"Rumpelstilzchen"

Nun wenn schon!
(Jahrgangsband 1931/32)

Brunnen-Verlag / Willi Bischoff / Berlin, 1932

Glossen 28 - 30
17. März bis 7. April 1932


28

Bewußte Neudeutsche - Die Tänzerin Engström - Bloß nicht zu den Honoratioren! - Die Lustbarkeitssteuer - Das erbettelte Frackhemd - Herbert Windts "Andromache" - Nu wenn schon - Von der Staatsform.

Unter dem Alten Fritz und unter Wilhelm II. begeisterten sich junge Ausländer so häufig für deutsches Wesen, daß sie zu uns übersiedelten und womöglich Dienst bei uns nahmen. Zu den bedeutendsten aus der Zeit des jetzigen Kaisers gehört wohl der ehemalige Engländer Houston Stewart Chamberlain, dessen "Grundlagen des 19. Jahrhunderts" das Lieblingsbuch Wilhelms II. geworden sind. Manchmal gelang der Wunsch nicht, Deutscher zu werden. Im Haag kenne ich - ich erzählte schon einmal von ihm - den holländischen Oberst Schmidt, den Kämmerer des Prinzen der Niederlande. Dieser Schmidt brannte mit achtzehn Jahren nach bestandenem Abiturium von Hause durch, fuhr nach Frankfurt a.M., stellte sich dem Kommandeur des dortigen 81. Infanterieregimentes vor und bat um Einstellung als Fahnenjunker. Elterlicher Einspruch verhinderte im letzten Augenblick den Landeswechsel. Wir haben Männer mit französischen Namen vielfach in der Armee gehabt, Nachkommen von alten Refugiés. Aber auch die skandinavischen Staaten haben uns manchen Großen geschenkt; Blücher kam aus schwedischen, Moltke aus dänischen Militärdiensten zu uns. In den letzten Jahrzehnten bis einschließlich der Weltkriegszeit war der Zufluß besonders stark. Ein wirklich ganz echter Schwede, Oberstleutnant a.D. Engström, ist so in jungen Jahren zu uns gekommen und zuletzt Kommandeur des Feldartillerieregiments Nr.1 in Ostpreußen gewesen. Und nun sitze ich an diesem Dienstag in der deutsch-schwedischen Gesellschaft im Humboldtklub am Bahnhof Tiergarten und sehe - seine Tochter tanzen.

Es wird überhaupt, nach einem langen Vortrag mit Bildern, sehr viel und sehr eifrig getanzt. Vom Publikum. Und selbstverständlich ist viel Blondheit dabei. Aber die schönste und eleganteste ist rabenschwarz und trotzdem eine echte junge Schwedin, sogar aus Värmland, wie sie mir versichert. Bis zu Rafael haben alle Italiener die Jungfrau Maria immer blond gemalt, weil dieses Haar ihnen, den schwarzen, als göttlich vorgekommen war. Umgekehrt mögen meiner Rabenschwarzen in Värmland und jetzt in Berlin alle Herzen zufliegen.

Sie flogen auch der von der Nikolajewna ausgebildeten jungen Tänzerin Engström zu, die drei Solotänze gab, den letzten, den ungarischen, vielleicht nicht ganz so leidenschaftlich, wie man ihn erwartet hatte, dafür vorher einzigartig schön den bekannten Schlittschuhläuferwalzer von Waldteufel.

Technisch alles absolut vollendet. Ein kleines federleichtes Dingchen, das sicherlich Furore macht, wenn es irgendwo auf der großen Bühne herausgestellt wird, aber von Natur dazu prädestiniert zu sein scheint, Partnerin eines muskelstarken akrobatischen Tänzers zu werden.

Das war also die deutsch-schwedische Vereinigung. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht eine Einladung zu dergleichen bekomme. Man kann nachgerade nicht mehr. Gestern bin ich direkt unartig geworden. Zu Gunsten von irgendwas wird irgendwo irgendwas aufgeführt, von Herren und Damen "der Gesellschaft", und die Patronessa will mich an den Vorstandstisch verfrachten, wo die Exzellenz und der Hofmarschall a.D. und die Gräfin auf mich warteten. Herrschaften, ich gehöre doch auf die Galerie, in das Publikum! Nicht zum Konversationmachen, sondern zum Beobachten gehe ich aus. Nehmt es mir bitte nicht übel, aber Vorstandstische und Ehrentafeln sind für mich Lebertran.

Allmählich werden die Einladungen wohl nachlassen, weil diese ganze Art Wohltätigkeit keine Überschüsse mehr ergibt. Es kommen immer weniger Leute. Im Hauptmonat der Bälle, im Februar, hat die Berliner Vergnügungssteuer diesmal nur 873 585 Mark gegen 1 315 564 im Februar 1931 erbracht.

Draußen im Lande ist es auch nicht viel anders. In allen deutschen Gemeinden von über 20 000 Einwohnern ist die Lustbarkeitssteuer eines halben Jahres um 3 086 000 Mark gesunken.

