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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 51 vom 11. September 1905


Krause in Zivil

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

XIV.
Krause über den Stadtmusiker.

Nachdem ich meine Bewerbung um meine Anstellung als Kassenbote bei der Reichsbank zurückgezogen habe, nachdem man mir in schonender Weise mitgeteilt hat, daß an eine Anstellung in den nächsten zehn Jahren nicht zu denken sei, und daß es auch dann sehr fraglich wäre, weil die Liste der vorgemerkten Bewerber schon jetzt zehnmal größer sei als die voraussichtlich zu vergebenden Stellen, wobei ich mir vorübergehend die Frage zu beantworten versuchte, wovon denn all die Leute in der Zwischenzeit leben wollen, indem die Aussicht auf eine gute Anstellung ja zwar sehr schön, aber auf die Dauer doch keineswegs sättigend und durststillend ist, und seitdem mir ferner mitgeteilt wurde, daß ich nur dann jemals, falls ich den Tag noch erleben sollte, eingestellt werden könnte, wenn ich eine genügende Kaution besäße, die ich schon deshalb nicht besitze, weil ich überhaupt nichts besitze, aus diesen und tausend anderen Gründen habe ich mich entschlossen, mich bei dem städtischen Orchester zu melden, wobei ich Ihren erstaunten Gesichtern ansehe, daß Sie sich über mich wundern, weil ich Ihnen mit der mir angeborenen Verschwiegenheit noch nie etwas davon erzählte, daß ich ein nicht unbedeutender Künstler auf der Pikkoloflöte bin, was vielleicht daher rührt, daß ich es als alter Unteroffizier ja gewöhnt war, die Kerls nach meiner Flöte tanzen zu lassen.

Die Musik war, wenn ich so sagen soll, bis zu dieser Stunde gewissermaßen immer mein zartes Geheimnis, und ich habe früher nie daran gedacht, daß sie jemals für mich die melkende Kuh werden sollte, die mich mit Butter versorgt, obgleich ich mir schon seit langer Zeit mit Rücksicht auf meine schlechte Finanzlage die Butter abgewöhnt habe und mich mit Margarine begnüge, die für diejenigen, die sie mögen, ja auch sehr gut schmeckt, wobei ich offen gestehe, mir schmeckt sie nicht, aber sie muß mir schmecken. Wenn ich mich nun entschlossen habe, fortan ein Stadtmusiker zu werden, so brauche ich über den Wert der Musik wohl weiter kein Wort zu verlieren, denn ohne Musik gäbe es bekanntlich keinen Parademarsch auf der Welt, und wenn es den nicht gäbe, gäbe es keine Welt. Und wo wir wären, wenn es keine Welt gäbe, das ist eine Frage, die selbst ich Ihnen im Augenblick nicht beantworten kann. Aber soviel steht auf alle Fälle fest, wären wir nicht hier, dann wären wir wo anders, denn da wir nun doch einmal da sind, müßten wir ja auch irgendwo sein.

Um aber nach dieser philosophischen Betrachtung, die zur Erweiterung unserer geistigen Gedanken nur dienlich sein kann, wieder auf demselben Ton zu flöten, so meine ich, daß ein Stadtmusiker der einzige Mensch ist, der schon deshalb fortwährend in den höheren Regionen weilt, weil er beständig mit den höchsten Noten umgeht. Er wandelt gewissermaßen gar nicht auf Erden, sondern beständig in der Luft, denn die hohen Noten, meine Herren, stehen auch in der Luft und nicht auf der Linie. Am liebsten würde ich ja natürlich bei einer Militärkapelle eintreten, wie mir das früher so oft geraten ist, aber das geht jetzt ja leider nicht mehr, so muß ich mich dem städtischen Orchester zuwenden und werde dort sehr bald bei dem Publikum eine sehr beliebte Pikkolo-Flöten-Solo-Persönlichkeit sein.

