Dresden ist die schönste Stadt der Welt, wenn gutes Wetter ist und wenn man Zeit und Geld hat, um einen Ausflug in die herrliche Umgebung zu machen, was ich denn auch tat, indem ich die Bastei besuchte, von der aus man einen Ausblick genießt, der noch großartiger ist als die Zahl der Ansichtspostkarten, die dort jährlich geschrieben wird und die sich auf eine Viertelmillion stellt, welche ich haben möchte, wobei ich natürlich nicht an die Ansichtskarten denke, sondern an Viertelmillion selbst. Die Stadt Dresden liegt, wie Sie alle wissen werden, an der Elbe, die in Sachsen von zwei Ketten durchzogen ist, an der sich die Frachtdampfer den Fluß hinauf- und hinunterwinden, was zwar ein furchtbares Geräusch macht, was aber aus praktischen Gründen sehr praktisch ist, solange die Ketten halten, was sie ja auch in Sachsen ebenso wie in anderen Ländern nur so lange tun, bis sie reißen.
Was nun die Stadt selbst betrifft, so möchte ich als größte Sehenswürdigkeit den sogenannten Pilsener Bierstall bezeichnen, in dem schöne Kellnerinnen ihren Kunden ganz ungeheure Quantitäten Pilsener Bier kredenzen, die diese mit ungeheurer Geschwindigkeit vertilgen, wobei ich bemerken muß, daß ich auf meinen weiten Reisen selten ein so gutes Glas Bier trank wie hier, indem es mich ganz besonders sympathisch berührte, daß man hier nach Pfennigen rechnet, und daß man nicht wie in Preußen alles nach oben abrundet, was man in Sachsen nur mit den Steuern tut. Wobei ich erwähne, daß man mit einem Sachsen über alles sprechen kann, schon weil er sehr helle ist, und somit alles versteht, – aber nur über die Steuern darf man nicht mit ihm reden, indem dann selbst der Gemütlichste wild wird, weil es ihm kein Trost, sondern eine neue Beunruhigung ist, daß im nächsten Jahr zum Wohl seines geliebten grünweißen Vaterlandes die Abgaben noch höher werden sollen. Ebenso wie die Eisenbahnen den Preis ihrer Billetts schon erhöhen, wohl weil sie von der Ansicht ausgehen, daß Reisen ein Luxus ist, und wobei sie denn den Zuschlag zu den Billetts gewissermaßen als Luxussteuer betrachten, über welche sich die anderen Staaten noch lange nicht einig sind, während Sachsen, wie in so vieler Hinsicht, so auch hierin den anderen voraus ist. Wobei ich mir, da ich kein Untersuchungsrichter bin, die Untersuchung ersparen will, ob zu seinen Gunsten oder zu seinem Schaden, auch schon deshalb, weshalb ich ein Preuße und kein Sachse bin. Was mich zuweilen schon deshalb gereut hat, weil mir die dortige Sprache nicht gefällt, obgleich mich erst neulich ein Herr vom Gegenteil zu überzeugen versuchte, indem er zu mir sagte: "Ei heer'n Se, mei Gutester, unsere Sprache is Sie noch lange nich die schlechteste", wobei er seine Worte singend in so viele Töne setzte, daß ich zuerst glaubte, er wäre ein Tonsetzer, bis ich dann erfuhr, er sei ein ganz gewöhnlicher "Badikulariste", eine Beschäftigung, die es nur in Sachsen gibt. Gott sei Dank sprechen nur die wenigsten Sachsen sächsisch, indem die meisten Dresdner gar keine Sachsen sind, sondern Amerikaner und Engländer, was man ihnen nicht nur anhört, sondern auch ansieht, indem sich namentlich die jungen Herren manchmal so anziehen, als ob sie sich halb ausgezogen hätten. Was man die neueste Mode nennt.
