Angenommen.

Humoreske von Graf Günther Rosenhagen.
In: „Rostocker Zeitung” vom 20.12.1896


Ellen, die älteste Tochter des Geheimrath Wichert, war krank — die frühere frische Farbe ihrer Wangen war einer fahlen Blässe gewichen, die Augen, sonst so hell und lustig, blickten müde und abgespannt, der köstliche Humor, durch den sie sonst das ganze Haus entzückte, schien für immer erstorben zu sein, und sie, die für immer lachend behauptet hatte, keine Nerven zu besitzen, war seit einiger Zeit von einer Nervosität und Gereiztheit, die die Ihrigen mit Angst und Sorge erfüllten; bei dem plötzlichen Eintritt der Dienstleute in das Zimmer, bei dem Klang der elektrischen Glocke, bei dem Oeffnen der Hausthür fuhr sie jäh zusammen und sorgenvoll schüttelte der alte Hausarzt sein Haupt. Er war nun doch einmal verantwortlich für die Gesundheit der Familie, in der er seit Jahren ein- und ausging, er bildete sich auch ein, in seinem Beruf nicht untüchtig zu sein, aber der Krankheit Fräulein Ellen's gegenüber war sein Wissen eitel Stückwerk. Geduldig ließ sie sich, obwohl sie, die es ja doch am besten wissen mußte, behauptete, vollständig gesund zu sein, mehr denn einmal von dem alten Herrn untersuchen, streckte die Zunge aus und verdrehte die Augen, um ihre Pupillen besser bewundern lassen zu können, sie that mit ihren verschiedenen Gliedmaßen, was nur immer verlangt wurde, aber es nützte Alles nichts, es war keine Spur von einer Krankheit zu entdecken.

„Wenn Fräulein Ellen nicht verlobt wäre, — würde ich behaupten, sie litte an unglücklicher Liebe, an einem Herzenskummer — so aber weiß ich wirklich keinen anderen Rath zu geben, als zu hoffen, daß die Zukunft das Leiden, wenn es wirklich ein solches ist, von selbst wieder heben möge.”

„Und um solchen guten Rath zu erhalten, hält man sich einen Hausarzt,” klagte die Geheimräthin, wenn der alte Hausarzt sie verlassen und zu ihrem Gatten gewandt, setzte sie dann stets hinzu: „Weißt Du, Otto, ich finde, Du müßtest Dich einmal nach einem anderen Arzt umsehen, der alte Todsen wird wirklich zu alt, wie soll das werden, wenn einer von uns wirklich mal ernstlich krank ist?”

„Dann wird ihn sein Wissen schon nicht im Stich lassen,” entgegnete der Gatte, „aber je mehr ich über Ellen nachdenke, desto mehr komme ich zu der Ueberzeugung, daß ihr Leiden kein körperliches, sondern ein seelisches ist. Hast Du vielleicht etwas bemerkt, ob es zwischen ihr und Alfred zu einem Streit oder einem Wortwechsel vor seiner Abreise gekommen ist? Mich deucht, daß Ellen's Nervosität in den Stunden am größten ist, in denen der Postbote kommt; gleichsam als fürchte sie, daß dieser ihr von Alfred eine schlechte Nachricht bringe. Hast Du nicht auch die Empfindung?”

„Offen und ehrlich gestanden — nein,” gab sie zurück. „Du weißt, Ellen sieht in mir nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihre älteste und beste Freundin. Wäre es wirklich wie Du anzunehmen scheinst zwischen ihr und Alfred zu einem ernsthaften Streit gekommen, dessen Ausgang Ellen beunruhigen könnte, so hätte sir mir dies sicherlich nicht verschwiegen, sondern sich bei mir Rath geholt. Nein, lieber Otto, über diesen Punkt kannst Du vollständig beruhigt sein.”

Aber der Herr Geheimrath ließ sich seine Bedenken nicht so leicht verjagen, er glaubte dennoch Recht zu haben mit seiner Vermuthung — und er hatte auch recht.

Am Tage, bevor Alfred nach Beendigung seines Urlaubs — er war Assistenzarzt an einer großen Berliner Klinik — wieder abreiste, war es zwischen den Brautleuten zu einer ernsthaften Auseinandersetzung gekommen.

