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Hitze und Großstadtgerüche - Im Garten am See - Langsames Autogeschiebe - Krolls Verlobungsgarten - Aus dem benachbarten Reichstag - Das sogenannte Uniformverbot - Unser alter Schuster - "Annemarie" im Schillertheater
In unseren Breitengraden, wo man die drückende tropische Feuchtigkeit nicht kennt, auch den "Roten Hund" nicht kennt, sollten wir uns über das bißchen Juliwärme von 32 oder 33 Grad Celsius nicht aufregen. Denn Aufregung erhitzt. Mit dem nötigen Gleichmut und in zweckmäßiger Kleidung findet man das Wetter prachtvoll und gesund. Wer freilich pralle Weste und Bratenrock und steifen Filzhut trägt, der mag nach Luft schnappen. Und das ist in der Großstadt besonders schwer, denn da kriegt man den Mund voll Auspuffgas von den Autos her oder sonstigen Stank und Stunk und Stickstoff. Man gewöhnt sich daran, nur schwach und schnell zu atmen. Die Luft tief einzuziehen, daß der Brustkasten sich wohlig wölbt und der Sauerstoff bis in die letzten Lungenbläschen dringt, ist zwischen Panke und Landwehrkanal kaum möglich. Wir Berliner Berufsmenschen können das allenfalls am Sonntag, wenn wir weit weg flüchten. Bleiben wir im nächsten Bereich, so geht die Erholung in der Heringstonne, die man Vorortzug nennt, wieder verloren. Am letzten Sonntag konnte ich an einem kleinen See in einem stillen mecklenburgischen Städtchen mich aufpumpen. Da sind 32 oder 33 Grad Celsius eine Lust, da machen sie den Landeseinwohner auch nicht nervös, sondern erhalten ihm seinen behaglichen Humor. Wir haben unseren Wanderruderern unterwegs einen Ferienbesuch gemacht und haben die kleine Gesellschaft zu Mittagbrot und Kaffee in den Gasthof geladen. Der Gasthof hat einen großen Garten mit Tischen und Bänken und Liegestühlen am See, einen sehr früchtereichen Garten, in dem aber kaum geräubert wird, da keine Verbotstafel die Gäste reizt, sondern nur die launig-verständige Botschaft sie erfreut:
"Das Pflücken des Beerenobstes besorgt der Wirt."
Da wird einem wirklich friedlich und fröhlich zu Mut und man wünscht allen Berliner Abgehetzten die gleiche Stimmung. Aber wenn man abends zurückkehrt und am Stettiner Bahnhof aussteigt, hat man schon fast seinen Erstickungsanfall in dem scheußlichen Brodem. Ich kenne nur eine City in ganz Europa, wo die Luft noch dicker ist; das ist die City von London. Auch das Geschiebe der Wagen und Omnibusse ist dort noch viel dichter. Aber auch wir werden in höchstens zehn Jahren so weit sein, daß man nicht mehr vorwärts kommt, wenn man aus den Wohnvierteln außen im Auto in die Innenstadt will. In Newyork, so wird mir erzählt, lassen einige große Geschäftsleute sich schon wieder eine Wohnung in das Bureauhaus in der City einbauen, um so mehrere Stunden Anfahrt und Heimfahrt in Schneckentempo zu sparen. Freilich tun die Amerikaner viel für die Reinerhaltung der Luft. Nicht eine rauchende Lokomotive darf in die Stadt, in weitem Umkreise sind die Bahnen elektrisiert; und stinkende Autos werden überhaupt nicht geduldet.
Bei uns wirkt der Tiergarten nur noch für seine nächste Umgebung als Filter. In die paar Handvoll Ozon teilen sich redlich die Tausende, die nachmittags oder abends "bei Kroll" zu Musik ihren Eiskaffee schlürfen. Besonders nach Sonnenuntergang wird hier die erste Erfrischung fühlbar. Die Krolloper selbst am Königsplatz, die Filiale der staatlichen, ist lange nicht so lockend als der Garten, der nebenbei allmählich wieder seinen alten Ruf bekommt: hier treffen und mustern sich die gut bürgerlichen Familien, deren Kinder verlobungsreif sind. Bei der Ouverture zur Weißen Dame von Boieldieu wird man weich gestimmt, bei dem Hohenfriedberger Marsch faßt man heroische Entschlüsse über die Aussteuer. Man ist trotz der Menge allein und ungestört, denn auf einen Familientisch kommen rundum vier gleichgültige andere, an denen uninteressiertes Laufpublikum Platz genommen hat.