Wer es noch kann, feiert freilich auf alte Weise. Und wenn er es sich - zusammenbetteln muß. An unserer Haustür geben wir nie etwas. Es muß also doch von dem einen oder andern der "Kunden" angezinkt sein, daß hier nichts zu holen ist. Trotzdem wird man täglich mindestens sechsmal herausgeklingelt. Da steht nun einer und bittet - um ein altes Frackhemd. Dieser Fall ist so absonderlich, daß die Tür nicht gleich zugeschlagen wird. Wozu er just ein Frackhemd brauche? Je nun, er habe lange im Gefängnis gesessen, also nichts verdient.

Weshalb denn im Gefängnis?

"Tja, man kann es sich doch nicht einfach gefallen lassen, wenn ein Schutzmann einem mit dem Gummiknüppel in die Schnauze haut; und da haben sie mich wegen Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt eingesperrt!"

Gut, aber warum das Frackhemd?

Und da sagt der Mann, ein paar abgetragene Lackschuhe, einen Frack, eine schwarze Hose habe er schon geschenkt bekommen, nun fehle nur noch das Hemd mit Zubehör, denn demnächst - wolle er heiraten. Ich habe noch nicht gewußt, daß ein Frack unbedingt zum Heiraten gehört. Eine dunkle Jacke oder ein Sweater müssen zur Not auch genügen. Nur das habe ich immer geglaubt, daß der Zweck des Heiratens sei, viele Kinder zu kriegen und zu tüchtigen Deutschen heranzuziehen. Aber auch da bin ich hinter der Zeit stark zurückgeblieben. Es gibt heute in Deutschland schon 40 Prozent kinderlose Ehen und 13 Prozent mit nur einem Kind.

Das ist nichts anderes als allmählicher Selbstmord der Nation. Wenn nun jemand aussterben will, nicht einmal sich selbst mit zwei Kindern fortsetzen will, so ist es nicht verwunderlich, wenn er nicht die Unternehmungslust aufbringt, sich ein großes Kunstwerk anzusehen oder anzuhören. Eines der stärksten hat gestern im Staatlichen Opernhause seine Uraufführung erlebt, die "Andromache" von Herbert Windt. Als die Zuschauer in tiefer Erschütterung zuletzt immer wieder in die Hände klatschen und rufen, erscheint der Dichter-Komponist an der Rampe: ein blasses Kerlchen, das Gesicht von Granatsplittern zerfetzt und schief zusammengenäht, und verbeugt sich glücklich und linkisch.

Dieser Herbert Windt ist 1914 als Kriegsfreiwilliger mit hinausgezogen, die Packtaschen seines Husarenpferdes voll von Partituren. In jedem im Osten erbeuteten Schloß saß Windt sofort am Klavier und dichtete Musik. Dann ging es zur Infanterie, in den Westen, und am Toten Mann vor Verdun haschte es ihn. Nach langen, langen Jahren war er erst zurechtgeflickt. Lange, lange Jahre der Not folgten, wo er zu Zeiten in einem Unterstand an der Havel lebte. Nun zeigt ihn seine "Andromache" als Schöpfer von etwas so heroisch Monumentalem, daß unsere Nerven, die die erwünschten Melodien fast nur in den Gesängen des Chores finden, vor all den Fanfarenstößen und dem Trommelfeuer aller Instrumente sich ducken. Die Dichtung ist hochdramatisch, immer ist man in Spannung, und die Musik läßt einen ebenfalls nicht ausruhen, sondern putscht immer wieder auf. Die "Elektra" von Richard Strauß erscheint uns auf einmal als ein Waisenkind gegenüber diesem Mannswerke, das sicher noch nicht den Höhepunkt von Herbert Windts Schaffen bedeutet, uns aber zeigt, daß er noch als Gipfelstürmer sich binnen kurzem einen Namen machen wird.

Wenn man nur mehr innere Ruhe zum Verarbeiten hätte! Aber der Wurm bohrt in einem, die Politik läßt keinen mehr los. Am vorigen Sonntag ist Hindenburg mit großem Vorsprung an die Spitze gekommen. Aber das Wahlergebnis zeigt auf der Gesamtrechten eine Millionenzunahme von Stimmen, bei der Sozialdemokratie einen Riesenrückgang. Wir sind am 13. März aufgehalten worden, aber wir marschieren!

Du bist traurig, weil nicht ein Kandidat der Rechten den Sieg erringen kann?

Nu wenn schon! Wir warten auf die Preußenwahlen vom 24. April, die werden das Sturmsignal für die aufbrechende Nation.

Du bist traurig, daß Du nur knapp zu essen hast und daß Deine Anzüge schon fast ihrem Ende entgegengehen?

Nu wenn schon! Anderen Leuten in anderen Zeiten ist es noch viel dreckiger gegangen, aber sie hielten durch, dann kam endlich die Glückssträhne und sie wurden Generaldirektor oder Feldmarschall.

