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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 7 vom 7. November 1904


Die Reden des Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

VI.
Krause über gesellschaftliche Bildung.

Indem jetzt die Zeit da ist, wo wir, Eure Herren Vorgesetzten, aber auch Ihr selbst zuweilen zu Tanzfestlichkeiten in Vereinen und zu anderen Vergnügungen eingeladen werdet, ist es wohl nicht unangebracht, Euch mit einigen Worten über das gesellschaftliche Benehmen zu unterrichten. Zunächst denkt an das alte Wort: "sage mir, mit wem Du umgehst, und ich will Dir sagen, mit wem Du verkehrst." Man soll in seinem Umgang sehr wählerisch sein, und deshalb hat Seine Majestät auch gesagt, der beste Umgang für den Soldaten ist der Soldat. Womit natürlich nicht gesagt sein soll, daß jeder Soldat der beste Umgang ist, sondern nur derjenige, der wirklich ein Soldat ist, königstreu bis in die Knochen, sauber und adrett in seinem Äußeren, und der da in seinem Lebenswandel nicht nur die zehn Gebote erfüllt, sondern, was noch viel wichtiger ist, auch die 55 Kriegsartikel. Nur ein solcher ist ein passender Umgang für den, der etwas auf sich hält. Aber nicht immer findet man einen solchen passenden Umgang, und das allein erklärt und rechtfertigt den Umgang mit dem Zivilisten. Bedenkt immer, für die Zivilisten ist es eine Ehre und eine Auszeichnung, wenn wir ihrer Einladung Folge leisten. Wir sind der Punkt, um den sich alles dreht. Wer aber in einer Gesellschaft eine gefeierte Stellung einnimmt, der hat auch die Pflicht, sich ganz besonders fein und gebildet zu benehmen, der schneuzt sich nicht, wie der Meier, das Ferkel, es eben getan hat, mit den Fingern die Nase, sondern der nimmt sein Taschentuch, wenn es auch noch so schmutzig ist, und wenn er keins hat, dann leiht er sich irgendwo eins und steckt es dann natürlich, da man schmutzige Sachen nicht zurückgibt, in seine eigene Tasche. Aber ein gebildeter Mensch geht überhaupt nicht ohne Taschentuch auf eine Gesellschaft; denn man gebraucht es nicht nur für die Nase, sondern auch für den Tanz. Selbst bei Hof legt man das Taschentuch seiner Tänzerin auf die linke Schulter, damit man ihr mit seinen schwitzigen Händen das Kleid, resp. die ausgeschnittene Schulter nicht verdirbt, und die höfischen Sitten sind nicht nur für die ganze Welt, sondern in erster Linie für uns maßgebend. Deshalb dürften wir eigentlich auch nicht linksherum tanzen, was bei Hof verboten ist, aber Ihr könnt es dennoch ruhig tun, denn ich tue es ja auch. Ihr könnt tanzen, wie Ihr wollt, nur bezahlen müßt Ihr die 10 Pfennig, die die Tour kostet, und habt Ihr selbst kein Geld, dann laßt Euch einladen. Wenn ein mir gänzlich unbekanntes Mädchen mit mir tanzen will, wenn ihr was an der Ehre liegt, mich sozusagen im Arme zu halten, dann muß sie sich das auch 'nen Groschen kosten lassen; sie opfert das Geld, ich meinen Schweiß, und der Schweiß eines edlen Menschen ist nach einem alten Wort nicht nur Nickel, sondern Goldes wert. Selbst unsere Herren Offiziere kriegen ja gewissermaßen dafür bezahlt, daß sie den ganzen Abend mit den jungen Mädchen tanzen, wir kriegen es in bar, sie kriegen es in Sekt und warmem Abendessen, das ist der ganze Unterschied. Na, und das Abendbrot bekommen wir ja manchmal auch noch, und da möchte ich Euch eins sagen: der gebildete