Die Ananasbowle.

Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Sie will nicht heiraten”


Seit zwei Jahren war Redwitz nun schon Bataillonsadjutant, aber selbst seine besten Freunde konnten nicht behaupten, daß er es mit seinen Dienst­obliegen­heiten sehr genau nahm. Er hatte aber auch gar nicht den Ehrgeiz, in dieser Hinsicht das Muster treuester Pflichterfüllung zu sein. „Seht mal, Kinder,” pflegte er zu sagen, wenn er damit geneckt wurde, daß er sich einmal nur wieder ganz vorübergehender Weise auf dem Bureau aufgehalten hatte, „was soll ich den ganzen Tag da oben auf der Blechschmiede? Ich habe einen ausgezeichneten Bataillons­schreiber, der würdig wäre, in der Geheimkanzlei eines hohen Ministers zu arbeiten, der Mann macht alles. Wenn ich ihn nur frage, ob dies oder jenes erledigt ist, dann hat er eine Art, mich mit einem mitleidig lächelnden Ausdruck anzusehen, daß ich ihn jedesmal um Verzeihung bitte, weil ich an ihm zweifelte. Und zu alledem kommt noch eins: In der letzten Zeit wird so viel davon geredet, der Mensch sei keine Maschine, und auch beim Militär müsse die Individualität des einzelnen mehr respektiert werden, und die Selbständigkeit der Untergebenen wird immer mehr gefördert, damit sie nicht mehr aufgeschmissen sind, wenn uns einmal der Teufel oder eine feindliche Kugel holt. Und wie kann ich meine Leute auf dem Bureau zur Selbständigkeit erziehen, wenn ich mich um jeden Dreck selbst kümmere? Da fasse ich meine Stellung als Adjutant doch ganz anders auf.”

Zwischen Leutnant von Redwitz und seinem Bataillons­kommandeur war es zu Beginn ihrer Ehe oft zu heftigen Szenen gekommen, bis es Redwitz dann gelungen war, seinen Herrn einzulullen. Der Major befehligte in der mittelgroßen Stadt ein detachiertes Bataillon. Er war der selbständige Herrscher aller Reußen, andere Vorgesetzte wohnten in der Stadt nicht, und das hatte Redwitz verleitet, einmal zu seinem Major zu sagen: „Wie glücklich könnten wir beide zusammen sein, wenn Sie unser Glück nicht immer mutwillig zerstörten.”

Das Wort hatte den Vorgesetzten nachdenklich gestimmt, drei Tage hat er nichts anderes gedacht und dann zu Redwitz gesagt: „Ich habe mir die Sache überlegt, ich bin nicht nur Soldat, ich bin auch ein Mensch und will glücklich sein. Meinen Segen haben Sie, machen Sie, was Sie wollen, aber das sage ich Ihnen, wenn man mir Ihretwegen einmal grob wird, dann wehe Ihnen.”

Redwitz wußte, die letzten Worte waren keine leere Drohung, denn wenn die Vorgesetzten nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten, grob werden zu können, befördert würden, dann wäre sein Major schon lange kommandierender General gewesen.

Als der Major seinem Adjutanten diese Rede gehalten hatte, nahm dieser sich seinen Schreiber vor und hielt dem eine Rede: „Mein lieber Matzen(1), ich habe soeben ausführlich mit dem Herrn Major über Sie gesprochen, und wir haben beschlossen, Ihnen eine noch größere Selbständigkeit einzuräumen als bisher. Wir erwarten natürlich von Ihnen, daß Sie sich des großen Vertrauens, das wir in Sie setzen, in jeder Weise würdig erweisen. Unsern Segen haben Sie, machen Sie, was Sie wollen, aber das sage ich Ihnen, wenn man mir Ihretwegen einmal grob wird, dann wehe Ihnen. Es dauert bei mir zwar lange, bis ich grob werde, aber wenn ich es einmal werde, Unteroffizier, ich sage Ihnen, da bleibt auch nicht ein Atom von Ihnen übrig, ich vernichte Sie durch meinen Hauch und zermalme Sie mit meinen Blicken.” Und mit geballten Fäusten stand er zornfunkelnd seinem Unteroffizier gegenüber, so daß der ganz erschrocken zurückwich.

