Der Friedensstifter

Eine Ehestandsgeschichte

von

Freiherrn von Schlicht.

aus:

„China”

Schilderungen aus Leben und Geschichte
Krieg und Sieg

Ein Denkmal den Streitern und der Weltpolitik

Herausgegeben von
Joseph Kürschner
Berlin, Deutsche Kriegerbund-Buchhandlung, Dr. Hans Natge, dritter Teil, Spalte 409 bis 419

„Der Friedensstifter”

An dem Tage, an dem Leutnant v.Meurer seine junge, hübsche und reiche Frau heimführte, hatte er sich selbst und allen anderen, die es nur irgendwie hören wollten, mit hoch erhobener Rechten geschworen, er sei der glücklichste Mensch unter der Sonne und er werde es bleiben, so lange er lebe. Und er hatte wahrlich alle Ursache, glücklich zu sein. – Drei Jahre hatte er um seine Frau geworben, ehe der Schwiegervater, ein reicher Amerikaner, seine Einwilligung gab. In Karlsbad am Mühlbrunnen hatte die Bekanntschaft dadurch begonnen, daß er der jungen, schönen Amerikanerin – wie die bösen Kameraden behaupteten „absichtlich” wie er behauptet „unabsichtlich” – auf die Füße trat. Er hatte sich entschuldigt, sich vorgestellt, und war, ohne sich irgendwie um ihr erstauntes Gesicht zu kümmern, nicht von ihrer Seite gewichen – weder an diesem Tag noch an den folgenden. Nach vier Wochen hatten sie sich mit einem „Auf Wiedersehen im nächsten Jahr” getrennt und pünktlich am ersten Mai trafen beide Parteien wieder ein – aber zu der erhofften Verlobung kam es erst, als sie sich im übernächsten Jahr zum dritten Male sahen.

Nun war Leutnant von Meurer schon seit drei Jahren glücklicher Ehemann, das heißt, so ganz glücklich war er eigentlich doch nicht. Nicht etwa, als ob er unter dem zierlichen Pantoffel seiner jungen, eleganten Frau gestanden hätte, oder als ob sie ihn etwa tyrannisiert hätte, nein, das gab es nicht und er war auch nicht der Mann, der sich so etwas hätte gefallen lassen. Nein, seine kleine Maud war die zärtlichste Gattin, die er sich nur vorstellen konnte, sie liebte ihren Fritz wirklich – aber sie liebte ihn vielleicht etwas zu sehr, sie wollte ihn ganz für sich haben, sie liebte es nicht, daß er so viel außerhalb des Hauses war und deshalb drang sie täglich in ihn, seinen Abschied zu nehmen, sie konnten ja auch ohne sein Gehalt leben, ihr Vater gab einen jährlichen Zuschuß von dreißigtausend Mark, da spielten die hundertzwanzig Mark Gehalt, die er am Ersten bekam und über die sie sich immer halb tot lachen wollte, doch gar keine Rolle. Und außerdem, was war ein Offizier? Die hatten nach ihrer Ansicht gar keine Stellung, zu thun hatten sie auch nichts und verdienen thaten sie auch nichts – wozu da die Zeit an unnütze Dinge vergeuden?

Vergebens widersprach er: er war Offizier mit Leib und Seele, für ihn gab es nichts Schöneres als seinen Dienst. Als er eintrat, war er traurig gewesen, mit Rücksicht auf seinen Geldbeutel nicht Kavallerist werden zu können, aber sehr bald fühlte er sich auch als Infanterist, als ganz gemeiner „Fußlatscher” sehr glücklich und er konnte sich ein Leben ohne seinen Dienst gar nicht denken. Und was sollte er machen, wenn er aus Liebe zu seiner kleinen Frau wirklich den bunten Rock auszog? Sollte er mit sechsunddreißig Jahren weiter nichts thun, als sich dem Tod entgegen langweilen? Sollte er nur der Mann seiner Frau sein? Er dachte nicht einmal im Traume, geschweige denn im wachenden Zustande daran.

