterstützungstrupp.

In ihm dämmert es, daß ein Weiserer an seiner Stelle sich vielleicht weiser benehmen würde.

„Wir müssen vorgehen, Herr Lieutenant,” ruft ein Unteroffizier.

„Nein, heranlaufen,” sagt ein zweiter.

„Sturmangriff mit tambour battant, nun man los,” knurrt der Bataillonstambour laut und vernehmlich hinter der Front.

Der Lieutenant hört alles — was soll er thun — hilfesuchend sieht er sich im Gelände um.

Da bemerkt er seinen Hauptmann.

Aber was hat denn der nur?

Mit beiden Armen fuchtelt er in der Luft herum, bald kreuzt er sie vor der Mitte des Leibes, bald streckt er sie meilenweit zur Seite.

„Der ist verrückt geworden,” denkt der Lieutenant, „der macht ja Schwimmübungen in der Luft.”

Der Hauptmann wird immer unruhiger, er zappelt mit den Armen, nickt mit dem Kopf, strampelt auf dem Gaul mit den Beinen, — was ist denn los?

„Herr Lieutenant, ich glaube der Herr Hauptmann winkt,” bemerkt da ein Unteroffizier.

Der Herr Lieutenant thut sehr erstaunt: „Der Hauptmann winkt? Wo denn, wo? Ach so, da, ja, ja, nun sehe ich, aber was winkt er?”

„Wir sollen antreten, Herr Lieutenant.”

„Schön, aber wie?”

„Irgendwie, Herr Lieutenant, entweder im Schritt, oder im Laufschritt.”

„Aber wie denn nur?”

Ungeduldig stampft er Herr Lieutenant der Reserve mit den Füßen auf die Erde. „Zum Donnerwetter noch mal, Schritt oder Laufschritt.”

Niemand antwortet; da fällt ihm das einfachste Mittel ein, das es giebt, um endlich zu einem definitiven Entschluß zu kommen, er zählt an den Knöpfen seines Waffenrockes ab und nimmt dann das Gegenteil von dem, was die Knöpfe sagen. So macht er es auch immer in seinem Civilberuf.

Der letzte Knopf sagt: Laufschritt — folglich beschließt er, im Schritt vorzugehen, und er tritt gleich darauf mit seiner Heldenschar an.

Als der Hauptmann ihn ankommen sieht, läßt er die Arme schlaff zur Erde niederhängen und seine Figur sinkt auf dem Gaul in sich zusammen.

„Gott sei Dank,” denkt der Lieutenant, „nun hat sich sein Gemüt beruhigt, nun erholt er sich von dem vielen Winken.”

Das Signal „Halt” beendet das Gefecht, und man versammelt sich um den Herrn Major zur Kritik.

„Meine Herren, ich möchte mir erlauben, den Gang des heutigen Gefechtes in aller Kürze noch einmal mit Ihnen durchzubesprechen. Aber ich bitte, daß die Herren bequem stehen, wenn Sie rauchen wollen, bitte, genieren Sie sich nicht.”

Und man geniert sich nicht, man zündet sich seinen Tabak an, sieht den blauen Wolken nach und könnte so glücklich sein, wenn der Major nur nicht „quasseln” wollte.

Seine Lieutenants kennen das schon: wenn der Major erst einmal redet, hört er fürs erste nicht wieder auf. So kommen sie denn auch stets eine Stunde später vom Exerzierplatz fort als die anderen Bataillone.

Dafür rücken sie selbst aber auch eine Stunde früher hin.

„Darf ich Sie fragen, Herr Hauptmann, warum Sie gegen die Artillerie gleich die ganze Kompagnie entwickelten?”

Der Hauptmann setzt seine Gründe auseinander, und andächtig lauscht der Herr Major.

„Ich bin mit dem, was Sie da sagen, voll und ganz einverstanden, aber ich stelle es der Erwägung anheim, ob es in diesem Falle nicht doch besser gewesen wäre, wenn Sie zunächst nur zwei Züge entwickelt und den dritten vorläufig noch geschlossen behalten hätten. Wie gesagt, es ist dies nur meine ganz subjektive Meinung, aber in diesem Falle wäre sie vielleicht doch die richtigere gewesen.”

Der Hauptmann denkt sich sein Teil und sagt nur: „Zu Befehl.”

Hätte er nur zwei Züge entwickelt, wie der Major es ihm eben riet, so würde er gesagt haben: „In diesem Falle wäre es doch wohl richtiger gewesen, gleich die ganze Kom0pagnie einzusetzen.”

Der Hauptmann ist ein viel zu alter Soldat, um jemals zu widersprechen, das hält nur das Geschäft auf, Recht bekommt er ja doch nicht, das weiß er ganz genau.