Von der Minute an wußte Redwitz, daß er sich noch mehr als bisher auf seinen Schreiber verlassen konnte. Um die Bureauarbeiten brauchte er sich selbst fortan absolut nicht mehr zu kümmern, aber irgend etwas muß der Mensch doch tun, wenn sein Leben einen Zweck und einen Inhalt haben soll.

So dachte Redwitz denn darüber nach, womit er sich in Zukunft als Adjutant beschäftigen solle, und schließlich kam ihm die Erkenntnis: Er wollte die Beziehungen in der Stadt zwischen den Bürgern und dem Militär, vor allen Dingen aber zwischen dem Offizierkorps und der Gesellschaft nach besten Kräften pflegen, es sollte ein Einvernehmen herrschen, wie es idealer gar nicht gedacht werden könne.

Als Redwitz diese Absicht den Kameraden mitteilte, machten sie ein ganz erstauntes Gesicht, denn glänzender als die Beziehungen schon waren, konnten sie beim besten Willen nicht werden. Aber der Adjutant widersprach: „Nichts ist so vollkommen, daß es nicht noch vollkommener werden könnte, und was ist, muß gepflegt und gehütet werden, damit es auch so bleibt.”

Redwitz pflegte also das gute Einvernehmen — er war beständig eingeladen, es gab kein Fest, das er nicht arrangierte, keinen Ball, auf dem er nicht den Kotillon in Szene setzte, kein Diner, bei dessen Zusammenstellung man ihn nicht um Rat fragte, keinen Klub, dessen Komitee er nicht angehörte, kurz, wo etwas los war oder etwas losgelassen werden sollte, war Redwitz.

Die Kameraden bekamen ihn fast gar nicht zu sehen, und sein Major sah ihn noch seltener, denn Redwitz verstand es, sich selbst bei dienstlichen Übungen frei zu machen und sich durch einen Kameraden vertreten zu lassen.

Redwitz hatte immer zu tun, und gestern hatte er ganz besonders viel zu tun gehabt. Er war bei einem großen Weinhändler zum Diner gewesen, und hinterher hatte es eine Ananasbowle gegeben. Die Sitzung hatte sehr lange gedauert, und als einziger Vertreter des Offizierkorps hatte er es für seine Pflicht gehalten, bis zuletzt zu bleiben und den andern im Trinken ein leuchtendes Vorbild zu sein.

Nun war ihm heute morgen gar nicht gut, er hatte entsetzliche Kopfschmerzen.

Das Verlangen, die sorgenschwere Stirn längere Zeit unter kalt Wasser zu halten, trieb ihn schon früh, so gegen zehn Uhr, aus dem Bett, und sobald er Toilette gemacht hatte, begab er sich ins Freie.

Er mußte gestern sehr viel getrunken haben, so viel, daß er auch jetzt noch nicht recht wußte, was er tat, denn auf einmal stand er auf dem Kasernenhof. Wie er dahin gekommen war, wußte er nicht. und was er da wollte, wußte er auch nicht. Sollte er etwa die Absicht haben, auf dem Bureau einmal nach dem Rechten zu sehen? Das war doch undenkbar.

Da eilte ihm ein Kamerad entgegen: „Redwitz, wenn Sie Ihr Leben lieb haben, machen Sie, daß Sie fortkommen. Der Major sucht Sie überall; was vorliegt, weiß ich nicht, aber er rast und ist nicht wiederzuerkennen. Er bringt Sie um, wenn er Sie findet.”

Redwitz bekam es unwillkürlich mit der Angst: „Was hat der Mann sich so aufzuregen, noch dazu am frühen Morgen? Und vor allen Dingen, weshalb regt er sich auf? Wenn ich etwas verbummelt habe, dann ist das doch Sache des Bataillons­schreibers, da braucht er mir doch nicht grob zu werden.”

Da erschien der Major, der seinen Adjutanten vergebens auf dem Bureau gesucht hatte, obgleich er ganz genau hätte wissen können, daß er nicht da war. Und als Redwitz in das Gesicht seines Vorgesetzten blickte, da wußte er: Nun schlägt es dreizehn.

Das aber durfte es nun und nimmer, er hatte schon jetzt so rasende Kopfschmerzen , daß ihm jedes Haar auf dem Kopfe weh tat; wenn er nun auch noch Grobheiten zu hören bekam, nein, das ging einfach nicht. Er mußte an seine Gesundheit denken, das war er nicht nur sich, sondern auch seinem Kaiser schuldig, dem er geschworen hatte, treu und redlich zu dienen. Und als kranker Mann konnte er das doch nicht.