So setzte er denn allen Bitten seiner Frau ein „Nein” entgegen und je energischer dieses „Nein” klang, desto zärtlicher wurden ihre Bitten, desto mehr drang sie in ihn, ihr doch diesen „kleinen Gefallen” zu thun. Und um endlich doch ihr Ziel zu erreichen, ließ sie alle Künste der Verführung spielen – nur in Ohnmacht fiel sie nicht, damit hielt sie sich als praktische Amerikanerin nicht auf.

„Wenn Deine Thätigkeit wenigstens noch einen ernsten Hintergrund hätte, dann wollte ich noch nichts sagen,” meinte sie eines Tages, „aber wozu exerziert ihr eure Soldaten? Krieg giebt es heutzutage ja doch nicht mehr – das sagt mein Vater und der weiß an der Börse Bescheid und heutzutage bestimmt die Börse über den Krieg, wie früher in den Kabinetten darüber entschieden wurde.”

Mit ihrem süßen kleinen Mund redete sie Sinn und Unsinn durcheinander, nur um ihn zum Nachgeben zu bestimmen und vergebens versuchte er die Bedeutung des Wortes: „si vis pacem, para bellum” klar zu machen. Daß man sich stets auf den Krieg vorbereiten müsse, um den Frieden zu heben und daß das ohne das Soldatenspielen, wie sie es nannte, nicht ginge, das wollte ihr nicht in den Sinn.

Jeder der beiden Gatten beharrte auf seinem Standpunkt und so trat nach und nach eine Entfremdung zwischen ihnen ein, von der sie beide, als sie sich heirateten, sich nicht hatten träumen lassen. Aber mit der Ehe ist es bekanntlich ein eigen Ding: „Heirate nie,” sagte einmal ein weiser Mann zu seinem Sohn, „denn man kann nie wissen, wie sich eine Frau im Laufe der Zeit innerlich und äußerlich entwickelt.” Und so unrecht hatte der weise Mann nicht.

Das Verhältnis der beiden wurde immer kühler und kühler, sie waren wie stets, höflich und zuvorkommend gegeneinander, aber alle Zärtlichkeit war verflogen und beide konnten nicht begreifen, wie es möglich war, daß sie früher ineinander wirklich verliebt gewesen wären.

„Er wird schließlich zur Vernunft kommen und seinen Abschied nehmen,” dachte Maud.

„Sie wird endlich zur Vernunft kommen und ihren thörichten Plan aufgeben,” dachte Herr von Meurer.

So dachten sie so ziemlich dasselbe und doch beide gerade das entgegengesetzte und so hatte es mit dem häuslichen Frieden noch gute Weile.

Da geschah es, daß Leutnant von Meurer eines Tages in der denkbar besten Laune vom Dienst aus der Kaserne zurückkam. Seine Frau hörte ihn, während er sich umkleidete, ein lustiges Lied vor sich hinsingen und als er ihr wenig später bei dem Frühstück gegenüber saß, strahlte er über das ganze Gesicht.

Zuerst wollte sie thun, als bemerke sie das gar nicht. Was konnte sich denn groß auf dem Kasernenhof ereignet haben? Vielleicht war er belobt worden, weil die Fußspitzen seiner Leute in einer schnurgeraden Linie gestanden hatten, vielleicht hatte sein Zug durch gute Griffe die Anerkennung der höheren Vorgesetzten gefunden, irgend etwas derartiges war wohl geschehen und für derartige Dinge hatte sie nicht das geringste Interesse, die waren ihr sogar ganz gleichgültig.

Schließlich aber siegte doch die weibliche Neugierde, sie wollte wissen, was vorgefallen war, aber andererseits wollte sie nicht direkt darnach fragen, das konnte leicht so aussehen, als wenn sie wirklich neugierig wäre und den Verdacht lenkt keine Frau gern auf sich. So sagte sie denn schließlich: „Du bist ja heute merkwürdig vergnügt.”