Du bist traurig, weil das Mädel, dem Du Dich ewig verbunden fühltest, über kurz oder lang Semesterliebchen eines anderen wird?

Nu wenn schon! Sicherlich stehen sieben andere, ebenso lieb, nur mit mehr angeborenem Treuegefühl, irgendwo in Deiner Nähe, und Du kannst unter ihnen eine finden, die Dir alles ersetzt.

Du bist traurig, weil Du nach glänzend bestandenem Staatsexamen hörst, vor 1942 sei an Anstellung nicht zu denken?

Nu wenn schon! Wähle bei den Preußenwahlen so, daß die schwarzrotgoldene Mehrheit zerstiebt, und dann machen 290 000 Parteibuchbeamte, die Deine Vorbildung nicht haben, par Ordre de Moufti Dir Platz.

So etwas läßt sich schon in der Republik machen, dazu bedürfen wir nicht einmal der alten Staatsform. Kürzlich instruiert ein Leutnant in einer Kompagnie der Reichswehr - ich will natürlich nicht verraten, wo es war - seine Rekruten in Staatsbürgerkunde. Er teilt ihnen vorschriftsmäßig den Unterschied zwischen Monarchie und Republik mit, erläutert auch sehr sachlich den ersten Artikel der Verfassung von Weimar, wonach alle Gewalt vom Volke ausgehe. Er sagt dann weiter, daß den Soldaten, der ja auch kein Wahlrecht habe, die Politik und die Staatsform nichts angehe. Die Meinungsfreiheit könne laut Verfassung natürlich jeder für sich beanspruchen, könne beispielsweise glauben, daß die Republik die für Deutschland ungeeignetste Staatsform sei. Aber trotzdem müsse er dem Staate in seiner jetzigen Form unweigerlich den beschworenen Gehorsam halten.

Acht Tage später ist Rekrutenbesichtigung. Der Herr Major ist da. Er fragt auch Staatsbürgerkunde ab.

"Was ist die Republik, Sie da, der Ehrecke?"

Und Ehrecke knallt die Hacken zusammen und antwortet:

"Die Republik ist die für Deutschland ungeeignetste Staatsform, Herr Major!"
17. März 1932 (Donnerstag)


29

Liebhabertheater - Mit dem Leutnant im Kostümverleihgeschäft - Ausflug an die Riviera - Vater Jensch - Der Kommunistenjunge - Einbrecher in meiner Wohnung - Sensationsbuchläden - Das Gebetsverbot in städtischen Krankenhäusern.

Um Ostern herum schließt in Berlin die Theatersaison der Vereine, die von da ab schon an das nächste Frühlingsfest im Freien denken. Also jeder Verein hat noch einmal eine wohleinstudierte Aufführung in dieser Zeit. Lieschen Müller platzt vor Stolz, weil sie das junge Mädel in "Monsieur Herkules" spielen soll. Und Schmidts giften sich, weil es nicht ihre Hilde ist. Solch ein Vereinstheater gibt unendlichen Stoff und macht unendliche Arbeit. Auch wenn es sich in der Hauptsache nur um Tanzeinlagen im Kostüm handelt, ist die Sache nicht so einfach.

Mit einem jungen Offizier, der das Nötige für sein Kompagniefest zu besorgen hatte, bin ich in einem Verleihgeschäft in der Pallisadenstraße in Berlin NO gewesen, das wie ein kleiner Trödelladen aussieht, aber durch vier Stockwerke geht und weit in die Hinterhöfe hineinreicht. Da hat man angesichts dieses ungeheuren Lagers gleich einen Begriff von dem Konsumbedürfnis der Großstadt an Theaterkostümen. "Von Rokoko bis Biedermeier is in dieser Woche reen nischt mehr zu haben!", erklärt der Besitzer des Geschäfts dem Leutnant. Um was es sich denn eigentlich handele? Ja, zwei Soldaten, die eine Mädchenrolle spielten, brauchten ein weibliches Girl- oder Sportkostüm oder einen altmodischen Badeanzug mit langen Hosen. Da denkt der Mann nach, sieht uns wie verloren an und sagt:

"Tja, meine Herren, Ihre beeden Athletinnen stehen vorläufig noch janz nackt vor meinem jeistigen Ooge!"

Aber auf einmal hat er es. Er fragt nach der Figur der beiden Leute, ruft nach hinten: "Also Größe Otto und Größe Emil!", und im Handumdrehen haben wir das Passende, das für das Theater auf dem Kompagniefest gerade noch fehlte.

In der Osterwoche selbst habe ich Berlin weit hinter mir gelassen. Habe seit zwei Jahren zum ersten Male wieder, wenn auch nur auf kurze Zeit, die Sonne des Südens und ihr blaues Meer gesehen. Auf ärztlichen Rat eine kleine Pause in den aufreibenden Alltagskampf eingelegt. In Sestri Levante blühen schon Kamelien, Glyzinien, Mandeln und allerlei Blumen in sattgrünem Grase, während oben auf den Bergen der italienischen Riviera noch Schneeflächen zu sehen sind.