Aus dem benachbarten Reichstag kommt hin und wieder ein Erleuchteter der Nation hierher. Diese Leute haben bei ihrer durchschnittlich vierzehnstündigen Arbeitsbereitschaft, die doch meist eine erhitzende Kampfbereitschaft ist, das gelegentliche Luftschnappen besonders nötig. Im Plenum nachmittags explodiert schon oft genug die Nervosität. Morgens in den Ausschüssen hilft man sich durch schnoddrige Zwischenrufe über die Erschlaffung hinweg. Bei der Position "Holz" erzählt der Berichterstatter im handelspolitischen Ausschuß: "In der Tschechoslovakei nimmt der Nonnenfraß immer mehr überhand." Und ein Kollege ruft dazwischen: "Daher ist auch der päpstliche Nuntius aus Prag abgereist!" Oder man berät über das zollfrei einzuführende Kontingent an Gefrierfleisch. Und ein Abgeordneter macht den Einwurf: "Von allem Gefrierfleisch schätze ich nur - die Kalte Ente!" Da richten sich die erloschenen Blicke wieder auf, man leckt sich die Lippen: denn Kalte Ente nennt der Berliner das Getränk, das anderswo als Bowle bezeichnet wird. Den Newyorker Verbrauch an Eisgetränken werden wir freilich kaum erreichen, und das ist gut so, denn ihr übermäßiger Genuß schädigt den Magen, erschwert dem Herzen die Pumparbeit und lähmt die Denktätigkeit. Schon der Massenkonsum von Yoghurt im Reichstag hat, glaube ich, solche Lähmungserscheinungen zur Folge. Sonst wäre der ganze Skandal dieser Tage um das "Uniformverbot" nicht denkbar gewesen.
In dieser Frage bin ich ganz ketzerisch. Ich habe so oft meinen Lesern "aus dem Herzen gesprochen", daß sie es mir nicht verübeln mögen, wenn ich sie hier - vor den Kopf stoße. Ich bin nämlich Gegner dieser Agitation der Rechten.
Also, erstens: Ein absolutes Uniformverbot existiert gar nicht.
Die Parlamentarier, denen ich das sage, schauen mich blöde an. Und es ist doch so. Es existiert nur eine Verordnung Eberts, die das Uniformtragen - regelt. Eine solche Verordnung gab es auch unter dem Kaiserreich. Danach stand es den mit dem Rechte des Uniformtragens verabschiedeten aktiven Offizieren allerdings frei, die militärische Tracht - mit dem Inaktiven-Abzeichen - weiter anzulegen, außer bei Ausübung eines etwaigen neuen Berufes; auch hier gab es also Einschränkungen. Ebenso erhielten, nur nach längerer Zugehörigkeit zur Armee, verabschiedete Offiziere des Beurlaubtenstandes das gleiche Recht. Im übrigen stand in der Vorschrift, man lege die Uniform bei dienstlicher Einberufung an, also bei militärischen Übungen, Ehrenratssitzungen, Kontrollversammlungen; ferner bei patriotischen Veranstaltungen der Kriegervereine und dergleichen; schließlich bei Beerdigungen militärischen Charakters. Erlaubt war außerdem das Uniformtragen "bei der eigenen Hochzeit". Die gegenwärtig gültige Verordnung Ebert-Wirth regelt sinngemß die Materie. Dienstliche Einberufungen gibt es nicht mehr, das fällt also weg. Patriotische Veranstaltungen, "an denen die Reichswehr teilnehmen darf", bringen dagegen die Erlaubnis zum Uniformtragen; ausgeschlossen werden durch diese Fassung - und das kann man der Regierung nicht verübeln - also die agitatorischen Veranstaltungen von reinem Parteicharakter. Dann aber ist das Uniformtragen ausdrücklich auch gestattet "bei wichtigen Familienfestlichkeiten" ganz allgemein. Nichts mehr von der Beschränkung auf die eigene Hochzeit des ehemaligen Offiziers.