„Bin ich auch,” gab er zur Antwort, „dafür bin ich doch Gott sei Dank Offizier, daß mich die Nachricht nicht kalt läßt,” und mit lauter Stimme sang er: „Auf in den Kampf, Torero, stolz in der Brust – siegesbewußt.”

Er war ein tüchtiger Offizier, aber ein miserabler Sänger, so hielt Maud sich denn jetzt die beiden Ohren zu und sagte mit flehender Stimme: „Muß das sein?”

„Das Singen?” fragte er, „natürlich. Du weißt doch, wenn der Deutsche sich freut, betrinkt er sich entweder oder er singt: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin. Der Amerikaner pflegt in solchem Fall zur Börse zu gehen und zu spekulieren, der Chinese schlitzt sich den Bauch auf, der Franzose tanzt einen Cancan, Bruder Oesterreich raucht eine seiner entsetzlichen Virginia, der Engländer ißt einen Plumpudding, der Russe verschlingt Talglichter und der Eskimo Leberthran. So äußert sich die Freude bei allen Menschen verschieden.”

„Aber warum freust du dich denn so furchtbar?” fragte sie nun.

Er sah sie mit großen erstaunten Augen an. „Ja hast du denn heute die Zeitung noch nicht gelesen?”

„Nur den New-Yorker Herold,” gab sie zur Antwort.

„Bleib mir doch mit dem Wurstblatt fort,” schalt er, „deutsche Zeitungen sollst du lesen und wenn du es thätest, dann würdest du wissen, was los ist – nämlich der chinesische Teufel. Die langzöpfigen Gelbgesichter haben mit der spielendsten Leichtigkeit die unglaublichsten Sachen fertig gebracht, sie haben Missionare ermordet, unseren Gesandten ermordet, sie bedrohen alle Fremden, nun, kurz und gut, es herrschen da Zustände, wie sie schöner gar nicht gedacht werden können. Li-Hung-Tschang hat so lange geschwindelt, bis auch er sich endlich festlog und bis er einsehen mußte, daß seine Lügen zwar etwas längere Beine haben, als die anderer Sterblicher, aber endlos sind sie auch nicht. Und nun geht's los – wir haben den Chinesen zwar keinen Krieg erklärt, denn mit einer solchen Bande führt man keinen Krieg, aber wir werden mal etwas nach China gehen, einmal nach dem Rechten sehen und den Leuten einmal etwas auf ihren Tetenkopf geben, daß sie mal wieder zur Besinnung kommen und ihren Opiumrausch für die nächsten paar hundert Jahre los werden. Und der chinesischen Mauer wollen wir einen Fußtritt versetzen, daß sie überhaupt nicht wieder an das Aufstehen denkt.”

Maud hatte ganz gleichgültig zugehört, das, was sie da zu hören bekam, interessierte sie eigentlich gar nicht und sie begriff auch nicht, wie das ihren Mann irgendwie interessieren könne.

„Was geht dich das denn aber alles an?” fragte sie schließlich.

„Nanu,” sagte er, „nun schlägt es aber dreizehn und ein Viertel, Maud, mach dich nicht schlechter als du bist und heuchle nicht noch weniger Interesse für mein schönes Vaterland, als du es nicht schon hast. Habe ich denn Wasser in den Adern, daß ich kalt und ruhig bleiben soll, wenn ich so etwas höre? Meinst du, daß ich die Schmach nicht mit empfinde, die uns zugefügt ist? Was das mich angeht, willst du wissen? Nun, ich will es dir sagen. Wir schicken eine große Truppenmacht nach China, um uns mit den Boxern einmal gehörig zu boxen und ich boxe mit, ich gehe mit nach China, ich habe mich sofort gemeldet und heute in vierzehn Tagen schwimme ich hoffentlich auf dem Ocean. Du kennst ja auch aus dem Berliner Wintergarten das schöne Lied: „Und sie gondelten, gondelten über den stillen See.”

