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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 16 vom 8. Januar 1906


Die Reden des Ex-Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

Krause über Köln am Rhein.

Köln liegt am Rhein, und am Rhein, am Rhein, da wachsen unsere Reben, und aus diesen Reben fabriziert man bekanntlich den Rheinwein, wobei man zu unterscheiden hat zwischen dem, der welcher ist, und dem, welcher keiner ist, indem er nämlich meistens nur so heißt. Nur in Köln ist man sicher, ein wirklich gutes Glas Wein zu bekommen, und wie der Bayer mit Bier, so wächst der Kölner mit Wein auf, und deshalb sind die Leute dort auch alle so lustig und fröhlich, wofür der Kölner Karneval der beste Beweis ist, bei dem große Umzüge und Festspiele stattfinden, wo die Leute darauflos leben und das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen, bis dann am Aschermittwoch der physische und der moralische Kater über sie kommt und sie sich die schwere Stirn mit Kölner Wasser reiben, welches der Stadt erst seinen Namen und seine Berühmtheit gegeben hat. Wobei ich bemerke, daß es in Köln mehr als ein Dutzend Fabriken gibt, von denen jede einzige darauf schwört, ganz allein die echte Eau de Cologne zu fabrizieren, in dem das Wasser allein es nicht tut, sondern die Mischung, die mit und bei dem Wasser ist.

Denn auch in Köln muß man heutzutage arbeiten, wenn man leben will, während man diese Tätigkeit früher dort den ja auch Ihnen bekannten Heinzelmännchen überließ, die wir ja leider auswendig lernen mußten, was gar keinen Zweck hatte, indem wir sie ja doch wieder vergaßen. Wohingegen die Lorelei, die dicht bei Köln auf einem Felsen thront, uns allen in angenehmster Erinnerung ist, nicht etwa, als ob sie jetzt uns mit einem goldenen Kamme kämmte, was sie schon deshalb nicht tut, weil sie selbst nie einen goldenen Kamm besaß, sondern indem sie uns immer die Antwort gibt, wenn wir uns vergebens fragen, warum dies oder jenes so ist. Wobei sie denn immer unseren Grübeleien ein Ende macht, indem sie sagt: ich weiß nicht. Und damit ist die Sache denn erledigt, und wenn einmal etwas erledigt ist, dann ist es auch erledigt.

Wenn man den Lorelei-Felsen besuchen will, nimmt man auf einem der vielen Rheindampfer Platz, vorausgesetzt, daß da noch Platz ist, denn sie Schiffe sind meistens überfüllt, was seinen Grund lediglich in der Überfüllung hat und nicht, wie so viele meinen, darin, daß die Schiffe zu klein sind. Im Gegenteil, je größer die Boote sind, um so mehr Menschen gehen hinein und um so voller sind sie. Fast noch schöner als die Aussicht, die man von Deck herab genießt, ist die Verpflegung, die man an Bord hat, indem nämlich diese Dampfergesellschaften ihre eigenen Weinberge und Weinkeller haben, wobei ich bemerke, daß es in Köln eine alte Weinstube gibt, "Zum Treppchen", welcher Name aber nicht von Tropfen, sondern von Treppe herkommt.

Außerdem besitzt Köln aber, wie Sie alle wissen, einen Dom, der an einer Stelle steht, wo es immer zieht, sodaß jeder Fremde sich dort einen Schnupfen holt, und ich holte mir sogar gleich zwei, für jedes Nasenloch einen. Der Dom ist, wenn ich mich so ausdrücken soll, ein monumentales Monument der katholischen Religion, aber fast noch imposanter als der Dom selbst sind die Wächter, die im Dom in roten Gewändern würdevoll auf und ab schreiten und Ordnung halten und den Taschendieben auf die Finger sehen, damit diese in der Verwirrung, die der mächtige Bau auf die Besucher ausübt, nicht versehentlich ihr Taschentuch in einer falschen Tasche suchen. Dem Dom gegenüber liegt das schöne Domhotel, wo ich gewissermaßen einmal Mittag gegessen habe, indem ich von den Arkaden aus durch die großen Fenster zusah, wie ein Herr sich das Diner gut schmecken ließ, wobei mir das Wasser im Munde zusammenlief, sodaß ich nicht erst Wasser zu trinken brauchte, um meinen Durst zu stillen.