Ellen war ein sehr kluges, aber auch ein sehr verwöhntes Mädchen. Von ihren Eltern abgöttisch geliebt, deuchte es ihr selbstverständlich, daß jeder ihrer Wünsche erfüllt wurde; was sie haben wollte, wurde angeschafft und was sie nur immer begehrte, war zur Stelle, sobald sie nur ein Wort gesagt hatte. Widerspruch, ein Nichterfülltwerden ihrer Wünsche kannte sie gar nicht — sie war es gewohnt, daß Alles ihr zu Füßen lag und that, was sie wollte.

Der Einzige, der es in neuerer Zeit wagte, ihr Opposition zu machen, war derjenige, den sie am meisten auf der Welt liebt, ihr Verlobter. Alfred war von Haus aus mittellos, er bezog ein gutes Gehalt und glaubte annehmen zu können, daß er später eine gute Praxis erhielte — dennoch hielt er es aber eines Tages für nothwendig, seine Braut in liebevollen, aber sehr ernsten Worten darauf aufmerksam zu machen, daß sie späterhin, wenn sie erst seine Frau sei, nicht mehr mit derselben Sorglosigkeit Geld werde ausgeben können, wie sie es jetzt thäte; sie müsse bei Zeiten daran denken, sparsamer zu werden, vor allen Dingen aber nicht mehr solchen Luxus in Toiletten treiben wie bisher.

„Du hast leider Gottes keine Ahnung von Geld und Geldeswerth — nur wer sich den Mammon verdienen muß, weiß ihn zu schätzen.” Und als sie etwas pikirt aufgelacht hatte, war er fortgefahren: „Du scheinst mir nicht zu glauben, frage Deinen Vater oder noch besser, versuche doch einmal selbst irgend etwas zu verdienen — allerdings gehe ich gleich von vornherein jede Wette mit Dir ein, daß Du nie den Versuch machen wirst und daß, wenn Du es dennoch versuchen solltest, alle Deine Bemühungen vergebens sein werden.”

Ihr Trotz war erwacht.

„Was gilt die Wette?”

„Was Du willst.”

Da hatte sie nach einigem Zögern geantwortet: „Tod oder Leben,” und als er sie erschrocken ansah: hatte sie hinzugesetzt: „Ich fühle, daß Du vielen an mir auszusetzen hast — Du hoffst, daß das sich später in der Ehe ändert, Du hoffst es, aber Du glaubst selbst nicht daran. Die Wette gilt, ich will versuchen, sie zu gewinnen, gelingt es mir, so werde ich die Deine, wenn nicht, so trennen wir uns noch bei Zeiten, denn ich will nicht eine Ehe eingehen mit dem Bewußtsein, eine Frau zu sein, die das Geld ihres Gatten vergeudet.”

Erschrocken war er aufgesprungen und hatte sie gebeten und angefleht, ihre Worte zurückzunehmen; er hatte sie launisch und kindisch gescholten, ihr auseinandergesetzt, daß eine Verlobung zu ernst sei, um sie eines tollen Einfalles wegen wieder aufzulösen, ach, was hatte er ihr nicht alles gesagt, um sie umzustimmen! Alles vergeblich und ihr letztes Wort war gewesen: „Ich werde Dir beweisen, daß ich nicht nur Geld auszugeben, sondern es auch zu verdienen verstehe — und wenn nicht, so werde ich Dich rechtzeitig von einem solch theuren Luxusartikel, wie ich es bin, befreien.”

Acht Wochen waren seit dieser Aussprache vergangen, acht lange Wochen, in denen sie auch nicht für eine Sekunde etwas anderes gedacht hätte, als: „Geld, Geld.” Lange schon bereute sie die in der Uebereilung gesprochenen Worte; aber Trotz und verletzte weibliche Eitelkeit hielten sie ab, um Verzeihung zu bitten.

Was hatte sie nicht alles angefangen, um Geld zu verdienen — auf welche Gedanken kommt nicht ein Weiberherz, das um den Geliebten kämpft. Und Ellen liebte ihren Verlobten mit der ganzen Glut und Leidenschaft ihres Herzens — wie sehr, das merkte sie jetzt erst, da die Gefahr drohte, ihn für immer zu verlieren.