Maud hatte Messer und Gabel fallen lassen und sah ihren Mann starr an, sie wußte nicht, war das Ernst oder Scherz, was er da sprach.

„Du – du – willst nach China?” sagte sie endlich stockend und zögernd.

„Aber selbstverständlich,” gab er zur Antwort, „zwar heißt es in Goethe: „Nichts Schönres kenne ich an Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von Krieg und Feldgeschrei, wenn hinten weit in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen.” Der da aber im Faust so spricht, ist der Typus eines Staatsphilisters, ich aber bin Offizier und schlage lieber selbst mit. Ja glaubst du denn,” fuhr er fort, als er das fast entsetzte Gesicht seiner Frau bemerkte, „daß ich ruhig daheim bleiben würde, wenn die anderen von dannen ziehen, um zu kämpfen und Lorbeeren zu ernten, oder für das Vaterland zu sterben. Ich hoffe ja, daß ich gesund wieder komme, denn schließlich, nur um sich totschießen zu lassen, geht man ja nicht in den Krieg, aber wenn ich falle, was ist denn Großes dabei? Sterben muß man ja doch und du wirst dich zu trösten wissen.”

Die letzten Worte sprach er nicht ohne Bitterkeit, es war in den letzten Tagen wiederholt zu ernsten Auftritten gekommen und bei den Mahlzeiten hatten sich die Gatten oft wie zwei Taubstumme gegenüber gesessen – sonst hatten sie sich am Tag überhaupt nicht gesehen und unter dem Vorwand, daß ihr Mann zu laut schnarche, war Maud aus dem gemeinsamen Schlafzimmer in die Fremdenstube übergesiedelt.

Es war eine wirkliche Entfremdung zwischen ihnen eingetreten und so entsprachen seine Worte: „Du wirst dich zu trösten wissen” seiner gewissenhaften Überzeugung. Maud war jung, hübsch und reich – wenn er wirklich nicht wiederkam, würde sie sicher wieder heiraten und an der Seite eines anderen fand sie dann vielleicht das Glück, das sie suchte – vorausgesetzt, daß der andere nicht auch mit Leib und Seele Offizier war.

Aber er erschrak nun doch, als er in Mauds großen dunklen Augen zwei dicke Thränen bemerkte, die sie vergebens zurückzuhalten suchte.

„Aber Maud, was hast du denn nur?” fragte er, „ ich dachte, du würdest dich mit mir freuen, daß ich nun endlich Gelegenheit hätte, dir und aller Welt zu zeigen, daß wir Soldaten doch nicht nur zum Spaß da sind, daß unser Exerzieren und unser Dienst doch einen sehr ernsten und praktischen Hintergrund haben. Und ich dachte, du würdest dich auch in anderer Hinsicht freuen. Du hast erst neulich, als ich deinen Bitten neuen Widerstand entgegensetzte, erklärt, du wolltest auf einige Zeit zu deinen Eltern nach New-York gehen, nun kannst du es ja thun – ein Jahr bleibe ich sicher fort, die Reise lohnt sich also wirklich für dich, du brauchst dir sogar nicht einmal eine Retourkarte zu nehmen.”

Aus seinen Worten klang ein leiser Spott – sie merkte es, daß er wirklich verbittert war, daß sie es mit ihren Bitten zu weit getrieben hatte, sie merkte ihm die Freude an, für einige Zeit fortzukommen – und daß ihm dies so leicht wurde, daß er so scherzend darüber sprach, daß die bevorstehende Trennung ihn gar nicht traurig stimmte, das kränkte sie in ihrem Stolz und in ihrer Eitelkeit.