Anders der Herr Lieutenant der Reserve, der hat sich von seinem Burschen die Kognakflasche geben lassen und sich Mut getrunken.

Kaum hatte der Major seine Rede beendet, daß der Unterstützungstrupp in diesem Falle unbedingt hätte im Laufschritt vorgehen müssen, als der Herr Assessor, pardon, der Herr Lieutenant, sich zu einer großen Verteidigungsrede anschickt.

Da kommt er aber schön an, der Herr Major wird sackgrob, verbietet sich jede Widerrede, und der Herr Lieutenant bekehrt sich allmählich zu der Ansicht, daß es in diesem Falle doch besser gewesen wäre, den Mund zu halten.

In einem Regiment passierte einmal eine seltsame Geschichte.

Ein Hauptmann sollte seine Sommerübung machen und bekam von dem Oberstlieutenant, der die Aufgeben stellte, versehentlich denselben Auftrag, den er im Jahre vorher auch schon gehabt hatte.

Die Sache stimmte aufs Wort überein.

Wer war glücklicher in Europa als der Hauptmann?

Er holte sich seine Arbeit vom vergangenen Jahr hervor, las sehr aufmerksam die Bemerkungen, die der Herr Oberstlieutenant am Fuß der Ausarbeitung niedergeschrieben hatte und löste dann am nächsten Tage die Aufgabe so, wie er sie nach Ansicht des Herrn Oberstlieutenant schon im vergangenen Jahre hätte lösen müssen.

Im Geiste sah er sich schon vorpatentiert und zum Generalstab kommandiert.

Aber unbegreiflicherweise erntete er bei der Kritik kein Lob, im Gegenteil, der Herr Oberstlieutenant war mit dem, was der Herr Hauptmann in diesem Falle angeordnet hatte, ganz und gar nicht zufrieden und riß ihn mächtig herunter.

Der Häuptling schäumte vor Wut, und da der Oberst nicht zur Stelle war, sagte er, als der Oberstlieutenant geredet: „Ich bitte ganz gehorsamst um Verzeihung, aber ich möchte mir eine ergebene Anfrage erlauben.”

„Bitte sehr,” lautete der Bescheid.

Und der Herr Hauptmann schüttete sein Herz aus: „Im vorigen Jahre sei ihm gesagt worden, in diesem Falle hätte er es so machen müssen, wie er es heute gemacht habe und nun werde ihm gesagt, in diesem Falle hätte er es so machen müssen, wie er es im vergangenen Jahre gemacht habe. Das sei doch Unfug!”

Aber der Herr Oberstlieutenant war nicht um die Antwort verlegen: Zunächt schnauzte er den Hauptmann mächtig an, daß dieser es wage, ihn wegen seiner Kritik zur Rede zu stellen, dann aber sagte er: „Ich erinnere mich der vorjährigen Uebung ganz genau — ich habe Ihnen absichtlich denselben Auftrag wieder gegeben — Sie müssen nicht glauben, daß das ein Zufall ist, Herr Hauptmann, im Gegenteil, es ist sehr wohl überlegt.”

„Mensch, wie kannst du lügen,” denkt der Häuptling, und der Oberstlieutenant fährt fort:

„Im vorigen Jahr, Herr Hauptmann, herrschte bei der Uebung eine glühende Hitze, während es heute, wenn auch sehr warm, es doch nicht so warm ist wie im vorigen Jahre.”

Der Oberstlieutenant ist glücklich, eine Ausrede gefunden zu haben und sagt: „Ich hätte es eigentlich als selbstverständlich angenommen, daß ein so alter Offizier wie Sie, Herr Hauptmann, gewußt hätte, welchen Einfluß die Wärme auf die Leistungsfähigkeit der Leute ausübt. Mich nimmt es sehr Wunder, Herr hauptmann, daß Sie das nicht wissen. Ich betonte schon vorhin, daß es heute nicht ganz so warm sei, wie im vergangenen Jahr, das letzte Mal waren es wenigstens 29 Grad, während wir heute kaum 28½ Grad haben, und glauben Sie mir, meine Herren, das macht schon einen enormen Unterschied, die Mannschaften sind frischer und lebendiger, man kann mehr von ihnen verlangen, und deshalb, Herr Hauptmann, hätte ich in diesem Falle meinen Auftrag so gelöst, wie ich es Ihnen auseinandergesetzt habe. Ich hoffe, Sie werden mir nun recht geben?”

„Da wäre ich ja ebenso thöricht wie Sie,” will der Hauptmann sagen, aber er sagt es nicht. Es hat ja keinen Zweck, noch lange zu streiten, so sagt er nur sein „Zu Befehl” und die Angelegenheit ist erledigt.