Natürlich bin ich wieder, zum fünften Male in meinem Leben, bei Vater Jensch in seinem Grand Hotel. Es ist der einzige große, moderne Gasthof der Welt, mit Warmwasser, eigenem Badestrand, Tennisplätzen, eigenem Berggarten mit Feigenbäumen, den ich kenne, in dem man nicht "der Herr von Nummer Soundso" ist, sondern ein Gast, auf dessen Behagen der Wirt persönlich bedacht ist. Man ist von hundert leisen Aufmerksamkeiten umgeben. Schon am zweiten Tage liegt, eigens aus Genua besorgt, meine Berliner Lieblingszeitung auf meinem Platz. Der gute Jensch, seit 45 Jahren deutscher Pionier in Italien, hat das Land während des Krieges natürlich auch verlassen müssen, taucht 1915 in Berlin auf. Wo er geht und steht, trifft er Bekannte, die mal bei ihm gewohnt - nein, fast immer: häufig bei ihm gewohnt haben - und strahlend ihn wieder erkennen. Da prallt er auf Frau Gerhart Hauptmann, die - als einzige von den Gästen - sogar im Januar in Sestri Levante ihr tägliches Schwimmbad zu nehmen pflegte und nachher auf dem Seesteg des Hotels im nassen Badeanzug ein paar Gruppen Freiübungen einlegte. Da trifft er den Justizrat, da den Vertreter der Kölnischen Zeitung, da den Gesandten, da die Opernsängerin, da den alten Generaladjutanten, da den Buchhändler und - Halt - Exzellenz v.Mirbach prallt auf dem Potsdamer Platz mit ihm zusammen, strahlt auch und sagt:

"Liebster Jensch, Sie kommen wie gerufen, unsere Ostpreußenhilfe klappt nicht, die müssen Sie mir nun richtig aufziehen!"

Und Jensch ist dabei. Für 300 Mark Monatsgehalt organisiert er die Sache vorbildlich, die ostpreußischen Flüchtlinge und Rückkehrer erhalten prompt und reichlich Möbel, Küchengerät, Kleider, Wäsche. Nach Jahr und Tag ist die Arbeit vollendet. Aus der bisherigen kleinen möblierten Wohnung in Berlin W zieht Jensch aus, möchte mit seiner Familie eine unmöblierte in Karlshorst beziehen.

Wo kriegt man aber nun eine Einrichtung her?

Er sei doch selber Flüchtling, habe Tausende von Einrichtungen verteilt, da habe er sich doch auch was nehmen können, meinte Mirbach, worauf der wackere Jensch entrüstet erwidert:

"Aber Exzellenz, selbstverständlich doch nichts, nicht einmal ein Handtuch!"

Diese Gesinnung ist das Imponierende an dem Mann, das ihn auch unter den 14 000 Italienern von Sestri Levante so allverehrt gemacht hat. Nichts für sich. Immer hilfreich, soweit die Mittel reichen, die jetzt in der reisearmen Zeit natürlich auch knapp werden. Kein Spaßverderber, wenn auch mal ein Pärchen ohne Trauschein bei ihm Station macht. Abgott aller Kinder, die mit den Eltern hinkommen. Und nach Herkunft (sein Vater war Landgerichtsdirektor in Preußen) und Bildung der angenehmste Gesellschafter für Gäste aller Stände. Auch hat er aus seiner reichhaltigen Bibliothek für jedermann immer das passende Buch. Berlin kennt er wie seine Westentasche. Hier hat er vor 48 Jahren als junger Mann gewohnt. Man kann mit ihm in Sestri, 29 Stunden Bahnfahrt weg von Berlin, über die Tauentzienstraße plaudern, als wäre man gestern mit ihm da noch gebummelt.

Nur die Hinfahrt ist heute für unsereins schmerzlich. Zum ersten Mal seit 1917 sehe ich wieder den Oberrhein. Heute ist er nicht mehr Deutschlands Strom, sondern Deutschlands Grenze. Drüben das "französische" Elsaß. Ich rolle an Rastatt vorbei, wo ich in Urzeiten einmal auf Festung saß, weil mir die Pistole etwas locker geworden war. Da sehe ich die alten Kasernen. Aber kein Soldat ist da, in einer 50-Kilometer-Zone diesseits des Rheins darf keine deutsche Garnison laut Versailles errichtet werden. Und überall in den Städten, an denen ich vorbei fahre, stehen leerstehende Fabriken zum Verkauf oder zur Miete. Das Herz krampft sich zusammen. Die Raubgrenzen am Rhein haben wir im Locarno-Pakt freiwillig noch einmal für ewig anerkannt . . .

Wir sind das dümmste Volk der Erde.

Auch aus Dummheit heraus haben ebenso ungezählte Berliner in den nun abgelaufenen Monaten der Winterhilfe "gerade" politischen Gegnern alles Liebe getan, während manche vaterländisch gesinnte Familie schier verhungerte.