Die Ausländer sind in Dresden sehr beliebt, namentlich bei dem Kassierer des Königlichen Opernhauses, denn ohne die würde das Defizit, das jetzt schon ein königliches ist, weil der König es deckt, ein kaiserliches sein. – – Was aber der Kaiser nicht decken würde, indem er mit dem Berliner Defizit mehr als genug haben dürfte. Wobei ich aber zum Lobe der jungen Ausländerinnen bemerken möchte, daß sie sich nicht nur, wenn sie ins Theater gehen, sondern auch sonst meist sehr gut anziehen, was man am besten des Mittags zwischen 12 und 2 Uhr in der Pragerstraße sehen kann, indem dort alles auf und ab promeniert, was sich sehen lassen will. Dresden ist reich an schönen Frauen, aber die schönste Frau ist die Dresdner Madonna, die eigentlich gar keine Frau ist, sondern eine Heilige, und die man deshalb auch in der Galerie aufgehängt hat. Täglich wandern Hunderte zu ihr, um sie zu bewundern, wie denn überhaupt die Galerie und das Grüne Gewölbe die Hauptanziehungspunkte für die Fremden sind, die sich meistens dann an den dortigen Schätzen so satt sehen, daß sie hinterher in den Restaurants nur eine Kleinigkeit verzehren, so daß alle Wirte in Dresden über die schlechten Zeiten klagen. Die Fremden verzehren gar nichts und der geborene Sachse lebt nur von Kaffee, den er bei schönem Wetter im Sommer im Großen Garten trinkt, den August der Starke einmal seiner Geliebten geschenkt haben soll und der sich ebenso durch schöne Alleen, wie durch herrliche Blumenanlagen auszeichnet, wobei ich den Wunsch hatte, der Garten möchte mir gehören, damit ich ihn als Bauplatz verkaufen kann. Denn in Dresden wird sehr viel gebaut, obgleich schon jetzt die meisten Häuser leer stehen, aber den Hausbesitzern scheint es nicht darauf anzukommen, Mieter zu haben, sondern lediglich Häuser und Hypothekenschulden. Dresden ist eine ganz internationale Stadt, was schon aus den verschiedenen Villenvierteln hervorgeht, indem es ein Schweizer-, englisches, amerikanisches und noch zahllose andere Viertel gibt, obgleich es doch eigentlich nur vier Viertel gibt, indem diese schon ein Ganzes ausmachen. In Dresden ist man aber für die Teilung, was man schon aus der Teilstrecke der Omnibusse ersehen kann, indem man die halbe Pragerstraße entlang für 5 Pfennige fährt, was alle jungen Ausländerinnen tun, die den einspännigen Omnibus deshalb so fleißig benutzen, weil er auf den Schienen der elektrischen Bahn hin und her schwankt, wie auf dem Ozean der große Dampfer, der sie von drüben nach Europa brachte.
Dresden ist, wie ich zu meinem Bedauern an mir selbst erfahren mußte, eine sehr moralische und eine sehr sittliche Stadt, indem das Nachtleben dort aufhört, bevor es überhaupt angefangen hat, sodaß man schon bei Tag die Straßenbeleuchtung auf die Hälfte reduziert, weil man es für unpassend findet, noch abends nach 8 Uhr auf der Straße zu gehen. Sodaß der Fremde, der kein Theater besucht, weil er kein Geld hat und nicht in die Kneipe geht, weil er einen verdorbenen Magen hat, oft in Versuchung kommt, sich vor Langeweile aufzuhängen. Was zwar auch nicht sehr bekömmlich ist, aber nach Ansicht der Hohen Behörden entschieden doch noch viel bekömmlicher, als die Nacht zum Tage zu machen. So lustwandelte ich denn am Abend, um nicht mich selbst, sondern die Zeit totzuschlagen, auf der Brühlschen Terrasse und besah mir die dortigen Museen von außen, weil ich bei Tage gerade immer das Museum, das ich besuchen wollte, wegen Reinigung geschlossen fand. Was zwar aus Reinlichkeitsgründen sehr praktisch, sonst aber sehr unpraktisch ist, wie überhaupt meistens die Praxis keine Praxis, sondern eine unpraktische Theorie ist. Und da wird mir niemand widersprechen, denn, was wahr ist, ist wahr, und was wahr ist, ist die Wahrheit. Das sage ich, der ehemalige Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold. –
In No. 10 von "Nimm mich mit" spricht Krause über Nürnberg.