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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 13 vom 18. Dezember 1905


Die Reden des Ex-Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

Krause über München.

Was für den gewöhnlichen Normalmenschen die Luft, das ist für den Münchener das Bier, ohne das er nicht leben und nicht denken kann, sodaß er sich schon des Morgens mit Bier die Zähne putzt und statt Tee und Kaffee immer Bier trinkt. Ja, ich habe mir sagen lassen, daß selbst die Säuglinge in ihren Flaschen Bier haben, obgleich sonst dort Flaschenbier sehr verachtet ist, indem das, was man in Norddeutschland als echtes Münchner Flaschenbier trinkt, gar nicht echt ist, weil es eigens für den Versand zusammengebraut wurde. Bei dieser Verehrung für Hopfen und Malz ist es natürlich kein Wunder, daß das Hofbräuhaus die größte Sehenswürdigkeit der Stadt ist, indem dort schon vor Tagesanbruch Leute sitzen, die immer Durst haben, und die, wenn sie keinen mehr haben, sich von den Händlern einen Rettig mit schrecklich viel Salz zurechtmachen lassen, um wieder Durst zu bekommen. Was ich denn auch tat, und was mir ganz ausgezeichnet schmeckte. Wobei ich mir erzählen ließ, daß in der Oktoberwoche innerhalb der sechs Tage mehr Bier getrunken wird, als sonst im ganzen Jahr, indem man dann überhaupt nicht zu Bett geht, nur um den Anstich eines neuen Fasses nicht zu verschlafen.

Abgesehen vom Bier interessierte mich natürlich am meisten das Militär, indem dieses vollständig blau war, nicht, wie Sie vielleicht meinen, wegen eines allzu reichlichen alkoholischen Alkoholgenusses, indem der Militarismus zwar auch trinkt, aber sich nie betrinkt, sondern wegen seiner Uniform, durch die sie sich von den Preußen unterscheiden, auf die einige Leute immer noch nicht ganz gut zu sprechen sind, weil wir ihnen die Helmraupe fortnahmen, sodaß der schlechte Witz: die bayerischen Soldaten hätten nicht nur am, sondern auch im Kopf Raupen, ein für alle Mal hinfällig geworden ist.

Nächst dem Militär spielt in München das Zentrum die größte Rolle, aber nicht das Zentrum der Stadt, weil diese gar keins hat, sondern das Ihnen aus dem Reichstage bekannte Zentrum, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Unsittlichen sittlich zu machen, indem sie alle nackten Nuditäten als anstößig bezeichnen, was ich nicht unterschreibe, indem ich in dem Nürnberger Glaspalast eine sehr schöne Kunstausstellung bewunderte, bei der mir gerade die nackten Bilder am besten gefielen, obgleich kein Mensch von mir behaupten kann, daß ich moralisch und sittlich ein verdorbener Mensch bin.

München ist nicht nur eine Bierstadt, sondern auch eine Kunststadt, wobei ich Sie nur an den großen Maler Lenbach erinnere, der die berühmten Bismarck-Bilder malte, die mit dem Bismarck-Denkmal in Berlin nicht die leiseste Ähnlichkeit haben. Auch die Sezessionisten wohnen in München, worunter man diejenigen Maler versteht, die der Sezession huldigen, was soviel wie eine neue Sekte bedeutet, was aber mit Sekt nichts zu tun hat, indem dieser die Menschen friedlich stimmt, wohingegen die Sezession schon oft böses Blut gemacht haben soll. Was mich, als ich es hörte, schon deshalb umso kälter ließ, als es in München ohnehin schon kalt genug war, was durch seine Lage hervorgerufen wird, sodaß für die Fremden das Klima dort nicht übertrieben klimatisch ist, ebenso wie das Essen dort unseren Magenverhältnissen nicht ganz zusagt, indem es dort viele Gerichte gibt, die wir gar nicht kennen und wobei es mich unangenehm berührt, daß man schon um zwölf essen muß, weil man sonst nichts mehr bekommt.