Wie aber das Unheil abwenden?

Nun stand der Major vor ihm, mit allen Anzeichen der höchsten Erregung: „Ein Glück, daß ich Sie endlich finde, und ein Glück für Sie, daß Sie sich heute endlich einmal wieder sehen lassen. Es ist ein Brief von der Division gekommen.”

Mit einem Male war Redwitz ganz nüchtern: Donnerwetter, die eilige Sache der Division hatte er ja ganz vergessen, die lag zu Hause noch unerledigt auf dem Schreibtisch, na, das kann eine schöne Geschichte werden.

Der Major mußte noch im letzten Augenblick versöhnt werden, da half alles nichts, sonst bekam er eine Strafpredigt zu hören, wie sie schlimmer von der ausschweifendsten Phantasie nicht gedacht werden konnte.

Aber wie im letzten Augenblick das drohende Unheil abwenden? Da erinnerten ihn seine Kopfschmerzen an den gestrigen Abend, und ihn durchfuhr ein rettender Gedanke. Er tat, als hätte er die letzten Worte des Majors gar nicht gehört, sondern sagte so unbefangen wie nur möglich: „Auch ich freue mich, den Herrn Major schon jetzt zu treffen. Ich habe eine große Bitte an den Major, ich habe zu heute mittag im Kasino die Herren zu einer Ananasbowle eingeladen, und wenn der Herr Major mir vielleicht auch die Freude machen wollte —”

Ananasbowle! Das Wort wirkte, das war für den Major der Inbegriff aller Seligkeit. Natürlich kannte der Adjutant die Schwäche seines Herrn ganz genau, zur rechten Zeit war ihm die Zauberformel eingefallen, und sie verfehlte auch jetzt ihre Wirkung nicht. Über das eben noch mehr als zornige und wütende Gesicht des Vorgesetzten flog ein freudiges Lächeln, in seinen Augen blitzte es hell auf, und nun schnalzte er sogar mit der Zunge.

„Hol' Sie der Teufel, Redwitz, Sie sind doch ein ganz famoser Kerl, Ihnen kann man gar nicht grob werden, und das wollte ich. Statt dessen laden Sie mich nun zur Ananasbowle ein. Es ist, wie ich Ihnen vorhin schon sagte, ein Brief von der Divisiom gekommen.”

Redwitz sah ganz erstaunt auf: „Da müssen Sie sich irren, Herr Major. Daß der Brief da ist, bezweifle ich natürlich absolut nicht, denn die Division schreibt so viel, warum soll sie da gerade heute nicht geschrieben haben? Aber gesprochen haben Sie mir davon noch nicht, Herr Major, sonst hätte ich doch natürlich erst die dienstliche Sache erledigt, ehe ich mir erlaubt hätte, Sie einzuladen. Darf ich hoffen, daß der Herr Major mir die Freude machen werden?”

„Aber selbstverständlich, lieber Redwitz, selbstverständlich. Um wieviel Uhr wird gegessen?”

„Wie immer um halb zwei. Wir haben da noch mehr als reichlich Zeit, den Brief der Division zu erledigen. Was wollen die Leute denn schon wieder? Denken kann ich es mir schon, wir haben natürlich angeblich wieder irgend etwas verbummelt. Die hohen Herren denken immer, wir hätten nichts anderes zu tun, als nur für sie zu arbeiten. Na, ich werde die erregten Gemüter schon zu beruhigen wissen.”

Der Sturm war abgeschlagen, als gute Freunde gingen der Adjutant und der Major aufs Bureau, erledigten die dienstliche Angelegenheit, und dann verabschiedete sich Redwitz. Er mußte an die frische Luft, er hielt es im Bureau nicht mehr aus: „Wenn der Herr Major gestatten, daß ich jetzt gehe — ich habe noch eine wichtige Verabredung in der Stadt.”

Der reichte ihm die Hand: „Also dann auf Wiedersehen um halb zwei Uhr, lieber Redwitz. Und denken Sie daran, die Ananas recht vorsichtig zu schälen und sie dann ordentlich ziehen zu lassen, nicht zu lange und nicht zu kurz, in der Mitte liegt die Würze.”

