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Friedrich der Vorläufige, die Zietz und die AnderenDie Weimarer Nationalversammlung
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„Ich bin ein Idiot! Ein vollkommener Idiot! Das muß jeder sagen, der das liest!"
Er ächzt, er knüllt sein Zeitungsblatt zusammen, er sinkt vernichtet in den Klubsessel. Ein Glück, daß wenigstens diese Sessel, aus dem Berliner Reichstag herübergebracht, hier im Foyer in Weimar stehen. Der Parlamentarier hält darin kurz vor Beginn der Nachmittagssitzung sein Schläfchen. Der Pressevertreter kommt in ihnen auf seine besten Gedanken. Besonders wenn Mutter Pollin, die Theaterwirtin, oder Lotte, ihre rosig dralle Nichte, ein Schälchen „echten Mokka" danebengestellt hat. Aber man erlebt auch manchen Zusammenbruch in diesen Sesseln. Hierher wankt der Abgekämpfte aus dem Parkett oder von der Bühne, der Abgeordnete oder der Regierungsmann.
Genau so tut es unser Kollege, der gerade seinen angeblichen Idiotismus ausgestöhnt hat. Er hatte seiner Zeitung durch den Draht so wunderbar schöne Dinge übermittelt, aber der Drahtfehlerteufel zwickte entscheidende Stellen ab, schüttelte ein paar Ungereimtheiten dazu, machte aus Erhebendem Lächerliches und aus Klarem einen großen Mist.
Wir alle haben darunter gelitten. Ich, dank unseren guten Telephonstenographen, noch am wenigsten. Aber auch ich.
Ich schleudere am späten Abend meine Sätze wie die Speere. Jeder haftet zitternd mitten im Schwarzen. Da hat jedes Komma und jeder Gedankenstrich seinen Sinn, da ist es wesentlich, ob ich in Jamben behaglichen Erzählens schwimme oder in Anapästen dramatischen Erlebens mich überstürze, da ist alles mit zusammengebissenen Zähnen scharf gepackt. Am nächsten Morgen bringt die Luftpost die Zeitung aus Berlin. Ich lese mit Genugtuung mich selbst Die Aufnahme und Übertragung ist wieder einmal vortrefflich. Da, beim letzten Absatz, wird mir plötzlich schwarz vor den Augen: ich hatte doch von „Lebensinteressen" der Nation geschrieben und nun steht da „Nebeninteressen"; aus „epischer" Ruhe ist „ethische" geworden, aus dem „vorurteilslosen" Herrn v.Graefe ein „urteilsloser"; und die deutschen Bundesstaaten haben nicht auf „eigene Gesandten" verzichtet, sondern auf – „eigene Gedanken". Fallet über mich, ihr Hügel, bedecket mich, ihr Berge!
Nun erscheinen die Stimmungsbilder hier in Buchform ohne alle die Zufallsfehler. Sie sind aufs neue durchgesehen, die abgestoßenen Stellen poliert. Was ich für die Tägliche Rundschau, wenn der Redaktionsschluß drängte, manchmal im letzten Augenblick auf die Hälfte zusammenstreichen mußte, ist hier wieder ganz. Dazu kommen einige wegen Verspätung überhaupt nicht gedruckte Aufsätze und zur Ergänzung einige Momentaufnahmen aus dem Preußenparlament. Ein Stück Zeitgeschichte unseres schier verlorenen Volkes wird festgehalten, ehe es entrollt; festgehalten, so wie es in heißen Stunden gesehen wurde, festgenagelt im Wortlaut auch mancher Satz, nach dem man später suchen wird.
Persönlich denkt jeder von uns Großstädtern gern an Weimar zurück, auch wenn er wie ich als steinerner Gast dasaß, in dem Leid des deutschen Vaterlandes verstummt.
