Bühne und Welt, 1901/02 Seite 311.

Bücherschau.

Hinter den Coulissen

Hinter den Coulissen. Also betitelt sich ein Prachtwerk, das der Verlag von Otto Elsner in Berlin zum Weihnachtsfest hat erscheinen lassen. Den Text dazu schrieb Graf Wolf Baudissin, der als Freiherr von Schlicht gegenwärtig wohl der bekannteste Vertreter der realistischen Militärhumoreske ist. Coulisse Annonce So oft schon gerade in der letzten Zeit Männer vom Fach die Geheimnisse der Bühnentechnik und Regiekunst ausgeplaudert haben, liest das theaterfrohe Publikum doch immer wieder gern von solchen Dingen, zumal wenn sie einer mit so guter Laune wie Graf Baudissin zu erzählen weiß. Wie in der Welt des Scheins die Naturereignisse fabriziert werden, wie es in den Theatergarderoben zugeht, wie das Murmeln der Volksmenge durch das endlos wiederholte Stichwort „Rhabarber” hervorgerufen wird: dies und ähnliches ist ja nicht mehr neu. Doch hat der Autor auch hübsche Anekdoten aus dem Eigenen hinzugethan. So erzählt er unter anderm, wie einmal ein Soldatenstück*) von ihm über die Bretter des Berliner Theaters ging und er während der Premiere, schweißtriefend vor Angst, auf einem Stuhl, den ihm eine mitleidige Seele gebracht hatte. hinter den Coulissen saß. „Da hörte ich,” fährt er fort, „plötzlich eine Stimme hinter mir: ,Nee, so'n schönes Stück, nee, so'n schönes Stück is überhaupt am Berliner Theater noch nie jejeben worden'. Ich sah auf, der Theatermeister stand neben mir. Ich faßte neuen Lebensmut; solche Leute, die doch schon zahllose Stücke haben über die Bretter gehen sehen, besitzen doch auch ihr Urteil, und so sagte ich denn freudig bewegt: ,Gefällt Ihnen das Stück wirklich so gut? Sie sind wohl auch früher Soldat gewesen, daß es Ihnen solche Freude macht?' — ,Nee,' sagte er, ,det nu jrade nich, Soldat bin ick nie jewesen; aber det schönste Stück, was hier jemals jejeben worden is, is es doch, — es is ja schon vor halber zehne aus.' Geknickt brach ich zusammen, und ich hab mich den Abend auch nicht wieder aufgerichtet; es war halt nichts.”

Der Hauptreiz des Buches liegt indessen in den flott gezeichneten und prächtig reproduzierten Bildern Emil Limmers, die eifrigen Studien hinter den Coulissen der Dresdener Hoftheater ihre Enstehung verdanken. Da sehen wir unter anderm, wie oohengrins Schwanennachen, Tells Rettungskahn von Arbeitern an Stricken vorwärts gezogen werden, wie der Donnerpauker seine unheimliche Thätigkeit entfaltet, die Regenmaschine in Wirkung tritt, Schneefall von Männern erzeugt wird, die hoch oben in Schwebemaschinen sitzen und aus mächtigen Körben Papierschnitzel auf die Bühne herabstreuen. Wir treten in die Kostümwerkstätte, belauschen Chorproben, nehmen am Ballettunterricht teil, überraschen den Dramaturgen bei dem sauern Tagewerk der Manuskripten-Prüfung. Ein Scenenwechsel im Lohengrin wird uns vorgeführt: mitten unter dem durcheinander­wimmelnden Heer der Arbeiter und Statisten steht die dämonische Ortrud in unerschütterlicher Ruhe. Eine andere reizende Gruppe: die Edelleute im ersten Akt der Hugenotten singen zum Fenster hinaus „Sie ist die schönste aller Frauen”; in Wahrheit lümmeln zwei schlaftrunkene Theaterarbeiter herum. In der Choristen­garderobe dreschen die eben als Wartburggäste Geehrten noch in Kostümen einen gemütlichen Skat. Wir erblicken ferner Lohengrins Locken unter der Brennschere eines Haarkünstlers, den dicken Falstaff unter den Händen des bartaufklebenden Friseurs, den von der weiblichen Jugend angeschwärmten Heldenliebhaber Franz als Fiesko vor dem Toilettentisch. Solche lehrreichen und heiteren Genrebilder werden noch mehr als die eigentlichen Kostümporträts Dresdener Künstler, die gleichfalls das Buch zieren, auf die Theaterfreunde Anziehungskraft ausüben.

R. Krauß          


*) Gemeint ist der Schwank „Tante Jette”.
Schlicht erwähnt diese Episode auch in „Das schöne Stück<” und in seiner Autobiographie.


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