Also das Recht auf das Tragen der Uniform ist zum Teil sogar erweitert. Nur die grundsätzliche ständige Erlaubnis für Inaktive ist nicht da, die die Herren selber früher nicht ausnutzten.
Man braucht ja heute bloß einen Blick in "Sport im Bild" oder eine andere illustrierte Zeitschrift der Gesellschaft zu werfen: fast jede Nummer bringt ein Bild von irgendeiner mondänen Hochzeitsgesellschaft, auf dem nicht nur der Bräutigam als Leutnant a.D. oder Leutnant d.R.a.D. in voller Kriegsbemalung prangt, sondern auch die Schwiegerväter und Oheime als Charakter-Majors, und der eine oder andere Ehrengast als Oberst oder als General in Kriegs- oder Friedensuniform kommt. Und wenn unsere alte Waschfrau stürbe, der habe ich es versprechen müssen, daß ich in Uniform zu ihrer Beerdigung komme; das ist - Familienfestlichkeit. Selbstverständlich dürfte man es nicht bei einer kommunistischen Trauerfeier, - "aber überall, wo ein Pastor dabei ist", sagt die ungeschrieben Regel. Seit 1918 habe ich nie mehr des Königs Rock angezogen, weil er mir einfach zu schade ist für die heutige Welt. Ich selber hüte sie mir für "den" Tag. Und wenn ich ihn nicht mehr erleben sollte, will ich in ihr begraben werden. Ich denke dabei an die Heineschen beiden Grenadiere, das einzige von Heine, an das ich mit innerer Genugtuung zurückdenke, während mich schon in der Loreley das gräßlich Undeutsche stört, daß er nicht weiß, was soll es bedeuten; statt: was es bedeuten soll. Also wie der Grenadier Heines sage ich mir von dem Einst: "Dann steig' ich gewappnet empor aus dem Grab, den Kaiser, den Kaiser zu schützen!" In den gegenwärtigen Tagen aber kommt mir der Waffenrock nicht aus der Truhe.
Schon in der guten alten Zeit ging die Uniformerlaubnis zu weit. Nach der Kontrollversammlung zogen die vielen jüngeren Herren des Beurlaubtenstandes in Berlin die Uniform nicht etwa wieder aus, sondern saßen darin bis 1 Uhr nachts oder länger in Cafés herum. Einige von ihnen zuletzt sogar in "sehr fortgeschrittenem Zustande". Das hat nicht gerade zum Ruhm und gutem Ruf der Armee beigetragen; wozu man in der Kleinstadt gutmütig lächelt, das macht in der Industrie-Metropole böses Blut. Nun haben uns die Jahre 1914-1918 dazu eine Unmenge Kriegsleutnants beschert, brave, tapfere Jungen mit Führerqualität, aber doch ohne die Erziehung und gesellschaftliche Tradition des Friedensheeres. Wenn die alle jetzt jeden zweiten Tag in Uniform zu irgendeiner Veranstaltung nationaler Verbände hinliefen, so würde des Königs Rock zu Demonstrationszwecken mißbraucht und der Träger außerdem leicht in Lagen gebracht, in denen er diesen Rock vor Beschimpfung nicht schützen kann. Es ist besser und wirkungsvoller, wenn man in bürgerlichem Gewande für seine monarchische Überzeugung eintritt. Und wenn ein alter General, der etwa im "Nationalen Klub" in der Sommerstraße am Worte ist, seinen Worten mehr Nachdruck verleihen will, indem er in Uniform mit Halsorden erscheint, so ist dieser General ein Dummkopf.
Es tut gut, sich so etwas einmal vom Herzen zu reden, auch wenn man deswegen verketzert werden sollte. Ich wiederhole, was ich schon früher einmal gesagt habe: weder das Reich Gottes, noch das alte Kaiserreich kommt zu uns "mit äußerlichen Geberden". Für die notwendige Erinnerung an das Alte und für den Zusammenhang damit genügen die durch die Reichswehr legitimierten Feste und die Denkmalsenthüllungen und Regimentsappelle und Hochzeiten und Beerdigungen meines Ermessens vollkommen.