Eins hat mich allerdings in den letzten Tagen gegen alle Zivilkapellen eingenommen, das sind die Klagen, die sie darüber führten, daß die Militärkapellen ihnen angeblich Konkurrenz machen. Ich habe die Verhandlungen darüber in meiner Zeitung gelesen, die ich mir natürlich nicht selbst halte, die mir aber meine Wirtin immer dafür leiht, daß ich ihr meinen Spazierstock zum Ausklopfen der Teppiche leihe, aber ich meine, der Inhalt dieser Verhandlung hat meine Zustimmung nicht gefunden. Militär bleibt Militär, und Uniform Uniform, daran ist nichts zu ändern, und der Anblick des bunten Rockes zieht viel mehr Leute ins Konzert hinein, als das Konzert selbst, die Musik ist ganz Nebensache, obgleich die Musik ja gewissermaßen auch zur Musik gehört und ein Konzert aus Musik besteht. Und darum sind alle Proteste und Eingaben vergebens. Die einfachste Lösung ist immer die beste, schon weil das Einfachste immer das Beste ist, obgleich das Beste nicht immer das Einfachste ist, was schon daraus hervorgeht, daß es auch für mich schon lange das Beste wäre, wenn ich eine Anstellung hätte, was alles Mögliche auf der Welt, aber nur nicht das Einfachste ist.

Also ich meine, die Zivilkapellen sollen sich auch in Uniform stecken. Anstatt sich bei Seiner Majestät gewissermaßen über die Militärkapellen zu beschweren, sollten sie auf dem Gnadenwege die Erlaubnis zu erwirken suchen, da es sich doch bei ihnen fast ausschließlich um alte Soldaten handelt, ebenso wie die verabschiedeten Offiziere die Uniform weiter tragen zu dürfen. Und wenn das nicht durchgeht, dann müssen sie sich Phantasie-Uniformen anschaffen, die ziehen erst recht, besonders wenn die Kapelle in möglichst engen Hosen und möglichst hohen Stiefeln mit möglichst großen Sporen auftritt, wofür der Beweis erbracht ist, indem vor einigen Jahren eine Kapelle öffentlich bekannt machte, daß bei dem Auftreten in hohen Stiefeln die Eintrittspreise erhöht werden. Und wenn die Stadtkapelle sich erst mal in eine Militärkapelle verwandelt hat oder wenigstens uniformiert ist, dann sollen Sie mal sehen, was sie für großartige Geschäfte macht, dann braucht sie keine Konkurrenz mehr zu fürchten, höchstens ihre eigene, was mir zwar selber nicht ganz klar ist, was aber dennoch eine tiefe Wahrheit enthält. Die Hauptsache ist, daß die Uniform sehr hübsch ist, dann brauchen die Musiker eines Tages überhaupt gar keine Musik mehr zu machen, sondern sie setzen sich gleich von Anfang an zu den jungen Mädchen und unterhalten sich mit ihnen. Und wenn dieser Musiker dann ein Solist ist, der noch eben den stürmischen Beifall des Publikums erregte, so sind sie dreifach stolz darauf, schon weil sie durch diese Bekanntschaft den Neid der Anderen erregen, und deshalb meine ich, eine Kapelle müßte eigentlich nur aus Solisten bestehen.

Ich wiederhole, ich billige die Auffassung der Stadtkapellen überhaupt nicht, aber ich bin davon überzeugt, daß meine Anregung schon dazu beitragen wird, den Streit zu schlichten. Jeder, der etwas von Musik versteht, weiß, daß diese wie wenige im Stande ist, erhitzte Gemüter zu beruhigen und leidenschaftliche Naturen zu besänftigen, sodaß der Beruf eines Musikers gewissermaßen der eines Friedensapostels oder wenigstens eines Friedensvermittlers ist, wobei ich natürlich unwillkürlich an die jetzt stattfindende Friedenskonferenz denke, und wobei ich glaube, daß die Leute schneller zu einem Resultat kämen, wenn sie eine gute Kapelle bei sich hätten, die ihnen während der Sitzungen täglich etwas vorspielte. Den Russen müßte vorgespielt werden: Glaubst du denn, glaubst du denn, daß ich mit die scherze ? Oder noch besser: Zahlt nur, o zahlt, dann ist's erledigt. Während ich den Japanern einfach das schöne Signal: "Das Ganze Halt" und "Gewehr in Ruh" vorblasen ließe. Dann würde schon eine versöhnliche Stimmung eintreten, denn die Musik wirkt oft Wunder, und ein Wunder ist und bleibt ein Wunder. Das sage ich, der ehemalige Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



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© Karlheinz Everts