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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 2 vom 2. Oktober 1905


Die Reden des Ex-Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

Krause als Reisender in Hamburg.

Indem ich es jetzt endlich satt habe, mir bei jeder Bewerbung um eine Staatsstellung sagen lassen zu müssen, daß wegen Überfüllung auf eine Anstellung in den nächsten zehn Jahren nicht zu rechnen sei, was ich, nebenbei bemerkt, von dem Staat sehr wenig freundlich finde, indem ich es für seine Pflicht halte, auch diejenigen anzustellen, die das Recht zu einer Anstellung haben, wobei es ganz gleichgültig ist, worin dieselbe besteht, wenn es nur eine ist, während sie jetzt in nichts besteht, weil sie keine ist, aus diesen und aus tausend anderen Gründen habe ich es definitiv aufgegeben, mich vom Staate anstellen zu lassen, schon deshalb, weil er mich ja doch nicht anstellt, und ich habe das Anerbieten des Verlages eines großen Berliner Wochenblattes angenommen, das gerade meine geeignetste Persönlichkeit für die wichtigen Schritte ihrer Propaganda gebrauchte, und werde als solcher fortan die größten Städte der Welt bereisen, um dort für meine Firma tätig zu sein.

Auch in Zukunft werde ich es mir nicht nehmen lassen, Ihnen aus dem reichen Schatze meiner Erfahrungen das zum Besten zu geben, was ich für Sie für das Beste halte, und schon heute kann ich Ihnen mitteilen, daß die letzte Woche für mich insofern eine ereignisreiche war, als indem daß ich bereits die erste Reise nach Hamburg hinter mir habe. Wie Sie alle wissen, besteht die größte Sehenswürdigkeit der Stadt Hamburg in ihrem neuen Bahnhof, sobald dieser fertig ist. Aber er ist nicht fertig und viele sagen: er würde auch nie fertig werden, wohingegen etwas anderes in Hamburg immer fertig ist: Hamburger Roastbeef, das sich von dem englischen dadurch unterscheidet, daß das eine noch röter ist als das andere, wobei selbst ein Hamburger oft nicht weiß, was englisch und was hamburgisch ist, indem die Hamburger die Angewohnheit haben, alles, was fremd ist, so nachzumachen, daß man oft nicht weiß, ob sie es selber sind oder jemand anderes.

Hamburg ist die einzige Stadt. die nicht nur am Wasser liegt, sondern sogar im Wasser, oder noch besser gesagt, sie ist die Stadt, in der das Wasser in der Stadt liegt, und dieses Wasser heißt die Alster. Der Alster gegenüber wohnen die Fremden. Auf der Alster wohnen die Schwäne und "an der Alster" wohnen die Reichen, die man in Hamburg daran erkennt, daß sie des Mittags im Galopp zur Börse laufen, nur damit sie nicht nötig haben, für das Zuspätkommen fünfundzwanzig Pfennige Strafe zu zahlen. Und wer am schnellsten läuft, ist der reichste. Aus der Zeit, da Hamburg noch ganz selbständig war und eigenes Militär besaß, hat sich von den Stadttoren noch ein Tor erhalten. Dieses Tor heißt aber nicht mehr Tor, sondern wird "Pfordte" genannt, und es ist gar keine "Pforte", sondern ein großes Restaurant, in dem nur diejenigen verkehren, die nicht nur Geld, sondern sogar noch mehr Geld haben. Aber auch für die unteren Volksklassen gibt es nicht nur gute Wirtschaften, sondern sogar gute Kellerlokale, wobei ich Sie nur an Schürmanns Keller und Peter Kölns Keller am Dornbusch erinnere, wo zwar keine Dornen, wohl aber Sekt und Austern blühen.

Nicht unerwähnt lassen darf ich den Jungfernstieg. Ich will Ihnen von den dortigen eleganten Damen nichts erzählen, um Ihnen den Geschmack und die Freude an Ihren eigenen Frau Gemahlinnen nicht zu rauben, was für diese keinen Tadel, sondern ein hohes Lob sein soll, aber so viel sage ich Ihnen doch: meine Herren, ich sage Ihnen! Und ich denke, das genügt.