Ein kleiner Kommunistenjunge ist zehn Wochen lang Mittagsgast bei Amtsrichters gewesen, die ganz rechts stehen; der Mann wählt Hugenberg, die Frau wählt Hitler. Nun sind die zehn Wochen herum. "Hat's Dir gefallen?", wird der Junge gefragt. "Ja!" Und weiter: "Hat's Dir geschmeckt?" "Ja, immer!" Irgend ein Wort des Dankes kommt nicht heraus. Die letzte Frage: "Und was sagt Dein Vater?" Da kommt es zögernd heraus:

"Er hat gesagt, ich soll fressen, soviel ich kann, aber gehenkt würden Sie doch!"

Persönlich habe ich mit den Leuten vom deutschen Untermenschentum her kaum je Berührung. Eines hatte ich mir nur immer gewünscht: einmal Mann gegen Mann einen Kampf mit Einbrechern zu haben. So wie ich, der ich Nordlicht und Fata Morgana, Sandhosen und Vulkanausbrüche in Menge gesehen habe, noch immer kein Erdbeben erlebt habe. Nun sind endlich, zum ersten Male, Einbrecher bei uns gewesen, und ich - war leider nicht zu Hause.

Es war eine der seltenen Stunden im Jahr, wo überhaupt niemand zu Hause war. Das hatten wohl "Klingelfahrer" erkundet. Also fix, die verschlossene Tür samt Sicherheitsschloß aufgestemmt. Nun ran an sämtliche Schreibtische und Schränke und sonstigen Behälter. Merkwürdig: überall, bis auf zufällig zwei Schubladen, stecken ja die Schlüssel! Hineingegriffen, Sachen heraus, - o Gott, o Gott, in diesem Hause scheint es ja bloß Manuskripte, Briefe, Bücher zu geben. Die zwei Schubladen werden erbrochen. Ha, eine Blechkassette! Da ist wohl das Geld! Schade, daß ich die dummen und enttäuschten Gesichter der Einbrecher nicht gesehen habe; das ist nämlich die Kassette, in der wir - gebrannte Mandeln, Drops, Schokoladeplätzchen für Feiertage oder Ferien aufbewahren, wenn die Kinder mal nach Hause kommen und wieder klein Kind sein wollen.

Ausgeräumt wurde schließlich mein Kleiderschrank, in dem 7 Anzüge von mir und meinem jüngsten Jungen hingen. Dann mußten die Herren Einbrecher türmen, denn jemand kam die Treppe herauf, der den Mann, der die Anzüge, in unser Tischtuch eingepackt, auf dem Rücken trug, für einen Wäscheabholer hielt. Das Ganze ist also ein sehr mäßiges Geschäft für die drei Helden vom Stemmeisen gewesen, die dann in einem vor dem Hause wartenden Auto absausten. Schade. Und für mich so ganz unromantisch. Die Einbruchsversicherung zahlt mir außerdem so viel, daß ich anstelle der sieben zum Teil alten Anzüge jetzt 5 neue kaufen kann. Da hört doch, muß man sagen, wirklich jede Poesie auf.

In den Verzeichnissen der Einbrecher werde ich wohl nun eine ganz schlechte Notiz erhalten. Das sei also ein Mann, bei dem es wirklich keine Juwelen und keine echten Teppiche gibt, höchstens mal irgendwo wenige paar Mark Bargeld, knapp für das Auto ausreichend, und ein unverwertbares Sparbuch mit 65 Mark und 35 Pfennigen Bestand. Man hatte sich doch etwas ganz anderes unter mir vorgestellt. Da kann ich den Leuten aber nicht helfen. Ich lebe von der Hand in den Mund, und was ich wirklich mal erübrige, das kriegen die Kinder oder das verreise ich zu Erholungs- oder Bildungszwecken.

In unserer Straße ist in einer Woche an drei Stellen eingebrochen worden. Grzesinskis Polizei macht zwar jetzt auch Wachtparade mit Musik Unter den Linden, um zu zeigen, daß diese "republikanische" Schutztruppe der "reaktionären" Reichswehr nicht nachstehe, aber das Verbrechertum nimmt in amerikanischem Tempo zu.

Auffallend viel Jugendliche sind dabei. Schon die Dreikäsehochs regen sich ja vor den pilzartig aufschießenden neuen Buchläden heute auf, die, von einer Zentrale bedient, fast nur Verbrecher- und Sexualliteratur im Schaufenster haben, woran die Polizei nichts auszusetzen findet. Dazu die entsprechenden Plakate:

Das lasterhafte Weib,
leihweise für 20 Pfennige!