Mein alter Schuster will sich immer die Pechhand an der Schürze abwischen, wenn ich ihm meine Hand gebe. Nach Möglichkeit komme ich ihm zuvor. Mein alter Schuster ist ein prächtiger königstreuer Mensch, und uns beiden strahlen die Augen, wenn wir an etwas "Patriotischem" teilnehmen. Da ist es viel besser, wenn wir beide unseren bürgerlichen Sonntagsrock anhaben. Wir stehen alle in einer Front, auch der Inhaber des kleinen Weißwarengeschäfts drüben, auch der Kohlenhändler im Keller, auch der junge Banklehrling im Nebenhause, auch die Gemüsefrau. Diese Front muß unabsehbar werden, bis einst vor ihr das Lügengebäude derer zusammenbricht, die uns um das Kaiserreich betrogen haben. In ihr aber stehen Millionen, die gar keine Uniform haben, und da brauche auch ich keine unter ihnen, denn ich will mich nicht absondern, und wenn mein Wort und mein Beispiel nicht mehr wirkten und ich eine Uniform zur Unterstützung brauchte, dann wäre auch ich eben leider ein Dummkopf.
An unserer Seele müssen wir alle erst gesundet sein. Sonst erringen wir das Verlorene nie wieder.
Gelegentlich macht ein Theaterleiter den Versuch, festzustellen, ob unser Publikum immer noch das galizische Rauschgift mag, das ihm in den Zotenschlagern geboten wird, oder ob es wieder zu harmloserem Genusse neigt. Er ist ja Geschäftsmann, ist ja abhängig vom Publikum. Und gelegentlich, wenn auch noch nicht allzu häufig, wird tatsächlich festgestellt, daß man ein Theater auch füllen kann, wenn man nicht Stücke bringt, bei denen selbst ein Schimpanse erröten müßte. Auch das würde man so gern als ein Anzeichen innerer Gesundung registrieren, wenn man sich nicht schon so oft getäuscht hätte. Das Schillertheater Charlottenburg ist in diesen Wochen trotz der Hitze täglich gut gefüllt, und männiglich erfreut sich an der Gilbert-Operette "Annemarie", deren Texte zwar auch nur bescheideneren Geistern genügen mögen und überdies wie stets in etwas holprigem Deutsch abgefaßt sind, die aber wirklich etwas von der herzlichen Lustigkeit des Schwankes alter Art hat. Gleich die Eröffnungsszene, in der die dicke Frau - es ist die unverwüstliche Josefine Dora, die ich schon 1893 in "Zwei Paar Schuhe" sah - eines Berliner Emporkömmlings Foxtrott-Unterricht bekommt, ist zum Wälzen. Die Tanzlehrerin - die mollige, tollende Camilla Spira - ist ein verkapptes Komteßchen in Not. Die gräfliche Familie und zwei Berliner im Grunde herzensbrave Emporkömmlingsfamilien stellen die Personen, zum Schluß wird doppelt über Kreuz geheiratet und nach dem durchschlagenden Marsche
"Durch Berlin fließt immer noch die Spree, |
trotten die Paare und Pärchen vor dem begeisterungstollen Publikum einher, während - die ganze Bühne mit ganz Berlin an ihen sich vorbeidreht. Ein bißchen Sentimentalität, vorsichtig dosiert, findet sich in allen Liedern, vor allem aber auch ein bißchen echtes Lokalkolorit, und den wirklichen Volkston summt die Menge im Zuschauerraum voll Vergnügen mit:
23. Juli 1925 (Donnerstag)
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Pariser und Berliner Badesehnsucht - Meine kommende Ferienreise - Abgearbeitet - Im Urteil des Fensterputzers - Die Mannequins am Werbellinsee - Modewechsel - Eingehende Reitwege - Mein Gewerbeschein - Als Leiermann auf Hinterhöfen
Das ist jetzt die Zeit, wo sogar die seßhaftesten Menschen, der Proletarier und der Spießbürger von Paris, einmal in die Ferne schweifen. Nämlich auf zwei Tage nach Tréport.