Man empfand doch als Bürger eines Gemeinwesens, war nicht mehr nur ein Sandkorn unter drei Millionen zusammengeschaufelter Berliner. Man kannte schließlich jedermann, nicht nur die Parlamentshabitués in den Rängen des Theaters, die zumeist zur Damenwelt Weimars gehörten, man kannte die „G.Z. am Mittag", die vor dem Gange zur Nationalversammlung allmittäglich pünktlich in der Schillerstraße auftauchte, man kannte sämtliche Tapetenentwürfe einer anderen jungen Dame, der Tochter aus dem hochbegabten Cheruskerhause, man wußte im Fürstenkeller oder im Goldenen Adler, in dem schon Goethe saß, in dem Erbprinzen oder dem Elefanten, dessen Wirt einst Hermann und Dorothea nahen sah, so gut Bescheid wie in der unvergeßlichen Steinhöhle des Künstlervereins, diesem alten Refektorium mit den gebräunten hohen Säulen, dem Urväterhausrat, dem Riesenkamin, dem alla Campagna Romana frisierten Vorgarten und allen seinen lieben Mitgliedern und Gästen, die gegen 2 Uhr morgens zwar nicht die soziale Frage zu lösen versuchten, aber sophokleische Bruchstücke oder Ännchen von Tharau deklamierten oder zum siebzehnten Male sich die Geschichte vom Scheich der Senussi und der Schiffstreppe erzählen ließen. Man kannte fast jede alte Dame aus der zersprengten Hofgesellschaft Weimars, da man jedermann jeden Tag traf, unausweichlich in der kleinen Stadt, man unterschied schließlich sogar die einzelnen „Parkschlangen", die paarweis geführten Mädchenpensionate, die an der Ilm so üppig ringeln, man wußte besser als selbst die Weimaraner die Stellen, wo sich etwas hamstern ließ, Himbeersaft oder Stiefel oder Kalbskeulen oder Gummiband, man war heimisch in jedem verträumten Patrizierhause, man trieb Genealogie an den vermorschten Grabsteinen des alten Kirchhofs. Man bedauerte nur eines. Man bedauerte die Galeerensklaven der Politik: sich selber und vor allem die Abgeordneten der Nationalversammlung.
Für unsere aufreibende Arbeit fanden wir Pressevertreter, nachdem die anfänglichen Schwierigkeiten überwunden waren, hervorragendes Verständnis und unermüdliche Unterstützung durch die himmlischen Scharen oben hinter dem 2. Rang, die zumeist aus Berlin dorthin kommandierten Fernsprechgehilfinnen unter ihrem Vorstand, dem jungen Telegraphensekretär Stahl.
Nach allen Richtungen der Windrose haben hier ihre Chronistenpflicht 76 Zeitungsleute zu erfüllen, ungerechnet diejenigen, die nur mit behäbiger Briefpost arbeiten. An Trommelfeuertagen bringen sie es zusammen bis auf mehr als 4000 Ferngespräche. Wie in der Befehlszentrale eines Kriegsschiffes ziehen sich hier die Kabelwürste an den Wänden entlang. Die Damen haben alle Hände voll zu tun. Ein kleiner liebenswürdiger Rotkopf kommandiert. „Für Ullstein Zelle 14 frei!" „Herr von Wangenheim, Düsseldorf ist da!" „Hirsch soll gestrichen werden!" „Rundschau, bitte, kommt in 2 Minuten!" Türen klappen auf und zu, Apparate knacken, klingeln, schnurren, unerzogene Sprecher reklamieren grob; aber mit stets gleichbleibender Freundlichkeit schweben und huschen die Fernsprechgehilfinnen umher, suchen die Zeitungsmenschen auf der Tribüne, in der Wandelhalle, im Flur, im Lesezimmer auf, holen sie heran und „verbinden" sie ohn' Ermatten.
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Vormittags hat das Mitglied der Nationalversammlung Ausschußsitzung, nachmittags Plenarsitzung, abends Fraktionssitzung. Der Geplagte hört täglich 14 bis 16 Stunden andere oder sich selber reden. Und was für ein Zeug manchmal! Zum Studieren kommt er gar nicht. Nur eine von den Fraktionen für ihre Mitglieder scharf durchgeführte Arbeitsteilung ermöglicht überhaupt die Fortführung der Geschäfte. So kommt es, daß einer über Kalipreise Bescheid weiß, ein anderer über die Zigarettenbanderole, ein dritter über Moorkultur, auch wenn er beruflich diesen Dingen ganz fernsteht. Aber einen Überblick hat niemand. Jeder gewöhnliche Zeitungsleser weiß von Tagespolitik mehr als der Abgeordnete; denn der liest nichts. So wird er von jeder „Enthüllung" zunächst glatt erschlagen. Hat er ein Leben voll reicher Erfahrung hinter sich, so mag er daraus schöpfen, – solange noch etwas da ist. Auch das geht einmal zu Ende. Im Laufe von fünf Jahren aber vertrottelt auch der Klügste rettungslos, wenn er das Parlament nicht eifrig – schwänzt.