Ich komme gerade aus Italien, wo umgekehrt der Faschismus eifrig besorgt ist, daß der Phantasie der Jugendlichen solche Nahrung entzogen wird. Auch die gesamte Presse muß die Berichterstattung über Verbrechen dort stark einschränken und darf beispielsweise das Wort Selbstmord nie drucken, so daß jetzt auch nur von dem "plötzlichen Tode" Ivar Kreugers die Rede war. Bei uns ist alles ganz anders, aber es ist höchste Zeit, daß auch bei uns eine Mussolini-Welle den Augiasstall reinigt. Wird da neulich ein vierjähriges Kind in ein Berliner städtisches Krankenhaus gebracht. Die Mutter bittet die Stationsschwester, daß die jeden Abend mit dem Kinde das gewohnte Gebet spreche. "Das darf ich nicht, dann verliere ich meine Stellung!", sagt die. Also zur Oberschwester. Die verweist an den Oberarzt. Der schickt die Mutter zum Direktor des Krankenhauses. Der zuckt die Achseln und nennt als zuständig die städtische Gesundheitsbehörde.

Die Mutter endet bei dem Stadtrat. Der redet ihr den "Blödsinn" aus. Aber er ist gerade guter Laune. Und schließlich sagt er: "Na, ausnahmsweise, meinetwegen!"
31. März 1932 (Donnerstag)


30

Die Mittagspause in der Großstadt - Brunch - Hitler-Demonstration - Die Angst derer hinter Hindenburg - Valeska Gerts "Kohlkopp" - Eldorado ist nicht mehr - Die neue Nigger-Tanzbar - Berthe Vitalien.

Selbst die durchgehende, sogenannte englische Arbeitszeit kennt eine Mittagspause. Auch in der Londoner City leben nicht etwa alle Angestellten nur von den dort üblichen Klappstullen, den Sandwiches mit corned beef, die sie morgens von Hause mitgenommen haben, sondern sie gehen zu Lyons oder in die ABC, wie man bei uns zu Aschinger geht, oder sie bekommen ihren richtigen warmen "Lunch" in einem besseren Restaurant. In Berlin haben die ganz großen Betriebe allesamt ihre eigenen Kantinen, wo die Angestellten schichtweise billig essen können. Manch einem bringen die Angehörigen das Mittagbrot. So sitzt die Frau oder die kleine Tochter dabei, wenn der Straßenbahnschaffner aus ihrem Henkelkorb das Thermosgefäß nimmt und während der kurzen Pause auf der Zielstation behaglich seine Erbsensuppe löffelt. Weibliche Angestellte machen sich oft ihre Mahlzeit selber zurecht, falls im Geschäft oder Bureau irgendwo ein Gasherd steht. Aber seit Jahr und Tag nimmt trotz allem "die Stulle" in Berlin wieder überhand, um als Mittagessen zu dienen, und erst nach Feierabend gibt es die erste richtige Mahlzeit daheim. Falls nicht der junge Mann oder das junge Mädchen es vorziehen, gleich auf die Tanzdiele zu gehen und sich dort mit einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen als Mahlzeit zu begnügen.

Obwohl wir fast wieder den Fleischverbrauch der Vorkriegszeit im Jahre 1931 - jetzt geht er wieder zurück - erreicht hatten, ist im Jahre 1932 die Nahrungsaufnahme auch der noch arbeitenden Großstädter vorläufig unter Durchschnitt. Das rächt sich namentlich bei jungen Leuten. Unsereins ist ja schon unabhängiger davon. Wenn ich nur morgens - das Wort steht freilich in keinem englischen Lexikon - das habe, was ich Brunch nenne, nämlich das Mittelding zwischen Breakfast und Lunch, kann ich ohne Mittagspause bis zum späten Abend durcharbeiten. Bei Kindern geht das nicht und auch nicht bei körperlich schwer Arbeitenden.

Und nun unsere bejammernswerten Arbeitslosen! Gewiß, der eine oder andere von ihnen "steht sich ganz gut", wenn er nebenbei Schwarzarbeit macht, wozu besonders in diesen Umzugstagen reichlich Gelegenheit war, aber die große Masse von ihnen liegt doch tatsächlich bis Mittag im Bett, um, allenfalls bei einer Zigarette, in dieser Ruhelage keinen Hunger zu verspüren.

Man kann es sich nur schwer vorstellen, daß ein Arbeitsloser oder daß ein Mensch, der abgebaute Kinder hat, noch heute nicht weiß, daß er das ganze Elend dem herrschenden System verdankt, den 13 Jahren der Tribut- und Sozialisierungspolitik. Und wenn gegen dieses System an diesem Sonntag nur ein Präsidialkandidat zur Verfügung steht, so wählt jeder Einsichtige natürlich diesen und bleibt nicht etwa zu Hause. Ich habe abgebaute Kinder, ich werde von Steuern erwürgt, ich sehe das ganze deutsche Volk verelenden, also bediene ich mich am 10. April natürlich der einzigen mir verbliebenen Abwehr: ich wähle Hitler. Mag der Kandidat sein, wie er will, heißen, wie er will, ich kann während eines Kampfes gegen die verwüstende Politik dieser 13 Jahre nicht tatenlos zu Hause hindämmern, auch wenn alle Neunmalweisen mir erklären, er sei aussichtslos. "Attaquez donc toujours, messieurs, immer dem Feinde in die Hosen gesessen!", hat Friedrich der Große seinen Reiterführern gesagt und nicht etwa Abwarten empfohlen.

