Der neue Avantageur.

Von Freiherrn von Schlicht.
in: „Simplicissimus”, IX.Jahrgg. Nr. 45, 31.Jan. 1905, S. 443 und
in: „Der Dichterleutnant”


Bei den Kürassieren hatte sich ein neuer Avantageur angemeldet, denn Fahnenjunker, wie die Fähnriche sonst genannt werden, gibt es nicht bei der Kavallerie, weil diese nur eine Standarte haben, und weil trotz aller Verehrung für diese das Pferd doch stets die Hauptsache bleibt. Na, und Pferdejunker würde sich so anhören wie, na ja wie Pferdejunge, und wenn man auch als Kavallerist einen derartigen Bengel nicht über die Schulter ansieht, sondern unter gewissen Umständen sogar Freundschaft mit ihm pflegt, so wäre das Wort Pferdejunker doch immerhin keine ganz standesgemäße Bezeichnung für einen zukünftigen Kameraden. Und an dem mußte alles standesgemäß sein, sonst nahmen die Kürassiere ihn nicht, das war eine ausgemachte Sache, und so hatte man den jungen Mann denn aufgefordert, sich einmal persönlich beim Regiment vorzustellen, bevor man sich definitiv über seine Annahme entscheide. Im großen und ganzen war ja freilich alles da, was verlangt wurde, alter Adel, viel Geld, gute Erscheinung, aber besser war es doch immerhin, man sah sich den jungen Mann mal erst daraufhin an, was er für 'ne Kinderstube genossen hätte und wie er so überhaupt wäre. Ehe man in ein so vornehmes Regiment 'nen neuen Kameraden aufnimmt, da will und muß man doch auch die totsichere Gewißheit haben, daß man in jeder Hinsicht sicher geht. So tauchte Benno von Bewitz denn eines Tages in der Garnison auf, selbstverständlich noch als Zivilist, und da man seine Uniform nicht mustern konnte, musterte man sein Zivil. Und die Kürassiere verstanden etwas vom Zivil, denn die böse Welt behauptete, sie gingen eigentlich immer in Zivil, und selbst, wenn sie in Uniform wären, hätten sie diese nur über das Zivil gezogen. So waren sie Kenner und als solche mußten sie sagen: der zukünftige Kamerad war wirklich tadellos angezogen.

„Wo lassen Sie denn arbeiten, Herr von Bewitz?”

„Bei Pool in London, Herr Graf.”

„Hab' ich mir gleich gedacht. En anderer Mensch kann übehaupt gar keine Beinkleider bauen, bei 'nen andern werden es immer nur Hosen, na, und 'ne Hose trägt 'nen anständiger Mensch doch überhaupt nicht.”

„Ganz meine Ansicht, Herr Graf.”

Der Graf warf dem guten Benno einen Blick der Anerkennung zu, der Mann gefiel ihm, und er gefiel den anderen Herren auch. An seiner ganzen Erscheinung war nichts auszusetzen, tadellos gewachsen und tadellos gekleidet, und ein Krawattensitz, der sich selbst in Berlin sehen lassen konnte, und der Kerl selbst genau so, wie es sich für einen Kürassier gehört, groß, breitschultrig, famoser Brustkasten, tadellose Beine und frisches, offenes Gesicht. Er hatte große, blaue Augen, aber in diesen Augen schlummerte etwas, das den Regiments­adjutanten veranlaßte, seinen Nachbar zu fragen: „Ob er wohl klug ist?”

Der bekam das Lachen: „Sie, Graf, Sie sind doch furchtbar komisch. Sie haben doch wirklich manchmal sonderbare Einfälle. Was soll denn das nun wieder — ,ob er wohl klug ist', darauf kommt's doch gar nicht an.”

„Ganz meine Ansicht,” meinte ein anderer. „Die geistige Belastung, mit der man auf der Schule vollgeladen wird, kommt mir immer vor wie überflüssiger Ballast, den Luftschiffer aus der Gondel herausschmeißen. Sehen Sie, und je weniger Ballast, je höher steigt man.”

„Wirklich hübsch gesagt,” meinte ein anderer, „ist der Satz von Ihnen, Baron?”

Der wehrte ab: „Gänzlich im Gegenteil, habe ihn neulich mal in der Lesehalle gelesen.”

„In der Lesehalle? Seit wann besuchen Sie denn die?”

