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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 4 vom 16. Oktober 1905


Die Reden des Ex-Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

Krause als Reisender in Hannover.

Wenn ich Ihnen heute von Hannover erzählen will, meine Herren, so geschieht es voller Bewunderung, weil ich in Hannover den schönsten Fleck Erde gesehen habe, den es überhaupt gibt, und den ich jetzt kennen zu lernen die Ehre hatte. Ich meine den Waterloo-Platz, wo bekanntlich die Schlacht bei Waterloo geschlagen wurde, bei welcher Gelegenheit bekanntlich Blücher seinem Freunde Wellington zurief: "Ich stecke zwar im Dreck, aber ich komme heraus und dann helfe ich Dir." Und er kam heraus und er half. Ein freundlicher Bürger hat mir sogar die Stelle gezeigt, wo Blücher diese denkwürdigen Worte sprach, und zur Erinnerung daran haben sie den Dreck noch dagelassen, und mitten drin haben sie eine Säule errichtet, die sie die Waterloo-Säule nennen. Auf dem Platze exerzierte viel Militär, auch die Kriegsschule, wie Hannover überhaupt in mancher Weise die Brutstätte unseres Offizierskorps ist, was ja schon aus der Reitschule hervorgeht, die sich dort der größten Beliebtheit erfreut, ebenso wie die Hannoverschen Leute bei allen jenen Leuten, die einen Pferdeverstand haben, was ich von mir nicht behaupten kann, indem ich in meinem Leben zu viel mit Ochsen habe umgehen müssen, um etwas von Pferden zu verstehen. In Hannover dagegen schwärmt alles für Pferde und alle jungen Mädchen schwärmen nicht nur für die Leutnants, sondern auch für die kleinen Isabellen, die in dem alten Schloß Schönhausen stehen und die früher einmal der Königin gehörten, als Hannover noch ein Königreich war, was es auch jetzt gerne wieder sein möchte, indem es eine Partei gibt, die ihren König zurückhaben will. Diese Leute heißen die Welfen, wobei ich nicht weiß, warum sie nicht anders heißen, und ich habe mir sagen lassen, sie hießen Welfen, wie ich Krause, aber trotzdem ich überall nachsah, habe ich an keiner Haustür den Namen Welfe gefunden.

Sonst aber findet man alle möglichen Namen; denn Hannover ist eine große Stadt und hat viele Einwohner. Diese teilen sich, wie überall, in männliche und weibliche, wobei mir die letzteren die liebsten sind; denn es heißt in einem alten Lied: Die Hannoveränerin – Hurrä! Woraus zweierlei hervorgeht: erstens, daß sie statt a immer ä sagt, und statt nein immer jäh, denn sonst würde sie doch nicht jäh, sondern nee sagen.

Aber Hannover ist nicht nur eine sehr große Stadt, es ist auch eine sehr schöne Stadt, schon wegen seiner Straßen. Insonderheit gibt es eine Promenade, die Georgstraße, wo alles, was gesehen werden will, denn ganzen Tag auf und ab bummelt, sodaß diese immer voll ist, wohingegen ich in den anderen Straßen kaum einen Menschen angetroffen habe. Wohingegen aber wohl in den Kneipen, die immer voll sind, auch des Nachts, wie ich mich trauernden Herzens selbst einmal überzeugt habe, als ich um fünf Uhr morgens in ein Café kam, nachdem ich vorher noch keine Zeit gefunden hatte, zu Bett zu gehen. Wessen sich der Fremde nicht zu schämen braucht, wohl aber der Einheimische, da dieser doch weiß, wo sein Bett steht, wohingegen der Fremde es oft schon deshalb nicht weiß, weil er aus Sparsamkeitsgründen oft gar keins nimmt, um nicht die teuren Hotelpreise bezahlen zu müssen oder die Zeit zu verschlafen. Woraus ich aber keinen falschen Schluß zu ziehen bitte; denn Hannover hat in moralischer und sittlicher Beziehung einen sehr hohen Ruf, wovon ich mich eines Abends überzeugte, als ich im Tivoligarten nach den Klängen einer Militärkapelle lustwandelte. Es waren in der Hauptsache lauter junge Damen da, die alle allein auf und ab gingen, und wie mir eine sagte, ihre Freundinnen erwarteten.