Zum ersten Mal haben am letzten Montag Zehntausende und aber Zehntausende von Berlinern, die nicht der Partei Hitlers angehören, trotzdem bewußt im Lustgarten mitdemonstriert und den Sportpalast am Abend und die Brauerei Friedrichshain bei beginnender Nacht füllen helfen. Eine Viertelmillion Menschen aus Berlin und Umgegend hat an dem großen Volkszorn sich miterhoben, der landauf landab gegen die bisher Regierenden entbrennt. Die Macht und das Geld sind freilich noch auf der andern Seite, und nicht Hitlers, sondern nur Hindenburgs Name darf zwischen den Straßenbahnmasten quer über den Weg gespannt oder rundum auf die öffentlichen Telephonhäuschen geklebt werden.

Es geht diesmal, und mehr noch bei den Preußenwahlen, um den Anfang der Durchbruchsschlacht der Parteien der nationalen Befreiung gegen diejenigen, die unsere immer stärkere Knechtung nicht zu verhindern wußten, sondern sie förderten.

Diese reaktionären schwarzroten Parteien für deutsche Sklaverei treibt die Angst um den Verlust der Futterkrippe, um das Aufhören der nährenden Korruption. Zweifelt jemand daran, daß die Brüder Sklarek selbstverständlich Hindenburg wählen? Oder zweifelt jemand daran, daß der ganze Kurfürstendamm bei dem Gedanken schlottert, im neuen preußischen Landtage könne das System Braun-Severing durch eine Koalition Hitler-Hugenberg abgelöst werden?

Die Angst verdoppelt die Agitation, die Angst sucht aber auch nach Betäubung. Ich sehe auf meinen Erkundungsgängen durch Berlin immer wieder Unterhaltungs- und Gaststätten veröden, Läden und Häuser leer werden, sodaß man manchmal den Eindruck hat: wie stehen bei allen unseren eingefrorenen Krediten vor einer neuen Eiszeit. Trotzdem findet sich selbst heute noch Geld zu frischen Experimenten mit dem noch zuahlungsfähigen Publikum, denn dieses Publikum in seiner Angst - sucht die Orgie. Es kann alles nicht toll genug sein. Ein Autoladen in der Budapester Straße, gegenüber dem Edenhotel ist leer geworden, und sofort nistet sich unter dem Namen "Der Kohlkopp" das wüsteste Kabarett dort ein, das wir je in Berlin gehabt haben. Unter Leitung von Valeska Gert, der vielleicht häßlichsten Frau, die irgendwann und irgendwo getanzt und gesungen und ihren galizischen Haß gegen alles Deutsche ausgesprüht hat.

Sie kommt als Straßendirne, als Frau Oberst vom alten System, als Diseuse und zeigt unter hocherhobenen Röcken eine nur so winzige Andeutung von Schlüpfer, daß man höchst unerfreuliches zu sehen bekommt. Aber natürlich hat sie Talent, groteskes Talent. Das haben sie ja alle, die in diesem Kabarett den fetten Kurfürstendammern Lust und Betäubung bringen. Man zahlt bis zu 4 Mark für einen Platz auf einem Gartenstuhl in diesem leeren Laden, in dem auf einem rohen Podium ohne jede Szenerie oder Umrahmung die "Künstler" auftreten und in dem im Hintergrunde ein steinaltes Orchestrion wimmert. Das ist wirklich schon gespieltes Leichenschauhaus.

Eine andere Stätte, an der Berlin W sich an Perversem ergötzte, ist nicht mehr: gegenüber der Scala ist "Eldorado" eingegangen, das auf seinem Torschild die Inschrift hatte: "Hier ist's richtig!", obgleich da alles verkehrt war, nämlich von den Berufsbesuchern die Männer in Frauenkleidern, die Frauen in Männerkleidern. Wozu das Publikum den teuren Sekt bezahlte. Eine Dame aus dem Publikum hörte ich einmal dort fragen: "Sind Sie wirklich ein Mann?" Und nahezu eine Sopranstimme aus dem vor der Dame stehenden Menschen in ausgeschnittenem Abendkleid antwortete: "Aber gewiß doch, das kann ich Ihnen auf Wunsch beweisen!" Ekelhafteres ist kaum noch denkbar. Nur daß das irregeleitete Publikum annahm, hier handele es sich durchweg um wirkliche Transvestiten und nicht vielmehr um zu Zwecken des Geldverdienens umgekleidete weibliche und männliche Dirnen.

Vor 1918 gab es so etwas nicht. Und nach 1932 wird es hoffentlich unmöglich sein.

Als Frick in Thüringen Minister war, verbot er sogar Niggermusik. Zerbricht die Novembermehrheit, dann wird es wieder sauber bei uns.