Noch vier Wochen, dann war die Frist, die sie sich selbst gesteckt, abgelaufen. Was sollte sie anfangen und beginnen, was sie nicht schon versucht hätte! An alle Frauenzeitungen hatte sie sich mit der Frage gewandt: „Wie kann ein hübsches, gesundes, kluges, musikalisches Mädchen, das das Elternhaus nicht verlassen kann, um eine Stellung anzunehmen, sich Geld verdienen?” An Antworten und guten Rathschlägen hatte es bei der Liebenswürdigkeit der Redactionen nicht gefehlt: „sticken Sie”, „geben Sie Klavierstunden”, „lesen Sie einer alten Dame vor”, „geben Sie Sprachunterricht”, „frisieren in und außer dem Hause”, „werden Sie Zahnärztin”, „gründen Sie eine Kochschule, natürlich vorausgesetzt, daß Sie selbst kochen können”, „fertigen Sie künstliche Blumen”, „werden Sie Telephonistin, obgleich die Aussichten hierzu sehr gering sind” — ach, was war ihr nicht alles gerathen worden, aber nichts fand ihren Beifall, keinen der guten Rathschläge konnte sie befolgen, weil sie vergessen hatte, bei der Anfrage an die Redaktionen den Zusatz zu machen: „Wie kann ich mir Geld verdienen, ohne daß die Eltern oder sonst irgend Jemand erfährt, daß ich für Geld arbeite?”

Kein Mensch durfte durfte etwas davon wissen, kein Mensch, das ging nicht an, wenn sie — so meinte sie — nicht ihren Eltern und sich selbst die gesellschaftliche Stellung untergraben wollte.

Natürlich hatte sie sich sofort ein Lotterieloos gekauft, aber die Waisenknaben erhörten ihr Flehen nicht, ihr Loos wurde als Niete gezogen, ihr selbst zum Leid, anderen zur Freude.

Da, als sie fast der Verzweiflung nahe war, schien sich ihr ein Ausweg, ein letztes Mittel zu bieten. An einem der Theeabende bei ihren Eltern war das Gespräch auf die neuesten Erscheinungen der Litteratur gekommen, und da das Gespräch von Damen geführt wurde, hatte man natürlich meistens über hervorragende Schriftstellerinnen gesprochen. Man sprach dabei auch über die Summen, die diese Damen verdienen müßten, und plötzlich war es Ellen, als fiele ihr eine Binde von den Augen. Daß sie daran aber auch noch nie gedacht hatte! Ruhelos wälzte sie sich in der Nacht auf ihrem Lager hin und her und als der Morgen graute, stand der Entschluß bei ihr fest, eine Erzählung, eine Novelle, zu schreiben. Gleich nach dem Frühstück machte sie sich an die Arbeit und schrieb hinter verschlossenen Thüren Bogen für Bogen.

Nach acht Tagen rastlosen Fleißes war die Arbeit fertig, ein Pseudonym war schnell gefunden und zitternd und zagend, das große Couvert unter dem Mantel verborgen, eilte Ellen eines Abends zur Post, um den Brief aufzugeben. Sie war sicher, daß die Redaction die Arbeit annehmen würde. In einem ausführlichen Begleitschreiben hatte sie überdies dem Redacteur die Gründe auseinandergesetzt, die sie zwangen, zur Feder zu greifen.

Aber in den stillen Nächten kamen ihr trotz ihrer Sicherheit Bedenken und Zweifel aller Art, da schwand ihr Selbstvertrauen dahin — da sagte sie sich, wie entsetzlich viel zusammen­geschrieben würde und daß doch kein Schriftsteller lediglich zu seinem Vergnügen arbeite.

Und je länger die Redaction schwieg, desto größer wurde ihre Angst, ihre Unruhe.

Ihre ganze Krankheit war weiter nichts als die tödtliche Angst und Furcht vor dem Postboten, der die Entscheidung bringen mußte. Sobald die Glocke gezogen wurde, sobald das Mädchen das Zimmer betrat, sobald sie einem Stephansboten(1) auf der Straße begegnete, dachte sie stets: „Nun kommt die Entscheidung, der Brief ist da!”