Und so begann sie heftig zu schluchzen, sie weinte, weil sie zornig darüber war, daß ihr Mann sich nichts mehr aus ihr machte, sie weinte, weil sie nun in das Gerede der Welt kommen würde, die da schon oft gesagt hatte: Verdenken kann man es dem Mann nicht, wenn er eines Tages auf und davon geht, sie weinte – ja warum weinte sie nicht? Wahrlich nicht in letzter Linie weinte sie, weil ihr Gatte sie verlassen wollte – daß sie daran gedacht hatte, auf einige Zeit von ihm fortzugehen, bis er zur Vernunft gekommen sei, war nach ihrer Meinung etwas ganz anderes, er aber durfte nicht gehen, schon damit es nicht hieße, ihr Gatte habe es auf die Dauer bei ihr nicht ausgehalten. Und jetzt, als sie fürchtete, ihn vielleicht auf immer zu verlieren, erwachte auch mit einem Male die Liebe wieder in ihr, aus Liebe hatte sie ihn doch schließlich geheiratet und jetzt fühlte sie es: sie liebte ihn immer noch.

Und plötzlich lag sie an seinem Hals, weinend und schluchzend, mit thränenüberströmtem Antlitz. „Fritz, Fritz,” bat sie, „thu mir das nicht an, gehe nicht fort, bleibe hier, was soll ich wohl ohne dich anfangen – ich habe dich ja so lieb.”

Ihre Lippen suchten und fanden seinen Mund, den sie mit heißen, leidenschaftlichen Küssen bedeckte.

Der Wahrheit die Ehre: er küßte wieder, zuerst um sie zu beruhigen und zu trösten, dann aber, weil auch die alte Liebe, die wohl in ihm eingeschlummert, aber nie erstorben war, wieder in ihm erwachte.

„Warum küssen sich die Menschen?” fragte schon der alte berühmteste, wenn auch nicht der größte aller Kater – denn die vierbeinigen Kater sind oft reine Waisenknaben im Vergleich mit den zweibeinigen.

„Warum küssen sich die Menschen?” Fritz und seine schöne Maud versuchten gar nicht diese Frage zu lösen, sie küßten sich weiter, bis Fritz sich endlich mit sanfter Gewalt aus ihren Armen los machte, und seine Stimme hatte einen wärmeren, fast herzlichen Klang, als er sagte: „Nun sei verständig, kleine Maud, geschehene Dinge lassen sich nicht ungeschehen machen – ich gehe nach China, das unterliegt keinem Zweifel. Die Liste ist bereits telegraphisch dem Generalkommando mitgeteilt, morgen liegt sie im Kabinett, da ist nichts zu ändern, ein Zurück giebt es nicht mehr, wenn ich nicht den Fluch der Feigheit auf mich laden will, und das wirst du doch nicht wollen.”

„Was liegt mir daran, ob die anderen dich für feige halten, wenn du nur hier bleibst,” wollte sie entgegnen, aber sie hatte doch nicht den Mut, die Worte auszusprechen, sie wußte, daß sie ihren Mann dadurch von neuem erzürnen würde.

Sie weinte still vor sich hin, und er sprach von neuem tröstend auf sie ein: Vierzehn Tage hatten sie ja noch vor sich, ehe er ging und wie schnell war nicht ein Jahr herum – das waren ja nicht einmal fünfhundert Tage, und ebenso schnell wie fünfhundert Mark dahin schwinden, besonders wenn man sie auf einmal für eine neue Pariser Toilette ausgiebt, ebenso schnell, wenigstens beinahe ebenso schnell, gingen fünfhundert Tage dahin. Und wie bei jedem Streit die Versöhnung, so sei nach jeder Trennung das Wiedersehen das Schönste und das schilderte er ihr in so rosigen Farben, daß sie sich schließlich darauf freute.

„Frauen sind weiß Gott große Kinder, selbst wenn sie aus dem nüchternen Amerika kommen,” dachte er, aber er hütete sich, es ihr zu sagen, denn seine besten Gedanken muß man ja häufig für sich behalten.

Maud faßte sich schließlich so weit, daß sie alles wegen seiner Abreise mit ihm besprach und als gute Hausfrau ließ sie sogar durch das Dienstmädchen nachsehen, ob auch an allen Hemden Knöpfe daran seien – mit fehlenden Knöpfen sollte er unter keinen Umständen reisen.