Dazu nimmt Maman den großen Schwamm und die schwarze Seife mit, wenn die Familie dieses ihr alljährliches Bad genießt. Einmal im Jahre, das kann nichts schaden. So sagt man zur Beruhigung der mißbilligenden Großmama, die noch der gut französischen Ansicht ist, daß ein anständiger Mensch überhaupt nicht bade.
Wie ja auch der in Katernberg im Rheinlande einquartierte französische Oberleutnant, dem nach seinem glorreichen Einzug im Januar 1923 die Wirtsleute ein Becken mit Wasser hinstellten, entsetzt abwehrte:
"Nix wasch! Viel kalt 'eute!"
Da ich kein Franzose bin, deren Fürnehmste in Deauville auch nicht baden, sondern Baccarat spielen, ist die tägliche kalte Brause im Badezimmer für mich nur die Vorfreude, der erst der Hauptgenuß in der wogenden See folgen soll. Und habe ich einige Tage an der See gesessen, geht es diesmal auf die See. Ein bißchen um Europa herum, auf dem Motorschiff Sorrento der Slomanlinie; und da will ich nach Möglichkeit keinen Seeplatz in Spanien und Italien, an den ich verschlagen werde, unbebadet lassen. Zum ersten Male in meinem Leben bekomme ich - ich selber könnte mir zurzeit nur erheblich Näheres leisten - eine solche weite Fahrt geschenkt. Ich bin Gast der Reederei. Natürlich habe ich mit tausend Freuden angenommen, denn nach zehneinhalb Monaten stickigen Berlins ist man wirklich reif zum Auslüften von Lunge und Hirn. Meine Leser werden mir wie immer diese Pause bis in den September hinein gönnen, aber es gibt andere Leute, die die Notwendigkeit einer solchen Ausspannung für geistige Arbeiter überhaupt nicht begreifen.
Am ehesten verstehen das noch Dienstboten, denn die haben einen Einblick. Jeden Morgen um ½8 kriegt der Herr seine vielen Zeitungen und Briefe zur Durchsicht, dann geht es "durch" bis in die sinkende Nacht, meist nur mit 12 Minuten Essenspause zu Mittag und häufig genug ist es vorgekommen, daß der Herr noch um 7 Uhr morgens am Schreibtisch saß, an den er sich abends zuvor gesetzt hatte. Jeder Besuch und jedes Gespräch am Tage bedeutet Nacharbeit, Nachtarbeit. Die Berliner Plauderbriefe sind ja nur ein winziger Teil des ganzen Pensums. Nach wenigen Monaten wissen die Dienstboten bei uns, daß man entweder "rumpelt" oder Broschüren macht oder Stimmungsbilder und Leitartikel schreibt. Unsere frühere Ottilie hat einen Besucher einst mit den bedauernden Worten abgewiesen: "Der Herr schreibt gerade einen Leidensartikel." Sie hatte eben immer "Leidartikel" mit weichem d verstanden und war darob in Mitgefühl zerschmolzen.
Schon etwas ferner Stehende denken darüber anders. Wie in England überall die step cleaners ins Haus kommen, um regelmäßig die Stufen der Hausschwelle weißzureiben, so hat man in Berlin zur Entlastung seines Dienstmädchens einen Vertrag mit Fensterputzern. Da steht so einer auf der Leiter an unserem 4½ Meter hohen Fenster in der Halle, das er erstaunlich schnell mit einem bißchen Schmutzwasser ganz blank kriegt. Und der meint:
"So 'ne sojenannte Arbeet wie Ihr Herr mecht' ick ooch ham: ejal roochen, dicke Biecher schmökern un denn wat uff's Papier klieren!"