Natürlich habe ich meine freie Zeit benutzt, um auch einmal nach dem Fährhaus von Uhlenhorst zu fahren. Diese Uhlenhorst hat ihren Namen daher, daß einmal eine Eule in der Gegend gesessen haben soll, und für den Pächter des Fährhauses sitzt sie gewissermaßen noch da, indem seine Gäste gar nicht im Restaurant sitzen, sondern auf dem Wasser, und dort nicht auf Stühlen und Bänken, die ihm gehören, sondern in Booten, die ihnen selbst gehören, und so hören sie die Musik, ohne dafür zu bezahlen. Was ich sehr praktisch finde, und was ich auch wollte, was ich aber nicht konnte, indem mein Dampfer gleich wieder umkehrte. Als guter Patriot sah ich mir natürlich auch die historische Stätte an, die unser Reichskanzler jetzt geerbt hat, und wenn ich den Besitz früher gekannt hätte, und wenn ich gewußt hätte, daß ich ihn auch bekommen würde, dann wäre auch ich Reichskanzler geworden. Als ich dort noch lustwandelte und die dortige Gegend mit meinem alten Exerzierplatz verglich und gerade zu der Erkenntnis gekommen war, daß die Erkenntnis für einen Menschen deshalb nichts wert ist, weil nach einem alten Wort, das aber nicht von mir ist, daß nur die geistig Armen glücklich sind, indem die Erkenntnis sie reich macht und der Reichtum eine verwerfliche Tugend ist, also ich sage: in diesem Augenblick fuhr ein Wagen an mir vorbei und alle Leute grüßten so tief, als käme Seine Majestät der Kaiser. Aber es war gar nicht der Kaiser, wohl aber der Herr Generaldirektor Ballin, dem bekanntlich sämtliche Meere der Welt gehören, indem er diese mit seiner Riesenflotte, die man die Hamburg-Amerika-Linie nennt, beherrscht. Für diese vielen Schiffe braucht Hamburg naturgemäß auch einen großen Hafen, und dieser ist auch da, aber als ich ihn besichtigen wollte, ging es mir mit demselben insofern ganz eigentümlich, als indem ich denselben vor lauter Schiffen gar nicht finden konnte und von dem ganzen Wasser vor lauter Masten nichts sah. Ich habe es überhaupt früher gar nicht für möglich gehalten, daß es auf der ganzen Welt so viel Schiffe gibt, wie allein in Hamburg. Und obgleich ich das Leben kenne, habe ich in Hamburg doch noch ein neues Leben kennen gelernt: das Hafenleben. Und an dessen Spitze stehen die vielen großen Rhedereien, in erster Linie die Hamburg-Amerika-Linie, in dem die Rhedereien ihren Namen daher haben, daß sie nicht reden, sondern Tag und Nacht arbeiten. Und wieder an der Spitze dieser großen Rhedereien stehen große Männer, die berühmter und mächtiger sind als heutzutage die alten Adelsfamilien. Aber zwischen Beiden besteht ein großer Unterschied, indem der Adel seine Söhne Offiziere werden läßt, damit sie noch ärmer werden, als sie es schon sind, und indem der Hamburger aus seinen Jungens Kaufleute macht, damit sie noch reicher werden. Und das ist mit Rücksicht auf die Armee zu bedauern, wie überhaupt in Hamburg keine übertrieben große Begeisterung für das Militär herrscht, wovon nur die Hamburger Köchinnen eine rühmliche Ausnahme machen, indem jede wenigstens einen Schatz hat, und eine perfekte Köchin sogar deren zwei; wovon ich mich insofern überzeugt habe, als ich beinahe der Dritte geworden wäre, was sich aber zerschlug, indem meine Uhr abgelaufen war und ich ihr nicht sagen konnte, wie spät es sei.

Außer den Köchinnen gibt es aber auch noch sehr viel andere stattliche Gebäude in Hamburg, so das große Gefängnis und die Börse, obgleich mir das Restaurant zur Börse viel besser gefallen hat, weil es dort das beste Bier gibt, indem der Hamburger überhaupt weiß, was gut schmeckt, und ganz besonders dann, wenn er es hat. Eine Spezialität von Hamburg ist sein Nebel, der so dicht sein kann, daß man die Häuser selbst dann nicht sieht, wen man gar nichts getrunken hat. Dagegen habe ich die Erfahrung gemacht, daß es in Hamburg nie regnet, und in den vierundzwanzig Stunden, die ich dort weilte, habe ich keinen einzigen Regentropfen zu sehen bekommen, was mir allerdings niemand glauben wollte, was aber doch wahr ist, denn alles, was ich sage, ist wahr, und was wahr ist, ist die Wahrheit.

Das sage ich, der ehemalige Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.

In No. 4 von "Nimm mich mit" spricht Krause über Hannover.



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© Karlheinz Everts