„Da hast du ganz recht,” sagte er, „was sollen die Chinesen auch denken, wenn sie meine Leiche plündern und fehlende Knöpfe entdecken. Da sagen selbst die Brüder: Der muß ja eine nette Frau gehabt haben und dann kommen sie vielleicht her und nehmen an dir Rache.”

Er versuchte zu scherzen, aber ihre gute Laune bekam sie erst ganz wieder, als er ihr erzählte, bevor es nach China ginge, würden sie noch ein paar Tage zusammen nach Berlin reisen, um dort seine Ausrüstung zu vollenden. Darauf freute sie sich wie ein Kind, denn sie liebte Berlin über alles und sie entwarf ein genaues Programm, was sie alles dort ansehen wollten.

Aber aus der Reise wurde nichts. Nach drei Tagen wurde der Oberleutnant von Meurer auf das Regimentsbureau gerufen und dort setzte ihm der Oberst auseinander, es hätten sich so viele Offiziere für China gemeldet, daß es unmöglich gewesen sei, alle Gesuche zu bewilligen, er sei im Kabinett gestrichen worden.

Hätte Herr von Meurer nicht seinem Vorgesetzten gegenüber gestanden, so hätte er ganz grausam geflucht, so aber blieb ihm nichts anderes übrig, als alles, was er auf dem Herzen hatte – und das war nicht wenig – hinunterzuschlucken. Für die Stimmung ist aber so etwas keineswegs empfehlenswert und so befand sich der Herr Ober, als er von den heiligen Gefilden des Regimentsbureaus dann wieder in den Kasernenhof herniederstieg, in einer Stimmung, die man beim Militär ohne Charge „hundsmiserabel” nennt.

Er hatte sich wirklich auf China gefreut und diese Freude konnte selbst dadurch nicht getrübt werden, daß er in der letzten Zeit doch mit einigem Herzklopfen an den Abschied von seiner Maud gedacht hatte. Er war verliebt in sie, wie damals, als er geschworen hatte, er sei der glücklichste Mensch auf der Erde und werde es bleiben bis an sein Lebensende.

Was würde Maud sagen, wenn sie erführe, daß er nicht fortginge? Sie würde sich freuen, ihn dann aber sofort wieder mit Bitten bestürmen, nun aber wirklich seinen Abschied einzureichen und sie würde versuchen, ihm zu beweisen, daß das Soldatensein doch gar keinen Zweck hätte, wenn er nicht einmal nach China käme.

Er glaubte im Geiste ihre Worte zu hören. „Nein, nein,” sagte er sich, „das darf nicht sein, unter keinen Umständen, deshalb habe ich mich nicht mit Maud ausgesöhnt, um nach drei Tagen wieder einen ehelichen Zwist zu haben, gegen den die chinesischen Wirren überhaupt gar nichts sind.”

Ärgerlich lenkte er seine Schritte nach dem Kasino – dort saß eine feucht-fröhliche Tafelrunde. Zwei Herren des Regiments waren nach China einberufen, nun fing man schon bei Zeiten an von ihnen Abschied zu nehmen, denn je länger die bevorstehende Trennung dauert, desto länger muß man Abschied feiern.

Es war sehr, sehr spät, als Herr von Meurer endlich nach Haus kam – erst hatte er sich seinen Ärger fortgetrunken und dann hatte er sich eine gute Laune angetrunken und da er einen gehörigen Posten vertragen konnte, hatte es sehr lange gedauert, bis er das Ziel, das er sich gesteckt hatte, erreichte.

„Aber Fritz, wo bleibst du denn nur?”

Seine Frau eilte ihm entgegen und schlang die Arme um seinen Hals: „Du weißt nicht, wie ich mich geängstigt habe, wo warst du denn so lange? Was hat dich fern gehalten?”