So wandelte ich denn ungegessen durch die Straßen und erfreute mein Auge an einer weiblichen Weichenstellerin der elektrischen Bahn, indem ich es dort zum erstenmal sah, daß Frauen nicht nur mit der Elektrischen fahren, sondern auch öffentlich in ihrem Dienst wirken. Was mich im Interesse des weiblichen Geschlechtes mit Befriedigung erfüllte, denn da ja die meisten Frauen nie nachgeben wollen und niemals weichen, finden sie bei den Weichen eine ihrem Naturell am meisten zusagende Beschäftigung.

Aber München ist, wenn es nicht regnet, wie sich das für eine Haupt- und Residenzstadt von selbst versteht, sehr schön, am schönsten aber sind die Läden mit den alten Antiquitäten, die aber meistens gar nicht alt sind, sondern nur nachgemacht werden, damit die Fremden auf sie hineinfallen, womit natürlich nicht gesagt werden soll, daß es nicht auch echte Echtheiten gibt. Die Leute, die so etwas kaufen, sind in erster Linie Engländer und Amerikaner, während die Deutschen nur im Sommer nach München kommen, von wo aus sie auf die Berge steigen, von denen sie dann sehr häufig herunterfallen, was ich aber nicht bedauern kann, denn wer kein Hochtourist ist, soll hübsch zu Hause bleiben, und mit seinen Wadenstrümpfen und Bergschuhen eine Leiter hinaufsteigen, wenn er das Klettern denn nicht lassen kann. Aber nicht nur die Berge bilden eine große Anziehungskraft, sondern auch die Vorstellungen in dem neuen Prinzregenten-Theater, das von einem gewissen Possart gegründet wurde, der ein großer Schauspieler und Künstler war, bis man ihn jetzt, ebenso wie mich, in die Pension geschickt hat.

Sehr schön, namentlich für die Fremden, ist die Münchner Sprache, worüber sich der Münchner Bua und das Münchner Dirndel dann halbtot lachen wollen, wenn sie nicht grob werden, und die Münchner Grobheit ist auch nicht ohne. Was manche auch von dem Schuhplattler-Tanz behaupten, der darin besteht, daß die Leute garnicht tanzen, sondern sich beständig auf die Oberschenkel und auf eine andere Körperstelle schlagen, und was dadurch nicht schöner wird, daß sie dabei beständig Juhu! rufen. Auch zu uns kommen ja manchmal echte Münchner Sänger- und Schuhplattler-Gesellschaften, aber die sind dann gar nicht aus München, sondern meistens aus Hamburg, und echt an ihnen sind nur die Lederhosen, und je älter und je schmieriger die sind, umso echter sind sie.

Ebenso wie bei vielen anderen Städten ist auch an München das Schönste die Umgebung, die aus Wasser und Bergen besteht und aus Schlössern, die der verstorbene König Ludwig sich bauen ließ und in denen Reichtum und Schönheit herrschen, wie in Märchen und in Luftschlössern, die aber meistens schon in sich zusammenfallen, bevor man sie noch fertig aufgebaut hat. Was aber bei den Königsschlössern nicht der Fall ist, indem diese immer noch stehen, wobei man einem Verfall durch die Eintrittsgelder, die erhoben werden, abzuhelfen weiß. Was für die Schuldenverwaltung des verstorbenen Königs ebenso angenehm ist, wie für die anderen Leute unangenehm, wie überhaupt ja bekanntlich in der Welt so oft die Eule des Einen zugleich die Lerche des Andern ist. Welches Wort Sie als richtig anerkennen müssen, denn was wahr ist, ist wahr, und was wahr ist, ist die Wahrheit. Das sage ich, der ehemalige Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.

Das nächste Mal spricht Krause in "Nimm mich mit" über "Köln am Rhein".



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© Karlheinz Everts