Auf meiner Wanderung durch die Stadt besuchte ich den Neumarkt, indem man mir gesagt hatte, daß die dortigen Pferde eine spezielle Spezialität Kölns seien, was ich aber nicht finden konnte, indem die dortigen Droschkengäule nicht um ein Pferdehaar besser waren als in anderen Städten. Bis ich dann plötzlich einsehen mußte, daß ich vorübergehend selbst einen Pferdeverstand besessen hatte, indem ich gar nicht die richtigen Gäule bewunderte, weil diese gar nicht auf der Straße stehen, sondern kreuzvergnügt, wie unsereins an einem freien Nachmittag, aus einem Fenster heraussahen. Ein freundlicher Bürger erklärte sich bereit, mir für 50 Pfennige zu erzählen, wie diese Pferde, die einstmals gelebt haben sollen, die sich aber im Laufe der Zeit in Holz verwandelten, die Treppen hinaufgekommen sind, was ich aber zu teuer fand, bis ich dann nach einigen Unterhandlungen für 20 Pfennige erfuhr, daß kein Mensch etwas Genaues darüber wisse, indem jede Sage etwas anderes besagte, wobei das Wahrscheinlichste mir am unwahrscheinlichsten erscheint, daß eine verstorbene Frau im Traume ihrem Manne erschien und ihm erklärte: so wahr morgen hier zwei Rosse zum Fenster hinaussehen werden, bist Du ein Roß gewesen, indem Du mich scheintot begraben ließest.

Im schärfsten Gegensatz zu diesen Gäulen stehen die mächtigen Pferde der Kürassiere der Deutzer Garnison, indem Deutz, eine kleine Festung, durch eine sehr schöne eiserne Brücke mit Köln verbunden ist, die dem Beschauer durch ihre Großartigkeit nicht nur spanisch, sondern sogar amerikanisch vorkommt, nur mit dem Unterschied, daß bei uns die Brücken halten, während sie in Amerika meistens zusammenbrechen, besonders dann, wenn volle Eisenbahnzüge auf ihnen fahren, die dann ins Wasser fallen und ertrinken. Auch in Köln ertrinken viele Leute, aber die tun es dann freiwillig, indem die Kölner, wie alle Rheinländer, noch verliebter sind als andre Menschen, was vom Rhein, vom Wein und von der Lorelei kommt. Und ganz besonders verlieben sie sich im Monat Mai, da sind in Köln die aus Spanien ex- und importierten Blumenspiele, wobei eine Königin ernannt wird, die dem Dichter des schönsten Liebesliedes eine goldene Rose schenkt. Und wobei auch andere Dichter ausgezeichnet werden und wobei alle schönen jungen Mädchen Ehrenjungfrauen der Königin sind, was sehr feierlich und sehr poetisch sein soll, wie das bei der Poesie ja auch nicht weiter verwunderlich ist. Da ich aber keine Blumenkönigin bewundern konnte, fuhr ich für 10 Pfennige mit der elektrischen Bahn nach dem Zoologischen Garten und besah mir die Königin der Wüste nebst dem ihr nicht angetrauten Gatten, und auch die sonstigen dort ausgestellten Tiere, wobei unwillkürlich die Erinnerung an meine Dienstzeit in mir wach wurde, indem ich jetzt eigentlich zum ersten Male alle jene Tiere von Angesicht zu Angesicht kennen lernte, die ich früher meinen Rekruten an den Kopf geworfen hatte, wobei ich sie im stillen um Verzeihung bat, aber nicht die Rekruten, sondern das Kamel, den Büffelochsen, das Stachelschwein, das Mähnenschaf und alle anderen militärischen Tiere, indem diese gar nicht so dumm aussahen, wie ein Rekrut unter Umständen dumm aussehen kann. Für die Betreffenden ist das gerade keine Schmeichelei, aber was ich sagte, ist wahr, und was wahr ist, ist die Wahrheit. Das sage ich, der ehemalige Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



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© Karlheinz Everts