„Verlassen der Herr Major sich nur ganz auf mich.” damit machte Redwitz sich auf den Weg, und bald traf er auf seinem Bummel durch die Straßen der Stadt einen Bekannten, der gestern zusammen mit ihm eingeladen war.

„Nun, wie geht's?” fragte der.

Redwitz machte ein betrübtes Gesicht: „Möchte es Ihnen besser gehen.”

Aber auch dem war gar nicht wohl. „Wissen Sie, ich überlegte gerade, ob ich nicht in den Ratskeller gehen und irgendeine Flüssigkeit zu mir nehmen sollte. In der Hinsicht bin ich Anhänger der Homöopathie, lassen Sie uns den Kater mit Sekt vertreiben.”

Der Gedanke war nicht dumm, so saßen die beiden dann bald beim Champagner und kneipten und kneipten.

Um halb zwei erhob sich der andere: „Es ist Zeit für mich, zu Tisch zu gehen. Wie ist es, wollen Sie mir die Freude machen, bei mir zu essen? Ich brauche nur nach Hause zu telephonieren.”

„Wenn ich wirklich nicht störe, sehr gern.” Aber dann taumelte Redwitz mit einem Male beinahe hintenüber: „Um Gottes willen, ich habe ja meinen Major zu einer Ananasbowle eingeladen, der Mann sitzt schon im Kasino und wartet auf mich, und ich habe noch nicht einmal eine Ananas. Na, das ist eine schöne Geschichte.”

Er verabschiedete sich schnell, dann raste er davon. Ein Wagen war wie immer, wenn man schnell einen braucht, nicht aufzutreiben. So stürmte er zu Fuß durch die Straßen, kaufte unterwegs eine Ananas und erreichte endlich fast atemlos das Kasino. Dort stieg er sofort in den Weinkeller hinunter und rief sich schnell eine Ordonnanz und ein Küchenmädchen herbei: „Hier flink, die Ananas schälen und mitten durch mit dem Dings, haut mit dem Beil, wenn es mit dem Messer nicht geht, und Mosel her, ganz egal welchen, nur schnell, und Sekt, viel Sekt. Immer flinker, sonst lasse ich Euch als Ordonnanz ablösen und wieder in die Kompagnie hineinstecken.”

Nach fünf Minuten war die Mischung fertig und gleich darauf trat Redwitz, gefolgt von der Ordonnanz, die die große Bowle trug, in den Eßsaal, wo der Major ihn mit den andern Offizieren bereits erwartete: „Na, da sind Sie ja endlich, lieber Redwitz.”

„Ich bitte um Verzeihung,” meinte der, sich gewaltsam beherrschend, „aber das Schälen der Ananas, das Ansetzen des Weines hat mich bis jetzt festgehalten. Aber ich glaube, daß die Bowle dafür auch jetzt in der Vollendung ist.”

„Na, her damit,” rief der Major, der bei dem Anblick des geliebten Getränkes seinen Groll, daß er so lange hatte warten müssen, schnell vergaß.

Redwitz schenkte das erste Glas ein und reichte es dem Major. Der schlürfte einen Zug, dann den zweiten, dann setzte er das Glas ab, sah Redwitz prüfend an, dann trank er wieder.

Dem armen Redwitz stand beinah das Herz still, wenn der Major nur etwas von dem Getränk verstand, dann mußte er ja merken, daß das Zeug Hals über Kopf zusammengegossen, und dann kam jetzt der Sturm, der heute morgen glücklich abgeschlagen worden war.

Im stillen faltete Redwitz die Hände: „Wenn ich auch dieses Mal nicht hineinfalle, dann will ich in Zukunft wirklich ein besserer Mensch werden.”

Da setzte der Major von neuem sein Glas an die Lippen, er trank und trank. Und wieder sah er Redwitz prüfend an.

Der fühlte, wie das Blut anfing, aus seinen Wangen zu weichen — er war verloren.

Und noch einmal kostete der Major, dann wandte er sich an seinen Adjutanten: „Ich will Ihnen was sagen, Redwitz, die Bowle ist tadellos, ta—del—los, aber wissen Sie was, Redwitz, nehmen Sie die Ananas raus — die Bowle hat genug gezogen.”


Fußnoten:

(1) Matzen heißt auch der Regimentsschreiber in „Ein Kampf”, und eine Frau Matsen tritt auf in „Frau Matsen”, in „Ihres Mannes Geheimnis” und in „Der Gardegraf” (Zurück)


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