Bevor der Hauptmann aber mit seinen Truppen abrückt, zieht er einen Thermometer aus der Tasche.

„Was machen Sie denn da, Herr Hauptmann?” fragt der Oberstlieutenant.

„Ich messe nur die Temperatur, Herr Oberstlieutenant, damit ich, wenn ich im nächsten Jahr wieder absichtlich denselben Auftrag bekomme, meine Maßnahmen zunächst an dem Thermometer ablesen kann.”

Der Hieb saß, und der Herr Oberstlieutenant wandte sein Pferd und ritt von dannen.

Recht hatte er aber „in diesem Falle” doch behalten.

Es ist sehr schwer, von Fall zu Fall unterscheiden zu können, natürlich nur für die Untergebenen, die Vorgesetzten können auch dies wie so vieles andere — nein, wie alles andere.

Im Manöver war es, und der Herr General hielt die Kritik ab: „Meine Herre, und dann noch eins, was ich beinahe vergessen hätte. Meine Herren, es handelt sich, wenn ich so sagen darf, um eine rein private Sache. Meine Herren, Sie alle wissen, daß ich die Ehre habe, Ihr Vorgesetzter zu sein — mögen Sie mich nun lieben oder mögen Sie mich nun hassen, das lasse ich dahingestellt sein, es ist ja an und für sich auch ganz gleichgültig, es ändert nichts an der Thatsache, daß ich Ihr Vorgesetzter bin, und als solcher, meine Herren, wünsche ich von Ihnen respektiert zu werden, wenigstens äußerlich.”

Der Herr General schweigt und läßt seinen Untergebenen Zeit, diese Worte zu „verdauen”, dann fährt er fort:

„Meine Herren, zu dem Respekt, den ich von Ihnen verlange, gehört, daß Sie mich grüßen, daß Sie mir jene Ehrenbezeugung erweisen, die mir zusteht. Und zwar verlange ich, daß Sie mir den Gruß nicht nur dann entbieten, wenn Sie allein gehen oder reiten, sondern auch dann, wenn Sie sich an der Spitze Ihrer Kompagnie befinden.”

Wieder schweigt er und sieht sich suchend im Kreise um: „Ach, sieh da, Herr Hauptmann, da sind Sie ja — darf ich Sie fragen, warum Sie neulich nicht ,Augen rechts' kommandiert haben, als Sie mit Ihrer Kompagnie an mir vorbeimarschierten.”

„Verzeihung,” stottert der arme Häuptling, „ich habe den Herrn General gar nicht bemerkt.

„Herr,” donnert der Vorgesetzte los, „so sperren Sie gefälligst die Augen auf — was ich von jeem Rekruten verlangen kann, das muß ich von einem Hauptmann und Kompagniechef erst recht verlangen können. Ich danke Ihnen sehr, meine Herren.”

Der Herr General reitet von dannen, und der arme Häuptling bleibt vernichtet stehen — na, an den Anpfiff will er denken, und in seinem Vorhaben wird er bestärkt durch seinen Herrn Oberst und durch seinen Bataillons­kommandeur, die ihm kraft ihres Amtes auch noch gehörig eins auf den Chapeauhut geben. Sie haben ja die Macht dazu in Händen.

Am nächsten Morgen marschiert der Herr Hauptmann mit seiner Kompagnie durchs Gelände, um sich zu dem befohlenen Rendezvous-Platz, an dem sich das Detachement sammelt, zu begeben. Er benutzt denselben Weg, den auch der Herr General reiten muß. Er ist höllisch auf dem Quivive, denn zum zweitenmal will er sich nicht so anschnauzen lassen.

Seine Augen suchen das ganze Gelände ab, er sieht nach vorn, rechts und links und nach hinten, er findet vom General keine Spur.

Da weiten sich plötzlich seine Augen: vor sich auf der Chaussee sieht er die Stabsordonnanz des Herrn Generals zu Pferde halten, am Zügel hält er das ihm wohlbekannte Generalspferd.

Da muß der Herr General doch auch in der Nähe sein, aber wo, wo?

Er stellt sich in die Bügel und sieht ein Loch in die Natur, und nun entdeckt er, was er sucht.

Der Herr General hat sich hinter einen Zaun begeben und geht dort suchend auf und ab — was sucht er nur? Jetzt scheint er es gefunden zu haben, denn er bleibt plötzlich stehen, schnallt seinen Säbel ab, legt ihn neben sich auf die Erde und öffnet dann die Knöpfe seines Waffenrockes.

Was der General dann noch thut, entzieht sich den Augen des Hauptmannes, denn der General wird unbegreiflicherweise immer kleiner und kleiner.