Also Eldorado in der Martin-Luther-Straße ist nicht mehr, nur noch anderswo besteht noch ein Namensvetter. Das eingegangene Lokal ist aber wieder vermietet, und die Unterhaltung darin wird - von einer Negertruppe, einer Mulattentruppe von Musikern und Tänzern geliefert, die den Sommer über in der Pariser Kolonialausstellung den Rummel machte. Oh, Paris! Dem Schieberpublikum rinnt der Seim an den Mundwinkeln herunter. Für die abgelegte Ware von drüben haben wir immer Verwendung und nun also die erste richtige Niggertanzdiele bekommen. Der Gent aus Berlin W tanzt mit einer kaffeebraunen Diva, seine Tennispartnerin hängt sich einem grinsenden Dunkelhäutigen an den Hals.

Hauptsache: es ist wieder einmal "verkehrt", man hat seine Sensation, man hat seine Betäubung, und dazwischen gibt es Solotänze der Farbigen, der Männer oder der Weiber, die zwar die der Josephine Baker an Urwaldhaftigkeit nicht erreichen, aber doch in der gleichen Art ganz tierhaft wirken.

Man soll draußen wirklich einmal erfahren, was aus unserem alten Berlin von 1914 geworden ist. Dann wird der Schrei nach Rückkehr zur alten Ordnung allmählich elementar.

Über der Bar links neben der Musik ein Schild: "Black and White". Schwarz und weiß. Da hantieren zwei Barmaids. Die weiße Büste der goldblonden Deutschen leuchtet aus einem stumpf schwarzen Kostüm hervor. Der braune Rücken und die braunen Arme der Niggerin heben sich aus weißem Seidensatin ab. Gelegentlich tanzen sie im Publikum mit. Immer "verkehrt". Die farbigen Mädel der Truppe tanzen Solo, wie eben Nigger zu tanzen pflegen: bei starrem Oberkörper mit dem Bauch, mit dem Gesäß, mit den Beinen. Wenn es eine tut, ist es grotesk. Wenn es zweie im Paartanz tun, ist es zum Speien.

An der Brüstung der Theke steht der junge weibliche Star des Ensembles, Berthe Vitalien, eine Mulattin von der Insel Martinique, während alle übrigen von Guadeloupe sind. Ich sitze dicht dabei allein an meinem Tisch, auf dem vor Binsenmatten eine halbe Kokosnußschale als Aschenbecher dient. Berthe, die nur französisch spricht, kann sich mit dem deutschen Kellner über Zigaretten nicht verständigen, läßt mich dolmetschen, setzt sich zu mir. Ja, gleich werde sie sich umziehen und dann auftreten. "Le ventre naturellement nu, aussi les fesses!" Und nun tanzt sie, schlenkert sie, vibriert sie, so schnell, daß man mit den Augen garnicht mitkommt. Nachher ist sie - in Zivil - wieder da. In Paris habe sie nur 150 Franken monatlich bekommen und sei im übrigen auf Trinkgelder der Ausstellungsbesucher angewiesen gewesen, Berlin sei aber nobler, da bekomme sie 150 Franken und außerdem völlig freie Station.

Mit 18 Jahren sei sie von Westindien nach Paris übergesiedelt, als Schneiderin in ein Modehaus, aber dann habe die Musik und das Tanzen sie gepackt. Sie träume nur in Tönen, sie denke nur in Tanzfiguren. Tanzschule? Nein; nie; alles aus sich selbst heraus. Und jetzt sei sie 23 Jahre alt.

Es ist nicht immer leicht, Berliner Chroniqueur zu sein. Hier funkeln glühende Kohlenaugen aus einem Tiergesicht, und als ein Rumba ertönt, fordert das Mädel mich, der ich - auch in Afrika und Asien - noch nie eine Farbige angefaßt habe, zum Tanzen auf. Ich muß ihr ja für die Informationen dankbar sein. Also meinetwegen, los. Es ist ein ganz anderer Rumba als unser schon europäisch gesitteter, Berthe windet sich und zuckt, ich merke gerade noch, daß wir das einzige tanzende Paar sind und daß das Publikum dazu in die Hände klatscht, dann reiße ich mich los, sage der erstaunten Mulattin auf französisch: "Ich mag nicht mehr, ich schäme mich so!" und gehe zu meinem Platz zurück, zahle und verschwinde.

Vielleicht bin ich sehr altmodisch. Unser Jüngster hat auf der Weltreise der "Emden", wie alle seine Kameraden, mit braunen Seychellen-Mädchen getanzt und lächelnd von jeder gehört, daß ihre einzige Sehnsucht sei, einmal nach Paris zu kommen. Dort spielt schon auf den Boulevards die Farbige eine Rolle. Wenn bei uns in Deutschland nicht der Umschwung käme, würde dieses Sehnsuchtsziel aller Nigger bald vielleicht Berlin heißen.
7. April 1932 (Donnerstag)



Glossen 25 - 27

Jahresinhalt

Glossen 31 - 33

© Karlheinz Everts