Mensch ißt, der ungebildete frißt. Ich stehe ja nun nicht auf dem Standpunkt, daß man bescheiden sein soll, wenn man eingeladen ist; wenn man sich nicht gehörig satt ißt, so ist das eine Beleidigung für den Gastgeber, aber man braucht sich den Wanst auch nicht so vollzuschlagen, daß man nachher sein Koppel 5 Löcher weiterschnallen muß. Man soll nicht zu viel essen, und vor allen Dingen soll man anständig essen; man steckt sich nicht 'ne ganze Kartoffel auf einmal in den Mund, sondern man schneidet sie vorher mit dem Messer durch, und die Sauce läßt man nicht auf dem Teller liegen, sondern man schiebt sie sich mit dem Messer in den Mund. Und dann fuhrwerkt man nicht beim Essen mit beiden Händen und Armen in der Luft herum, sondern man läßt die Ellbogen fest auf dem Tisch liegen und führt die Hand nicht zum Mund, sondern den Mund zur Hand. Das sind so alles Kleinigkeiten, die man als gebildeter Mensch wissen muß, damit man bei den Damen keinen Anstoß erregt, denn das weibliche Geschlecht ist für so 'was mal sehr empfänglich. Die gesellschaftliche Bildung ist überhaupt nicht zu unterschätzen; ich habe einen Kameraden gehabt, der hat eine wunderschöne Frau bekommen, und weshalb hat er sie gekriegt ? Nur weil er so einen wunderschönen Rixdorfer tanzen konnte, und weil er sie beim Tanzen immer auf das linke Ohr küßte; das mochte sie so gerne haben, eigentlich sonderbar, aber sie war so sehr dafür. Überhaupt der Umgang mit den jungen Mädchen, das ist 'ne Sache für sich. Wenn man einer zeigen will, daß man ihr gut ist, und daß man gerne mit ihr gehen möchte, dann sagt man ihr das nicht so ohne weiteres, man macht sie dadurch nicht verlegen, sondern man tritt sie leise auf die Füße oder stößt sie heimlich mit dem Knie an und wartet, bis sie das wieder tut. Überhaupt soll man den Damen gegenüber nicht aufdringlich sein, besonders in unseren Kreisen nicht, und deshalb soll man auch gar nicht viel fragen: "hast Du mich lieb, willst Du mir einen Kuß geben ?" sondern man nimmt sein Mädel einfach in die Arme und küßt sie ab. Erstens kann sie dann gar nicht mehr vorher "nein" sagen, zweitens, und das ist die Hauptsache, erspart man ihr dadurch das peinliche "Ja"-sagen. Und damit komme ich auf die Unterhaltung. Es ist unanständig, so laut zu sprechen, daß alle Herumsitzenden es hören können, man spricht ganz leise, aber das, was man sagt, muß geistreich sein. Man spricht vom Wetter, vom Dienst und von ähnlichen Dingen, und man spricht selbst möglichst viel, um es dem Anderen zu erparen, sich durch das, was er sagt, zu blamieren. Ich habe mal das Wort gelesen: "Es ist viel schwerer, jemand zu unterhalten, als aufmerksam zuzuhören", das merkt Euch und danach handelt. Was nun den Verkehr mit den männlichen Zivilisten betrifft, so kann ich mich nur kurz fassen. Entweder sind es alte Soldaten, dann behandelt Ihr sie wie Euresgleichen, oder aber es sind keine alten Soldaten, und dann ist die Sache viel schwieriger, denn dann weiß man nie, was so'n Mann für 'ne Gesinnung hat. Aber Eure gesellschaftliche Bildung verlangt, daß Ihr auch von einem unbekannten Zivilisten jede Einladung annehmt, um den Mann nicht vor den Kopf zu stoßen, aber sprechen dürft Ihr nicht mit ihm, das sage ich, der Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold. –



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© Karlheinz Everts