Der Baron machte sein schlaustes Gesicht: „Famoser Witz, was? Lesehalle nenne ich neuesten Datums jenes gewisse Lokal, na, Sie wissen ja, wo außer dem Seidenpapier meistens auch noch Zeitungspapier an der Wand hängt. Kann wohl sagen, habe da während der Sitzung schon manches kostbare Wort gelesen.”

Dann kam man wieder auf den zukünftigen Fähnrich zurück, der zwischen den jüngsten Offizieren saß.

„Das muß man ihm lassen, essen tut er tadellos. Haben Sie gesehen, wie er den Fisch zerlegte und das Geflügel aß? Wirklich ganz brillant. Hat anscheinend 'ne tadellose Kinderstube gehabt. Na, nun wollen wir mal sehen, wie er sich beim Trinken benimmt.”

Und man begann ihm zuzutrinken. Benno war in dieser Hinsicht auf alles vorbereitet, er wußte, man würde versuchen, ihn betrunken zu machen, um dann zu sehen, wie er sich in der Bezechtheit benähme, ob er da Streit anfinge, oder ob er da der Gentleman bliebe, der er war. So hatte er sich denn auf den heutigen Tag gewissermaßen präpariert, er war in der letzten Zeit sehr mäßig gewesen, er hatte viel gegessen, aber fast gar nichts getrunken, und so setzte er denn jetzt die Herren durch das, was er vertragen konnte, in Erstaunen. Er trank und trank, aber er blieb total nüchtern.

„Der Mensch hat weiß Gott 'ne tadellose Erziehung,” meinte der Graf, „dumm scheint er mir zwar zu sein, das kann ich nicht ändern, aber sonst, alle Hochachtung!”

Bei dem Versuch, den zukünftigen Fähnrich bezecht zu machen, hatte sich ein junger Leutnant selbst die Nase begossen, und das verdarb ihm die Laune. So wandte er sich denn an den Assistenzarzt: „Sie, Doktor, Sie sind doch ein gebildeter Mensch, nehmen Sie doch mal die Körperlänge von dem Fähnrich, dazu den Brustumfang und die Taillenweite, erheben Sie das in die dritte Potenz, ziehen Sie aus der Magenweite die Kubikwurzel, und dann sagen Sie mal unter dem Siegel der Verschwiegenheit, wann wird der gute Bewitz denn eigentlich voll sein? Ist ja widerlich! Wenn der jetzt schon so viel vertragen kann, was kann er denn erst als Leutnant trinken. Einfach scheußlich, aber imponieren tut mir diese trinkfeste Säule in der Brandung des Ozeans doch.”

Er imponierte überhaupt allen, die ganze Art und Weise, wie er jedesmal aufsprang und sein Glas auf einen Zug leerte, wie er nüchtern blieb, bescheiden in seinen Reden, na, überhaupt, er gefiel.

„Werde ihn allen Ernstes morgen dem Kommandeur sehr warm empfehlen,” meinte der gräfliche Adjutant. „Eine bessere Akquisition kann das Regiment gar nicht machen. Was der später für ein Glück bei den Weibern haben wird, da könnte man schon jetzt eifersüchtig werden.”

Der andere stöhnte schwer auf: „Ja, ja, wir haben das Glück hinter uns, aber gehabt haben wir es auch, es war doch schön.”

„Und ob.”

Und beide Herren versanken in tiefes Nachdenken und beschworen Jugend­erinnerungen herauf, und beide lächelten in seliger Erinnerung still vor sich hin.

„Wissen Sie, es ist doch eigentlich sehr schön, Offizier zu sein.”

„Wie kommen Sie plötzlich darauf?” fragte der Graf.

„Na, ich meine nur, wer weiß, ob wir sonst all die Weiber bekommen hätten.”

Der Graf nickte beistimmend: „Ja, wenn Sie so meinen, dann allerdings.” Und wieder dachten sie an die schönen Frauen und Mädchen, die Liebe heischend und Liebe gebend in ihren Armen gelegen hatten.

„Ach, wenn man doch noch mal wieder jung würde!”

Der Graf stimmte ihm zu: „Das wär' nicht dumm! Aber die Zeiten der Rosen sind vorüber. Na, trinken wir mal auf die Jugend!”

Und da der zukünftige Fähnrich die Jugend verkörperte, trank man auf dessen Wohl.

Der trank immer noch mit einer Ausdauer, die einer besseren Sache würdig war, um ihn herum waren alle bezecht, nur er allein war noch ganz nüchtern.