Nun werden aber nicht einmal immer die Klügsten gewählt. Manchmal die Gerissensten. Oft aber auch nur die Maulaufreißer. Und zuweilen gar nur irgendwelche lokalen Parteihonoratioren ohne jede hervorstechende Eigenschaft.
Man schämt sich, wenn man versucht, sich die Elite der Nation so vorzustellen, wie sie da sitzt. Es ist nicht die Elite. Es ist, allerdings mit einigen glänzenden Ausnahmen, eine Herde der Mittelmäßigen, über der die Peitsche des Parteitreibers knallt. Wenn man jetzt wieder die Sitzungen in Weimar, von der ersten bis zu letzten, Revue passieren läßt, so fröstelt es einen; wie ist es nur möglich, daß das Volk der Dichter und Denker sich die heutige parlamentarische Regierung mit ihrer Plattheit und Feigheit und ihrem leichtfertigen Verwirtschaften aller nationalen Güter gefallen läßt!
Über dem Reichstagsgebäude in Berlin, in das die Nationalversammlung jetzt einzieht, steht die Inschrift: „Dem deutschen Volke". Wir könnten uns aber kaum verteidigen, wenn ein Fremder käme und sagte, richtiger hieße es: „Der Frechheit und Ignoranz."
„Friedrich der Vorläufige, die Zietz und die Andern” ist das grundlegende Werk, das . . . sich ständig neue Freunde erwirbt und allmählich zur politischen Bibel aller Gebildeten werden zu wollen scheint. Alles, was der Verfasser an historischer Bildung und sprühendem Geiste besitzt, brilliert in dieser Weimarer Chronik. Wie die Presse darüber urteilt, lassen die unten angeführten Auszüge erkennen.
Ein Buch, das sich wie ein Roman liest und das doch „nur” Zeitgeschichte erzählt. Das Buch ist allen zu empfehlen.
Was in unserer wirren Zeit mit Kinematographengeschwindigkeit an uns vorüberflimmert, das ist in diesem Buche festgehalten: mit dem Auge eines Künstlers, mit dem Ernst eines Historikers von großem nationalem Wurf, mit der Feder eines Menschen von erlesenster Kultur.
Auf der Tribüne des Weimarer Nationaltheaters saß unter vielen Berichterstattern auch ein Darsteller; so erhob er Stück um Stück die Berichterstattung und die politische Fehdeführung zum Range der Kunst. Das Buch wird heute jeden lebendigen Deutschen erfreuen, erbittern, reizen und erheitern und künftig jedem Betrachter dieser Zeit unentbehrlich sein. Es ist das subjektivste Buch, das sich denken läßt, und wird dennoch durch die Kunst des Sehens und Zeichnens gültiges Dokument. (Friedrich Hussong.)
Ein Buch des Hasses und ein Buch der Liebe; des leidenschaftlichen Hasses gegen alles, was in Deutschland seit dem 9.November geworden ist, der Liebe zu dem, was vorher war. Der Haß ist vielleicht ein noch größerer Ansporn zur Kunst als die Liebe, und darum ist vom Standpunkt der Literatur das Buch über Weimar ein Meisterwerk geworden.
Darum kann ich jedem Deutschen, dem um die mit tausend Schleiern der Lüge von oben verhüllte Wahrheit bangt, nur dringend raten, sich dies zeitgeschichtlich bedeutsame Buch zu beschaffen. Nur wer der Waheheit mutig ins Auge sieht – und dies Buch ist Wahrheit – wird vom Ernst der nächsten Zukunft nicht überrascht werden. (Abg. v.Graefe)
Das Buch ist ein Musterbeispiel dafür, daß auch in der Welt des Journalismus der Stoff nichts ist und alles das künstlerische Temperament, durch dessen Auge die Welt geschaut wird. Daß aber all das, die fortlaufende tägliche Kleinmalerei, im ganzen ein großer Wurf geworden ist, das dankt man dem Politiker im Verfasser, der seinen festen Kurs gegangen ist.
Das Werk kann mit Fug und Recht als das beste Geschichtsbuch über die Entstehung unserer deutschen Republik bezeichnet werden.
Auch die eifrigsten Anhänger der Linksparteien werden dieses Buch nicht übersehen können. Es hat ihnen etwas zu sagen, trotz aller Schärfe, mit der es sie bekämpft. Ein Buch, das ernsthafte Politiker gelesen haben müssen.
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© Karlheinz Everts