Das ist doch zu merkwürdig.

Die Kompagnie setzt unterdessen den Marsch ruhig weiter fort. Schon als der Hauptmann die Generalspferde sah, hat er aus lauter Hochachtung vor diesen Tieren Tritt fassen lassen, obgleich er sehr genau weiß, daß es gegen die Vorschrift ist und daß er „in diesem Falle” nur nötig hätte, zu melden. Aber ist er das letzte Mal zu wenig höflich gewesen, so will er es dieses Mal lieber ein bißchen zu viel sein.

Wo steckt der General denn nur?

Da sieht er plötzlich durch das nicht allzudichte Gebüsch die Rockknöpfe des Herrn Generals schimmern.

Na, wo der Rock ist, da ist doch sicher auch der General, und so kommandiert denn der Hauptmann mit Stentorstimme: „Augen links!” und im Parademarsch marschiert die Kompagnie bei dem Herrn General vorbei.

Dann kam das Kommando „Rührt euch — Marschordnung” und frohlockend sprach der Hauptmann zu seinen Lieutenants:

„Kinder, das haben wir fein gemacht.”

Aber der Herr General war in diesem Falle anderer Ansicht — im Galopp sprengte er wenige Minuten später bei der Kompagnie vorbei und rief dem Häuptling ein vielverheißendes „Wir sprechen uns nachher noch, Herr Hauptmann,” zu.

Nie hat der Hauptmann verraten, was der General zu ihm gesagt hat — viel Schönes scheint es also nicht gewesen zu sein — aber bis an sein Lebensende wußte der Hauptmann nicht, warum gerade in diesem Falle der General so saugrob gewesen war.

Und ich als sein Chronikschreiber weiß es auch nicht.

Man sieht auch hieraus, wie schwer es ist, den Vorgesetzten etwas recht zu machen, und wie es fast unmöglich ist, von den vielen Fällen, die es giebt, gerade den herauszufinden, der in diesem Falle der richtige ist.

„Meine Herren,” sagt der Oberst zu seinem Offizierkorps, „es ist heute morgen vom General­kommando ein Schreiben eingelaufen, daß im Bereiche des Armeekorps zwei Stellen bei einem Bezirkskommando offen werden. Fühlt einer der Herren das Bedürfnis, sich von den Strapazen des aktiven Dienstes auszuruhen, so bitte ich, es gleich zu sagen.”

Niemand meldete sich, jeder will doch gerne so lange wie irgend möglich dienen, schon um eine möglichst hohe Pension zu bekommen, und Bezirksoffizier werden und den ganzen Tag hinter dem Schreibtisch zu sitzen, ist auch nicht jedermanns Sache.

„Nun, meine Herren,” fragt der Oberst, „fühlen Sie sich alle noch so frisch und jugendlich? Das freut mich aufrichtig, aber in diesem Falle bin ich zu meinem Bedauern gezwungen, aus eigener Initiative zwei Herren des Regiments namhaft zu machen, denn es ist Befehl, daß unser Regiment die Stellen besetzt.”

Brrrrrr.

Dagegen läßt sich nichts machen, und so erfahren denn nach einiger Zeit zwei Herren, daß sie mit Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand „zum Bezirkskommando” eingegeben sind.

So ist für sie dieser Fall eine Falle geworden, und das ist häufig so, Gott sei Dank nicht immer.

Je jünger der Soldat ist, desto mehr glaubt er an die drei Worte: Der junge Offizier schwört Stein und Bein darauf, daß es „in diesem Falle besser so gewesen wäre, wie der Herr Major” es meint.

Je länger aber der Offizier dient, desto mehr schwindet ihm der Glaube, desto mehr kommt er zu der Ueberzeugung, daß nicht alles God ist, was glänzt, und daß nicht alles, was die Vorgesetzten sagen, richtig ist.

Das soll absolut keinTadel für die Vorgesetzten sein, denn auch sie sind Menschen und können irren.

Sie verlangen es auch gar nicht, daß man ihnen alles glaubt — i, wo werden sie denn — man darf seine Ungläubigkeit nur nicht allzu deutlich zeigen.

Denken darf man beim Militär alles, was man will, man darf seine Gedanken nur nicht verraten, weder durch Worte, Blicke noch Gebärden. Das verbietet die Subordination.

Und unter Subordination versteht man im allgemeinen und in diesem Falle besonders das Bestreben, stets dümmer zu erscheinen, als der Vorgesetzte wirklich ist.

Das ist manchmal gar nicht so leicht, wie es aussieht, aber dennoch ist es in solchem Falle am besten, man schweigt.

Und das will ich „in diesem Falle” nun auch thun.


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© Karlheinz Everts