Ach, mein Lieber, Du würdest Dich bald zu Deiner Leiter, Deinem Eimerchen und Deinem Putzlappen zurücksehnen! Denn so gegen Ende Juli muß unsereins manchmal die Zähne zusammenbeißen, um noch die Kraft zu ein paar Worten aufzubringen. Man gibt sich im Laufe des Jahres im wahrsten Sinne des Wortes mit seiner Nervenkraft aus; und zuletzt bäumt sich in einem der rasende Haß wider dieses Berlin auf, und man wünscht nur, etliche Wochen lang völlig maulfaul und schreibfaul vegetieren zu dürfen.
Wer ein Feuilleton, einen Film, ja auch nur einen modernen Bilderkatalog vor sich hat, ahnt meist nicht, welche Arbeit darin steckt. Mit Film und Reklame habe ich zum Glück nichts zu tun, aber zuweilen kann ich da hinter die Kulissen sehen. Da braust beispielsweise am vorigen Sonntag die Expedition des "K.E."-Magazins an den Werbellinsee: vier Horch-Wagen, darunter der Sieger des Taunus-Rennens mit Herrn v.Puttkamer am Steuer, der Privatwagen des Verlegers Kurt Ehrlich, ein Proviantwagen des Borchardtschen Wein- und Delikatessengeschäfts. Außer Photographen und einigen Gästen hat man sich dazu die 4 leckersten jungen Mannequins aus Berlin zusammengesucht, die der Kunstmaler Conny nachher zu Gruppen stellt. Die Mädchen kommen zuerst in Auto-Lederkostümen der Firma S. Adam; am See produzieren sie sich nachher in Luxuswäsche der Firma Grünfeld. Schließlich ist ein Borchardt-Picknick zu photographieren, das mit Krebsschwänzen in Dill anfängt und mit Mokka endet; dazu gibt es Hoffmann-Pralinen und Manoli-Zigaretten. Die Reklamechefs der beteiligten Häuser leiten zusammen mit dem Maler die ganze Affäre und arbeiten sich dabei redlich ab, schwitzen mindestens einen Kragen durch und sind zuletzt schachmatt. Für sie ist es auch keine besondere Nachtisch-Süßigkeit, daß der im Freien von Auto zu Baum ausgespannte Vorhang, hinter dem die 4 Schönen Toilette machen, vorzeitig wegen Reißens der Schnur niedersinkt. Das macht nur den Gästen Spaß. Wenn aber nachher im "K.E."-Magazin oder sonstwo die Reklamebilder erscheinen, sieht alles so ungezwungen aus, als ob eine fröhliche Gesellschaft der obersten Vierhundert ganz zufällig hier geknipst sei. Noch schwerere Arbeit steckt im Film. Die ewigen Wiederholungen kleiner Szenen und Stellungen, bis endlich alles klappt, sind so anstrengend, wie früher beim Militär zwei Stunden Nachexerzieren; nämlich wenn es richtig war, so daß der Bestrafte dabei an Gottes Gnade und Barmherzigkeit zu zweifeln begann, wenn er überhaupt noch denken konnte. Vielleicht sehe ich mir nach der Rückkehr vom Urlaub wieder so etwas in einem der Berliner Filmateliers an. Wenn man die Damen vom Film nur frühstücken sieht, in berückenden Kostümen natürlich, besonders häufig im Weinrestaurant von Peltzer in der Neuen Wilhelmstraße, sehen sie allerdings nicht nach Arbeit aus. Und sind doch manchmal bei und nach den Proben naß zum Auswringen.
Sie fallen immer noch in der Menge auf, unsere Damen vom Film, denn sie wollen ja auffallen. Aber das Volk irrt, wenn es glaubt, das sei elegant. In seiner Physiologie des eleganten Lebens schreibt Balzac: "Alles, was Effekt machen will, ist geschmacklos, wie alles, was grell ist. Wenn das Volk dich anstarrt, dann bist du nicht gut angezogen; dann bist du zu viel angezogen oder du denkst zu viel über deine Kleidung nach." Unsere Mode ist augenblicklich sehr bunt, sehr farbenfroh, aber doch dezent; das Vornehm-Unauffällige kann trotzdem leuchtend sein. Man sieht wieder viele gut angezogene Leute, auch in der Herrenwelt, die sich von dem weibischen Kleiderschnitt der letzten Jahre endlich abwendet. Auch ihr langes glanzgebügeltes Haar können die jungen Männer leicht loswerden. Etwas schwerer ist der Frisurwechsel für die Frauen. Sie bemerken aber doch schon mit Unruhe, wie der nur noch vereinzelt auftauchende reiche blonde oder braune Knoten im Nacken magisch die Männerblicke anzieht, weil die Bubiköpfe schon zu gewöhnlich geworden sind. Manche Dame läßt also jetzt den Sommer über wachsen, was wachsen will; und ganz glücklich sagt manche Bubi zu ihrer Freundin: "Ich kann mein Haar schon einschlagen!"