Aber der Brief kam nicht — die Tage und Wochen gingen dahin, ihre Wangen wurden blasser und immer balsser.

Nun waren es noch drei Tage — Da faßte sie sich endlich ein Herz und fragte bei der Redaction, der sie die Arbeit eingesandt hatte, telegraphisch an — Rückantwort bezahlt. Morgens um 10 Uhr gab sie die Depesche auf ‐ in drei Stunden konnte nach ihrer Berechnung die Antwort da sein. Sie verlebte die Zeit wie eine Fieberkranke.

Aber aus den drei Stunden, in denen sie der Antwort harrte, wurden fünf. Die Aufregung, in der sie lebte, die Unruhe, die sie quälte — dies alles trug dazu bei, sie wirklich krank zu machen.

Endlich kam die Antwort, sie riß das Telegramm auf und las: „Dankend abgelehnt.”

Nach dem Lesen des kurzen Bescheides machten sich ihre Sorgen und ihr Kummer in einem Thränenstrom Luft.

Was nun? Jetzt war es, wie sie in ihrer Ueberschwänglichkeit glaubte, vorbei mit ihrem Glück, sie selbst hatte es verscherzt und verspielt.

Wie sollte sie vor ihren Eltern, vor ihren Angehörigen die Auflösung ihrer Verlobung erklären und rechtfertigen? Alfred zürnte ihr noch immer — seit dem Tag, da er sie verlassen, war kein Brief zwischen ihnen gewechselt worden — nur leere Briefbogen hatten die Couverts enthalten, die er in regelmäßigen Zwischenräumen gerade so wie sonst schickte, um durch das Ausbleiben jeglicher Correspondenz die Eltern nicht zu beunruhigen und um jeglichen Verdacht zu vermeiden.

So war es zwischen ihnen verabredet worden, erst der Ausgang der Wette sollte den alten Briefverkehr wieder herstellen, oder ihn für immer abbrechen.

Auch heute Morgen hatte Ellen wieder einen Brief ihres Verlobten erhalten, sie hatte ihn achtlos auf den Schreibtisch geworfen, das Couvert gar nicht erst geöffnet, was sollte der leere Briefbogen ihr auch sagen?

Aber jetzt in ihrem Schmerz, da sie sich nach einem Zeichen von ihm sehnte, nahm sie das Schreiben wieder zur Hand und betrachtete die Aufschrift, die Züge seiner Hand mit einer Liebe und Wehmuth, als wäre es das letzte Mal. Und war es nicht auch das letzte Mal, daß er an sie, wenn auch nur zum Schein geschrieben hatte? Heute noch wollte sie ihm schreiben, daß sie die Wette verloren, daß sie sich selbst für unwürdig erachte, fernerhin seine Braut zu sein.

Sie öffnete ganz mechanisch das Couvert, sie nahm den Bogen heraus, um einen wehmüthigen Blick darauf zu werfen, — aber plötzlich weiteten sich ihre Augen und in ihrem Innern jubelte es: dieser Bogen war nicht leer, — sie erkannte seine Handschrift, ach kein Mensch auf der ganzen weiten Welt schrieb so schön wie er. Sie trocknete die Thränen aus ihren Augen, sie führte das Schreiben an ihre Lippen und küßte seine Worte und dann las sie:

„Meine liebe, kleine Ellen!

Auch dieses Mal hätte ich Dir wie schon so oft in der letzten Zeit ein weißes Blatt geschickt, wenn nicht gestern stärker als je die Erinnerung an Dich in mir wach geworden wäre, wenn nicht gestern die Sehnsucht nach Dir mich fast getödtet hätte. Wie das kam, was dazu beitrug, gestern Dein Bild so vor meine Seele zu zaubern?