Die größte Sehenswürdigkeit in Hannover aber ist der Steuerzettel. Der ist vor ein paar Jahren einmal um Zwölf Prozent heruntergegangen, was man von den Steuerzetteln der anderen Städte nicht behaupten kann. Dafür aber ist er auch jetzt wieder so gewaltig in die Höhe gestiegen, daß die Hannoveraner sich wünschen sollen, er möchte nie wieder fallen, um nie wieder zu steigen.

Wenn man in der Mitte von Hannover steht, steht man vor dem Königlichen Hoftheater, ich war nicht drin, aber ich habe mir sagen lassen, daß die Fähnriche von der Kriegsschule im Winter manchmal hingehen, es werden an die Fähnriche Freibilletts verteilt, und wer ein solches erhält, freut sich furchtbar, ins Theater gehen zu können, und dann geht er nicht hin, sondern geht in das Wirtshaus und trinkt da so lange mit seiner Freundin Champagner, bis "Carmen" oder wie die Jungfrau sonst heißt, sich in der Oper ausgesungen hat. Für Kunst hat man überhaupt in Hannover ein sehr großes Interesse, was schon der Umstand beweist, daß das Mellini-Theater, ein großes Variété, jeden Abend ausverkauft ist, besonders wenn eine schöne Tänzerin oder zwei noch schönere Sängerinnen auftreten.

Auch sonst verehrt der Hannoveraner das Schöne, wo und wie er es findet, sodaß die Schönen sich in Schönheit zu überbieten versuchen, indem die eine immer eleganter ist als die andere, was sich in ihren Toiletten, in ihren Hüten und in ihren Wagen äußert, und was vielfach den Verdacht hat aufkommen lassen, daß manche über ihre Verhältnisse lebt. Was ich nicht glauben kann, denn wenn ein Mensch kein Geld hat, wovon soll er es denn ausgeben, und wovon sollen die Geschäftsleute etwas einnehmen, wenn niemand etwas ausgibt ? Was so klar ist, daß jedes weitere Wort überflüssig ist.

Was mir in Hannover ganz besonders gefallen hat, sind die elektrischen Bahnen. Die fahren sehr schnell und billig und die Schaffner sind sehr freundlich. Als ich an einem freien Nachmittag nach der Eilenriede wollte, sagte der Schaffner zu mir auf meine Frage: "Kommen Sie nur mit". Aber als ich dann, statt in der Eilenriede in Schönhausen ankam und grob werden wollte, sagte er: "Hier ist es auch sehr schön". Und da hatte er recht, und so verdanke ich nur seiner Liebenswürdigkeit, daß ich etwas zu sehen bekommen habe, was ich eigentlich gar nicht sehen wollte. Aber für den Rückweg nahm ich mir doch lieber eine Droschke, und ich bereute es nicht; denn die fuhr so schön langsam, daß ich Zeit genug hatte, jeden Baum und jedes Haus minutenlang zu bewundern. Und wenn man reist, ist es ja die Hauptsache, daß man etwas zu sehen bekommt. Endlich hielt ich vor dem Hause eines Uniformlieferanten, und mir fiel ein, daß ich dem Mann immer noch sechs Mark schuldig war für ein Extra-Koppel, das er mir vor Jahren einmal in meine Garnison geschickt hatte. Als ich bezahlen wollte, machte er ein ganz erstauntes Gesicht und erklärte, die Sache eile gar nicht; denn sie sei ja noch nicht einmal verjährt. Und da erfuhr ich denn, daß die Uniformlieferanten in Hannover von ihren Kunden so erzogen sind, daß sie nicht nur keine Rechnungen schicken, sondern überhaupt kein Geld annehmen. Aber ich bezahlte dennoch, und ich wurde zur Tür hinausgeleitet, als wäre ich der Schah von Persien. Alles, was ich sage, ist wahr, und was wahr ist, ist die Wahrheit. Das sage ich, der ehemalige Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.

In No. 6 von "Nimm mich mit" spricht Krause über Kiel.



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© Karlheinz Everts