Wer noch halb Bubi und schon halb Dame ist, macht sich mit solchem Flatterschopf recht gut - zu Pferde. Auch wenn er nicht so echt goldblond ist wie der Cilly Feindts. Man sieht diese lustigen Mähnen gelegentlich auf dem Reitweg des Kurfürstendamms und im Grunewald. Aber der Reitweg auf dem Kurfürstendamm soll demnächst aus Verkehrsrücksichten eingezogen werden, - und dann hat die Berliner Asphaltwüste die letzte Erinnerung an das Alte geschluckt. Wo jetzt die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche steht, da pflegten noch vor vierzig Jahren die Herren und Damen der Hofgesellschaft aufzusitzen, wenn es zur Parforcejagd in den Grunewald ging. Auf sandiger Landstraße.
Der Reitweg Unter den Linden ist ja schon verkittet. Alles schiebt sich weiter hinaus in die entferntesten Vororte; auch der Poloklub hat hoch im Norden von Berlin sein Quartier.
In Berlin selbst sieht man immer mehr nur die ramponierten Fassaden der Häuser. Ein Fremder, der sich etwa auf die Höfe begibt, wie man es in kleinen alten Städtchen ruhig und in seiner Wißbegier ungestört tut, wird hier angeknurrt. Ist kein Portier da, so tut es ein Mieter. "Wat wollnse ?" Und man kriegt einen mißtrauischen Blick, der mindestens drei Jahre Zuchthaus abwägt.
Trotzdem habe ich heute im Norden Berlins ungezählte Höfe gesehen. Hinterhaus-Idyllen und Hinterhaus-Tragödien. Die ganze Zille-Welt.
Es hat lange gedauert, bis ich endlich meinen Gewerbeschein hatte, der mir das erlaubt. Nämlich den polizeilichen, mit Lichtbild, Personale und Stempel versehenen Schein, wonach mir die jederzeit widerrufliche Erlaubnis - "zum Drehorgelspielen und Musikmachen mit anderen Instrumenten auf den Höfen und geschlossenen Grundstücken im Bezirk des hiesigen Polizeiamts" erteilt wird. Warum auch nicht ? Wenn Karl May Recht hat, von dessen gesammelten Werken (ich habe sie nie in die Finger genommen) ein leibhaftiger Minister des neuen Deutschlands mir den 42. Band geliehen hat, so ist auch der Fürst Leopold von Anhalt, der alte Dessauer, einmal einen Tag lang Leierkastenmann gewesen. Die Berliner Drehorgelspieler, es mögen an die 800 sein, haben selten selber eine eigene Wimmerlade; es gibt dafür Verleiher, die von 20 Instrumenten schon leben, von 60, wie sie ihr industriösester, der "Vater Philipp" in Berlin O, besitzt, gut leben können. Ich habe schließlich einen selbständigen Leiermann gefunden, der mir für Geld und gute Worte den Kasten abtrat. Dieser Hofkunstbeflissene war ursprünglich, vor 20 Jahren, von Beruf Hundefänger, ein Beruf, den man nur zu zweien ausübt, weil man sonst doch keine Töle erjagt; die Fangprämie im Betrage von 1 Mark geht daher auch in zwei Teile, und wer sie sich nicht entgehen lassen will, der darf weder den Kampf mit Hunden noch auch mit Hundebesitzern scheuen. Mein guter Freund hat eine steife Hand, die eine Dogge ihm einmal zerfleischt hat, und ein ausgelaufenes Auge, das er eines anderen Hundes Herrchen zu verdanken hat, und seine Drehorgel ist ein ähnlicher Veteran, aber für meine "einmaligen" Zwecke noch ganz gut geeignet.