„Nach China, nach China,” begann er mit seiner schönen Stimme, „nach China gehen wir nicht,” wollte er fortsetzen, aber er kam nicht so weit. Bei dem letzten „nach China” unterbrach ihn seine Frau: „Fritz,” rief sie, „bist du einberufen? Mußt du wirklich fort? Sei nicht böse, wenn ich es sage, aber im stillen hatte ich immer noch gehofft, du würdest hier bleiben – ach, es ist zu schrecklich!”

Und laut aufweinend ließ sie sich auf einen Sessel nieder. Er sah sie zuerst etwas belustigt an, dann aber durchfuhr ihn mit einem Male eine Idee.

„Ja, ja, Maud,” sagte er mit trauriger Stimme, „du hast recht, es ist zu schrecklich. Du weißt, wie ich mich zuerst darauf freute, in China mitkämpfen zu können, aber jetzt – ach Maud, warum mußten wir uns erst versöhnen, nun wird mir der Abschied entsetzlich schwer.”

Er fuhr sich mit der Hand nach den Augen – aber vergebens suchten die Finger nach einer Thräne.

„Und – und kannst du wirklich nicht hier bleiben?” begann Maud von neuem, ”kannst du das Kommando nicht rückgängig machen – bitte, versuche es mir zuliebe, ich kann es nicht ein ganzes Jahr ohne dich aushalten – bitte, bitte, versuche es wenigstens.”

Er kratzte sich nachdenklich hinter den Ohren: „Ja, Kind, das sagst du so,” erwiderte er endlich, „ich weiß heute noch nicht, ob das überhaupt möglich ist. Und wenn du sagst, daß du es nicht ein Jahr lang ohne mich aushalten kannst, so irrst du dich da, glaube ich. Das kommt dir nur jetzt so vor, weil wir augenblicklich in Frieden und Eintracht miteinander leben – wenn ich nicht fortgehe, wirst du doch wieder mit Bitten auf mich einstürmen, meinen Abschied zu nehmen.”

„Nie, nie, ich schwöre es dir,” unterbrach sie ihn leidenschaftlich, „glaube mir, ich habe Zeit genug gehabt, einzusehen, daß ich unrecht that. Ich schwöre dir, daß ich dich nie wieder darum bitten werde.”

„Und wenn du es doch thust – trotz deines Schwures?” fragte er.

„Dann kannst du ja immer noch fortgehen,” sagte sie, „denn ich las heute in deiner Zeitung, daß ja noch viele Transporte nach China sollen, da kannst du dich ja immer noch einmal melden, nur dieses Mal bleib hier, ich beschwöre dich.”

Und in der Furcht, ihn zu verlieren, lag sie plötzlich auf ihren Knieen zu seinen Füßen und erhob flehend ihre Hände.

Anscheinend heftig mit sich kämpfend stand er ihr regungslos gegenüber und mit ängstlichen Blicken las sie in seinen Mienen.

„Du verlangst viel, unendlich viel von mir,” sagte er endlich, „ich bringe deiner Liebe ein Opfer, dessen Größe du gar nicht zu fassen vermagst, aber trotzdem, nur dir zuliebe will ich versuchen, was ich thun kann, und schon heute glaube ich sagen zu dürfen: ich bleibe.”

„Fritz.”

Sie war aufgesprungen und lag lachend und weinend zugleich an seiner Brust, „ach Fritz, ich habe dich ja so lieb und ich will nie aufhören, dir zu danken.”

Und die kleine Frau hielt das Versprechen, das sie ihrem Gatten gegeben. Nie drang sie mehr in ihn, seinen Abschied zu nehmen.

Und wenn sich dem Oberleutnant von Meurer zu seinem Leidwesen auch keine Gelegenheit bot, die Waffen in China zu führen, so freute er sich dennoch über die deutsche Expedition nach China, einmal weil sie den Zopfträgern die wohlverdienten Prügel brachte, dann aber auch, weil die chinesischen Wirren für seine Ehe den Friedensstifter bedeuteten.


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© Karlheinz Everts