Wie Du, glaube ich, noch nicht weißt, bin ich Mitarbeiter einer hiesigen illustrirten Zeitschrift, für deren „Briefkasten” ich die täglich in ungezählter Menge einlaufenden medicinischen Anfragen beantworte — nach bestem Wissen und Können, aber fast nie zur Zufriedenheit der Fragesteller. Ein zorniger Brief, den ich von einer gekränkten Mutter erhalten hatte, führte mich gestern morgen auf die Redaction, ich wollte um meine Entlassung bitten. Aber selbst bei schlechter Laune fand ich meinen Freund, den Redacteur, in noch viel schlechterer. Er saß zwischen einem Berg von Manuscripten und suchte und suchte nach irgend etwas, was er nicht fand. Eine ganze Weile sah ich seinem Treiben zu — dann bat ich: „Geben Sie es auf, Sie finden es ja doch nicht — machen Sie jetzt die Frühstückspause und lassen Sie uns drüben in der Weinstube den Aerger mit den Austern zusammen herunterschlucken.”

Aber er wehrte es ab: „Es geht nicht, lieber Freund,” gab er zur Antwort, „ich suche ein Manuscript, dessen Verfasserin telegraphisch um Antwort gebeten hat, gleichsam, als wenn wir armen Redacteure weiter nichts zu thun hätten, als Manuscripte zu lesen.”

Er suchte weiter und weiter und endlich hatte er die Arbeit gefunden. Er durchflog das Begleitschreiben und reichte es mir, während er sich selbst an das Manuscript machte, mit den Worten: „Na, lesen Sie mal — so etwas ist mir denn doch noch nicht vorgekommen.”

Ich las und was ich las, war unsere Geschichte: „Ein junges Mädchen hat sich mit ihrem Verlobten gezankt, sie hat mit ihm gewettet, daß sie im Stande sei, Geld zu verdienen, sie schriftstellert und fleht den Redacteur an, die Arbeit zu behalten und ihr zu einem Gewinne der Wette zu helfen.”

Bei jedem Wort des Briefes mußte ich an Dich denken, derselbe Trotz, derselbe Eigensinn, aber auch dieselbe Liebe, dieselbe Treue und Anhänglichkeit sprach aus jedem Wort. Den Brief hättest Du geschrieben haben können, und so interessirte mich das Schicksal der Schreiberin wie Dein eigenes.

„Nun?” fragte ich gespannt meinen Freund, als er das Manuscript beiseite legte.

„Abgelehnt,” gab er zur Antwort und setzte hinzu: „Unreif in Form und GedanDa erfaßte mich mit der Briefschreiberin grenzenlosesken — tausendmal besser als tausend andere Erstlingsarbeiten, aber doch noch nicht druckreif.”

Da erfaßte mich mit der Briefschreiberin grenzenloses Mitleid: „Arme Braut — armer Verlobter,” murmelte ich vor mich hin. Ich versuchte, meinen Freund durch Bitten zu einer Annahme der Arbeit zu bewegen, das Bitten wurde mir leicht, denn mir war, als bäte ich für Dich — aber alles war vergebens, immer erhielt ich die Antwort: „Abgelehnt.”

Und immer mußte ich denken: „Wie traurig, wie unglücklich würde Ellen sein, wenn auch sie vielleicht auf alle Anerbietungen stets ein „Abgelehnt” erhielte, wenn dieses eine Wort auch ihre Zukunft, ihr Lebensglück vernichten sollte!”

Bald ist die Frist, die Du Dir gesteckt, abgelaufen — warte den letzten Tag, der Dir vielleicht eine bittere Enttäuschung giebt, nicht ab — erkläre Dich nicht für besiegt, gieb aber die Wette auf, laß sie unentschieden bleiben.

Laß die Liebe siegen über Deinen Trotz, und wenn Du mich noch liebst, wie ich Dich — grenzenlos und schrankenlos, so prüfe meinen Vorschlag.

Und Deine Antwort an mich sei „Abgelehnt” oder „Angenommen”. Das eine ist der Tod, das andere ist das Leben. Wie wird die Antwort lauten? —

Sie zögerte nicht, sie prüfte sich und ihr Herz erst nicht — hatte es doch nie aufgehört, für den Geliebten zu schlagen — mit zitternden Händen nahm sie ein Blatt Papier und schrieb das eine Wort, das sie vergebens erhofft hatte: „Angenommen”.


Fußnote:

(1) Heinrich von Stephan (7.1.1831 - 8.4.1897), Generalpostdirektor des Deutschen Reiches, war Organisator des deutschen Postwesens und Mitbegründer des Weltpostvereins (Wikipedia). (Zurück)


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