Allerdings: wenn ich ein modernes Repertoire hätte, mit "In Venedig, um Mitternacht" und dergleichen, dann könnte ich mehr machen. Meine "Wahre Liebe im Mai" und "Wer hat dich, du schöner Wald" und "Herrgott am grünen Neckarstrand" zieht nicht so. Im Laufe der ersten Stunde habe ich 92 Pfennig eingenommen; und dabei sind mir beide Arme vom Drehen schon lahm und ich schwitze in meiner alten Feldbluse und den Charlie-Chaplin-Hosen wie ein Affe. In den nächsten Stunden sinkt die Einnahme mehr. Denn nun begegne ich schon überall der Konkurrenz, und auf dem Nebenhofe ist sogar eine ganz neue Quietschkommode mit Triangelbegleitung; die Pest über den Kerl!
Also in der Schwedter Straße habe ich angefangen. Im ersten Hofe gab es nichts, obwohl ich 5 Sachen spielte, die letzte, einen Rheinländer zweimal. Von Blumentöpfen baumelten nasse Strümpfe. Zwei kleine Kinder popelten sich tiefsinnig in der Nase und lächelten nicht einmal. Zwei Jungen kamen von der Straße herein, musterten kritisch mein altes Gestell und verhöhnten mich-
"Den sein Jeschäft jeht ooch rickwärts."
"A hat woll zu viel Krebssuppe jefressen."
O, ich kann mir jetzt vorstellen, wie solch einem armen Leiermann zu Mut ist. Aber schon im zweiten Hofe kriege ich Handgeld. In einer kleinen Kemenate über dem Torbogen steht am Fenster ein Wuschelkopf von Mädchen im bloßen Hemd. Es scheint der Beruf dieses Mädchens zu sein, im Hemde dazustehen. Einen Stock höher brüllt eine Mannesstimme mitten in meine wahre Mailiebe hinein: "Nicht einmal ausschlafen lassen einen diese verfluchten Leiermänner!" Und dabei ist es doch schon 9 Uhr. Da fühlt das Mädchen im Hemde ein Erbarmen und wirft mir ihre Kupferschätze zu, zusammen 6 Pfennige. Ich lüfte dankbar den Hut und spiele dann noch extra das "Electric Girl", denn es ist Anstandspflicht, nicht sofort nach einer Gabe zu verschwinden. Im dritten Hof, in der Möbelfabrik von Kiehle, sammeln die Arbeiter - sie wissen doch immer, was Organisation bedeutet - für mich, und ich verdiene 42 Pfennig. In den weiteren Häusern bekomme ich hie und da einen Sechser zugeworfen, meist aus den Wohnungen im Erdgeschoß; die Leute in den oberen Stockwerken nassauern.
Mit einem alten Mütterchen in einem Kellerhof komme ich ins Gespräch. Die Alte hat selbst nichts. Aber sie sieht mich schwitzen und bringt mir ungebeten ein Glas Wasser. Die Frau erzählt, sie kenne auch einen Leiermann, allerdings "nich so 'nen feinen" wie mich (ich blicke verschämt auf meine Hände), und der verdiene 85 bis 90 Mark monatlich. Das sei mehr als vor dem Kriege. Damals habe man sich gesagt, für 5 Pfennige kriege man schon einen Kohlkopf, und habe 5 Pfennige also nicht weggeschmissen, sondern nur Kupfer, aber heute sage man sich, man kriege doch nischt dafür, und da schmeiße man schon eher 5 Pfennige.
Schließlich kommt auch ihr Mann hervor, ein Hutzelmännchen. Und es wird mir ganz warm ums Herz, als sie ihm erzählt:
"Siehste woll, dieser Mann hat ooch woll bessere Dage jesehn. Nu leiert er! Und die Schufte, wo Reflution jemacht ham, koofen sich 'ne Filla. Haste Worte ?"
30. Juli 1925 (Donnerstag)
Glossen 43 - 44 |
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