„Haben Sie eigentlich schon mal in Ihrem Leben auf einem Pferd gesessen?” fragte ihn da plötzlich einer der Herren.

Allgemeine Anerkennung folgte dieser Frage, in jeder Hinsicht hatte man den zukünftigen Kameraden geprüft, nur die Hauptsache hatte man vergessen, den Umgang mit Pferden.

Benno stand Rede und Antwort und erzählte von manchem wilden Pferd, das er gebändigt hatte.

„Na, da müßten Sie eigentlich mal die Berta reiten,” meinte einer der Herren, „wissen Sie, die Berta von meiner Schwadron, das ist der lebendig gewordene Satan, mit der wird kein Mensch fertig, die wirft jeden ab, nur den Wachtmeister nicht. Und das hat seinen guten Grund, die Berta ist nämlich gewissermaßen 'ne heimliche Zwillings­schwester vom klugen Hans, die weiß ganz genau, wenn sie den Wachtmeister abwirft, dann bekommt sie acht Tage lang kein Futter, und da läßt sie ihn lieber oben. Aber sonst? Ein Satan. Wissen Sie, auf den Bock müßten Sie sich eigentlich mal raufklemmen.”

Der Vorschlag fand jubelnde Zustimmmung, so wurden denn die Ordonnanzen fortgeschickt, um das Weitere zu veranlassen, und eine Viertelstunde später zog die ganze Gesellschaft in die inzwischen erleuchtete Reitbahn. Dort stand die Berta und sah die Herren mit ganz erstaunten Gesichtern(1) an.

„Na, Bewitz, nun zeigen Sie mal, was Sie können.”

Der hatte Mut, sich in die Welt zu wagen, und so saß er denn, ehe jemand wußte wie, im Sattel. Alle waren paff, Berta am meisten. Einen Augenblick stand sie da, als wisse sie nicht, was mit ihr passiert sei, dann aber ging sie plötzlich durch, sie raste wie verrückt durch die Bahn, und Benno raste nolens volens mit. Aber mitten im Galopp blieb Berta plötzlich stehen, und in einem weiten Bogen flog Bewitz in den Sand. Die Erde dröhnte, als er sich auf einen gewissen Körperteil hinsetzte.

Schon wollte Benno sich erheben, da keilte der Gaul nach hinten aus und schlug mit den Hufen dem braven Benno derartig gegen den Schädel, daß er(2) ordentlich krachte.

Erschrocken eilten alle herbei. Mit einemmal waren sie wieder nüchtern. „Um Gottes willen, hoffentlich war Benno nicht tot!”

Aber der dachte gar nicht daran. Wie der Blitz sprang er in die Höhe und rieb sich mit der Rechten die Stelle, auf die er sich vorhin hingesetzt hatte.

Alle atmeten erleichtert auf, und der Regiments­adjutant machte ein ganz freudestrahlendes Gesicht: „Wissen Sie, ich habe dem braven Benno sehr unrecht getan, der ist gar nicht dumm, im Gegenteil, er ist ein ganz heller Junge.”

Der andere blickte ganz überrascht auf: „Woraus schließen Sie das so plötzlich?”

„Na, sehen Sie sich doch nur mal an, anstatt sich um seinen geschundenen Schädel zu bekümmern, reibt er sich egal seinen Hintern. Das ist doch ein sehr gutes Zeichen.”

Der andere verstand ihn noch immer nicht: „Aber inwiefern denn, edler Graf?”

„Nun, das ist doch sehr einfach,” meinte der Graf nach einer kleinen Pause. „Er zeigt durch sein Verhalten, daß er weiß, was Sie, lieber Freund, anscheinend vergessen haben.”

„Und das wäre?”

Da klemmte der Graf gelassen sein Monokel ein und sagte: „Lieber Freund, der Bewitz weiß es ganz genau. Wie es in dem Schädel aussieht, ist heutzutage, wenigstens in unseren Chargen, ganz einerlei. Wer als Infanterie­offizier Karriere machen will, gebraucht ein Paar tadellose Paradebeine, und unsereins braucht einen tadellosen Paradesteiß.”


Fußnoten:

(1) In der Buchfassung heißt es hier: „mit ganz erstauntem Gesicht”. (zurück)

(2) In der Buchfassung heißt es hier: „daß es”. (zurück)


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© Karlheinz Everts